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Wulf Gallert zu TOP 29: Freiheit und Demokratie bewahren

Der vorliegende Antrag der Fraktionen der CDU, SPD und FDP hat den Titel „Freiheit und Demokratie bewahren.“ Eine solche Überschrift legt die Vermutung nahe, dass es hierbei um die Abwehr einer substanziellen Gefahr für Freiheit und Demokratie in unserem Land geht. Nun sind die Dinge dazu in dem vorhergehenden Antrag bereits benannt worden, die aus unserer Sicht solche Gefährdungspotenziale beinhalten und insofern ist es völlig richtig, dass sich der Landtag zu solchen Gefährdungen verhält. In diesem Antrag geht es allerdings ausdrücklich um den Kommunismus, von dem eine solche Gefährdung für unser Land ausgehen soll. Dem widerspricht allerdings ein Stück weit der Antragstext selbst, der die Feststellung enthält, dass diese Ideologie ausgedient hat. Warum dann dieser Antrag?

Diesen Widerspruch vermag ich hier nicht aufzulösen, das ist aber auch nicht meine Aufgabe. Vielmehr will ich hier deutlich machen, an welcher Stelle wir uns mit unserem Alternativantrag von dem vorliegenden Antrag der anderen drei Fraktionen unterscheiden und an welchen Stellen wir mit diesem Antrag übereinstimmen.

Übereinstimmung besteht darin, dass die gesellschaftliche Praxis der Umsetzung kommunistischer Gesellschaftsmodelle im zwanzigsten Jahrhundert zu millionenfachem Leid geführt hat und dass es die Menschen in diesen Herrschaftsräumen selbst gewesen sind, die sich davon befreit haben. Dies war ein richtiger Schritt, der von uns allen begrüßt wird, unabhängig davon, an welcher Stelle der Auseinandersetzung jeder von uns im Einzelnen 1989 gestanden hat.

Einig sind wir uns auch darüber, dass die Missachtung von bürgerlichen Freiheitsrechten und Demokratie diese Gesellschaftsmodelle gekennzeichnet hat, in unterschiedlicher Ausprägung und mit unterschiedlichen Begründungen, aber letztlich doch überall. Das zentrale Problem der kommunistischen Ideologie ist zumindest meiner Meinung nach jedoch nicht die Vorstellung von einer klassenlosen Gesellschaft, die frei von Ausbeutung und Unterdrückung sein soll, in der sowohl nach Marx als auch nach Rosa Luxemburg die freie Entfaltung des Einzelnen die Voraussetzung für die freie Entfaltung der Gesellschaft insgesamt ist. Das zentrale Problem der kommunistischen Ideologie ist die Rechtfertigung der Diktatur zur Erreichung dieses Ziels. Sie wurde benannt als Diktatur des Proletariats und hatte doch in der Realität mit diesem herzlich wenig zu tun, sie war in Wahrheit die Diktatur eines Funktionärapparates, der für sich in Anspruch nahm, gesellschaftliche Interessen definieren zu können, die im Wesentlichen aber nur ihre eigenen Interessen waren.

In diesem Zusammenhang lieferte die Theorie des Klassenkampfes und die daraus ableitbare notwendige Unterdrückung der Konterrevolution die Legitimation dafür, jeden, der eine andere Position vertrat, zum Klassenfeind zu erklären und mit allen Mitteln zu bekämpfen, bis hin zur physischen Vernichtung. Wie beliebig die Definition des Klassenfeindes war, belegt z. B. die Tatsache, dass in den stalinschen Gulags u. a. auch massenhaft Mitglieder der kommunistischen Partei ermordet worden sind. Diese Herrschaftsprinzipien wurden nach 1945 auch auf den Osten Deutschlands übertragen, haben hier jedoch deutlich differenziertere Ausprägungen erlangt, als in der Sowjetunion oder gar in der maoistischen Variante bis hin zum Steinzeitkommunismus der Roten Khmer. Die beriefen sich allerdings selbst nicht mehr auf die Traditionslinien von Marx und der Europäischen Arbeiterbewegung.

Daneben bleibt jedoch festzuhalten, dass die Etablierung eines kommunistischen Gesellschaftsmodells im Osten Deutschlands eben nicht Folge imperialer sowjetischer Ansprüche, sondern die Folge des durch den deutschen Faschismus verursachten Zweiten Weltkrieges war. Natürlich weiß ich um die besondere Verantwortung meiner Partei in diesem Zusammenhang, und es bleibt dabei, dass wir, wie bereits im Dezember 1989 auf dem Gründungsparteitag der PDS, uns bei allen Opfern von Verbrechen im Namen des Kommunismus entschuldigen und denjenigen, die unter diesen gesellschaftlichen Verhältnissen für Demokratie und Freiheit gekämpft haben, unsere Hochachtung zum Ausdruck bringen.

Es hieße jedoch, einen großen Teil der Geschichte der kommunistischen Bewegungen des zwanzigsten Jahrhunderts auszublenden, wenn wir allein bei der bisherigen Charakterisierung stehen blieben. Weltanschauungen und die Ideologien entwickeln sich in konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen sehr unterschiedlich. Deshalb ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die kommunistischen Bewegungen sich nicht nur auf Terror und Diktatur reduzieren lassen. Das trifft übrigens auch für die deutsche Geschichte zu, insbesondere im Zusammenhang mit der Machtergreifung des Faschismus in Deutschland. In dieser Phase haben nicht nur, aber eben auch und in hoher Zahl Kommunisten unter bewusstem Einsatz ihres Lebens gegen die Errichtung eines faschistischen Terrorregimes gekämpft, und viele haben ihr Leben in den Konzentrationslagern verloren. Und zwar nicht deshalb, weil sie eine proletarische Diktatur errichten wollten, sondern weil sie das faschistische Terrorregime bekämpft haben. Und zwar zu einem Zeitpunkt, als konservative und liberale Politiker zum Teil mit fliegenden Fahnen, zum Teil aus Opportunismus, zur NSDAP übergelaufen sind. Historische Belege gibt es dafür massenhaft. Ich verzichte darauf, diese hier zu zitieren. Wenn Sie das wollen, kann ich es gern tun.

Kommunistische Parteien haben in Westeuropa, aber nicht nur dort, anders als in Deutschland seit Jahrzehnten ihren anerkannten Platz. Sie sind zum Teil an Regierung von EU-Mitgliedsstatten beteiligt. Im EU-Staat Zypern stellen sie den Präsidenten, übrigens mit hervorragenden Beziehungen zur Bundeskanzlerin Angela Merkel.

In diesem Zusammenhang ist es übrigens wichtig zu erwähnen, dass auch der Antikommunismus ein probates Begründungsmuster für die Einschränkung von Demokratie und Freiheit sein kann, wie wir es zurzeit im EU-Mitgliedsstaat Ungarn erleben. Da geht es nicht nur um ein Mediengesetz, das jeder Diktatur hervorragend zu Gesicht steht, sondern um eine ganze Reihe weiterer Einschränkungen von Demokratie und Freiheit, die maßgeblich mit der Bekämpfung der kommunistischen Gefahr legitimiert werden. Interessant ist übrigens in diesem Zusammenhang, wie sich da die konservativen Vorkämpfer für Demokratie und Freiheit auf der europäischen Bühne verhalten. Die konservative Fraktion, vor allem deren deutsche Mitglieder aus CDU und CSU haben hier klare Unterstützung für die Abschaffung von Demokratie und Freiheit in Ungarn signalisiert. Offensichtlich ist das Verhältnis zur Demokratie nicht nur in der Geschichte des Kommunismus ein eher funktionales als grundsätzliches.

Insofern fällt unsere Beurteilung der kommunistischen Bewegungen insgesamt sowie des Antikommunismus tatsächlich differenzierter aus, als in dem Antrag der anderen drei Fraktionen.

Das eigentliche Kernproblem der aktuellen Debatten um den Kommunismus betrifft jedoch nicht die Vergangenheit, sondern die Zukunft. Nämlich die Frage, ob man vor dem Hintergrund der Geschichte des Kommunismus noch über linke Gesellschaftsmodelle diskutieren darf. Und da findet der Antrag von CDU, SPD und FDP in der Begründung sehr deutliche Worte und offenbart damit auch ein Stück weit das zentrale Anliegen dieses Antrages. Jeder, der also über die Marktwirtschaft hinausgehende Vorstellungen hat, verlässt den Boden von Demokratie und Freiheit. Das, werte Kolleginnen und Kollegen, sehen wir sehr wohl anders.

Seit zwanzig Jahren, also seit dem Untergang des real existierenden Sozialismus weltweit und der globalen Wirkung marktwirtschaftlicher Prinzipien, hat sich eine Reihe von Menschheitsproblemen weiter zugespitzt. Soziale Polarisierung, Ressourcenverbrauch, kriegerische Auseinandersetzungen, Rüstungsausgaben sind nicht mit dem real existierenden Sozialismus verschwunden. Damit will ich nicht behaupten, dass bei der weiteren Existenz des real existierenden Sozialismus sich die Dinge nicht auch so entwickelt hätten, aber das jetzige Gesellschaftsmodell ist ja wohl offensichtlich auch nicht in der Lage, zumindest bisher, diese Probleme zu lösen. Insofern ist es übrigens ausdrücklich legitim und notwendig, über grundsätzliche Alternativen nachzudenken. Allerdings, und das ist der große Unterschied, immer nur unter Beachtung der individuellen Freiheitsrechte und der demokratischen Prinzipien des Grundgesetzes.

Zu diesem Sachverhalt gab es übrigens im letzten Jahr im Niedersächsischen Landtag einen interessanten Antrag. Ich will nur zwei Punkte aus ihm vorlesen:   

1.    Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, deren Auswirkungen große Teile der Bevölkerung zu spüren bekommen, macht eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wirtschaftssystem nötig.  Wer vor dem Hintergrund der heutigen Krise des heutigen Kapitalismus Deutungsansätze aus der marxistischen Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie ableitet, darf nicht als Extremist bezeichnet werden. Da die Wirtschaftsform nicht Teil der Verfassung ist, können jene, die Kritik an ihr üben und ein anderes Wirtschaftssystem anstreben, nicht als Gegner der freiheitlich-demokratischen Grundordnung angesehen werden, solange sie den Wandel des Wirtschaftssystems auf demokratischem Wege erreichen wollen.

2.    Kapitalismuskritik ist nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit der Abschaffung der parlamentarischen Demokratie. Ebenso wenig kann in diesem Zusammenhang der Rückgriff auf die Lehren von Karl Marx als extremistisch bezeichnet werden. Die Wirkungsgeschichte des Marxismus auf die politische und geschichtliche Entwicklung der früheren Ostblock-Staaten oder Kubas zu reduzieren, ist falsch, weil unhistorisch und unredlich.

Sie können sich sicher sein, dass meine Fraktion diesen Aussagen im vollen Maße zustimmt. Dem vorliegenden Antrag der drei Fraktionen nach würden wir aber damit schon den Boden von Freiheit und Demokratie verlassen, was wir ausdrücklich bestreiten und was falsch ist. Das Tröstliche für uns ist jedoch, dass wir mit dieser Position nicht allein stehen, denn die Zitate, die ich Ihnen vorgelesen habe, stammen nicht aus einem Antrag der Fraktion meiner Partei, sie stammen aus einem Antrag der SPD-Fraktion im Landtag von Niedersachsen aus dem März letzten Jahres. Die steht offensichtlich nach der Auffassung der hiesigen CDU-, SPD- und FDP-Fraktion nicht mehr auf dem Boden von Freiheit und Demokratie.

Unsere Position ist hier eine andere. Wir werden weiterhin nach einer sozial gerechten Gesellschaft suchen und für deren Entwicklung streiten. Wir wissen aber auch aus der Geschichte, dass dies ausschließlich unter Wahrung der individuellen Freiheitsrechte und der demokratischen Prinzipien des Grundgesetzes geschehen darf.