Thomas Lippmann zu TOP 5: Sachsen-Anhalt braucht ein Bildungsforum
Sehr geehrte Damen und Herren,
unser Schulsystem steckt in der tiefsten Krise seit Bestehen des Landes und rutscht mit jedem neuen Schuljahr weiter und länger in das Tal der Tränen hinein. Immer lauter werden die Klagen aus der Elternschaft der Schulen, aus Industrie und Handwerk und von Gewerkschaften und der Kommunalpolitik und die Forderungen nach politischen Korrekturen. Denn der eklatante Mangel an ausgebildeten Lehrkräften ist ja nicht einfach so passiert, er ist entgegen allen ständigen Warnungen von uns, systematisch herbeigeführt worden. Mit den Personalentwicklungskonzepten des Finanzministeriums wurde ab 2007 programmiert, was uns heute den Boden unter den Füßen wegzieht. Und an dieser Personalpolitik der Landesregierung hat sich bis heute nichts grundlegend geändert.
Hinzu kommt der konservative Glaube an die Segnungen des gegliederten Schulsystems, ohne sich z.B. mit dem Scheitern der Sekundarschule auseinanderzusetzen und ohne den Willen, inklusive Förderung so zu organisieren, dass alle Kinder und Jugendlichen eine faire Chance im gemeinsamen Unterricht haben. Die Bilanz der letzten vier Wahlperioden ist verheerend: Wir haben bundesweit das geringste Unterrichtsangebot, die geringste Zahl von höheren Schulabschlüssen und dafür die höchste Zahl von Schülerinnen und Schülern ohne regulären Schulabschluss. Die Schwächung unseres Schulsystems ist die schwerste Hypothek für die individuellen, sozialen und wirtschaftlichen Perspektiven im Land.
Nun kann man sagen, das ist alles Schnee von gestern, die Koalition schaut jetzt nach vorn. Doch CDU und SPD schauen nicht nach vorn, sie schauen nach hinten und wiederholen die alten Fehler. Landesregierung und Koalitionsfraktionen glauben weiterhin, dass nur ein paar schwierige Jahre zu überstehen sind und sich dann durch sinkende Schülerzahlen alles wieder von selbst einpegelt. Der Finanzminister sitzt weiter auf dem Geld und der Ministerpräsident meint, das seien nur Probleme der zwanziger Jahre und dafür reichen ein paar befristete Sonderregelungen. Ansonsten könne man aber so weitermachen, wie bisher.
So ist eben konservative Politik – einfach Augen zu und durch. Die Medizin verschlimmert die Krankheit, aber man erhöht lieber die Dosis, statt die Therapie zu ändern. Man kennt eben nichts anderes. Und die SPD kann oder will dem nichts entgegensetzen. Das gilt etwa für die Lehrkräfteausbildung, das gilt aber auch für die Pläne, die Selektivität im Schulsystem weiter zu verschärfen. Mit dieser Landesregierung besteht derzeit keinerlei Hoffnung, dass Sachsen-Anhalt die rote Laterne in der Schulbildung abgibt. Und den nächsten Aufschrei wird es geben, wenn im Herbst das IQB die Ergebnisse des nächsten Bundesländervergleichs präsentiert – diesmal sind die Sprachkenntnisse in den 9. Klassen dran.
In dieser verfahrenen Situation wäre es so wichtig gewesen, die zuständigen Mitglieder der Landesregierung und die Vertreter der Fraktionen mit engagierten gesellschaftlichen Akteuren und Bildungsfachleuten an einen Tisch zu bringen. Es wäre wichtig gewesen, in einem offenen Dialog auf Augenhöhe und mit ausreichend Zeit eine Verständigung über gangbare und wirksame Auswege aus der Schulkrise zu suchen.
Doch das alles war die Veranstaltung des Ministerpräsidenten am 19. Januar nicht. Es war weder ein Dialog noch wurden dort Maßnahmen präsentiert, mit denen der weiter sinkenden Unterrichtsversorgung kurz oder auch mittelfristig wirksam entgegengesteuert werden kann. Wir hatten ja von vornherein keine Erwartungen an diesen Gipfel, aber die Zusammenkunft am 19. Januar war dann nicht nur eine verpasste Chance und ein Gipfel der Enttäuschungen, es war hinsichtlich des Ablaufs und der Ergebnisse eine Schande!
Dabei darf es auf keinen Fall bleiben. Wir fordern die Landesregierung auf, die Suche nach tragfähigen Lösungen gegen den Lehrkräftemangel und für Reformen im Schulsystem und in der Lehrkräfteausbildung mit allen politischen und gesellschaftlichen Akteuren wieder aufzunehmen. In Anlehnung an den Bildungskonvent von 2007 soll unverzüglich ein Bildungsforum ins Leben gerufen werden. Dort sollen auch alle die Vorschläge, die in den letzten Monaten auf den Tisch gelegt wurden, gemeinsam und mit dem Ziel von Empfehlungen beraten werden. Wenn sich die Landesregierung dazu nicht in der Lage sieht, werden wir beantragen, dass der Landtag – wie schon beim Bildungskonvent – dieses Bildungsforum selbst beruft und beauftragt.
Darüber hinaus fordern wir die Landesregierung auf, zwei ihrer zentralen Vorhaben vom 19. Januar zu korrigieren. Das sind die Einführung der verpflichtenden Vorgriffstunde für alle Lehrkräfte und die Kopplung der A13 für die Grundschullehrkräfte an die Entstehung von Ganztagsgrundschulen.
Den Eltern und der Öffentlichkeit wurde ja vorgegaukelt, mit der Vorgriffstunde könne ein Arbeitsvolumen von 500 Vollzeitkräften zusätzlich vor die Klassen gebracht werden. Damit soll dann angeblich mehr als die Hälfte des gesamten Lehrkräftedefizits ausgeglichen werden. Doch das ist weit von der Realität entfernt. Es gibt ja nicht nur das Defizit der 850 unbesetzten Stellen. Für ein normales Unterrichtsangebot fehlen mindestens 2.000 Vollzeitlehrkräfte. Und davon werden durch die Vorgriffstunde am Ende keine 200 Vollzeitlehrkräfte kompensiert werden, das sind nicht einmal 10 Prozent des tatsächlichen Fehlbedarfs.
Die Vorgriffstunde wird vielleicht gerade so ausreichen, um das weitere Absinken der Unterrichtsversorgung im nächsten Schuljahr abzubremsen. Wenn es gut läuft. Wenn es schlecht läuft, und dafür spricht einiges, dann haben die Schulen im September weniger Unterrichtsstunden auf dem Zettel als jetzt. Außer einem Haufen Ärger und demotivierten Lehrkräften werden sie mit fast leeren Händen dastehen. Und sie verschlechtern zusätzlich die Wettbewerbsbedingungen für Neueinstellungen. Die Vorgriffstunde ist wirklich die blödeste Idee, die sie haben konnten. Lassen sie die Hände davon, sie verbrennen sich die Finger daran.
Und genauso verhält es sich mit der absurden Idee, die ewig in Aussicht gestellte Einstufung von Grundschullehrkräften in die A13 an die Entstehung von Ganztagsgrundschulen zu koppeln. Mit diesem Vorstoß will die CDU die SPD ausspielen und die A13 auf perfide Weise torpedieren. Wenn die SPD die A13 haben will, dann muss sie der CDU die Horte opfern. Die CDU zeigt sich wie immer verantwortungslos und stellt eigene Interessen über das Wohl des Landes. Denn auch der Übergang von den Horten zu Ganztagsgrundschulen wird ein Desaster werden, wenn er nach den Vorstellungen der CDU vollzogen würde. Es ist ein Trauerspiel, dass die Schulen, die Horte und die Lehrkräfte an den Grundschulen wirklich nicht verdient haben. Beenden sie dieses Schmierentheater um die A13 und die Horte und versuchen sie es einmal mit sachorientierter Schulpolitik.
Unsere Schulen brauchen mehr Pädagoginnen und Pädagogen und keine weiteren Belastungen für die, die noch da sind und den Karren seit Jahrzehnten ziehen. Unsere Vorschläge dazu liegen mit dem Masterplan bereits zur Beratung im Bildungsausschuss und waren auch schon Gegenstand in den Beratungen zum Haushalt. Deshalb braucht dieser Antrag jetzt keine Überweisung in die Ausschüsse. Es muss gehandelt werden, und zwar jetzt.