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TOP 16: Bundesratsinitiative zur Änderung des Grundgesetzes mit dem Ziel der Einführung des kommunalen Wahlrechts für alle hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer

Bei Landtags- und Bundestagswahlen sind sowohl MitbürgerInnen aus der EU als auch langjährig hier lebende AusländerInnen aus so genannten Drittstaaten vom Wahlrecht ausgeschlossen.

Bei Kommunalwahlen haben zwar seit 1992 BürgerInnen der EU ein Wahlrecht, Angehörige aus anderen Staaten, wie etwa der Türkei, sind davon jedoch ausgeschlossen.

Das kommunale Wahlrecht für Drittstaatenangehörige ist als Prüfauftrag in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung aufgenommen worden. Bislang gab es aber von dort keine konkreten Initiativen.

Zahlreiche Kommunen sind für ein kommunales Wahlrecht für alle hier lebenden AusländerInnen. In einer Umfrage der WDR-Sendung „Cosmo TV" unterstützten acht von insgesamt dreizehn befragten Städten in Nordrhein-Westfalen eine derartige Neuerung.

Die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) sprach sich bereits im Februar 2007 für ein kommunales Ausländerwahlrecht aus.

Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Organisationen, wie zum Beispiel der Caritas, des Bundesausländerbeirates, von Attac, der IG Metall, von Mehr Demokratie e. V. oder auch ver.di haben im Oktober letzten Jahres die Bundesregierung aufgefordert, ohne Verzögerung die verfassungsmäßigen Voraussetzungen zur Einführung eines kommunalen Wahlrechts für die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Nicht-EU-BürgerInnen zu schaffen.

Im September 2007 brachten die Bundesländer Berlin und Rheinland-Pfalz im Bundesrat eine Initiative ein mit dem Ziel, Artikel 28 des Grundgesetzes in der Weise zu ändern, damit auch AusländerInnen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union besitzen, bei Kommunalwahlen das aktive und passive Wahlrecht eingeräumt werden kann. Bisher war diese Initiative abschließend nicht auf der Tagesordnung.

Das Verwehren dieses Rechtes für Drittstaatenangehörige ist eine Diskriminierung.

Ein weiteres Indiz dafür, welche Ungleichbehandlung hier herrscht, ist die Tatsache, dass diese MitbürgerInnen im Durchschnitt seit über 17 Jahren in Deutschland leben. Von ihnen wird mit einer Selbstverständlichkeit erwartet, dass sie ihren staatsbürgerlichen Pflichten nachkommen, wie z.B., dass sie Gesetze zu achten und Steuern und Sozialabgaben zu entrichten haben.

Es ist Ihnen sicher bekannt, dass etwa 1,9 % der Bevölkerung Sachsen-Anhalts ausländische MitbürgerInnen sind. Im Vergleich dazu leben in den anderen  Bundesländern etwa 9 % Menschen, die keinen Deutschen Pass haben. Leider ist der Anteil ausländischer MitbürgerInnen auch in unserem Bundesland in der Tendenz seit einigen Jahren rückläufig. So waren 2004 in Sachsen-Anhalt 47.000 ausländische MitbürgerInnen gemeldet, 2005 waren es noch 46.723, 2006 waren es 46.400 und im Jahr 2007 sank die Zahl auf 45.900.

Nun kann man sicherlich zu Recht sagen: Die Flüchtlingszahlen sind ja ebenfalls rückläufig. Das ist korrekt. Aber auch der Anteil ausländischer MitbürgerInnen, die aus Europa kommen, ist überproportional rückläufig. Waren es 2005 noch 55 %, so sind es 2007 nur noch 30 %.

Wohl bemerkt, aus Europa, nicht aus der EU. Auf die Europäische Union bezogen, beträgt der Anteil ca. 20 %. Das bedeutet, allein in Sachsen-Anhalt werden 80 % der hier lebenden ausländischen MitbürgerInnen von der aus unserer Sicht wichtigsten Möglichkeit der Ausübung von direkter Demokratie - nämlich der Beteiligung an Wahlen - ausgeschlossen. Die Hälfte dieser Ausländerinnen und Ausländer leben übrigens seit mindestens sechs Jahren hier und 28 % bereits seit 10 Jahren.

Wo ist eigentlich das Problem?

Menschen mit einem türkischen, indischen oder amerikanischen Pass sind wahlberechtigt bei Betriebsratwahlen, sie dürfen ArbeitnehmervertreterInnen in Aufsichtsräten der großen Konzerne mitwählen, ja sogar den Aufsichtsrat der Deutschen Bank. Überall hier ist es möglich, warum dann eigentlich nicht auch bei der Wahl des Bürgermeisters oder des Landrates in ihrem Wohnumfeld?

In einem Grossteil der EU-Mitgliedsstaaten ist das seit langem möglich, wobei die Bedingungen dafür doch sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Am weitesten geht dabei Irland.

Deutschland erhebt für sich den Anspruch, Motor der europäischen Integration zu sein. Warum gilt dieser Anspruch nicht auch für ein Wahlrecht für alle hier lebenden AusländerInnen? Warum sind wir diesbezüglich in Sachen Demokratie weiterhin ein Entwicklungsland? Das ist für meine Fraktion nicht nachvollziehbar.

Man kann doch nicht ein stärkeres Bekenntnis von Migrantinnen und Migranten zu den demokratischen Werten einer Gesellschaft, in der sie leben, einfordern, ihnen aber gleichzeitig wichtige Rechte vorenthalten. Diese Ungleichbehandlung ist nicht nur skandalös und ungerecht. Sie fördert geradezu die Entfremdung der Migrantinnen und Migranten von der Öffentlichkeit und der hiesigen Gesellschaft.

Wenn von Migrantinnen und Migranten eine immer größere Integrationsleistung abgefordert wird, dann müssen wir auch bereit sein, rechtliche Missstände und Benachteiligungen zu korrigieren. Integration ist eben keine Einbahnstraße. Man kann sich nicht über Parallelgesellschaften aufregen, wenn man ganze Bevölkerungsgruppen von der demokratischen Teilhabe von vornherein ausschließt

Sie werden sicherlich in der Debatte auch auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1990 eingehen. Es werden in diesem Urteil zwar einige ablehnende Vorgaben gemacht, ein kommunales Ausländerwahlrecht aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen.

Die Hauptbegründung war, dass mit der Übernahme der Staatsbürgerschaft das Wahlrecht gewährleistet sei. Aber leider sind die Einbürgerungszahlen gegenüber 1990 nicht nur tendenziell, sondern extrem rückläufig.

Das Staatsangehörigkeitsgesetz wurde verschärft, zuletzt durch die Abschaffung der erleichterten Einbürgerung von unter 23-Jährigen. In der Bundesrepublik erhielten beispielsweise im Jahr 2000 187.000 ihre Einbürgerungsurkunde, immerhin waren es 2006 noch 125.000 Einbürgerungen. Das heißt, rund 5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland leben, sind so genannte Drittstaatenangehörige, also keine EU-Bürger.

Bertold Brecht beschreibt in seinem Flüchtlingsgespräch folgendes: „Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird. Mann kann sagen, der Mensch ist nur der mechanische Halter eines Passes.“

Lassen sie nicht zu, dass allein ein Pass über die Teilhabe von Menschen an der aktiven Gestaltung ihres unmittelbaren Lebensmittelpunktes entscheidet.

In Sachsen-Anhalt erhielten im Jahr 2007 insgesamt 460 Personen die deutsche Staatsbürgerschaft, also einen deutschen Pass. Ein Jahr zuvor waren es noch 533.

Der überwiegende Anteil sind dabei Migranten und Migrantinnen aus so genannten Drittstaaten.

Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern beschlossen hat, Initiativen der Bundesregierung zur Prüfung eines kommunalen Wahlrechts für Drittstaatenangehörige zu unterstützen.

Für die Identifikation aller hier lebenden AusländerInnen mit ihrer Heimatstadt und damit letztlich für eine gelingende Integration ist das kommunale Wahlrecht förderlich, da es demokratische Teilhabe und Partizipation gewährleistet.