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Sabine Dirlich zu TOP 06: Fünf Jahre Hartz IV und die Entwicklung in Sachsen-Anhalt Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE - Drs. 5/2584

Die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE zum Thema „Fünf Jahre Harz IV und die Entwicklung in Sachsen-Anhalt” liegt seit Juli dieses Jahres vor. Sie steht deshalb erst heute auf der Tagesordnung, weil wir uns die Zeit und die Gelegenheit nehmen wollten, eine Anhörung zu diesem Thema in unserer Fraktion durchzuführen. Deren Ergebnisse sollten mit in die Diskussion hier im Landtag einmünden.

Zunächst möchte ich der Landesregierung Dank sagen. Ich habe es dem Minister schon bei der ersten Gelegenheit gesagt. Er wird diesen Dank sicherlich an seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergegeben haben. Aber ich möchte auch heute noch einmal von dieser Stelle aus den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dem Ministerium und der Landesregierung herzlichen Dank sagen für die umfangreiche Arbeit an dieser Anfrage und für die umfangreiche Antwort.

Wir haben uns Anfang November mit der Antwort der Landesregierung in einer Anhörung beschäftigt. Ich kann und will heute wirklich nur zu einzelnen ausgewählten Problemen der Anfrage Stellung nehmen. Das liegt im Wesen der Sache: Es waren mehr als 70 Fragen und eine Reihe von Antworten. Die Anfrage wird also dank der Antworten noch lange Bestandteil unserer Arbeit bleiben.

Ich will einiges zu den generellen Wirkungen von Harz IV und zu den Einschätzungen der Landesregierung sagen. Einige dieser Einschätzungen der Landesregierung kann DIE LINKE nicht teilen. Zum Beispiel gilt dies für die Auffassung der Landesregierung, dass die Leistungen nun für potenzielle Anspruchsberechtigte außer für ehemalige Arbeitslosenhilfeempfängerinnen transparenter, leichter zugänglich und höher als zuvor seien.

Ich würde niemandem in diesem Raum empfehlen, vor allem über die zwei Aussagen „transparenter” und „leichter zugänglich” mit Betroffenen zu diskutieren. Und dass die Leistungen höher als zuvor seien, kann man eigentlich auch nur dann sagen, wenn man die Möglichkeit der Sozialhilfe, Mehrbedarfe und größere Anschaffungen zusätzlich neben dem Regelsatz zu finanzieren, ausblendet. Wie jemand von diesem Regelsatz Euro für Euro oder Cent für Cent ansparen soll, bis er die Mittel für eine Waschmaschine oder einen Kühlschrank oder für andere Dinge, die kaputtgegangen sind, zusammen hat, das bleibt sicherlich der Fantasie des Einzelnen überlassen.

Die Landesregierung bewertet die Änderungen der Arbeitsmarktinstrumente überwiegend positiv, auch den Wegfall von ABM für Hartz-IV-EmpfängerInnen. Es wird auf die Möglichkeit der Entgeltvariante verwiesen. Das ist zunächst okay, aber es werden dabei zwei Dinge vergessen oder zumindest bleiben sie unbeachtet.

Die Mittel im Eingliederungstitel II, der für diese Aufgaben zur Verfügung steht, werden immer geringer. Im nächsten Jahr müssen wir uns auf einen Rückgang um bis zu 40 % gefasst machen.

Aus unserer Sicht ist die Tatsache noch viel schlimmer, dass der Arbeitsmarkt, und zwar auch noch der zweite Arbeitsmarkt, immer mehr gespalten wird, dass damit also auch die Spaltung zwischen den Arbeitslosen vertieft wird, indem man die einen Instrumente für die einen vorbehält und den anderen andere und zum großen Teil einfachere und billigere Instrumente zubilligt. Damit wird die Zwei-Klassen-Arbeitsmarktpolitik aus unserer Sicht verschärft.

Problematisch wird der Beschäftigungszuschuss nur deshalb gesehen, weil Unternehmen Menschen einstellen sollen, die viel zu viele Vermittlungshemmnisse haben. Beim Kommunal-Kombi wird wenigstens noch auf die Finanzschwäche der Kommunen verwiesen.

Die Landesregierung kritisiert zu Recht, dass die Vorstellung, dass die Zielstellung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente oder auch die Wirksamkeit allein anhand ihres Beitrages zur Integration in den Arbeitsmarkt zu bewerten ist, falsch ist. Das sagt sie zu Recht. Allerdings wird das unserer Fragestellung unterstellt, was natürlich völlig irrig ist.

Die Landesregierung verweist zu Recht darauf, dass der Integrationserfolg meist vom passgenauen Einsatz der Instrumente und von dem zur Verfügung stehenden Budget abhängt. 36,3 % der Bedarfsgemeinschaften hatten im Jahr 2009 Einkommen unter anderem aus Erwerbstätigkeit, natürlich auch aus Kindergeld oder aus Unterhaltsleistungen zur Verfügung. Im Jahr 2008 waren es 36,2 %.

Das korrespondiert in etwa mit der Zahl der Hilfsbedürftigen, die erwerbstätig waren. Das waren 30,1 %. 25 817 Hilfsbedürftige - das sind 35,6 % derer, die abhängig beschäftigt waren - übten eine Vollzeitbeschäftigung aus. 50,8 % derjenigen, die trotz Hilfe sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, waren im Übrigen Frauen.

„Nur” 22,1 % der Leistungsbezieherinnen nach SGB II waren im Dezember 2009 zwei Jahre und länger arbeitslos. Das heißt also, auf nicht einmal ein Viertel derjenigen, die wir immer so gern als die Langzeitarbeitslosen bezeichnen und für die vor allen Dingen auch die vielen Sanktionen gemacht sind, weil sie ja, nicht vom Sofa hochzukriegen sind, trifft diese Einschätzung überhaupt zu. Dagegen waren 24,9 %, also ebenfalls ein Viertel, weniger als drei Monate arbeitslos. Das sind offenbar Menschen, die gar nicht erst aus Hartz IV herauskommen, weil sie entweder in Maßnahmen waren oder aus geringer Arbeit entlassen wurden oder gerade erst aus der Schule kommen und noch nicht so richtig gestartet sind.

Auch die sozialpolitischen Wirkungen der Hartz-IV-Reformen werden von der Landesregierung aus unserer Sicht nicht richtig eingeschätzt. Nach der Auffassung der Landesregierung wirken die Regelungen armutspräventiv. Die Armut, so sagt die Landesregierung, sei tendenziell zurückgegangen. Zu dieser Einschätzung kann man aus unserer Sicht nur dann gelangen, wenn man das Hartz-IV-Niveau als existenzsichernd anerkennt. Die Tatsachen sprechen allerdings eine andere Sprache.

Gemessen am Bundesniveau sind 22,1 % laut Sozialbericht arm. Gemessen am Niveau in Sachsen Anhalt, wenn man den Sozialbericht ernst nimmt, sind es immer noch 15 %, die laut Sozialbericht arm sind. Es sind offenbar völlig verschiedene Regierungen, die solche Berichte erstellen, sie passen zumindest nicht zusammen.

Die Landesregierung geht davon aus, dass die Wohnungsmieten und die Wohnungsnebenkosten vollständig von den Grundsicherungsträgern übernommen werden. Das entspricht nicht den Tatsachen, da die Regelungen zur Angemessenheit individuell auch zu Belastungen des Regelsatzes führen können, nämlich dann, wenn die Wohnung etwas zu groß und etwas zu teuer ist.

Die Landesregierung stellt fest, dass die Preissteigerungen zwischen 2005 und 2009 7,8 % betrugen und der Regelsatz in derselben Zeit um 8,5 % erhöht worden ist. Daraus schlussfolgert sie, dass die Einkommen stärker gestiegen sind als die Preissteigerungen. Also waren die Steigerungen völlig ausreichend.

Das ist insofern etwas schlitzohrig, als die Ost-West-Angleichung in diese Berechnung mit eingerechnet ist, die natürlich mit der Preisentwicklung nichts zu tun hatte, sondern in der Preisanpassung zwischen Ost und West begründet war. Setzt man aber das Jahr 2006 auf 100 % und berechnet die Preisentwicklung von diesem Zeitpunkt an, dann sind wir jetzt schon bei einem Rückstand von 6 Euro.

Die Landesregierung kann im Übrigen nicht feststellen, dass die Beitragssätze für die Rentenversicherung zu niedrig waren, weil die Betroffenen ja Grundsicherung im Alter erhalten können. Aus dem gleichen Grunde dürfte die Landesregierung auch kein Problem damit haben, dass der Rentenbeitrag in Zukunft abgeschafft wird.

Zur Arbeitsmarktpolitik. Die Eingliederungsquoten sind am besten bei Maßnahmen nach der Entgeltvariante. Aber diese Instrumente haben trotzdem, weil sie vergleichbar teuer sind, keine entscheidende Bedeutung, es sei denn als ABM-Ersatz. Ihr prozentualer Anteil betrug im Jahr 2006 noch 33,5 % und im Jahr 2008 27,5 %. Die Eingliederungsquote aus Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung, also nach diesen klassischen Ein-Euro-Jobs, liegt übrigens zwischen 15,8 und 16 % und ist angesichts der Klientel durchaus beachtlich.
 
Die Landsregierung lehnt eine pauschale Betrachtung der Wirksamkeit der Instrumente nach ihrer Effektivität bei der Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt ab. Das finde ich total okay, und meine FraktionskollegInnen auch, aber das entspricht leider nicht der Außenwirkung, die man zurzeit mit den weniger werdenden Arbeitslosen erzielt. Das entspricht leider auch nicht der Arbeitsmarktpolitik bei vielen Grundsicherungsträgern, deren Auge ganz besonders auf die Arbeitslosenstatistik, also auf die Zahlen, gerichtet ist und weniger auf die Wirksamkeit der Instrumente.

Leistungskürzungen um 100 % - ich erwähne nur diesen Teil - machen durchschnittlich mehr als ein Drittel aller Sanktionen aus. Bei den unter 25-Jährigen machen 100-prozentige Leistungskürzungen zwischen 90 und 96 % aus. Damit sind diese Jugendlichen auf ihre Bedarfsgemeinschaften angewiesen. Wie das in der Praxis gehen soll, vermag ich mir offen gestanden nicht auszumalen.

Eingliederungszuschüsse haben eine wachsende Bedeutung. Ihre Höhe lag im Jahr 2009 zwischen 500 Euro und 800 Euro. Die Frage nach der Nachhaltigkeit dieser Maßnahmen, also nach dem Verbleib der Teilnehmerinnen in Beschäftigung, kann nicht beantwortet werden. Es gibt keine statistischen Angaben dazu. Dennoch sieht die Landesregierung darin ein probates Instrument, „Arbeitslosen einen Einstieg in reguläre Beschäftigung zu erleichtern”. Worauf die Landesregierung diese Bewertung gründet, bleibt ihr Geheimnis.

Das Angebot an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen erachtet die Landesregierung als ausreichend, und sie sieht auch keine gravierenden Förderlücken, übrigens auch nicht bei den finanziellen Möglichkeiten, die sie für ausreichend hält. Diese Einschätzung teilt DIE LINKE ausdrücklich nicht.

Die Landesregierung hält den im Gesetz enthaltenen Betreuungsschlüssel für angemessen. Angesichts der Veränderungen in der Struktur der Hilfeempfängerinnen - alle Beteiligten und alle Grundsicherungsträger haben uns gesagt, dass der Hilfebedarf wächst - scheint dieser Betreuungsschlüssel in Zukunft nicht mehr auszureichen. Aus unserer Sicht ist ein höherer Betreuungsschlüssel notwendig.

Zuletzt verweise ich noch auf einige Aspekte aus der Anhörung. Die Arbeitsverwaltung hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen allein - das waren zuletzt 134.000 - nicht das Problem der Arbeitslosigkeit insgesamt verdeutlicht. Deshalb stellt die Arbeitsverwaltung seit einiger Zeit die Zahl der Unterbeschäftigung daneben. Das sind dann schon 182.000. Hintergrund sind die statistischen Vorgaben der Bundesregierung. Die Grundsicherungsträger und auch die Arbeitsverwaltung fordern eine Initiative für ein klareres Bild von der Arbeitslosigkeit und machen gleichzeitig darauf aufmerksam, dass dann die Regierung natürlich mit einer höheren Arbeitslosenquote umgehen muss.

Die strukturellen Probleme des Landes machen es aus der Sicht der Arbeitsverwaltung notwendig, den Fokus auf die rentennahe Jahrgänge unter den Arbeitslosen, auf das besonders hohe Risiko des Fachkräftemangels und auf die Tatsache zu richten, dass die hohen Pendlerzahlen zusätzlich das Problem in sich bergen, dass die Jungen und die Hochqualifizierten zuerst abwandern. In diesem Zusammenhang wirkt der Ruf des Landes als Niedriglohnland, der von der Landesregierung immer wieder gern offensiv nach außen vertreten wird, ausgesprochen kontraproduktiv.

Die Initiativen der Betroffenen sehen im Hartz-IV-Gesetz vor allem ein Instrument, um Druck auf die Beschäftigung auszuüben und einen Niedriglohnsektor zu installieren. Sie sehen darin eine Gefährdung des sozialen Friedens in der Bundesrepublik. Kommunalpolitikerinnen sehen die Rolle der Initiativen der Arbeitslosen in der Stärkung des Selbstbewusstseins der Arbeitslosen. Die Betroffenen haben eine Reihe von Negativbeispielen im Bereich der Trainings- und Bildungsmaßnahmen angeführt und haben gegenüber der Arbeitsverwaltung und den Grundsicherungsträgern strengere Kontrollen eingefordert.