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Wulf Gallert zu TOP 01 b): Die Trägerlandschaft in Sachsen-Anhalt für die Zukunft sichern

Seit Dienstag dieser Woche liegt den Fraktionen des Landtages in Sachsen-Anhalt der Aufruf „In Vielfalt investieren – die Trägerlandschaft in Sachsen-Anhalt für die Zukunft sichern“ vor. Dieses Papier ist deshalb etwas besonderes, weil sich hier ganz unterschiedliche Institutionen aus den Bereichen der sozialen Infrastruktur, der Demokratieentwicklung, der Umwelt und Kultur auf eine gemeinsame Position verständigt haben. Es geht also ausdrücklich nicht darum, das Überleben der eigenen Institutionen notfalls auf Kosten einer anderen oder eines anderen Politikbereiches zu sichern, sondern es geht darum, dass hier gemeinsame Positionen vertreten werden, die für uns als Vertreter der Landespolitik grundsätzliche Fragestellungen aufwerfen. Darin unterscheidet sich dieses Papier von den üblichen Auseinandersetzungen bei den Haushaltsverhandlungen und auch den typischen Lobby-Positionen aus den einzelnen Bereichen, die ebenfalls regelmäßig in den Haushaltsberatungen laut werden.

Ausgangspunkt dieses Papiers ist das Strategiepapier des Finanzministeriums Mitte Juni dieses Jahres. Der Wunsch des Finanzministers war es damals, mit diesem Papier eine gesellschaftliche Debatte anzustoßen, als diese dann allerdings in Gang kam, hatte man bisher zumindest den Eindruck, dass dieser Wunsch nicht so ganz ernst gemeint war. Den regierungsinternen Verlauf dieser Debatte konnte man in den letzten Wochen in den Medien gut verfolgen, dessen Ausgang wird hier im nächsten Monat bei der Einbringung des Doppelhaushaltes detailliert zu diskutieren sein. Wie diese Antwort im groben ausgefallen ist, ist der Öffentlichkeit am Dienstag mitgeteilt worden. Das soll hier heute nicht ignoriert werden, berührt aber nicht die Kernfragen, die sowohl das Strategiepapier als auch der Aufruf der unterschiedlichen Institutionen aufgeworfen haben.

Das Strategiepapier des Finanzministers machte im Juni auf das Dilemma aufmerksam, dass trotz einer dort vorgeschlagenen rigiden Kürzungsstrategie, die in fast allen Bereichen der Landespolitik substanzielle Einschnitte bedeutet hätte, eine Neuverschuldung von über 1,1 Mrd. Euro für die beiden Haushaltsjahre 2010 und 2011 unumgänglich ist. Über diese Aussage wurde seit Mitte Juni umfangreich diskutiert, allein der Fakt an sich, der hier aufgezeigt wurde, konnte bisher nicht widerlegt werden. Ich höre zwar seitens der FDP und hier und da auch von der CDU, bis vor kurzem auch durch den Ministerpräsidenten dieses Landes Forderungen nach einer niedrigeren Neuverschuldung. Allein die inhaltliche Untersetzung liegt dazu im Nebel. Der Einzige von denjenigen, die ich hier aufgezählt habe, der gezwungen war, eine niedrigere Nettoneuverschuldung inhaltlich umzusetzen, nämlich der Ministerpräsident, hat das dann auch konsequenterweise fallen lassen. Letztlich bedeutet dies, dass die finanzpolitischen Rahmenbedingungen für Sachsen-Anhalt uns vor die Alternative stellen, entweder in die Neuverschuldung zu gehen oder politisch völlig inakzeptable, die nachhaltige Entwicklung dieses Landes beschädigende Entscheidungen, zu treffen.

Auf eben dieses Dilemma macht uns dieser Aufruf der unterschiedlichen Institutionen aufmerksam. Ich zitiere: „Mit den in der Landesregierung diskutierten Kürzungen wird die Axt ans Fachwerk der Gesellschaft in Sachsen-Anhalt gelegt: So wird fachliche Kompetenz vernichtet und dem bürgerschaftlichem Engagement, einer lebendigen Zivilgesellschaft und einer notwendigen Beratungsinfrastruktur die Grundlage entzogen.“ Wir könnten es uns als Opposition leicht machen und die Landesregierung für dieses politische Vorgehen geißeln. Übrigens werden wir das auch tun, sie hat es sich verdient. Aber das Problem steckt tiefer.

Selbst CDU und SPD führen solche Diskussion, zumal unmittelbar vor der Bundestagswahl, nicht primär aus inhaltlicher Überzeugung, sondern vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltssituation des Landes Sachsen-Anhalt. Die, und das müssen wir ehrlich sagen, eben nicht zu aller erst durch die aktuelle Krise, sondern durch ein strukturelles Defizit der Einnahmen gegenüber der Ausgaben gekennzeichnet ist. Dies trifft auch ausdrücklich auf alle anderen Bundesländer zu. Denn auch solche Länder wie Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern werden in den nächsten beiden Jahren Schulden aufnehmen müssen, selbst wenn sie es jetzt noch nicht zugeben. Aber hinter vorgehaltener Hand wird dort nur noch darüber spekuliert, ob die Neuverschuldung nach der Bundestagswahl oder nach der Novembersteuerschätzung bekannt gegeben wird.

Dieses strukturelle Defizit zwischen den benötigten Ressourcen für eine nachhaltige Entwicklung und den dafür zur Verfügung stehenden Einnahmen spüren die Träger seit Jahren massiv am eigenen Leib. Ähnlich wie im öffentlichen Dienst sind sie mit der Situation konfrontiert, dass mit immer weniger Ressourcen immer größere Aufgaben erfüllt werden sollen. Gerade diejenigen, die sich mit besonderen Folgewirkungen der sozialen Polarisation beschäftigen, können davon ein Lied singen. Die Träger schreiben: „Die Sparvorschläge widersprechen den Zielen der Landesregierung und ihrem sozialpolitischen Gesamtkonzept.“ Ja, die Sparvorschläge entsprechen auch den Sparvorschlägen in dem Bereich der Demokratieentwicklung, der Kultur und des Umweltbewusstseins. Es gehört zur Ehrlichkeit dazu, dies öffentlich zu machen. Die ehrgeizigen Ziele des Landes Sachsen-Anhalt, ein Bildungsland zu sein, lassen sich auf die Dauer mit der strukturellen Unterfinanzierung im Hochschulbereich nicht umsetzen. Wenn wir diese Fakten aber alle kennen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir wissen, dass wir aus dem Prinzip der Haushaltskonsolidierung heraus falsche Entscheidungen treffen müssen, dann müssen wir dieses Prinzip in Frage stellen. Oder wir müssen ganz deutlich sagen, wir akzeptieren diesen strukturellen Ressourcenmangel in den öffentlichen Kassen und verabschieden uns von den inhaltlichen Zielstellungen einer nachhaltigen Entwicklung Sachsen-Anhalts. Das ist die Grundfrage, die in diesem Aufruf gestellt wird. Dort heißt es: „Die Landesregierung und der Landtag von Sachsen-Anhalt sind gefordert, klare und verbindliche Entscheidungen zu treffen. Wie wollen wir in Sachsen-Anhalt künftig leben? Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht auf Zukunftssicherheit und Lebensqualität.“

Die Bundesrepublik Deutschland gehört im OECD-Maßstab zu den Ländern mit der niedrigsten Steuerquote. Die Bundesrepublik Deutschland hat inzwischen mit die geringste Ausstattung im öffentlichen Dienst, diese Zusammenhänge führen zu dem von den Trägern beklagten politischen Dilemma. Wer da raus will, muss Widerstand gegen Steuersenkungspläne üben, der kann keiner Schuldenbremse zustimmen und der kann sich nicht darauf beschränken, Kürzungen an die Stelle von Politik zu setzen.

Dieser Aufruf macht aber noch ein zweites strukturelles Problem dieser Politik deutlich. Die Landesregierung hat durch eigenes politisches Tun dieses strukturelle Einnahmedefizit durch ihre Abstimmung im Bundesrat mit herbei geführt. Auf der anderen Seite sind die Rahmenbedingungen kurzfristig von niemandem auf der Landesebene radikal zu ändern. Wenn es aber dieses Haushaltsdefizit gibt und Kürzungen auch im Bereich dieser Trägerlandschaft wirklich unvermeidbar sein sollen, dann wäre es das Mindeste gewesen, sich mit diesen Trägern zu solchen Problemen zu verständigen. Aber auch diese Möglichkeit wurde vollständig ignoriert. Statt gemeinsam ein Problem zu lösen, erfuhren die betroffenen selbstständigen Trägerstrukturen zum Teil aus der Presse, wer in Zukunft keine Förderung mehr zu erwarten hat oder welcher Verein mit welchem zu fusionieren hätte.

Das kann man natürlich so machen, Kraft eines Fördermittelbescheides, aber wenn man das tut, dann solle man bitte seine Sonntagsreden über Partizipation und ehrenamtlichem Engagement und über die Zivilgesellschaft in der Tasche lassen.

Bei einigen von der Diskussion betroffenen Trägern macht sich übrigens noch ein gänzlich anderes Unbehagen breit. Einige dieser Strukturen haben ausdrücklich die Aufgabe, Lobbyarbeit für Kinder und Jugendliche, Frauen, für den Kampf gegen Rechtsextremismus oder für die Belange der Umwelt zu machen. Bei denen drängt sich der Eindruck auf, dass man mit Kürzungen bei diesen Zuschüssen auch die Träger verschwinden lassen will, die sich kritisch mit der Politik der Landesregierung auseinandersetzen. Dies ist nicht mehr Konsequenz der Haushaltssituation des Landes Sachsen-Anhalt, sondern Ausdruck eines patriarchalischen Staatsverständnisses, konservativ und partizipationsfeindlich. Wir fordern diese Koalition ausdrücklich auf, solchen Versuchungen zu widerstehen. Sie können sich zumindest sicher sein, dass wir das ansonsten deutlich öffentlich werden lassen und auch dafür sorgen werden, dass dies bis zur Landtagswahl nicht in Vergessenheit gerät.    

Die unterzeichnenden Institutionen des hier in Rede stehenden Aufrufs sind dem Wunsch des Finanzministers über eine gesellschaftliche Debatte zur Perspektive Sachsen-Anhalts gefolgt. Sie haben kurz und knapp zentrale Fragestellungen für die Landespolitik formuliert und haben einen Anspruch auf unsere Antworten. Für uns steht außer Frage, dass diese Strukturen gerade in diesen Zeiten dringend erhalten bleiben müssen, auch dann kann man immer noch über bessere Varianten nachdenken, aber eben nicht unter dem Damokles-Schwert radikaler Kürzungen.