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Nicole Anger zu TOP 19: Aktuelle Debatte: Das unterschätzte Risiko der Pandemie: Mentale Gesundheit junger Erwachsener

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Kinder, Jugendlich und junge Erwachsene haben sich seit Anbeginn der Pandemie solidarisch und verständnisvoll gezeigt. Aus nicht wenigen Kindern wurden in dieser Zeit Jugendliche, aus Jugendlichen junge Erwachsene. Viele von ihnen, wenn nicht gar alle, haben wichtige Phasen durchlebt und dabei Übergänge anders als wir selbst erfahren.

 

Ob es nun Kitakinder waren, die eingeschult wurden,

oder Kinder, die von der Grund- auf die weiterführende Schule wechselten.

Jugendliche die ihren Schulabschluss machten, sich beruflich orientierten.

Junge Erwachsene, die einen Freiwilligendienst aufnahmen, eine Ausbildung begannen oder mit ihrem Studium starteten.

 

In den letzten zwei Jahren, das ist uns bewusst, war vieles anders und auch vieles nur eingeschränkt möglich. Und dies gilt nicht nur für den Bereiche des individuellen formalen Bildungswegs, auch in ihrer Freizeit waren und sind junge Menschen immer noch eingeschränkt. Und sie tragen diese Einschränkungen seit Anfang an mit. Viele von ihnen akzeptieren die Maßnahmen zu Eindämmung des Virus.

 

Aber: Ein Teil der Jugendlichen konnte noch nie zum Tanzen in einen Club, auf Partys gehen, so wie wir das aus unserer Jugend kennen. Andere haben seit zwei Jahren ihre Hobbys aufgegeben, 40% der Kinder betreibt laut COPSY-Studie keinen Sport mit anderen mehr. Drei von weiteren Erfahrungen beim Erwachsenwerden. Sich Auszuprobieren, das gehört zum Jungsein dazu.

 

UND: Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir diese Defizite ausgleichen. Und zwar nicht nur kurzfristig, sondern über die nächsten Jahre hinweg.

 

Viele Träger von Kita, die Schulen, aber auch Ausbildungsbetriebe, Einsatzstellen für Freiwilligendienste, Hochschulen sind unentwegt bestrebt, den jungen Menschen einen Alltag anzubieten, der ihren Bedarfen und Bedürfnissen gerecht wird – auch unter der Pandemie.

Auch die außerschulischen Bereiche, die vielen Verbände und Vereine, die Schulsozialarbeit bieten trotz der pandemisch wichtigen Einschränkungen vielfältige Angebote an. Und das ist immens wichtig.

 

Wir müssen bei den jungen Menschen, egal ob sie studieren, oder sich in einer Ausbildung befinden, wie die FDP hier eng fokussiert, oder bei den Jüngeren in Kita und Schule genau hingucken, genau zuhören, genau wahrnehmen. Einige bekommen es gut hin, gehen sogar gestärkt aus der Pandemie, haben beispielsweise in punkto Digitalisierung oder Selbstständigkeit viel gelernt.

Anderen geht es anders.

 

Die COPSY-Studie weist darauf hin, dass es durch die Pandemie zu einer Zunahme von spezifischen Belastungen wie Sorgen und Ängste wie bspw. Zukunftsängste, allgemeine Ängstlichkeit und Unsicherheit, Versagensängste, Befürchtungen, die die Freundschaften betreffen, gekommen ist.

 

Diese Ängste und Sorgen der jungen Menschen kommen aus unterschiedlichen Erfahrungen, unterschiedlichen Lebenssituationen heraus. Es gibt nicht die eine Ursache, genauso wenig wie es die eine Antwort gibt. Es gibt eben auch nicht DEN jungen Menschen.

 

Aber für alle jungen Menschen gilt gleichermaßen: jede:r Einzelne der jungen Menschen braucht unsere Unterstützung. Und dazu müssen wir ihre Sorgen und Ängste, ihre Signale ernst nehmen. Wir haben junge Menschen, die während des Lockdowns unter den mangelnden sozialen Kontakten gelitten haben. Wir haben aber ebenso junge Menschen, die wegen ihrer sozialen Kontakte in Schule oder Ausbildung sich um ihre Angehörigen Gedanken machen.

 

Aber klar ist, aus welchen Gründen sie sich belastet fühlen, wir müssen ihnen Unterstützung zusichern. Und zwar eine Unterstützung, die da ist, die genutzt werden kann, wenn sie gebraucht wird - ohne lange Wartezeiten. Und da bin ich ja wirklich gespannt, was die Kolleg:innen der FDP und auch der Landesregierung insgesamt aufbieten werden nach dieser Aktuellen Debatte.

 

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich kann Ihnen aber schon mal noch zum Denken und Überdenken folgendes Mitgeben: Wir alle haben uns immer wieder gegenseitig bestätigt, dass die Pandemie unsere gewohnten Abläufe verändert. Und den meisten von uns ist auch bewusst, dass diese Pandemie wie ein Brennglas wirkt.

Viele Aspekte, die uns bereits vor der Pandemie vor Herausforderungen stellten – die einen sahen diese bereits, andere sahen regelmäßig weg – sind nun mitunter noch verschärfter. Und trotzdem tut man in vielen Bereichen des täglichen Lebens so, als gäbe es die Änderungen durch die Pandemie nicht. Na klar, sollten wir unseren Kindern und Jugendlichen so viel Alltag wie möglich bieten. Na klar, brauchen viele von ihnen auch eine gute Alltagsstruktur. Aber: Es ist eine Chance, auch Änderungen von Rahmenbedingungen vorzunehmen. So sollte es nach zwei Jahren Pandemie doch grundsätzlich möglich sein, digitalen Unterricht anzubieten, hybride Lernformen zu ermöglichen.

Stattdessen halten Sie an einem Leistungssystem Schule fest, welches in kurzer Zeit versucht, möglichst viele Bewertungen in Formen von Noten zu erlangen, wo doch gerade allseits betont wird, wie wichtig die sozialen Kontakte sind. Was ist in der zweiten Klasse oder in der siebten Klasse an einer Note in Musik oder Kunst oder Sport so wichtig? Wichtig ist, dass die Kids miteinander agieren können!

Außerdem sollte man doch der Schulsozialarbeit eine sichere Perspektive bieten. Dazu gehört für mich auch, zu überdenken, wie viel neue Konzepte gerade jetzt für die wiederholte Antragsstellung geschrieben werden müssen oder ob sich das Konzept der letzten Jahre nicht bewährt habe und man der Schulsozialarbeit es ermöglicht, mehr vor Ort zu sein, und damit ansprechbar zu sein. Eben Beziehungsarbeit zu leisten.

Ja Herr Pott, ich weiß Ihr Antrag zielt auf die jungen Erwachsenen ab, die die in Studium und Ausbildung sind. Ich denke aber immer an alle jungen Menschen, denn auch die Jüngeren kommen irgendwann in diese Lebensphase. Und wie ich schon sagte, werden wir die von Ihnen ebenso erkannten Bedarfe über viele Jahre haben.

Aber was sehen wir, wenn wir zum Beispiel auf Studierende gucken? Ich kenne welche, die haben Schwierigkeiten ihr Studium zu starten, weil sie allein in einer neuen Stadt wohnen, weil das Studium digital läuft, weil sie keine Chance haben, ihre Kommiliton:innen zu treffen, ein Student:innenleben zu führen.

Hinzu kommt, dass viele von ihnen ihre Minijobs verloren haben, die sie trotz BaföG benötigen, um über die Runden zu kommen. Zu der Einsamkeit im Studium kommen also noch Existenzängste. Das sollte doch gerade Ihre Fraktion -Ihrem Anliegen der Aktuellen Debatte folgend- im Bundestag dazu veranlassen, ein rückzahlungsfreies, elternunabhängiges Bafög endlich zu etablieren. Ein BaföG, mit welchem man studieren kann, ohne sich noch einen oder gar zwei Nebenjobs suchen zu müssen.  Damit ist auch klar, nicht allein die Pandemie ist verantwortlich für die belastende Situation der jungen Erwachsenen. Sondern die Grundverantwortung trägt ein System, welches nur auf Leistungsdruck fokussiert ist, Freiräume einschränkt und Stärkung der Kompetenzen unterbindet.

Bildung darf nicht der Verwertungslogik unterliegen. Lerndruck und Lernstress sind systemisch bedingt. Weil SIE Bildung als eine Ware verstehen. Aber ein auf Leistung und Ökonomisierung ausgerichtetes System, ist für einen Teil junger Menschen eine erhebliche Belastung. Und diese Zahl wird zunehmen.

Das haben Sie gut erkannt. Deswegen bin ich in der Tat sehr gespannt, was Sie als Vorschlag unterbreiten, wie Sie Strukturen ändern wollen, damit junge Menschen sich ihren Stärken, Kompetenzen und Interessen entsprechend entwickeln können. Und ich sage Ihnen auch ganz klar, allein auf die Hilfe von Psychotherapeut:innen zu setzen, löst die gesellschaftlichen Problem nicht. Denn diese Gesellschaft macht die jungen Menschen kaputt. Die Pandemie kommt nur noch on top.

Ich hoffe, dass anders als bei unseren Anträgen wie zum Corona-Sondervermögen, wo unsere Forderungen zu Gunsten der jungen Menschen gingen, aber von Ihnen abgelehnt wurden, Sie jetzt selbst gute Ideen haben, was Sie tun und vor allem ändern wollen. Doch denken Sie daran, junge Menschen sind junge Menschen und kein Humankapital.