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Nicole Anger zu TOP 5: Pädagogische Fachkräfte für die Kindertagesbetreuung ausbilden, gewinnen und halten

Sehr geehrte Damen und Herren,

immer wieder bekommen wir in diesem Bundesland versichert, dass Kinder die Zukunft des Landes seien. Ja, sind sie. Aber sie sind eben auch das Jetzt und als solches sind sie jetzt in ihrem Aufwachsen mit allen Möglichkeiten und Anstrengungen zu fördern. Dazu braucht es in der frühkindlichen Bildung Fachkräfte, welche wiederum seitens des Landes Unterstützung in jeder Form erhalten. Damit sie hoch motiviert jeden Tag ihr Bestes für unsere Kinder geben können.

Und dazu braucht es Rahmenbedingungen, die das Engagement der Fachkräfte zulassen und unterstützen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

und ja, wir verfügen mit breiten Öffnungszeiten, hohen Betreuungsquoten und in guter räumlicher Erreichbarkeit vorhandenen Angeboten bereits über eine gute Struktur der Kindertagesbetreuung.

Das ist gewachsen und auch gut und wichtig. Aber diese hohe Betreuungsquote wird nur auf dem Rücken von zu wenigen Fachkräften erfüllt. Verdi kommt in einer gemeinsamen Studie mit der Hochschule Fulda auf im Schnitt 3 vakante Vollzeitstellen je Einrichtung.

Dass dies zutrifft, zeigen die Antworten meiner kleinen Anfrage zur Fachkräftesituation im Land. Beispielhaft hat die Stadt Magdeburg geantwortet, dass in 12 Einrichtungen insgesamt 33 vakante Vollzeitstellen vorzufinden sind.

Zu meinem Bedauern wurde diese Kleine Anfrage nur sehr auszugshaft beantwortet. Manche Landkreise haben gar keine Rückmeldung gegeben. Aber die vorliegenden Zahlen zeigen ein Bild auf, dass ein Weggucken nicht länger duldet. Ich hätte mir von der Landesregieurng gewünscht, dass es eine Nachreichung der fehlenden Zahlen gegeben hätte. Ja hätte ich auch erfragen können. Aber die Verbesserungen unserer Kenntnislage sollte in unserer aller Interesse sein.

Konkrete Zahlen und Fakten würden uns helfen die Ursachen und Herausforderungen des Problems eines Fachkräftemangels zu erkennen.

Aber es gibt uns: Als Opposition gucken wir nicht nur genau hin, wir hören auch genau zu, wenn Fachkräfte und Gewerkschaften auf uns zukommen und uns aus der Praxis berichten.

So hat verdi zuletzt zum Internationalen Tag der Sozialen Arbeit aufgezeigt: Es brennt lichterloh!

Das grundsätzliche Problem ist lange bekannt, doch die vorgelegten Zahlen sind in ihrem Ausmaß erschreckend: Fast zwei Drittel der Beschäftigten fühlen sich permanent an der Grenze der eigenen Belastbarkeit. Mehr als drei Viertel gehen davon aus, dass sie in ihren Berufen nicht das Rentenalter erreichen werden. Ursache hierfür sind insbesondere schlechte Arbeitsbedingungen und die Erwartung, dass diese sich weiter verschlechtern. Dreiviertel der Beschäftigten in Sachsen-Anhalt klagt darüber, dass die Komplexität an Problemlagen seit der Corona-Krise deutlich zugenommen haben.

Der Fachkräfte-Mangel ist Realität – und das ist auch kein Wunder, wenn man sich die Arbeitsbedingungen vor Augen führt. Die meisten pädagogischen Fachkräfte brennen für ihren Beruf –sie merken aber oft: Auf Dauer ist das nicht zu schaffen. Als Ursache werden die immer höheren Anforderungen aufgrund veränderter Bedarfe von den Fachkräften genannt und auch eine starke Arbeitsverdichtung, die dazu führt, dass in derselben Zeit mehr geleistet werden muss.

Die Folge: die Beschäftigten verlassen ihre Berufe. Und Corona hat die Situation noch einmal weiter verschärft.

So kann es nicht weitergehen!

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir müssen dem entsprechenden Bedarf der Fachkräfte mit Einstellungen nachkommen und vor allem diese dann halten. Wer in die unterschiedlichen Studien schaut, stellt fest, dass die pädagogischen Fachkräfte meist nach 5-10 Jahren die Kita wieder verlassen. Wenn sie denn dort überhaupt erst einmal ankommen. Denn es ist absolut unklar, wo unsere Fachschüler:innen nach erfolgreichem Abschluss verbleiben.

Wir lassen im Jahr etwa 1.100 erfolgreich in die Praxis gehen, und in der Kita kommt nach meinem Kenntnisstand davon gerade mal ⅙ an…. Wo sind denn die anderen alle? 

Hört man in die Praxis hinein, fällt immer wieder das Wort “Praxisschock”. Viele Fachschüler:innen stellen sich die Arbeit in der Kindertagesbetreuung anders vor. Und dabei sind sie nicht als naiv oder weltfremd zu beschreiben, sondern die Arbeitsbedingungen sind unzureichend. Zu viele Kinder sind von einer Fachkraft allein zu betreuen, zu wenig bis keine Zeit für Vor- und Nachbereitungen, fehlende Zeit für Elterngespräche, … Die Aufzählung ließe sich fortsetzen und Sie kennen das eigentlich!

Deswegen müssen wir endlich rausfinden, was Fachschüler:innen zum Jobeinstieg motiviert. Und dies lässt sich am besten rausfinden, wenn sie sich noch in der Fachschule befinden. Deswegen wollen wir mit unserem Antrag als einen Punkt eine Absolvent:innenbefragung umzusetzen.

Welche Rahmenbedingungen finden sie in der Praxis vor, was unterscheidet die Theorie von der Praxis, wie wirkt das Praxisfeld, welche Veränderungen wünschen sie sich, und last but not least: Können sie sich ein Berufsleben in der Kindertagesbetreuung vorstellen?

Sachsen hat das gemacht, hat über einen Zeitraum von etwas mehr als 1,5 Jahren eine Absolvent:innenbefragung durchgeführt. Dort liegen wertvolle Erkenntnisse vor. Diese Ergebnisse sind klar: In den Einrichtungen haben sich die Anforderungen an die Fachkräfte in den letzten fünf Jahren insbesondere in drei Bereichen zugespitzt

Ergebnisse, die ich so auch Sachsen-Anhalt zuschreiben würde. Aber das können wir ja rausfinden. Das Kompetenzzentrum Frühe Bildung hat gerade neulich im Mai eine ähnliche Erhebung wie die Absolvent:innenbefragung in Sachsen. Und kommt auhc zu ähnliche Ergebnissen und klaren Forderungen. Lassen Sie uns gemeinsam dem Verbleib der Fachschüler:innen nachgehen und hier Licht ins Dunkel bringen.

Auch die Bundesagentur für Arbeit spricht davon, dass die Zahl der freien gemeldeten Stellen in den Einrichtungen überdurchschnittlich zugenommen hat. Zumeist werden Personen mit einem Abschluss als Erzieher:in gesucht. Hier fällt die Zahl der gemeldeten Stellen höher aus als die der Arbeitslosen. Der Erzieher:innenberuf gilt als Engpassberuf. Gleichzeitig ist auch die Zahl der Teilzeitbeschäftigten gestiegen. Auch das spricht eine eigene Sprache. Sachsen-Anhalt hat mit 79% die dritthöchste Teilzeitquote im bundesweiten Vergleich.

Hinzu kommen Erhebungen der Krankenkassen, die feststellen, dass Erzieher:innen die Berufsgruppe mit dem höchsten Krankenstand sind. Im Schnitt 33 Tage sind die Fachkräfte je Jahr krank. Aus meiner Kleinen Anfrage zu den Fachkräften geht hervor, dass sich der durchschnittliche Krankenstand der Erzieher:innen zum Beispiel im Burgenlandkreis von 2017 zu 2021 verdoppelt hat. 2017 gab es dort im Jahr 20% Ausfalltage, 2021 knapp 40%. Die Fachkräfte arbeiten schon lange nicht mehr am Limit, sie arbeiten schon längst darüber.

Das muss bei uns Fragen aufwerfen und in der Konsequenz zu konkreten Handlungen führen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

stattdessen gibt das Landesjugendamt eine Handlungsempfehlung heraus mit dem vielsagenden Titel: Zum Umgang mit personellen Engpässen in der Kindertagesbetreuung, Horten und Kindertagespflege. Ja, die Absicherung der Öffnungszeiten werden zunehmend zu einem Problem der Einrichtungen und Träger. Folglich müssen Betreuungszeiten eingeschränkt werden, obwohl Eltern vertraglich ihren Bedarf vereinbart haben. Die Familien werden nicht dabei unterstützt, wenn die Schließzeiten familiär ausgeglichen werden müssen. Und wie das läuft, konnten wir in den letzten Jahren der Pandemie gut beobachten. Es gab einen Rückfall in tradierte Rollenmuster, die Mütter waren und sind überwiegend diejenigen, die dann zu Hause bleiben und die Kinderbetreuung übernehmen. Frauen- und gleichstellungspolitisch ein Bärendienst, den sie hier subtil mit leisten. Und dich hoffe sehr, dass sich die Gleichstellungsbeauftragte des Landes mal dieser Thematik annimmt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

und: der Fachkräftemangel nennt sich laut Handlungsempfehlung jetzt personeller Engpass. Und für diesen Engpass bekommen Einrichtungen hilfreiche Empfehlungen zu lesen wie u.a. ehrenamtliche Aushilfen akquirieren, hilfsbereite Eltern heranziehen. Einzige Bedingung ist, dass diese verantwortungsbewusst und geeignet sind, die Aufgabe mit ihrer Persönlichkeit zu übernehmen. Ich hab mir in der Tat die ernsthafte Frage gestellt - ohne das Engagement all der Ehrenamtlichen im Land in Frage zu stellen - aber wird es demnächst auch eine gleichlautende Handlungsempfehlung für die fehlenden Hausärzt:innen oder die fehlenden Zahnärzt:innen geben in diesem Land….

Kitas sind Orte der frühkindlichen Bildung. Kinder haben das Recht darauf, Freund:innen zu treffen, zu spielen, mit anderen Kindern zu agieren, sie haben ein Recht auf Förderung und Bildung. Kita ist Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Leben. Die Kita einzuschränken ist eine Verhinderung der Teilhabe der Jüngsten.

Die Fachkräfte sorgen dafür, dass sie im Land gleichwertige Lebensverhältnisse vorfinden. Eine Aufgabe, die durch die Landesregierung viel klarer angegangen werden muss. Dennoch unterscheiden sich die Lebensverhältnisse der Kinder, je nachdem wo sie in Sachsen-Anhalt aufwachsen. Deswegen müssen wir unseren Jüngsten ausreichend Fachkräfte an die Seite stellen, und dafür Sorge tragen, dass diese Fachkräfte motiviert, unbelastet und sorgenfrei ihren Job machen können.

Ausbildungsbedingungen müssen für alle gleich sein. Dazu gehört für meine Fraktion und mich zuvorderst das Angebot der praxisintegrierten Ausbildung für alle Fachschüler:innen. Es ist ein Armutszeugnis, dass wir den Menschen, die sich um das Wertvollste, was wir haben, unsere Kinder, kümmern wollen, die Ausbildung nicht finanzieren. Einen sozialen Job annehmen zu wollen, darf nicht länger heißen, dass man altruistisch ohne Ausbildungsvergütung startet. Die soziale Grundhaltung der Fachschüler:innen darf nicht länger ausgenutzt werden.

Und auch der Quereinstieg sowie die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen müssen auf einen besseren und schnelleren Weg gebracht werden. Zugangshürden müssen abgebaut werden, Verfahren beschleunigt. Noch immer gibt es zu viele Fehlstellen, die den Interessierten auf die Füße fallen. Es muss doch aber möglich sein, diese bereits bestehenden Angebote des Landes besser auszugestalten und offensiver im Sinne der Fachkräftegewinnung umzusetzen.

Und: Kommen Sie mit den Hochschulen ins Gespräch. Diese würden gern ein duales Studium, ein sogenanntes weiterbildendes Studium anbieten. Kindheitspädagogik – optimal geeignet! Das ist ebenso eine gute Option der Fachkräftegewinnung und vor allem Bindung!

Wir haben wohlwollend gesehen, dass der Alternativantrag der Koalition einige der Punkte unseres Antrages aufnimmt. Das ist zu begrüßen – wir möchten aber gern noch zwei Punkte ergänzen, die uns in der Tat sehr wichtig sind und hoffentlich Ihnen ebenso. Dann können wir dem gern in Gänze zustimmen und stehen auch für die konstruktive Zusammenarbeit im Sinne der Fachkräfte und Kinder bei dem Thema gern zur Verfügung.

Die Kindertagesbetreuung braucht eine qualitative Erweiterung. Dafür braucht es ausreichend Fachkräfte! Und qualitativ hochwertige Rahmenbedingungen sind der beste Weg zur Personalgewinnung und -sicherung. Es muss alles getan werden, um den Jüngsten den bestmöglichen Start zu gewährleisten. Die ersten Jahre der Kinder legen den Grundstein für vieles in ihrem weiteren Leben. Und in einem Land, in dem jedes fünfte Kind armutsgefährdet ist, ist es unsere Pflicht, alles dafür zu tun, dass wir ihnen das Bestmöglich bieten zum Aufwachsen.

Deswegen sind Investitionen in die frühkindliche Bildung auch kein Luxus, sondern Daseinsvorsorge!