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TOP 16: Bundesratsinitiative zum Vertrag von Lissabon ergreifen

Einer der europapolitischen Schwerpunkte der Landesregierung für 2008 ist es, den Vertrag von Lissabon bekannt zu machen. Das begrüßen wir - es wird höchste Zeit. Zum einen enthält der Vertrag inhaltlich 90 Prozent des bereits 2004 vorgelegten Verfassungsentwurfs. Zum anderen soll schon im Mai nach Vorstellung der Bundesregierung die Ratifikationen durch Bundestag und Bundesrat erfolgt sein.

Die Entstehungsgeschichte des Vertrags von Lissabon ist eine undemokratische. Zum einen enthält der Reformvertrag im wesentlichen die Bestimmungen des in Referenden in Frankreich und den Niederlanden abgelehnten Verfassungsentwurfs. Und der umbenannte Reformvertrag soll jetzt außer in Irland und eventuell Großbritannien gar nicht mehr zur Volksabstimmung stehen. Offenbar ist die Sorge einer erneuten Ablehnung zu groß. Warum aber die Menschen diesen Grundlagenvertrag ablehnen, scheint nicht zu interessieren.
Denn dass der Verfassungsentwurf abgelehnt wurde hing nicht mit einem Mangel an Informationen zusammen, sondern mit seinen Inhalten. Die Konsequenz aus der Ablehnung ist aber kein anderer Entwurf, der eine soziale, friedliche und demokratische EU gründet. Sondern der Wegfall der Mitbestimmung der BürgerInnen über europaweite Volksentscheide. Nicht die politische Integration Europas als Perspektive ist bankrott, sondern das Verfahren und eine unreflektierte und strikte Ausrichtung auf freien Wettbewerb.

Die autoritäre Art und Weise, wie der EU-Reformvertrag nun entstanden ist, von den regierenden hinter verschlossener Tür, dokumentiert einmal mehr die Hauptkritik vieler Europäerinnen und Europäer: Die EU ist weiter vor allem eine „Veranstaltung“ von Eliten. Von der Schaffung eines „Europas der Bürgerinnen und Bürger“ sind wir weit entfernt.

Dieser Befund wird auch durch das neueste Eurobarometer bestätigt, wenn die Bürgerinnen und Bürger auf die Feststellung „Meine Stimme zählt in der Europäischen Union“ wie folgt reagieren: Im Schnitt aller 27 Mitgliedstaaten verneinen das 61 %. In Ostdeutschland meinen sogar 69 %, dass ihre Stimme nicht zählt.

Eine tiefgreifende Demokratisierung der Europäischen Union ist angesichts dieser Fakten zwingend erforderlich. Institutionen und Entscheidungsprozesse müssen demokratischer, transparenter, unbürokratischer werden. Die Menschen sollten europäische Politik auf der europäischen Ebene und in ihren Heimatländern stärker mitgestalten können. Nur dann kann die EU auch weltweit die Forderung nach Demokratisierung des politischen und wirtschaftlichen Lebens erheben.

Nach dem Motto „lieber spät als nie“ ermöglicht ein bundesdeutscher Volksentscheid über den Vertrag von Lissabon, dass sich die Bürger/innen informieren können, ob die im Vertrag formulierten Inhalte über die künftigen Grundsätze und die Organisation der Europäischen Union ihren Vorstellungen entsprechen.
Deshalb soll sich die Landesregierung im Bundesrat für eine entsprechende Grundgesetzänderung einsetzen, damit ein Volksentscheid möglich wird. Dazu könnte der (Europa)Artikel 23 des Grundgesetzes um die Einführung von Volksentscheiden über die vertraglichen Grundlagen der EU ergänzt werden. Eine solche Ergänzung des Grundgesetzes haben im Bundestag ebenfalls Rot-Grün (14.WP) und die FDP (15. WP) gefordert.

Damit der schwer lesbare Vertrag von Lissabon überhaupt verständlich ist, müssten die Änderungen zum bisher gültigen Nizza-Vertrag mit erfasst sein und in entsprechender Auflage verteilt werden. So stellt sich das sicher auch die Landesregierung vor, wenn sie den Text bekannt machen will.?

Der Vertrag von Lissabon ist die weitreichendste EU-Reform in der 50jährigen Geschichte der EU. Er steht rechtlich über dem deutschen Grundgesetz, enthält aber im Gegensatz zu diesem keine Verpflichtungen auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 GG) oder die Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 GG). Über ein so weitreichendes Projekt wie den Vertrag müssen die BürgerInnen informiert sein und abstimmen können.

Jürgen Habermas schreibt zurecht in der „Zeit“ vom 29.11.2007: „Die Europapolitik ist an Wendepunkten des Einigungsprozesses noch niemals so unverhohlen elitär und bürokratisch betrieben worden wie dieses Mal. Die Regierungen müssten über ihren Schatten springen und den eigenen Bürgern die Chance geben, in einem Referendum über die Zukunft Europas zu entscheiden.“

Der Vertrag von Lissabon beinhaltet im Vergleich zum derzeit gültigen Nizza-Vertrag leichte Verbesserungen: Das Europaparlament bekommt mehr Befugnisse, die Grundrechtecharta ist verbindlich, die nationalen Parlamente sind stärker einbezogen und es soll ein Bürgerbegehren geben. Die Krise der EU vermag dieser Vertrag jedoch nicht zu lösen, solange er nicht den Interessen der BürgerInnen entspricht.

An der Grundrichtung der EU ändert sich indes nichts. Mit diesem Vertrag wird die EU nicht friedlicher, sozialer oder wesentlich demokratischer. Im Gegenteil. Das neoliberale Wirtschaftssystem, das zugunsten eines offenen Wettbewerbs die staatliche Steuerung und soziale Mindeststandards aufhebt, wird festgeschrieben. Eine Sozialunion ist nicht vorgesehen.

Die Militarisierung der EU wird durch die Verteidigungsagentur, Battlegroups und die Aufrüstungsverpflichtung der Mitgliedstaaten weiter forciert. Mit der Bindung der EU an die NATO entwickelt sich die EU weiter zur Militärmacht.
Das Europäische Parlament erhält weiterhin keine Gesetzgebungskompetenz. Das Europaparlament hat keine Mitsprache bei der Außen- und Sicherheitspolitik. Auch die Europäische Zentralbank unterliegt keiner Kontrolle. In der Innen- und Justizpolitik erfolgt eine Zentralisierung der Polizei und der Staatsanwaltschaft durch Europol und dem Europäischen Staatsanwalt. Auch sie unterliegen damit weder der nationalen noch der europäischen Parlamentskontrolle.
Das im Vertrag vorgesehene Bürgerbegehren ist kein Bürgerentscheid, sondern würde mit einer Million Unterschriften lediglich zu einer Befassung der EU-Gremien mit einem Problem auffordern.
Die Grundrechtecharta ist nicht Bestandteil des Vertrages von Lissabon, eine kostenfreie Grundrechtbeschwerde-Möglichkeit fehlt.

Sollte sich die Landesregierung mit ihrem Vorstoß für einen Grundgesetzänderung zur Einführung von Volksentscheiden nicht durchsetzen können, fordern wir die Landesregierung auf, diesen Vertrag im Bundesrat abzulehnen.