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Thomas Lippmann zu TOP 19

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

in ganz Deutschland wurde in den letzten fünfundzwanzig Jahren eine Entwicklung zugelassen, die zu einem bisher nicht dagewesenen Mangel an ausgebildeten Lehrkräften in allen Bundesländern geführt hat. Obwohl inzwischen auch tausende Lehrkräfte ohne Lehramtsausbildung eingestellt werden, muss das Bildungsangebot in den Schulen bundesweit mit jedem neuen Schuljahr weiter reduziert werden. Mangelhafte Bildung gefährdet die Lebensperspektiven ganzer Generationen und schwächt die ökonomische Basis unserer Wirtschaftsordnung.

Bundesweit fehlen schon heute mehrere zehntausend Lehrkräfte. Diese Lücke ist entstanden, weil seit Jahren nahezu alle Bundesländer weniger Lehrkräfte im eigenen Land ausbilden als sie anschließend in ihren Schuldienst einstellen wollen. Die Folge ist ein ruinöser Wettbewerb, der inzwischen nur noch Verlierer kennt, weil die Decke schon lange überall zu kurz ist.

Auch wir haben allein seit 2016 über 1.000 ausgebildete Lehrkräfte mehr eingestellt als Lehramtsabsolventen unsere beiden Universitäten verlassen haben. Wir haben mit dafür gesorgt, dass der Markt leergefegt ist. Jahrelang haben wir die Verbeamtung als Wettbewerbsvorteil gegenüber den Nachbarländern genutzt. Doch die haben auf diese Abwerbestrategie reagiert und sind auch zu den teuren Verbeamtungen zurückgekehrt. Der Gewinn an Lehrkräften, die andere Länder für uns ausgebildet haben, geht deshalb stark zurück.

Inzwischen geht es in allen Ländern an die Substanz, im Osten noch mehr als im Westen, in Sachsen-Anhalt noch mehr als in Sachsen, Thüringen oder Brandenburg. Alle sollten deshalb verstanden haben, dass mit den Fehlern der Vergangenheit aufgeräumt werden muss. Doch das geschieht nicht. Bei uns nicht und auch nicht in den anderen Ländern. Der Föderalismus und die Kultusministerkonferenz versagen in der Frage der Bedarfs- und Ausbildungsplanung für den Lehrkräftenachwuchs komplett. Und es besteht auch keine Aussicht, dass sich daran etwas grundlegend ändern würde.

Um aus der Abwärtsspirale in der Lehrkräfteversorgung wieder rauszukommen, muss jedes Land für sich selbst schlicht so viele Lehrkräfte ausbilden, wie es selbst braucht. Und dieses triviale Versprechen haben sich die Kultus- und Bildungsminister auch tatsächlich gegeben. In der schon vor zweieinhalb Jahren in der KMK getroffenen Ländervereinbarung zur gemeinsamen Grundstruktur des Schulwesens heißt es dazu in Artikel 37:

„Zur Deckung der Einstellungsbedarfe schaffen die Länder mit den Hochschulen bedarfsgerechte Ausbildungskapazitäten für das Studium. Die Länder wirken bei der regelmäßigen Erstellung von Modellrechnungen zum künftigen Angebot und Bedarf an Lehrkräften nach gemeinsam vereinbarten Kriterien unter Berücksichtigung landesspezifischer Gegebenheiten zusammen.“

Doch ein solches Lippenbekenntnis reicht eben nicht, denn das Ergebnis ist weiter desaströs: Die Kultusministerkonferenz spricht für die nächste Dekade von einer Deckungslücke von etwa 30.000 Lehrkräften. Andere Studien sprechen dagegen von 60.000 bis 150.000 fehlenden Lehrkräften. Auch wenn diese Zahlen nicht so ohne Weiteres untereinander vergleichbar sind, spricht sehr viel dafür, dass das reale Defizit beim Lehrkräftenachwuchs ein Vielfaches von dem beträgt, was die Kultusminister der Länder bereit sind, zuzugestehen.

Das sieht man auch bei uns selbst. Unsere Landesregierung hatte zum Jahresbeginn behauptet, dass wir ein Einstellungsdefizit von etwa 850 Stellen hätten. Aber das war natürlich Unsinn. Denn diese unbesetzten Stellen ergaben sich nur aus der Differenz zum Haushalt und nicht zu dem, was für ein auskömmliches oder gar für ein zukunftsfähiges Bildungsangebot wirklich gebraucht würde.

Inzwischen sollen nach Angaben des Bildungsministeriums die VZÄ-Ziele aus dem Haushalt sogar weitgehend ausgeschöpft sein – und trotzdem brennt in vielen Schulen die Luft und es hagelt weitere Brandbriefe. Es glaubt also hoffentlich niemand, dass etwas real ist, nur weil es in unserem Haushalt steht. Tatsächlich fehlen uns derzeit an den allgemeinbildenden Schulen mehr als 2.000 Lehrkräfte. Und diese Lücke wird nicht kleiner. Dabei haben die Verwerfungen zwischen den Schulformen und den Regionen ständig zugenommen. Die Sekundar- und Gemeinschaftsschulen wurden abgehängt und der Niedergang der Schulbildung verläuft im Norden und Osten des Landes schneller als im Süden und Westen.

Aus Hilflosigkeit wird ja gern orakelt, dass zu wenige junge Menschen den Beruf ergreifen wollen, weil der nicht attraktiv wäre. Das ist aber ebenfalls Unsinn. Das belegen allein schon die vielen Zugangsbeschränkungen an der Martin-Luther-Universität. Dort sind alle Fachrichtungen für das Lehramt an Grundschulen und für das Lehramt an Förderschulen zulassungsbeschränkt. Und auch für das Lehramt an Gymnasien werden die Immatrikulationen z.B. in den Kernfächern und den Naturwissenschaften seit Jahren durch Zugangsbeschränkungen klein gehalten. Es gäbe genügend junge Menschen, die bei uns ein Lehramtsstudium aufnehmen wollen, man muss sie nur lassen. Unattraktiv ist lediglich das Lehramt an Sekundarschulen, dafür gibt es in der Tat in den meisten Fächern viel zu wenige Bewerbungen.

Es gäbe also schon lange die Möglichkeit, die Lehramtsausbildung an der Otto von Guericke-Universität bedarfsorientiert auszubauen und auch in Halle die Plätze viel besser auszulasten. Doch das wird durch die Landesregierung und die Koalition weiter blockiert. Darüber hinaus arbeiten in unseren Schulen inzwischen weit über 1.000 Lehrkräfte im Seiteneinstieg. Doch ein Drittel dieser Lehrkräfte scheidet nach kurzer Zeit wieder aus dem Schuldienst aus – ein viel zu großer Verlust. Diese Lehrkräfte mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium müssten sich längst auch mit nur einem Unterrichtsfach zu vollausgebildeten und dann auch gleich bezahlten Lehrkräften entwickeln können, damit sie dauerhaft bleiben und guten Unterricht erteilen. Doch statt die Dinge anzupacken, die möglich und notwendig sind, flüchtet sich die Koalition in naiven Aktionismus und führt fruchtlose Debatten über eine neue Lehrkräfteausbildung, die an einer Art pädagogischer Hochschule in Köthen ohne Abitur möglich sein soll.

Und so unzutreffend wie wir, behaupten auch die anderen Länder in der Kultusministerkonferenz, dass sie angeblich alles tun, um entsprechend ihres Bedarfs auszubilden. Das Kernproblem ist aber, dass niemand seinen Ausbildungsbedarf ehrlich ermittelt – wir nicht und die anderen auch nicht! Bedarf ist eben nicht, was wirklich benötigt wird, sondern Bedarf ist, was im Haushalt steht und finanziert wird. Und wenn sich dann Jahre später herausstellt, dass alle Prognosedaten falsch waren, weil alle ihre Parameter immer wieder kleinrechnen, und dann der Mangel gar nicht mehr zu vertuschen ist, dann versuchen doch wieder alle, sich die fehlenden Lehrkräfte gegenseitig wegzukaufen.

Warum das so ist, liegt auf der Hand – wegkaufen ist immer noch billiger als selbst auszubilden. Selbst 16.000 Euro für einen Headhunterfang sind da ein Schnäppchen, wie uns die Bildungsministerin schon mehrfach versichert hat. Nur, das wissen und denken eben alle. Wenn es also nicht gelingt, mit allen Ländern gemeinsam und verbindlich eine verlässliche und objektive Grundlage für die Bedarfs- und Ausbildungsplanung zu schaffen und deren Umsetzung auch verbindlich zu überprüfen, dann wird alles so weiterlaufen, wie bisher.

Die Kultusministerkonferenz ist zu einer grundlegenden Kurskorrektur nicht in der Lage. Ohne die Verpflichtung auf eine objektive und nach gleichen Maßstäben durch eine neutrale Instanz vorgenommene Bedarfsermittlung, ohne eine massive finanzielle Unterstützung durch den Bund und ohne den dafür notwendigen Rückhalt in den Parlamenten wird es nicht gelingen, die Ausbildung der Lehrkräfte zumindest für die Zukunft bundesweit auf eine neue Grundlage zu stellen.

Das kann nur im Rahmen eines Staatsvertrages erfolgen, dessen wesentliche Inhalte wir in unserem Antrag unter der Ziffer II.2. und II.3. beschrieben haben. Denn es geht dabei vor allem darum, die notwendigen Mittel für die Ausbildung aufzubringen und die Länder nach ihrer Leistungsfähigkeit dabei zu unterstützen. Ein solcher Staatsvertrag wurde in den letzten Monaten bereits in Berlin, Brandenburg und Bremen gefordert. Auch Sachsen-Anhalt muss hier ein besonderes Interesse haben, denn wenn es bei den Neueinstellungen in den nächsten Jahren dauerhaft bei einem Überbietungswettbewerb bleibt, werden wir vermutlich am kürzeren Hebel sitzen.

Kurz und mittelfristig hilft ein solcher Staatsvertrag natürlich nicht weiter. Hier sind für die nächsten Jahre die Ideen und das Engagement aus allen gesellschaftlichen Bereichen gefordert. Den Dialog zum Jahresbeginn mit einer Vielzahl von Akteuren zu beginnen, war richtig. Ihn fortzusetzen und dabei für andere Rahmenbedingungen zu sorgen, ist das Gebot der Stunde. Es gibt Erklärungen und Appelle, es gibt Weckrufe und Brandbriefe, es gibt Masterpläne und Positionspapiere, die nicht nur Kritik an den Zuständen und Sorge um die künftige Entwicklung zum Ausdruck bringen, sondern auch das Engagement vermitteln, durch eine gemeinsame Anstrengung und innovative Ideen das auf Grund gelaufene Schiff Schulbildung wieder flott zu bekommen.

Dafür muss ein geeigneter Rahmen geschaffen werden, den wir in unserem zweiten Antrag mit dem Bildungsforum detailliert beschreiben und der bewusst an die positiven Erfahrungen mit dem Bildungskonvent anknüpft. Allerdings drängt die Lösung der aufgehäuften Probleme, so dass ein vergleichsweise enger Zeitrahmen für die Arbeit vorgesehen werden soll.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir können angesichts der Zustände in unseren Schulen keine Zeit und keine Ideen mehr verschenken. Lassen sie uns gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Akteuren hier im Land und im Schulterschluss mit den anderen Bundesländern Verantwortung übernehmen und Verantwortung teilen und konstruktiv an der Überwindung dieser Schulkrise arbeiten.