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Matthias Höhn zu TOP 12: Gemeinsame Leitlinien der Länder zur Deckung des Lehrkräftebedarfs - Vereinbarung der 326. Plenartagung der Kultusministerkonferenz am 18. Juni 2009 in Berlin

Das Thema Lehrkräftebedarf beschäftigt dieses Haus in der Tat nicht zum ersten Mal. Allerdings haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Kultusminister der Länder sich am 18. Juni 2009 zu diesem Thema verständigt und auch Vereinbarungen getroffen haben. Zudem stehen wir unmittelbar vor wichtigen Haushaltsberatungen. Deswegen haben wir uns entschieden, dieses Thema heute noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen.

Ich will mit dem beginnen, was hinsichtlich des Lehrkräftebedarfs in diesem Hohen Hause Konsens zwischen den Fraktionen ist. Das möchte ich zitieren: „Sachsen-Anhalt wird aller Voraussicht nach spätestens ab 2012 erhebliche Schwierigkeiten bekommen, die erforderliche Zahl an Lehrern einzustellen. Nach Einschätzung des Präsidenten des Landesinstitutes für Lehrerfortbildung, Lehrerweiterbildung und Unterrichtsforschung von Sachsen-Anhalt werden bundesweit jährlich ca. 26 000 Lehrerstellen zu besetzen sein. Allein in Sachsen-Anhalt sind dies ab 2012 jährlich 800 Stellen. Dem steht bundesweit eine Zahl von lediglich 21 000 Lehramtsabsolventen gegenüber. Es ist daher zu erwarten, dass auf das Land Sachsen-Anhalt in diesem Bereich ein erhöhter Konkurrenzdruck zukommen wird. Will man dieser Konkurrenzsituation gewachsen sein, müssen gerade für qualifizierte Absolventen dringend Anreize geboten werden, nach dem Studien und dem Referendariat in Sachsen-Anhalt zu bleiben.“

Das ist die gemeinsame Empfehlung aller Fraktionen im zweiten Zwischenbericht der Enquetekommission, den der Landtag am 8. April 2009 zur Kenntnis genommen hat. Dort heißt es weiter: „Der sich abzeichnende gravierende Lehrermangel in Sachsen-Anhalt kann nur abgemildert werden, wenn eine bedarfsgerechte Anpassung des Einstellungskorridors erfolgt und im Vorfeld die Kapazität der staatlichen Seminare deutlich aufgestockt wird.“

Das ist der Konsens in diesem Haus. Es stellt sich jedoch die Frage, wie die Realität der handelnden Politik aussieht. Vorsorgende Personalpolitik - darum geht es in der Enquetekommission - ist eine, wenn nicht sogar die   zentrale Herausforderung für Sachsen-Anhalt für die nächsten Jahre. Allerdings müssen wir auch konstatieren, dass die Entscheidungen der Landesregierung und auch die haushalterischen Festlegungen, die wir als Landtag in den letzten Jahren dazu getroffen haben, diese Problematik nur in einer völlig unzureichenden Art und Weise abbilden.

Was wir erleben, ist, dass man angesichts der Herausforderungen im Wesentlichen den Kopf in den Sand steckt und die Probleme in die Zukunft verlagert, eine Zukunft, von der nun alle behaupten, dass der Handlungsspielraum noch deutlich kleiner sein wird, als er es im Moment ist. Aus meiner Sicht sieht Generationengerechtigkeit anders aus.

Lassen Sie uns einen Blick in andere Bundesländer werfen, um zu sehen, wie dort mit dem beschriebenen Problem umgegangen wird, nehmen wir Nordrhein-Westfalen. Nach meinem Kenntnisstand wird das Land von einer schwarz-gelben Koalition regiert. DIE LINKE wird dort erst ab dem nächsten Jahr im Landtag vertreten sein.
Über Nordrhein-Westfalen habe ich Folgendes gefunden: Nachdem bereits zum 1. Februar 2009 2.889 Lehrkräfte eingestellt wurden, kommen mit Stand von letzter Woche - diese Meldung ist vom 20. August 2009, also relativ neu - noch einmal 4.711 neue Lehrerinnen und Lehrer hinzu, die ihren Dienst zum Start des Schuljahres aufnehmen. Insgesamt sind somit in diesem Jahr bereits rund 7.600 neue Lehrerinnen und Lehrer in den Schuldienst eingestellt worden. Die Ausschreibungsverfahren laufen noch. Es ist damit zu rechnen, dass ein Teil dieser Stellen nicht sofort und dem Fachbedarf entsprechend besetzt werden kann. Insgesamt ist für das kommende Halbjahr landesweit mit rund 800 unbesetzten Lehrerstellen zu rechnen.

Das ist die Situation, der wir uns bundesweit zu stellen haben. Dieser Konkurrenzkampf hat längs begonnen und Sachsen-Anhalt ist darauf nicht vorbereitet.

Der Maßnahmenkatalog, der dort vereinbart worden ist, geht weit darüber hinaus: Ausweitung der Anzahl der Plätze im Vorbereitungsdienst um 2.500, die Möglichkeit der vorzeitigen verbindlichen Einstellungszusage, auch Frühbuchersystem genannt, die Einführung von zwei Einstellungsterminen in den Vorbereitungsdienst, die Erweiterung der Möglichkeiten zur Einstellung von Seiteneinsteigern, die Einstellung von Universitätsabsolventen mit nur einem Fach, die Einrichtung von Zertifikationskursen, um bereits ausgebildete Lehrkräfte für ein Mangelfach zu qualifizieren, die Einführung des Sprintstudiums für Mangelfächer, die Einstellung von Muttersprachlern sowie die Einstellung von Theologen mit entsprechender Qualifizierung als Religions- und Lateinlehrer.

Ich führe das nicht aus, weil ich jede einzelne dieser Maßnahmen aus meiner Sicht als fachpolitisch gegeben betrachte, sondern um deutlich zu machen, wie aktiv sich einige Länder verhalten sich und wie inaktiv sich Sachsen-Anhalt im Gegensatz dazu verhält.

Nun haben sich die Kultusminister am 18. Juni 2009 auf ihrer 326. Plenartagung auf gemeinsame Leitlinien zur Deckung des Lehrkräftebedarfs verständigt. Darin wurde eine gemeinsame Strategie zur Bereitstellung der erforderlichen Studienplätze sowie der notwendigen Kapazitäten im Vorbereitungsdienst vereinbart. Ich will auf einige der Punkte, die dort erwähnt sind, eingehen.  

Zunächst zu dem Punkt der Modellrechnung für den Zeitraum von 2010 bis 2020, die nun erarbeitet werden soll. Das ist etwas, das wir aus Sachsen-Anhalt leider kennen und das symptomatisch für das Problem ist, wie mit der Frage des Lehrkräftebedarfs umgegangen wird. Wer sich im Jahr 2009 vornimmt, den Bedarf ab dem Jahr 2010 zu berechnen, der kommt ein ganzes Stück zu spät. 

Vorausschauende Personalpolitik erfordert, dass man sich langfristig darauf vorbereitet. Wir wissen, wie die Kapazitäten in Sachsen-Anhalt aussehen. Wir wissen, welch großen Zeitraum die Ausbildungszeit von Lehrerinnen und Lehrern einnimmt. Das Kultusministerium hat nach meiner Erinnerung schon vor einigen Monaten im Ausschuss angekündigt, zum Sommer eine Bedarfsplanung für das Land Sachsen-Anhalt vorzulegen.

Der Sommer ist bald um, und ich hoffe, dass wir diese Zahlen zur Aufstellung des Haushaltsplans zur Verfügung haben.

Der zweite Punkt, den ich ansprechen will, bezieht sich auf die Hochschulkapazitäten. In der Vereinbarung vom 18. Juni 2009 heißt es wie folgt: „Die Länder streben Vereinbarungen mit Hochschulen an, um die zur Deckung des prognostizierten Bedarfs erforderlichen Kapazitäten für Lehramtsstudiengänge zu sichern.“

Schauen wir uns einmal an, wie sich die Situation in Sachsen-Anhalt darstellt: Nach den Zielvereinbarungen hat die MLU bei den Lehramtsstudienanfängern eine Kapazität von 550 Plätzen. Die Zahl der Absolventen belief sich in den letzten Jahren auf je etwa 350. 

Wenn ich den von mir zitierten Konsens des Hauses zugrunde lege, nach dem wir ab dem Jahr 2012 einen Ersatzbedarf für 80 Lehrerinnen und Lehrer haben, dann würde dies bedeuten, dass wir über eine erhebliche Kapazitätserweiterung der MLU reden müssten, sofern es das Ziel Sachsen-Anhalts ist, sich nicht auf andere Bundesländer zu verlassen, sondern selber Vorsorge zu treffen. Das, was in den anderen Ländern im Moment passiert, deutet darauf hin, dass wir uns selber bewegen müssen.

In diesem Zusammenhang will ich die Perspektive nach vorn richten, auf die Frage der Hochschulbudgets. Wir haben in dieser Woche zur Kenntnis genommen, worauf sich die Landesregierung verständigt hat. Wir haben auch zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Hochschulen de facto vor Kürzungen stehen, weil sie die ansteigenden Personalkosten nicht vollständig erstattet bekommen. Das heißt, wir stehen noch einmal vor einer finanzpolitischen Herausforderung an den Hochschulen, aber gleichzeitig vereinbaren die Kultusminister, dass an den Hochschulen die Kapazitäten geschaffen werden sollen, um den Bedarf zu decken. Das stellt zumindest für Sachsen-Anhalt einen Widerspruch dar. Vielleicht kann uns der Kultusminister dazu Aufklärung verschaffen.

Nun komme ich zum Thema Vorbereitungsdienst. DIE LINKE hat bereits bei der Beratung zum Haushaltsplan 2008/2009 Aufwüchse für die zweite Phase der Lehrerausbildung beantragt, und zwar in einem moderaten Maß, 50 Plätze pro Jahrgang. Dieser Antrag ist damals leider abgelehnt worden. Die Folge ist, dass wir auch in den zurückliegenden zwei Jahren trotz eines perspektivischen Bedarfs wieder junge Leute an andere Bundesländer verloren haben. Das kann sich dieses Land perspektivisch und auch jetzt schon nicht mehr leisten.

Nun haben wir, zumindest was die Ankündigung betrifft, eine veränderte Situation in Bezug auf die Aufwüchse bei den Referendariatsstellen, die ich zunächst mit Wohlwollen zur Kenntnis nehme. Allerdings will ich auf zwei Dinge hinweisen. Die Ansage heißt: Jedem Absolventen wird ein Referendariatsplatz zur Verfügung gestellt. Das bewegt sich in einer Größenordnung von 310 Plätzen pro Jahrgang. Dabei stellt sich zuerst die Frage, wie es mit der Warteliste aussieht. Wir haben nach meinem Kenntnisstand im Jahr 2008 in Sachsen-Anhalt 145 Wartefälle gehabt.  Wie stellt sich diese Zahl in diesem Jahr dar? Gibt es in Sachsen-Anhalt endlich auch eine Perspektive für die jungen Leute, die auf der Warteliste stehen? Wenn Sie diesen jungen Leuten eine Perspektive geben wollen, was ich sehr begrüßen würde, und gleichzeitig allen Absolventen der Lehramtsausbildung einen Referendariatsplatz zur Verfügung stellen wollen, dann werden diese 310 Plätze nicht ausreichen.

Eine weitere Frage: Was bedeutet diese Zusage für die Absolventen der ersten Phase für die Ausbildung in der zweiten Phase? Was bedeutet diese Zusage für den Einstellungskorridor? Haben diese jungen Lehrerinnen und Lehrer, die wir in dieser Größenordnung in der zweiten Phase ausbilden, auch die Perspektive, in Sachsen-Anhalt dauerhaft beschäftigt zu werden? Der Einstellungskorridor des Landes für den allgemein bildenden Bereich gibt das im Moment nicht her. Es wäre dringend notwendig, diese Perspektive zu eröffnen.

Darüber hinaus sind in der KMK-Vereinbarung vom Juni 2009 Kooperationen mit anderen Bundesländern angesprochen. Es wäre nötig, dass der Landtag vom Ministerium erfährt, welche Kooperationen dabei avisiert werden, ob Sachsen-Anhalt solche Kooperationen überhaupt erwägt und wenn ja, in welcher Form.  

Letztlich will ich zwei Dinge ansprechen, die darüber hinaus Erwähnung in der Vereinbarung der KMK finden. Zunächst stellt sich die Frage nach den Quer- und Seiteneinsteigern. Hierzu würde mich die Position der Landesregierung interessieren, vor allem in Bezug auf die Frage, wie über diesen Weg, über den man durchaus diskutieren kann, die pädagogischen Standards, die für eine qualitativ hochwertige Bildung an den Schulen notwendig sind, gesichert werden können. 

Diese Frage interessiert vor allen Dingen auch unter der Perspektive, ob es bei einem allgemeinen Fachkräftebedarf in den nächsten Jahren, vor allen Dingen bei den Akademikerinnen und Akademikern, überhaupt realistisch ist, davon auszugehen, dass es gelingen kann, in einer solchen allgemeinen Mangelsituation Seiteneinsteiger für den Schuldienst zu gewinnen. In dieser Hinsicht steht das Land in unmittelbarer Konkurrenz zu der freien Wirtschaft. Wir sollten sehr ausführlich darüber reden, ob das ein Weg sein kann, und wenn ja, in welcher Form.

Das Zweite, das ich nicht unerwähnt lassen will, ist die Erhöhung des Anteils von Lehrerinnen und Lehrern mit Migrationshintergrund sowie ein ausgewogenes Zahlenverhältnis von Männern und Frauen vor allem im Primarbereich. Auch dazu sind wir an der Position der Landesregierung sehr interessiert.

Sie behaupten gerne, Sie würden finanzpolitische Vorsorge für die nächste Generation treffen. Ganz abgesehen davon, dass aus meiner Sicht Ihre Finanz- und Haushaltspolitik zutiefst widersprüchlich ist - ich sage nur: Schuldenverbot in Zeiten höchster Neuverschuldung -, diese Politik mag alles andere sein, vorsorgend ist sie nicht.