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TOP 01 b): Konsequenzen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum Vergabe­gesetz Niedersachsens

Nachdenklichkeit löste dieser Antrag aus - wegen der Form einer aktuellen Debatte, also mal darüber reden ohne etwas Verbindlich beschließen zu müssen, und wegen der Begründung, die von Auswirkungen auf Vergabegesetze und auch auf die Einführung von Mindestlöhnen spricht.

Auf das Thema Vergabegesetz werde ich später eingehen, darum zunächst zum Mindestlohn.

Noch einmal für alle: Die Fraktion DIE LINKE hat sich mehrfach vehement in diesem Landtag für verbindliche Entscheidungen zur Einführung eines Mindestlohnes ausgesprochen. Meine Fraktionskollegin Edeltraud Rogée hat oft von dieser Stelle aus die Begründungen dafür umfassend und erschöpfend vorgetragen. Zu einer Mehrheit zur Beschlussfassung pro Mindestlohn gelangte dieses Haus nie.

Nach dem abschließenden Urteil des EuGH können die öffentlichen Auftraggeber die Einhaltung allgemeinverbindlicher oder gesetzlicher Mindestlöhne verlangen.

Nicht mehr, auch nicht weniger.

Der EuGH bekräftigt sogar ausdrücklich die Anwendung eines Mindestlohn-Standards.

Auf dieser Ebene (das ist zu betonen) widerspricht er auch nicht der Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts, das 2006 u.a. feststellte: dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge „Gemeinwohlziele überragende Bedeutung“ haben.

Als solche Gemeinwohlziele bezeichneten die Richter u.a.

  • die Verhinderung eines Verdrängungswettbewerbers über Lohnkosten
  • die Stützung der Ordnungsfunktion von Tarifverträgen
  • die Erhaltung als wünschenswert erachteter Sozialstandards
  • und die Entlastung der Sozialsysteme, die z.B. Lohnersatzleistungen zu finanzieren haben.


Für welchen Mindestlohnstandard spricht sich nun die SPD-Fraktion aus?

Für einen gesetzlichen Mindestlohn, der branchenübergreifend ein Arbeitseinkommen sichert und so ein Leben in Würde und ohne staatliche Bedürftigkeitszuschüsse garantiert? Oder für einen Mindestlohn, der formal auf dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz beruht, jedoch starke Tarifpartnerschaften in allen Wirtschaftszweigen und in allen Landesteilen zwingend voraussetzt?

Beides ist branchen- und bundesweit nicht gegeben, was zwar eine mediale Dauerberichterstattung zwischen den Schau-Kämpfen verschiedener Bundesminister sichert, aber keine Lösung des Problems, weder einen echten Mindestlohn, noch einen Mindestlohn für alle.

Darum Frau Budde:  Wen wollten Sie überzeugen? DIE LINKE bedarf bei diesem Thema Ihres Werbens nicht, im Gegenteil. Wir freuen uns über den offiziellen Charakter Ihrer Mitwirkung im Landesbündnis  Mindestlohn.

Die Suche nach Antworten zum Anliegen Ihres Antrages ist vielschichtig: Weshalb gab es diese Regelung im Vergabegesetz von Niedersachsen? Immerhin CDU-regiert, auch das CSU-geführte Bayern und das Koch-regierte Hessen erlagen der Versuchung einer Tarifbindung im öffentlichen Auftragswesen.

War das die hehre Einsicht weiser Landespolitiker? Nein! Aus eigener Erfahrung kenne ich die Gründe: Es ging im den Ausschluss landesfremder Bieter von öffentlichen Aufträgen – namentlich auch aus Sachsen-Anhalt.

Was ohnehin nicht  funktionierte, wie das Verfahren vor dem EuGH zeigte: Der niedersächsische Generalunternehmer vergab Teile der Rohbauleistungen an ein polnisches Unternehmen, das nicht nur keinen Bautariflohn West, sondern auch keinen allgemeinverbindlichen Mindestlohn West zahlte. Wovon natürlich der einheimische Generalunternehmer so gar nichts ahnen konnte, weshalb Sanktionen vom Auftraggeber zu ergreifen waren.

Wir sehen - als Spielball für Parteipolitik taugt dieses Thema nicht. Das verhindern

  • die Nöte der Beschäftigen und der Betriebe,
  • im Einzelfall kriminelle Energie und
  • erfreulicherweise die Justiz.


Im Landtag müssen wir bei der Debatte zu Ergebnissen gelangen, und die können nur lauten: Lassen Sie uns gemeinsam eine verbindliche Bundesratsinitiative zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohn für alle beschließen!

Ergänzend wäre auch eine Aufforderung an die Bundesregierung zu richten, über Verhandlungen die dieser Entscheidung zugrunde liegenden europäischen Verträge zu ändern, so dass eine Tarifbindung bei der öffentlichen Auftragsvergabe unproblematisch wäre. Immerhin gab es eine Reihe von europäischen Regierungen, die in Stellungnahmen an den EuGH zu diesem Verfahren durchaus in diesem Sinne argumentierten. Mehrheiten scheinen nicht unmöglich.

Diese politische Forderung wurde bisher interessanterweise nur von Vertretern der LINKEN erhoben…

Nun die angekündigte Frage an die Einbringerin: Wann legt Ihre Fraktion den Entwurf eines Vergabegesetzes vor?

Der letzte Satz aus Ihrer Antragsbegründung war eine angenehme Überraschung.

Oder soll es nur bei beschlussfreien Diskussionen bleiben? Oder soll es ein Landes-Vergabegesetz geben, das diesen Namen nicht verdient?

Frau Budde, Sie hatten sich 2001 sehr dafür eingesetzt, dass es hier ein gutes Gesetz gab, das

  1. den Geltungsbereich für alle Öffentlichen Auftraggeber klarstellte. Dafür hatte sich auch Dr. Püchel sehr engagiert, was ihm große Wertschätzung eintrug. Das Wirken seiner Amtsnachfolger lässt diese Anerkennung nicht zu.
  2. Die Öffentlichen Auftraggeber wurden stärker in die Pflicht zur Bieter- und Angebotsprüfung genommen. (Genau diese Regelungen hätten einen Fall wie bei der JVA Göttingen-Rosdorf verhindern können!)
  3. Die Tarifbindung wurde ursächlich aus der Auskömmlichkeitskontrolle jedes Angebots abgeleitet! Es ging um Nachweise, nicht um den Ausschluss von Bietern.


D.h., zuerst wurden die öffentlichen Auftraggeber in die Pflicht genommen, damit der Baubetrieb in die Lage versetzt wurde, überhaupt Tariflöhne zahlen zu können. Dieser Maßstab aus Sachsen-Anhalt ist bis heute bundesweit unerreicht!

Eine Ironie am Rande: Nach Aufhebung unseres Vergabegesetzes im Folgejahr durch die CDU/FDP-Regierung kam der liberale Wirtschaftsminister trotz Begeisterung für Bürokratieabbau nicht umhin eine Richtlinie zu erlassen, die dann genau eine Untersetzung der Prüfbarkeit der Bietererklärungen und Angebotskalkulationen im Sinne des Vergabegesetzes enthielt. Sie steht übrigens noch heute im „Anwenderhandbuch“.

Die Gefahr der Enttäuschung für alle vom Öffentlichen Auftragswesen betroffenen Arbeitnehmer, Unternehmer und Vergabeverantwortlichen ist daher besonders groß.

Groß nicht nur wegen des eigenen Maßstabs. Viel Enttäuschung ist bei Architekten, Ingenieuren und Baubetrieben schon nach der Beschlussfassung dieses Hauses im Juni 2006 zur Drs. 5/20, jener zum Vergabehandbuch, entstanden.

Soll diese nun noch potenziert werden? Die damalige Befassung wurde von vielen der Genannten außerhalb dieses Landtages nicht nur als enttäuschend, sondern auch als täuschend empfunden. Letztlich blieb ein Torso übrig, genannt „Anwenderhandbuch“.

Insoweit war die Antwort des Ministers für Wirtschaft und Arbeit vom 24. Januar 2008 auf meine Anfrage zur Zukunft der VOB-Stelle nur ehrlich und konsequent. Jener Stelle, die bei Fragen zur Anwendung und Auslegung der Vergabe-vorschriften herangezogen werden konnte. Dr. Haseloff erklärte keinen Bedarf zu erkennen, „die VOB-Stelle weiterhin als hoheitliche Tätigkeit aufrechtzuerhalten“.

Das heute zu beratende Urteil des EuGH betraf den Sachverhalt der Vergabe öffentlicher Bauleistungen. Darin wurde auf das Vorhandensein eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages zum Mindestlohn Bezug genommen. Wenn es eines aktuellen Grundes für die Einführung des gesetzlichen Mindestlohn für alle überhaupt noch bedurfte, dann sind es die festgefahrenen Tarifverhandlungen zur Verlängerung des Mindestlohns im ostdeutschen Bauhauptgewerbe über den 31. August 2008 hinaus.

Der 1997 eingeführte Bau- Mindestlohn kann als Experiment unter Realbedingungen gesehen werden. Er ist seit  zwar keine mangelfreie, doch aber eine Erfolgsgeschichte:

Er wurde eingeführt, d.h. die Bauunternehmer wollten ihn haben(!), als die bis heute anhaltende Baukrise sehr deutlich zu Tage trat. Unbestritten hat er schlimmere Auswirkungen des Preis- und Lohndumpings verhindert.

Dieser Mindestlohn -Ost  in Höhe von 9,00 € /9,80 € führte u.a. dazu, dass der tatsächlich gezahlte Baudurchschnittslohn in Sachsen-Anhalt analog zur Preisentwicklung steigen konnte und heute als Durchschnitt der 13 wichtigsten Gewerke bei 11,35 € liegt.

Denn auch bei geringer Tarifbindung bewirkte der allgemeinverbindliche Mindestlohn innerbetrieblich einen Lohnabstand zwischen dem Bauwerker und dem Spezialbaufacharbeiter.

Sollten sich die Tarif-Parteien nicht einigen können, droht ein Ende des Bau- Mindestlohns nicht nur in Osten Deutschlands. Die Folgen im Bieterwettkampf wären auch für die Vergabenstellen verheerend, denn verlässliche Kalkulationsgrundlagen wären entfallen.

Auskömmliche Angebotskalkulationen, die Feststellung des wirtschaftlichsten Bieters drohen dann zu einem für den Öffentlichen Auftraggeber riskanten Spiel mit den Großen Unbekannten zu werden:

  • Nachtragsforderung oder
  • Zahlungsunfähigkeit mit Einstellung der Bautätigkeit und Terminverzug.


Das kann niemand wollen. Niemand von uns kann den Tarifpartnern etwas vorschreiben.

Wir können aber eine Auffanglösung vorbereiten: den gesetzlichen Mindestlohn.

Mit ihm wäre nebenher der größte Mangel der seit 1997 bestehenden Bau- Mindestlohn -Regelung beseitigt: Die legale Umgehungsmöglichkeit durch Betriebe, die auf der Baustelle arbeiten, offiziell und irgendwie auch korrekt Bauleistungen erbringen, aber nicht vom Geltungsbereich des Mindestlohn -Tarifvertrags Bau erfasst werden:

  • Tischlerarbeit  anstelle der Zimmererleistungen
  • HKS-Betriebe bei Aufträgen von WKSB-Isolierern, Stuck-Putz-Trockenbauern oder Fliesen-Platten-Mosaiklegern
  • GaLa-Bauer gegenüber den Berufsbildern von Pflasterern, Betonbauern, Maurern usw.


Auch der letzte Prüfbericht des Bundesrechnungshofes ist heranzuziehen. Danach ist diese unklare Abgrenzung zwischen den vom allgemeinverbindlichen Bau- Mindestlohn erfassten und den davon nicht erfassten Ausbaugewerken bei den Baustellenermittlungen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Hauptzollämter praktisch nicht prüfbar. Ein fehlender gesetzlicher Mindestlohn leistet also im Baustellenalltag lt. Bundesrechnungshof der Schwarzarbeit Vorschub. Ein weiters Argument für Entbürokratisierung per gesetzlichem Mindestlohn!

Hier wird nicht von einem zu vernachlässigenden Teil der Wirtschaft gesprochen.

Als Folge nicht nur der Baukrise steigt der relative Anteil Öffentlicher Bauleistungen an der insgesamt schrumpfenden Bauproduktion in Sachsen-Anhalt stetig und erfasst mit 48 % annährend die Hälfte.

D.h., von dieser Auftragshälfte leben  fast 15.000 Arbeitnehmer. Bitte bedenken Sie das.

Unsere erfolgsverwöhnte Chemieindustrie beschäftigt insgesamt nur annährend so viele Arbeitnehmer.

Die Konsequenzen des EuGH-Urteils können daher nur lauten:

Das Urteil ist

  • kein Freibrief für Billigvergaben,
  • keine Freistellung von der Verantwortung der Landesregierung für Vergaben an geeignete und zuverlässige Bieter.


Es ist :

  • ein Freifahrtzeichen für einen notwendigen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland!