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Wulf Gallert zu TOP 17: Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Landeshaushaltsordnung des Landes Sachsen-Anhalt

DIE LINKE wird den Gesetzentwurf zur Änderung der Landeshaushaltsordnung, der uns heute vorgelegt worden ist, ablehnen. Das dürfte niemanden überraschen, der sich mit unserer Position und mit diesen Problemen in der letzten Zeit beschäftigt hat. Ich will unsere Position noch einmal darlegen. Bevor ich dazu komme, möchte ich aber doch etwas zur Tragweite der heutigen Entscheidung sagen.

Man kann durchaus sagen, dass das eine historisch wichtige Debatte ist. An das, was wir heute vorgelegt bekommen haben und was hier eventuell beschlossen wird, muss man aber etwas vorsichtiger herangehen. Wir reden hier über die Änderung der Landeshaushaltsordnung. In der soll stehen, dass wir demnächst keine Schulden mehr aufnehmen sollen. Aber dieselbe Mehrheit, die den nächsten Haushalt aufstellen muss und die feststellt, dass sie diese Auflagen nicht erfüllen kann, kann diese freiwillige Selbstverpflichtung auch wieder aufheben. Das ist das Gute an der heutigen Regelung. Selbst wenn sie beschlossen werden wird, können diejenigen, die sehen, dass sie nicht funktioniert, sie auch gleich wieder aufheben. Das ist alles andere als historisch.

Wenn sich dieses Parlament aber mehrheitlich selbst dazu verpflichten will, in Zukunft nicht mehr die Dinge zu tun, die die Mehrheit in der Vergangenheit für richtig gehalten hat, dann werden wir darüber in dieser Legislaturperiode und auch in der nächsten Legislaturperiode diskutieren. Das Schöne ist, dass wir es dann immer noch können. Deswegen ist es nicht ganz so schlimm, was heute möglicherweise passiert.

Warum lehnen wir den Gesetzentwurf dennoch ab? Hier wird suggeriert, wir wären in der Lage, demnächst ohne Schulden auszukommen. Es wäre natürlich schön, wenn wir das könnten. Ich sage aber ausdrücklich: Wir haben in diesem Land viele politische Aufgaben zu erfüllen. Ich will sie auf einer globalen Ebene in drei Ziele einteilen.

Das erste: Wir müssen uns um die Lebensqualität eines jeden Menschen in diesem Land kümmern, weil die Würde eines jeden Menschen in diesem Land unantastbar ist. Das bedeutet natürlich, soziale Sicherung zu realisieren und soziale Hilfestellung zu geben. Das bedeutet, die Lebensqualität für die Menschen in diesem Land so zu gestalten, dass sie hier leben wollen, dass sie hier gut leben können und dass sie sich hier entfalten können. Das ist die erste Zielstellung.  

Die zweite Zielstellung ist, dass wir diesem Land Perspektiven geben und Entwicklungen vorantreiben müssen. Wir müssen daran denken, jetzt Entwicklungen einzuleiten, die das Land auch noch in 20, 30 und 40 Jahren lebenswert machen.  

Die dritte Zielstellung besteht darin, dass wir die natürlichen, die materiellen und die finanziellen Ressourcen, die wir dafür haben, so sparsam wie möglich einsetzen.

Das sind die drei Zielstellungen, die wir hier im Parlament miteinander auszudiskutieren haben. Dabei haben wir das Problem, dass alle drei Zielstellungen miteinander zusammenhängen. Sie stehen aber auch in Konkurrenz zueinander. Sie stehen in Widerspruch zueinander. Wenn ich eines der Ziele herausnehme, nämlich die Schonung der materiellen Ressourcen, und sage, nie wieder Neuverschuldung, dann weiß ich genau, dass ich in ein substanzielles Spannungsverhältnis zu den anderen Zielen, die ich habe, gerate - soziale Sicherung, Perspektivaufbau etc. etc.  
Dazu sage ich ausdrücklich: Alle drei Zielstellungen stehen für uns gleichberechtigt nebeneinander. Wir wehren uns dagegen, nur ein einziges Ziel herauszunehmen und alle anderen nachrangig zu gestalten. Die Schonung der finanziellen Ressourcen ist ein Ziel, aber eben nicht das einzige, das unser Handeln bestimmt, und deshalb lehnen wir diese Änderung der Landeshaushaltsordnung ab.

Ja, wir haben ein Problem in diesem Land und in dieser Bundesrepublik: Wir haben ein Verschuldungsproblem. Verschuldung ist nichts, was in diesem Staat beabsichtigt werden und gewollt sein sollte. Auch ich finde die Argumentation völlig überflüssig, wir bräuchten unbedingt Schulden, um Kapitalanlegern eine Chance geben zu können. Die Schulden, die wir in den öffentlichen Kassen haben, sind die politische und ökonomische Konsequenz einer falschen Steuerpolitik, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben.

Die entscheidenden Weichenstellungen, vor denen Finanzminister Bullerjahn gewarnt hat, dass Steuergesetze so verändert werden, dass wir in den öffentlichen Kassen in der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr die materiellen Ressourcen haben, die wir brauchen, die werden nicht in der Zukunft realisiert, nein, die sind in der Bundesrepublik Deutschland bereits vor zehn Jahren mit der Absenkung der Steuerquote um etwa 10 % realisiert worden. Seither haben wir die Situation in den öffentlichen Kassen. Seitdem haben wir eine explodierende Neuverschuldung. Das ist das Problem, auf das man hinweisen muss.

Unser Problem ist, dass wir jetzt unter diesen Bedingungen natürlich sagen können: Neuverschuldung null. Damit akzeptieren wir aber die desolate Situation der öffentlichen Kassen. Dann müssen wir bei der öffentlichen Daseinsvorsorge eben alles wegstreichen, was eventuell zur Debatte steht. Dann müssen wir bei der Perspektiventwicklung dieses Landes eben alles wegstreichen, was eventuell zur Debatte steht. Dann richten wir uns eben auf diesem viel zu niedrigen Niveau ein, und damit hat sich die Geschichte. Dann freuen wir uns vielleicht irgendwann darüber, dass die Neuverschuldung nicht gestiegen ist.  

Wir haben dann aber eigenartigerweise kaum noch Menschen, die den alten Schuldenbestand irgendwann einmal abbauen, und wir haben keine Perspektive mehr für dieses Land. Deswegen werden wir uns heute gegen diese Neuverschuldungsbremse wehren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Dann haben wir noch das zusätzliche Problem, dass die Länder in einer besonders schwierigen Situation sind. Die äußeren Rahmenbedingungen für die steuerpolitischen Einnahmen gestaltet der Bund. Auf der Ausgabenseite sind aber im Wesentlichen wir zuständig. Wenn wir uns in dieser Art und Weise selbst beschränken, wie es ab dem Jahr 2020 auch auf der bundesgesetzlichen bzw. grundgesetzlichen Ebene vorgesehen ist, dann, sage ich sehr deutlich, verlieren die Länder einen sehr wichtigen Teil ihres politischen Spielraums und ihrer Legitimation. Es gibt dann nur noch eine einzige Stelle, die darüber bestimmt, wie viel Finanzen auszugeben sind. Das ist ausschließlich der Bund.

Irgendwann müssen wir uns dann wirklich nicht mehr die Frage stellen, warum wir weiterhin eine permanent sinkende Wahlbeteiligung haben. Irgendwann werden die Menschen fragen: Brauchen wir den Föderalismus in dieser Bundesrepublik Deutschland noch?

Die Spielräume werden in einer eklatanten Art und Weise derart eingeschränkt, dass irgendwann die Frage gestellt wird, ob wir dieses Gebäude wirklich noch mit Landespolitikern besetzen müssen oder nicht. Wir haben dann nämlich kaum noch etwas zu entscheiden. Der Bund entscheidet über unser Ausgabenspektrum. Wir haben kaum noch die Chance, auf gesellschaftliche Entwicklung zu reagieren. Auch deswegen lehnen wir diese Schuldenbremse ab.  

Das sind wohl genug Gründe, auch in Zukunft in die gesellschaftliche Debatte zu gehen. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Zu allererst die Autoren dieser Schuldenbremse, vor allen Dingen auf der bundesgesetzlichen Ebene, werden sehr schnell in Überlegungen hineingeraten, ob das, was sie hier als Weg vorsehen, von ihnen selbst durchgehalten werden kann.

Wir werden möglicherweise spätestens im Jahr 2012 bei der Aufstellung des neuen Haushalts eine Situation erleben, in der die Argumentation schon wieder ein gänzlich andere ist, und zwar besonders von den denjenigen, die sie heute beschließen wollen.