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Nicole Anger zu TOP 28: Daseinsvorsorge für die Jüngsten stärken: Qualität der Kindertagesbetreuung weiter ausbauen und Fachkräfte der Kindertagesbetreuung entlasten

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

“Mein Bildungsauftrag ist oft nur ein Betreuungsauftrag!”

 

“Ich habe immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich krank bin. Meine Kollegin steht dann allein in der Gruppe. Also gehe ich zum Dienst, bis es nicht mehr geht!”

„Wann soll ich ein Gewaltschutzkonzept miterarbeiten und wann meine Arbeit reflektieren, wenn ich mit meiner Kollegin 24 Kinder tagtäglich betreue. Bei Urlaub und Krankheit bekommen wir keinen Ersatz und sind allein für die Kinder verantwortlich.“ 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

dies sind drei Aussagen von pädagogischen Fachkräften aus der Kindertagesbetreuung. Sie zeigen auf eindrückliche Art und Weise die Alltagsrealität für die vielen engagierten Erzieher:innen in unserem Land.

 

Geht man in die Praxis, sieht man sich die Betreuung vor Ort konkret an, stellt man schnell fest, dass eine pädagogische Fachkraft in der Kindertagesstätte schon mal über mehrere Tage für 20 und mehr Kinder verantwortlich ist. Und dass dies kein Einzelfall ist, wissen wir alle. 

 

Im letzten Jahr hat ver.di gemeinsam mit der Hochschule Fulda auch für Sachsen-Anhalt die starke Belastung der Fachkräfte und ihre daraus folgende Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation dargestellt. Ich will Ihnen gern die Ergebnisse für Sachsen-Anhalt noch einmal darstellen. Mir scheint, derlei Erhebungen werden immer schnell in Schubladen gepackt und sind nicht gern gesehen. Daher jetzt noch mal:

 

  • 42 Prozent gaben an, dass sie zeitweise für mehr als 17 Kinder am Tag gleichzeitig verantwortlich sind, 22 Prozent davon sogar für mehr als 21 Kinder 
  • 45 Prozent sagen, dass sie zu wenig Zeit haben, um auf die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder einzugehen
  • 19 Prozent gaben an, dass sie ihren eigenen pädagogischen Ansprüchen im Alltag nicht gerecht werden können. 
  • 47 Prozent arbeiten häufig bzw. sogar sehr häufig unbezahlt außerhalb ihrer normalen Arbeitszeit, um die Arbeit bewältigen zu können 
  • in jeder Kita fehlen im Schnitt 3 Vollzeitfachkräfte

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

dies macht deutlich, wie weit hier Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, wie weit die gesetzliche Grundlage des KiFöGs von der Arbeitsrealität der Fachkräfte entfernt ist. Es ist dringend notwendig, jetzt sofort für alle in der Kindertagesbetreuung Beschäftigten Entlastung zu schaffen. Wenn die Rahmenbedingungen sich deutlich verbessern, wird der Beruf auch wieder interessanter für Nachwuchsfachkräfte und wirkt dem Fachkräftemangel in den Einrichtungen entgegen. 

 

Unsere pädagogischen Fachkräfte, die wie im Zitat beschrieben, überwiegend nur betreuen, statt frühkindliche Bildung umsetzen zu können, sie machen Überstunden, sind erschöpft, und haben einen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen erhöhten Krankenstand. Laut BARMER waren Erzieher:innen im Schnitt 31 Tage krank im Jahr. Eine Kausalkette der Belastung für alle Beteiligten, die durch landesseitiges Schönreden und Aussitzen fortgesetzt wird.

 

Mehr als irritierend empfand ich da auch die Antwort aus Ihrem Haus Frau Ministerin, zu meiner Kleinen Anfrage zum Landesmodellprogramm “Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher”. Die Offenbarung Ihres Desinteresses lässt sich in folgendem Satz wiederfinden - ich zitiere: “Generell ist es nicht Aufgabe eines Landes, umfassend vergütete Ausbildungen abzusichern; zur Fachkräftegewinnung ist dies im originären Interesse der Träger.”

 

Übersetzt heißt das “Was geht uns das als Landesregierung an?” - eine Bankrott-Erklärung gegenüber dem Fachkräftemangel und welch beschämende Äußerung gegenüber all den in der Kindertagesbetreuung engagierten Fachkräften!

 

Sie sind es doch als Landesregierung, die Rahmenbedingungen schaffen müssen. Und ich fordere Sie auf, dies im Interesse der Fachkräfte entsprechend zu tun. 

 

Und Frau Ministerin, bitte sparen Sie sich gleich den Teil, in dem darauf verwiesen wird, dass der Personalschlüssel nicht die einzige Größe für die Messbarkeit der Qualität bei der Kindertagesbetreuung ist. Ich sage Ihnen: Sie ist es! Denn: Ohne engagierte Fachkräfte, ohne ihre Motivation, ohne ihre Geduld, ohne ihre Ideen läuft in der Kita nichts. Deswegen müssen wir die Neuverhandlung mit dem Bund zum Kita-Qualitätsgesetz jetzt endlich nutzen, um den Personalschlüssel zur Entlastung der Fachkräfte anzupassen. Denn wenn Sie das tun, können Sie dieses Bundesgesetz auch ernsthaft ein “Gute-Kita-Gesetz” nennen. 

 

Und mit Blick auf die Familien ist gerade jetzt, wo die Preise für Lebensmittel, Energie und Co. explodieren, auch eine Entlastung bei der Kindertagesbetreuung bitter nötig. Stattdessen gab und gibt es Überlegungen, die Last steigender Kosten wieder auf die Familien abzuwälzen. Allein, dass wohl darüber nachgedacht wurde, Kitas zum Energieeinsparen zu schließen, ist vielsagend. Wird man nun nicht machen, was sehr richtig ist, aber die Presse wird sich das ja auch nicht an den Haaren herbeigezogen haben.

 

Und ganz ehrlich, da erwarte ich doch einiges mehr von einem SPD-geführten Haus. Schließlich sind sie in die letzten Wahlen immer mit dem Versprechen zu den Menschen gegangen, die Kita beitragsfrei zu gestalten. In den Koalitionsverhandlungen war es dann aber stets das erste Ziel, was über die metaphorische Klinge ging. Und Ihr Ansinnen, die Finanzierung der Sprach-Kitas zu übernehmen, wenn der Bund aussteigt, würden Sie doch genauso gern über die besagte Klinge springen lassen. 

 

Darüber hinaus beabsichtigen Kommunen derzeit, die Kita-Beiträge für Eltern aufgrund steigender Strom- und Energiepreise anzuheben. Sie wissen nicht, wie sie diese Last allein stemmen sollen. Faktisch werden auch so Familien immer stärker belastet. Wo ist denn hier das Land? Ich sag` Ihnen: Wie immer duckt man sich weg und entzieht sich der Verantwortung! Zeigen Sie mir gern, dass ich Unrecht habe. Werden Sie Ihrer Aussage im Koalitionsvertrag gerecht, dass sie Familien dauerhaft entlasten werden!


Sehr geehrte Damen und Herren,

 

insofern zielt unser Antrag auf drei wesentliche Punkte ab:

  1. Wir wollen Fachkräfte und Familien entlasten! 
  2. Wir wollen die Qualität in der Kindertagesbetreuung weiter verbessern!
  3. Wir wollen, dass die Jüngsten bestmögliche Chancengerechtigkeit im Aufwachsen erfahren!

 

Dazu ist es unerlässlich, dass Sie jetzt sehr schnell mit dem Bund die Verhandlungen für die Fortführung des Kita-Qualitätsgesetzes führen, und nicht bis Mitte nächsten Jahres warten. Und ganz ehrlich, Frau Ministerin: Appelle und bettelnde Worte nach Berlin reichen mir und meiner Fraktion dafür nicht aus. Das kann doch auch nicht wirklich das Ende Ihrer Möglichkeiten sein. Und ist es auch unerlässlich, dass jetzt im Landeshaushalt ab dem kommenden Jahr entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. 

 

Gleiches gilt für den Erhalt des so immens wichtigen Programms Sprach-Kitas, dass die Ampel absägen will. Ich fordere Sie auf: Handeln Sie doch mal endlich! Hier geht es um die Zukunft etlicher Fachkräfte, die tagtäglich so wertvolle Arbeit leisten, es geht auch um Existenzen! Es geht um die Förderung unserer Kinder im Land. Uns zeigen doch die Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen, einen Anstieg der Kinder mit Artikulationsschwierigkeiten: Sie wissen doch, wie wichtig ein solches Angebot der Sprachförderung ist. Wie viel evidenzbasierte Fakten wollen Sie denn noch auf dem Tisch haben, bis Sie endlich Perspektiven und damit Sicherheiten schaffen?! 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

für uns ist klar: Wir brauchen Planungssicherheit. Vor allem die pädagogischen Fachkräfte und Familien brauchen diese. Es geht hier um Entlastung des ohnehin viel zu anspruchsvollen Pensums in der Realität, um eine Entwicklung der Qualität der Kindertagesbetreuung in unserem Land. Für die Fachkräfte sind das nicht einfach nur Berufe, es ist ihre Berufung!

 

Es ist doch dann also unsere Pflicht, ihnen die Rahmenbedingungen zu verschaffen, die sie für eine gute Arbeit brauchen. Dazu zählen eine Anpassung des Personalschlüssels an die Realität, Ausbildungsbedingungen ohne Eigenfinanzierung, der Erhalt der Sprach-Kitas und auch die Verstetigung von Kita-Sozialarbeit sowie das multiprofessionelle Arbeiten in der Kita. 

 

Fakt ist: Wir müssen hier als Land vorangehen, denn der Bund wird das offensichtlich nicht tun! Keine zähen, langwierigen Debatten, sondern effizientes Handeln muss das Gebot der Stunde sein.

 

Die Fachkräfte zählen auf Sie, die Familien tun es. Es geht um die Jüngsten im Land, von denen Sie immer sagen, sie seien die Zukunft. Ich sage Ihnen aber, Sie sind auch das Jetzt. und jetzt müssen wir handeln. 

 

Oder um es abschließend mit der Stimme einer Fachkraft zu sagen: „Den Personalschlüssel zu erhöhen, heißt, nicht immer am Limit zu arbeiten, sondern echte pädagogische Interaktionen zu leben!“


Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

Herzlichen Dank!