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Sabine Dirlich zu TOP 21: Neuorganisation der Arbeitsverwaltung an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren

Das Thema Hartz IV lässt uns nicht los. Wir finden das gut so. Ich habe bereits im Mai zu dem Thema Arbeitsverwaltung versprochen, dass wir uns mit diesem Thema wieder beschäftigen werden. Ich löse heute im Grunde nur dieses Versprechen ein, weil wir uns heute nämlich nicht mit der Organisationsstruktur des Gesetzes und  nicht mit der Frage nach den Zuständigkeiten und nicht mit der Frage der Machtverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen beschäftigen wollen, sondern weil wir uns heute die Situation der Betroffenen vor Augen führen und sie in den Fokus nehmen möchten. Deshalb will ich auch zu dem Thema Organisationsformen nur die Grundsätze nennen, die aus unserer Sicht, völlig unabhängig davon, welche Struktur am Ende herauskommt, in jedem Fall eingehalten werden müssen.

Das ist erstens das Prinzip aus einer Hand. Wir müssen dafür sorgen, dass die getrennte Aufgabenwahrnehmung ausgeschlossen wird.

Wir brauchen zweitens Transparenz und sollten Beiräte verbindlich installieren. Es hat dazu im Gesetz entsprechende Ansatzpunkte gegeben, aber der Einfluss der Trägerversammlung ist eingeschränkt. Vor allem die Betroffenen sind außen vor. Beiräte brauchen echte Mitbestimmungsrechte. Auch darum muss es uns gehen.

Wir wollen drittens, dass die Einräumigkeit der Verwaltung beachtet und hergestellt wird und dass die Ergebnisse der Kreisgebietsreformen beachtet werden.

Wir wollen natürlich auch den Bund nicht aus seiner Finanzverantwortung entlassen. Das ist unser vierter Grundsatz.

Die Betroffenen interessieren allerdings völlig andere Fragen. Dazu soll unser heutiger Antrag vor allem dienen. Er soll das Hauptaugenmerk auf sie richten. Es geht um die Verbesserung ihrer Lebenssituation und ihrer Arbeitsmarktchancen, und es geht um ihren Anspruch auf ein Leben in Würde. Dieser Anspruch ist auch diesen Menschen in Artikel 1 des jetzt 60 Jahre alten Grundgesetzes zugesagt.

Anlass war auch, dass neben Strukturfragen in dem einen Gesetz in einem anderen, in dem Gesetz zur Neuausrichtung arbeitsmarktpolitischer Instrumente, auch wieder Regelungen zur Verschlechterung der Position von Betroffenen getroffen wurden. Ein Beispiel: Die Eingliederungsvereinbarung soll auch im SGB III, also auch für Arbeitslosengeld-I-Empfängerinnen und -Empfänger, verordnet werden können. Sie brauchen also nicht mehr das Einvernehmen des Betroffenen. Damit wird deren rechtliche Position weiter geschwächt.

ABM sind für Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger nicht mehr zugänglich. Von Anfang an wurden mit dem separaten Regelwerk SGB II vor allem im Bereich arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen zwei Klassen von Arbeitslosen geschaffen. Deshalb muss es heute darum gehen, welche Prinzipien bei weiteren Reformen und weiteren Änderungen im Arbeitsmarktbereich beachtet werden müssen. Wir wollen, dass der Betreuungsschlüssel verbessert wird, und zwar vor dem Hintergrund der Behauptung, dass der Anteil von Menschen mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen weiter angewachsen ist, weil die so genannten arbeitsmarktnahen Arbeitslosen, also jene, die nur wenig Vermittlungshemmnisse haben, längst in Arbeit vermittelt sind. Gerade deshalb ist ein anderer Betreuungsschlüssel notwendig, weil wir jetzt darauf achten müssen, dass nicht Personal vor dem Hintergrund sinkender Arbeitslosenzahlen abgebaut wird.

Repressionen bringen zwar Druck, aber keine Arbeitsplätze. Sie müssen auf ein Mindestmaß zurückgeführt werden.

Ich will nur ein Beispiel dafür nennen, dass Repressionen, dass Druck, im Grunde Sanktionen überhaupt, nicht zielführend sind. Das sind die sozialintegrativen Leistungen. Einem Menschen, der ein Alkoholproblem hat, der von Alkoholmissbrauch betroffen ist, braucht aus weniger Sanktionen, sondern er braucht Motivation, er braucht Angebote, nicht den Entzug seiner Leistungen.

Eines der wichtigsten Themen ist das Geld. Zurzeit ist das erste Arbeitsmarktziel, das in den Vereinbarungen zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den Arbeitsgemeinschaften, also den Argen vor Ort, geschlossen wurde, ein Einsparziel, nämlich die Einsparung eines bestimmten Betrages bei den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und natürlich auch bei den Regelleistungen. Das ist aus unserer Sicht nicht zielführend und es ist vor allem nicht im Sinne der Betroffenen.

Einer die wichtigsten Grundsätze wurde von Anfang an missachtet, nämlich der gleichberechtigte Zugang aller Erwerbslosen zu den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Man muss ihnen, und zwar allen gleichberechtigt, diesen Zugang unabhängig davon gewähren, welchem System sie angehören, und auch unabhängig davon, ob sie Leistungen erhalten oder nicht, weil „arbeitslos“ ihr gemeinsames Merkmal ist, und nicht, wie lange sie arbeitslos sind.

Wir wollen das Freiwilligkeitsprinzip stärken. Und wir wollen die Zumutbarkeitskriterien lockern, also ein Stück Berufsschutz muss wieder in die Gesetzgebung der Bundesrepublik zurückkehren.

Wir wollen keine Sonderinstrumente im SGB II. Die Ein-Euro-Jobs haben ihren Geruch bisher nicht abgelegt, obgleich viele Menschen froh sind, einen solchen Ein-Euro-Job zu bekommen, obgleich Ein-Euro-Jobs heute sozusagen flächendeckend eingesetzt werden. Zum Beispiel geht aus der Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion hervor, dass die Ein-Euro-Jobs zurzeit den größten Anteil der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen ausmachen. Ihre Zahl ist also ungefähr genau so groß wie die Zahl der anderen Maßnahmen wie Eingliederungszuschüsse, ABM und berufliche Weiterbildung zusammen. Das kann eigentlich nicht das Ziel sein, vor allem dann nicht, wenn dadurch reguläre Arbeit verdrängt wird.

Wir müssen die soziale Kompetenz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stärken. Ein Mensch, der so große Probleme hat, wie die von Hartz-IV-Betroffenen, kommt nicht immer mit der allerbesten Laune in eine solche Einrichtung. Die Mitarbeiterin, die sich den dritten, vierten oder fünften frustrierten Betroffenen anhören, die sich möglicherweise beschimpfen lassen musste, ist dann auch nicht mehr geneigt, dem sechsten und siebten noch zuzuhören. Das ist menschlich verständlich.

Ich denke deshalb, dass man diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möglicherweise auch Mediation anbieten muss, dass man ihnen möglicherweise Supervision anbieten muss. Man kann darüber diskutieren, was zu tun ist. Aber die Leute müssen das, was sie dort erleben, zumindest reflektieren können. Sie dürfen diesen Frust nicht in sich hineinfressen und ihn dann an dem nächsten Arbeitslosen, der gar nichts dafür kann, ablassen. Das ist menschlich alles total verständlich, aber es ist nicht im Sinne der Betroffenen.

Wir wollen den Regelsatz anheben und wir wollen das Individualprinzip durchsetzen.

Wir brauchen einheitliche Regeln für die Gewährung der Kosten für die Unterkunft. Ich will auch hierfür ein Beispiel nennen. Die Mietverträge sind ja höchst unterschiedlich. Es gibt Mietverträge, in denen sind die Kosten für die Pflege der Außenanlagen sozusagen in den Betriebskosten mit enthalten. Die Mieterinnen haben darauf entweder gar keinen Einfluss oder sie haben bei Abschluss des Mietvertrages diese Tatsache sogar begrüßt.

Wenn sie in den Hartz-IV-Bezug kommen, dann wird dieser Umstand höchst unterschiedlich behandelt. Die eine Arge erkennt diesen Bestandteil der Betriebskosten an, die andere nicht. Wie sollen aber Menschen aus ihrem Regelsatz dann diese Kosten bezahlen, zu denen sie in ihrem Mietvertrag, aus dem sie so ohne weiteres nicht heraus kommen, verpflichtet worden sind, die sie aber von der Arge nicht angerechnet bekommen? Solche Probleme müssen einheitlich gehandhabt und geregelt werden.

DIE LINKE will das SGB II zunächst zu einer den Bedarf deckenden sozialen Mindestsicherung entwickeln. Wir denken auch, dass die Arbeitsagenturen dazu verpflichtet werden müssen, genauer hinter die Arbeitsplatzangebote zu blicken, die sie den Betroffenen machen. Es kann einfach nicht sein, dass Dumpinglöhne oder die Ausweitung des Niedriglohnsektors auch noch aus Arbeitsmarktmitteln gefördert werden. Es darf einfach nicht sein, dass die Argen die Leute unter Androhung von Sanktionen in solche Arbeitsverhältnisse zwingen können. Die Argen müssen darauf achten, dass die Arbeitsangebote auch ein existenzsicherndes Einkommen ermöglichen und dass die Tarife eingehalten werden. Das müssen die Zielmarken für die Argen werden.

Ich rede hier natürlich von einem Prozess und nicht davon, dass man das einfach so verordnen kann.

Uns ist natürlich völlig klar, dass Sie in unserem Antrag Ansatzpunkte für eine Ablehnung finden. Ich glaube, ich weiß sogar schon, was Ihr Lieblingsargument sein wird. Ich nenne nur die Zahl 500.
Eines will ich Ihnen aber deutlich sagen: Wir sollten uns aus dieser Verantwortung nicht herausmogeln. Wir sollten uns nicht darum herum drücken, sondern wir sollten im Ausschuss darüber diskutieren, welche unserer Forderungen mehrheitsfähig werden oder sein können und welche Forderungen Sie möglicherweise stellen wollen.

Auch Sie werden sicherlich in all Ihren Reden wiederum Ihre soziale Verantwortung und Ihre soziale Ader betonen. Ich habe nicht die Absicht, Ihnen das in irgendeiner Weise abzusprechen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wütend Herr Tullner reagiert hat, als ich für unsere Fraktion dargestellt habe, dass wir uns um die Belange der Betroffenen kümmern wollen. Heute können Sie zeigen, dass es auch Ihnen um die Belange der Betroffenen geht.

Ich setze auch deshalb darauf, dass wir im Ausschuss darüber diskutieren, welche Forderungen mehrheitsfähig sein können. Wir werden uns jedenfalls der Diskussion nicht verschließen, weil wir gemeinsam Verbesserungen für die Betroffenen einfordern wollen. Nur machen müssen wir es.