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Matthias Höhn zu TOP 28: Sachsen-Anhalt: weltoffen und tolerant

Ich möchte zu Beginn betonen, dass es ein nicht zu unterschätzendes Zeichen ist, dass sich alle Fraktionen dieses Hauses einig daran sind, dass:

  • zum einem Demokratie, Freiheit und Toleranz die unverzichtbaren Voraussetzungen für eine erfolgreiche gesellschaftliche Entwicklung unserer Landes sind, und
  • zum anderen besonders der Rechtsextremismus diese Entwicklung bedroht und ihm mit besonderer Aufmerksamkeit und Entschiedenheit entgegenzutreten ist.

Wir setzen als Landtag dieses Zeichen sehr bewusst, unmittelbar bevor die Bürgerinnen und Bürger Sachsen-Anhalts zu den Wahlurnen gerufen werden. Wir sind uns einig darin: Kein Platz für Nazis, nirgendwo – auch nicht in den Parlamenten!

Egal wie sich die Rechtsextremen gerieren, wer die prinzipielle Gleichheit aller Menschen in Abrede stellt, wer den Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum betont, und wer die nationale Abschottung als Wirtschaftsmodell propagiert, will und wird keine Probleme der Menschen lösen.

Unsere Positionierung über die Fraktionsgrenzen ist ein wichtiges Signal auch an die, die sich vielleicht über neue Fürsprecher und die Biedermann-Strategien der NPD wundern. Es ist ein Signal der Solidarität an diejenigen, die schon einmal von rechter Gewalt betroffen waren, und an alle, die sich auch außerhalb von Wahlkämpfen gegen die extreme Rechte engagieren.

Diese Engagierten brauchen dagegen eines sicher nicht: eine Debatte, die die Aktiven gegen Rechts selbst zum Problem erklärt. Wir befinden uns mitten in einer bisher nicht da gewesenen Auseinandersetzung zwischen dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf der einen und einer Vielzahl von Trägern zivilgesellschaftlichen Engagements auf der anderen Seite um die so genannte Extremismusklausel.

Das Bundesministerium fordert von den Trägern nicht nur ein Bekenntnis zu unseren Verfassungsgrundsätzen – was an sich schon mehr als ein schlechter Scherz ist, bedenkt man, dass beispielsweise der Verein Miteinander e.V. hier bei uns 1998 ins Leben gerufen wurde in Reaktion auf den Einzug der antidemokratischen und rechtspopulistischen DVU in diesen Landtag. Es wird darüber hinaus geradezu der offizielle Auftrag erteilt, die Partner in dieser mühevollen, tagtäglichen Arbeit auch noch unter Zuhilfenahme des Verfassungsschutzes auszuschnüffeln und ggf. zu denunzieren.

Meine Damen und Herren, mit solchen Maßnahmen wird Engagement für ein demokratisches und weltoffenes Sachsen-Anhalt pauschal diskreditiert, aber keinesfalls befördert.
Es wurde höchste Zeit, dass sich die Landesregierung diese Woche dazu sehr klar positioniert hat. Allerdings ist uns die Landesregierung noch die Antwort darauf schuldig, was denn mit den Trägern geschieht, sollte der Bund auf seiner Position beharren. Verhält sich Sachsen-Anhalt dann wie das Land Berlin und übernimmt die ausfallenden Fördermittel? Das wäre nur konsequent.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat in ihrer 2010 veröffentlichten Studie „Die Mitte in der Krise“ – leider zum wiederholten Male – nachgewiesen: Rechtsextreme Einstellungen sind keine Randerscheinung, sondern finden sich in der Mitte der Gesellschaft. Die Studie hat eine signifikante Zunahme bestimmter Einstellungsmuster gemessen. Die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen stieg auf 24,7 Prozent, zu chauvinistischen Aussagen auf 19,3 Prozent. 8,2 Prozent der Deutschen wird ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild nachgewiesen, im Osten sind es sogar 10,5 Prozent.

Die Autoren der Studie kommen zu mehreren Schlüssen:

  1. Die wachsende Ausländerfeindlichkeit wird in Zusammenhang gesehen mit der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise und deren Folgen. 2008 (vor der Krise) waren die ermittelten Werte deutlich niedriger als 2010.
  2. Es gibt einen Zusammenhang zwischen rechtsextremen Einstellungen und dem Bildungsgrad.
  3. Die Ausbreitung rechtsextremer Einstellungen muss als Warnsignal über den Zustand unserer Demokratie insgesamt angesehen werden. Nur 46,1 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind mit der Demokratie in ihrer heutigen Umsetzung zufrieden.

Politik darf sich nicht darauf beschränken über diese Befunde zu reden und den Wert der Demokratie hochzuhalten – so wichtig das ist, aber allein dadurch wird die Kluft zwischen Politik und Bürgern noch nicht geschlossen, allein dadurch wächst kein verstärktes Zutrauen in demokratische Entscheidungsprozesse, allein dadurch wird Ausgrenzung und Abwertung nicht entgegengewirkt.

Zunehmende Abstiegsängste und Prekarisierung in unserer Gesellschaft sind Folge erlebter gesellschaftlicher Praxis.

Die Gruppe derer, die von gesellschaftlicher Teilhabe seit Jahren ausgeschlossen sind oder sich ausgeschlossen fühlen, verfestigt sich. Auf langjährige Arbeitslosigkeit und die Abhängigkeit von Transferleistungen ohne die Chance auf spürbare Verbesserung der Lebenssituation folgt oft Resignation. Und auf materielle Armut folgt in den meisten Fällen auch Bildungsarmut. Ein Kreislauf entsteht.

In dieser Bevölkerungsgruppe findet Politik kaum noch statt – und wenn doch, dann als abgehobene Kaste, die nur auf den eigenen Vorteil aus ist. Wir als Politikerinnen und Politiker mögen dies vielleicht als nicht gerechtfertigt ansehen – aber solange unsere demokratische Gesellschaft nicht in der Lage ist, für diese Menschen eine greifbare Perspektive zu eröffnen, wie sie sich wieder als selbstbestimmte und gleichberechtigte Mitglieder in dieser Gesellschaft empfinden können, solange ihnen nicht das Gefühl vermittelt wird, dass sie gebraucht werden – solange werden Politik und ihre demokratischen Institutionen dort kein neues Vertrauen und Zutrauen schaffen.

Und jene, die heute noch zur so genannten Mittelschicht zählen, sehen sich immer häufiger mit Leiharbeit, befristeten Beschäftigungsverhältnissen und sinkenden Löhnen konfrontiert. Die Angst, weiter „abzurutschen“ wächst – und mit ihr wächst dann der Reflex, die eigene Person, das eigene Lebensumfeld aufzuwerten, in dem man das vermeintlich „Schwächere“, das Fremde abwertet.

Die Frage nach der Perspektive unseres Sozialstaates, die Frage nach dem Maß gesellschaftlicher Umverteilung und gesellschaftlichen Ausgleichs lässt sich darum nicht trennen von der Stärke unserer Demokratie und dem Zurückdrängen rechtsextremer  und undemokratischer Einstellungen.

Bildung ist ein weiterer zentraler Ansatzpunkt und er steht – leider –  in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der eben angesprochenen sozialen Situation.

Demokratie kann nur mit Leben gefüllt werden, wenn Bürgerinnen und Bürger eine stabile soziale Basis und gleichberechtigte Bildungsbeteiligung für alle gleichermaßen erfahren.

Lassen sie mich einen weiteren Punkt ansprechen: Wer dominiert die öffentlichen Debatten mit welchen Themen? Solange jemand wie Thilo Sarrazin in allen Medien die Deutungshoheit über das Thema Integration hat, müssen wir uns nicht wundern, wenn Fremdenfeindlichkeit und Chauvinismus in der Mitte der Gesellschaft Fuß fassen. Er ist jemand aus dieser Mitte, er kommt aus dem so genannten Bildungsbürgertum, er steht mit seiner Biografie auch für das politische Establishment.
Hier braucht es klare Signale der Distanzierung.

Mitunter hat man den Eindruck, „political correctness“ wird zum Schimpfwort nach dem Motto: „Man wird ja wohl noch sagen dürfen…!“ Hier haben wir eine gemeinsame Verantwortung. Demokratie und Toleranz finden dort ihre Grenzen, wo Intoleranz, Ausgrenzung und Menschenverachtung gepredigt werden.

2006 sank die Wahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt auf dramatische 44 Prozent. Und wir alle sind unsicher, ob es uns 2011 gelingt, den langjährigen Trend endlich umzukehren.

Neben den Fragen, ob sich Bürgerinnen und Bürger von Politik noch ausreichend vertreten und noch zu unserer Gesellschaft zugehörig oder längst – wie es Bauman nennt – als die „Ausgegrenzten der Moderne“ fühlen, spielt ein weiterer Aspekt eine m.E. entscheidende und gleichfalls politisch strittige Rolle: Welchen Einfluss hat Politik, haben demzufolge demokratisch legitimierte Strukturen noch auf gesellschaftliche Entscheidungen? Gerade die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hat diesen Punkt wieder ganz nach oben auf die politische Agenda gesetzt.

Die Mehrheitsmeinung der Politik der vergangenen Jahre lässt sich auf den kurzen Nenner bringen: weniger Staat, mehr Markt.
Was die Konsequenz der absoluten Marktgläubigkeit war, mussten wir in der internationalen Finanzkrise bitter erfahren: Die Politik gab wenigen Unternehmen und Spekulanten Instrumente in die Hand, die diese dann auch reichlich nutzten, mit dem Ergebnis, dass nun ganze Staaten vor dem Bankrott standen und stehen und die Allgemeinheit, der Steuerzahler dafür geradestehen muss.

Wir sollten nicht unterschätzen, dass Bürgerinnen und Bürger dies sehr genau beobachten und uns als Politik nicht unberechtigt fragen: Was habt ihr denn noch zu entscheiden? Wer der Politik und damit den demokratisch legitimierten Gremien de facto die Entscheidungskompetenz über grundsätzliche gesellschaftliche Entwicklungen nimmt, muss sich nicht wundern, dass das Zutrauen der Bürgerinnen und Bürger in diese Politik schwindet.

Was wir brauchen, ist eine Wiedergewinnung des Öffentlichen, eine Stärkung demokratischer Einflussmöglichkeiten. Wir müssen die Dinge wieder dorthin holen, wo sie hingehören: in den gesellschaftlichen Diskurs und in die gewählten Gremien.