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Sabine Dirlich zu TOP 19: Neuausrichtung der Arbeitsmarktinstrumente

Zum ersten Mal seit Langem ist es gelungen, dass die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt mit einem Rückgang der Langzeitarbeitslosigkeit einhergeht. Zum ersten Mal ist es gelungen, dass innerhalb eines Konjunkturzyklus auch insgesamt eine strukturelle Verbesserung festgestellt werden kann. Schließlich ist es nicht mehr so, dass die Arbeitslosigkeit erst dann zurückgeht, wenn das Wirtschaftswachstum über 2 % liegt. So begeistert ist der Sachverständigenrat. Diese Begeisterung hat Olaf Scholz, der Bundesminister für Arbeit und Soziales, begierig aufgegriffen. Ich frage trotzdem, ob wir uns über die bislang unbestrittenen Zahlen tatsächlich uneingeschränkt freuen dürfen. Ich bezweifle das und frage, welchen Preis die Gesellschaft dafür zu zahlen hat.

Wir haben es mit einer massiven Ausweitung des Niedriglohnsektors zu tun. Auch das ist unbestritten. Wir haben es seit der Einführung von Hartz IV mit einer massiven Ausweitung der Leiharbeit zu tun ﷓ unbestritten. Und wir haben es mit allen möglichen negativen Folgen zu tun, die ich jetzt nicht wiederholen muss, weil wir die Debatte dazu gerade eben geführt haben.

Wir haben es zu tun mit einer massiven Ausweitung der Mini- und Midijobs. Auch haben wir es damit zu tun, dass ungefähr die Hälfte bis zwei Drittel der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, wenn sie in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt wurden, im Leistungsbezug bei den Arbeitsgemeinschaften oder bei den Optionskommunen bleiben.

Im Jahr 2007 waren es im Altkreis Schönebeck etwa 1 000 von ca. 1 400 Menschen, die in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt wurden, die aber trotzdem im Leistungsbezug bei der kommunalen Beschäftigungsagentur geblieben sind. Ich halte das nicht für ein gutes Ergebnis. Ich wiederhole an dieser Stelle unsere Forderung nach einem Mindestlohn, weil nur er Abhilfe gegen die Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt schaffen kann.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente in Anlehnung an einen anderen Schirm einen „Schutzschirm für den Arbeitsmarkt“ genannt. Die Ziele, die sich das Bundesministerium damit gesetzt hat, sind durchaus anspruchsvoll. Im Mittelpunkt sollen die Stärkung und die Verbesserung der Arbeitsvermittlung stehen. Die Instrumente sollen so überarbeitet werden, dass sie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitgeberinnen sowie für die Arbeitsvermittler und Fallmanager vor Ort verständlicher und leichter handhabbar werden. Es sollen eine Verbesserung und eine Vereinfachung der Instrumente erreicht werden. Des Weiteren soll eine rechtskreisübergreifende ﷓ übergreifend insofern, als es diejenigen, die Arbeitslosengeld I bekommen, und diejenigen, die Arbeitslosengeld II bekommen, betrifft ﷓ integrative Arbeitsmarktpolitik gewährleistet werden. Es soll durch größere Handlungsspielräume vor Ort eine erfolgreichere und nachhaltigere Vermittlung in Erwerbsarbeit erreicht werden.

Und wahrhaftig wären eine Vereinfachung und eine bessere Handhabbarkeit der Instrumente für die Betroffenen und auch für die Träger ein Segen. Ich bin unlängst bei einem Träger in Schönebeck gewesen. Der sagte mir: Wir haben ca. 1 000 Maßnahmeteilnehmerinnen und produzieren im Monat 40 000 Blatt Papier in Form von Anträgen, in Form von Dokumentationen, in Form von Rechenschaftslegung usw. usf.

Größere Handlungsspielräume würden die Möglichkeit eröffnen, Betroffene und Träger nicht mehr pauschal zu betrachten, denn ein Träger, der in der Fläche tätig ist, hat natürlich höhere Kosten als einer, der nur punktuell an einem bestimmten Ort tätig wird.

Betroffene brauchen höchst unterschiedliche Hilfen und sie brauchen auch einen höchst unterschiedlichen Betreuungsgrad. Das wird immer deutlicher, je mehr Menschen, die leichter vermittelbar sind, in den ersten Arbeitsmarkt hineinkommen.

Betroffene und Träger klagen darüber, dass die bitter notwendige und zurzeit auch geforderte sozialpädagogische Betreuung nicht adäquat finanziert wird. Leider wird das Gesetz den hohen Ansprüchen, die es an sich selbst formuliert, nicht in jeder Hinsicht gerecht.

Bisher gab es zumindest eine Möglichkeit, den Rechtskreis Hartz IV in Richtung SGB III, also Arbeitslosengeld I, zu verlassen, und zwar die Entgeltvariante, nach der auch Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt wurden. Das wird abgeschafft.

Die Behauptung, dass rechtskreisübergreifend integrative Arbeitsmarktpolitik gemacht wird, wird dadurch konterkariert, dass man die ABM für SGB II-Empfängerinnen abschaffen möchte. Das verstärkt die Trennung der beiden Regelkreise.

Wer das anders sieht, muss mir erklären, wie das gehen soll, wenn man eine integrative und eine rechtskreisübergreifende Arbeitsmarktpolitik macht und sagt: Die einen bekommen diese, die anderen jene Instrumente. Der Grundsatz bei der Einführung des Gesetzes war eigentlich, dass allen Arbeitslosen die Instrumente der Arbeitsförderung gleichermaßen zur Verfügung gestellt werden sollen. Das wird jedoch immer weiter eingeschränkt.

Die Eingliederungsvereinbarung soll jetzt für alle Arbeitslosen durch einen Verwaltungsakt ersetzt werden können. Vielleicht ist gemeint, dass man die schlechteren Bedingungen des SGB II jetzt eben auch auf die vom SGB III Betroffenen anwendet. Ich würde zumindest das nicht einen Fortschritt nennen.

Das größere Problem ist allerdings, dass Widersprüche gegen solche Verwaltungsakte keine aufschiebende Wirkung mehr haben sollen und dass damit die Rechtsposition von Arbeitslosen weiter geschwächt wird. Interessant ist übrigens die Begründung: Die Inanspruchnahme von Leistungen soll nicht durch offensichtlich unbegründete Widersprüche hinausgezögert werden. Da frage Ich: Was ist denn mit den begründeten Widersprüchen? Wir wissen aus den Urteilen und aus Erfahrungen mit sehr vielen Widerspruchsbescheiden, dass sehr viele Widersprüche begründet sind. Ich glaube einmal die Zahl von 60 % gehört zu haben.

Sanktionen werden weiter verschärft, obwohl Untersuchungen und auch das Projekt „Bürgerarbeit“, über das wir hier ja mehrfach diskutiert haben, eigentlich eindeutig gezeigt haben, dass die überwiegende Zahl der Arbeitslosen keine Sanktionen braucht, um Arbeitswillen zu entwickeln. Wir alle kennen die Ausnahmen, haben aber ein Problem damit, wenn man Gesetze für Ausnahmen macht.

Im Bereich der Aus- und Weiterbildung soll eine noch stärkere Orientierung auf eine schnelle Eingliederung eingeführt bzw. durchgesetzt werden. Das klingt natürlich zunächst einmal wie ein lohnendes Ziel. Was aber bei der Aus- und Weiterbildung herauskommen kann, ist, dass wir es in Zukunft mit immer weniger langfristigen Maßnahmen zu tun haben, die zu einem anerkannten Abschluss führen. Vielmehr werden wir es immer mehr mit modularisierten Dingen, mit kurzfristigen Qualifizierungen und mit einer Schmalspurausbildung zu tun haben werden, die dann unter dem Namen Spezialisierung firmiert. Das entspricht nicht unserem Verständnis von Aus- und Weiterbildung, zumal Politik nicht müde wird zu erklären, dass die Bedeutung des lebenslangen Lernens immer mehr zunimmt.

In der freien Förderung soll eine Projektförderung möglich bleiben. Der individuellen Förderung soll aber immer mehr Vorrang eingeräumt werden, was zur Folge hat, dass die Arbeitslosigkeit immer weniger als gesellschaftliches Problem und immer mehr als individuelles Problem betrachtet wird. Die Leute sind halt selber schuld.

Das Experimentierbudget soll im SGB III nur 2 % betragen. Die freie Förderung soll im SGB II 1 % betragen. Wenn 99 % der Mittel nach festgelegten Regeln ausgegeben werden sollen, kann man nicht sagen, es seien große Spielräume vorhanden. Ich halte das nicht für eine Vergrößerung des Spielraums, weil die Prozentsätze heute andere sind.

Hinzu kommt, dass diese Instrumente ﷓ Experimentierklausel und freie Förderung ﷓ gegenüber den gesetzlichen Regelinstrumenten nachrangig sind und bleiben. Das bedeutet, dass zunächst überprüft und dokumentiert werden muss, ob nicht irgendein Regelinstrument funktioniert, bevor ein Experiment gemacht werden oder die freie Förderung greifen darf. Ich halte das nicht für eine bessere Ausgestaltung eines Spielraumes.

Eine Vereinfachung findet statt. Das Vermittlungsbudget ersetzt neun Instrumente, die Aktivierung und berufliche Eingliederung ersetzt acht Instrumente; insgesamt sollen zehn Instrumente wegfallen. Das kann man sich zunächst einmal anschauen und sagen, dass diese Vielzahl von unterschiedlichen Instrumenten die Leute nur verwirrt hat.

Leider ist der Inhalt des Vermittlungsbudgets nicht definiert. Das Ziel ist ein großer Handlungsspielraum. Angesichts der Tatsache, dass in den Agenturen sehr restriktiv auf die Einhaltung der Buchstaben des Gesetzes geachtet wurde, frage ich mich, ob die Akteure vor Ort wirklich so mutig sein werden, dann ihren Ermessensspielraum auszunutzen. Das ist vor allem deshalb problematisch, weil an die Arbeitsgemeinschaften, an die Optionskommunen und an die Bundesagentur hohe Einsparforderungen gestellt werden.

Ein weiteres Problem bezieht sich auf die Anwendung des Vergaberechts auch auf Weiterbildung und außerbetriebliche Ausbildung. Die Agentur ist nicht mehr verpflichtet, die Qualität von Weiterbildungsmaßnahmen zu überprüfen.

Ich sage Ihnen gerne, wozu das jetzt schon bei den Arbeitsmarktmaßnahmen führt: Ein überregionaler und ein regionaler Träger bewerben sich auf eine Ausschreibung. Der überregionale Träger gewinnt, weil er das preiswertere Angebot gemacht hat. Am nächsten Tag stand der überregionale Träger beim regionalen Träger vor der Tür und wollte die Leute und Räume des regionalen Trägers, weil er über diese vor Ort überhaupt nicht verfügt. Der überregionale Träger hat die Ausschreibung gewonnen, weil er das preiswertere Angebot gemacht hat. Diesen „Preisvorteil“ ﷓ Preisvorteil natürlich nur für die Agentur ﷓ gibt er natürlich an den regionalen Träger weiter. Das bedeutet, dass die Träger mit einem niedrigeren Budget dieselbe Qualität wie zuvor leisten sollen.
Eine schlechtere Qualität kommt natürlich dabei auch heraus. Die Anforderungen werden aber höher. Ich sage: So nicht!

Insgesamt entsteht der Eindruck, dass es bei der Arbeitsmarktneuordnung vor allem um Einsparungen geht, dass man sich an den Zahlen berauscht und die wachsenden Probleme übersieht, dass man zum Beispiel übersieht, dass die verbliebenen Langzeitarbeitslosen immer mehr Betreuung brauchen, dass sie immer höhere Qualifikationsdefizite haben, aber auch Defizite in ihrer Sozialisation insgesamt.

Wir dürfen nicht übersehen, dass wir es mit einer Krise zu tun haben. Gestern geisterte die Zahl von möglichen zusätzlichen 700 000 Arbeitslosen im Jahr 2009 durch die Medienlandschaft. Ich sage: Dann brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Geld.

Deshalb sind wir der Auffassung, dass der Gesetzentwurf in dieser Form nicht in Kraft treten darf. Daher muss es Nachbesserungen geben. Diese Auffassung vertritt im Übrigen auch der Bundesrat, auch wenn er nicht alle unsere Forderungen teilt. Aber Nachbesserungen muss es nach der Auffassung des Bundesrats geben.