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Kerstin Eisenreich zu TOP 6 – Aktuelle Debatte: Preisgünstiges ÖPNV-Ticket

Sehr geehrte Damen und Herren,

rund 52 Millionen verkaufte 9-Euro-Tickets dazu etwa 10 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten, die automatisch in den Genuss des vergünstigten Tickets gekommen sind. Das sind die Zahlen, die der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) kurz vor dem Auslaufen des Tickets aus den Ergebnissen einer bundesweiten Marktforschung veröffentlichte. Das 9-Euro-Ticket war ein durchschlagender Erfolg, auch wenn die Laufzeit von Juni bis August überwiegend in die Urlaubszeit fiel und damit der Ansatz, den Menschen im Alltag einen Anreiz zum Umstieg auf den ÖPNV zu geben, nur teilweise zum Tragen kam.

So sind nach Angaben des VDV allein im August etwa 17 Prozent der Ticketnutzer*innen von anderen Verkehrsmitteln auf den ÖPNV umgestiegen. Und tatsächlich haben Menschen dank des 9-Euro-Tickets wieder überhaupt Mobilitätsangebote nutzen können, weil für sie mit diesem Preis ein Ticket bezahlbar wurde. Für sie war das Angebot überhaupt eine Chance, wieder am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Außerdem haben viele Menschen das Ticket als preisgünstige Alternative zum inzwischen sehr teuer gewordenen Individualverkehr genutzt. Sie haben ihr Auto stehenlassen. Das waren immerhin 43 Prozent.

Insgesamt nutzten 52 Prozent das Ticket für alltägliche Fahrten, 40 Prozent gingen auf Besuchsfahrten und immerhin 37 Prozent nutzten es für den Weg zur Arbeitsstätte. Durch die Ferienzeit nutzten 33 bzw. 32 Prozent das Ticket auch für Ausflüge und Städtetrips, so die Zahlen des VDV.

Darüber hinaus war die einfache und verständliche Nutzung ein wichtiges Argument für den Erwerb. Statt zahlloser Verkehrsverbünde mit einem Tarifdschungel, von denen jeder einzelne viele Nutzer*innen zum Verzweifeln bringt, gab es ein Ticket bundesweit im Nahverkehr. So wurde belegt, dass natürlich der Preis von Tickets aber auch die einfache Handhabung entscheidende Gründe für die Nutzung des ÖPNV sind. Damit sorgte das 9-Euro-Ticket für echte Entlastung und leistet zugleich einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz. Anhand der Daten wurden durchschnittlich rund 600.000 Tonnen CO2-Äquivalent pro Monat eingespart, als insgesamt 1,8 Mio. Tonnen CO2. Das entspricht im Übrigen einer CO2-Einsparung eines gesamten Jahres mit Tempolimit.

Doch bei allem Erfolg darf nicht unerwähnt bleiben, dass gerade im ländlichen Raum viele Menschen nicht oder nur sehr eingeschränkt vom 9-Euro-Ticket profitieren konnten. Sie stellten sich die berechtigte Frage: 9-Euro-Ticket – toll, aber wo bleibt mein Bus? Deshalb muss dringend das Mobilitätsangebot flächendeckend und für alle zugänglich und attraktiv ausgebaut werden. Hier besteht nach Jahren des Ausdünnens und auch Rückbaus des ÖPNV der größte Nachholbedarf. Und neben der erforderlichen Infrastruktur muss auch in das erforderliche Personal investiert werden. Ansonsten wird es nichts mit dem im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition formulierten Vorhaben der Verdoppelung der Fahrgastzahlen im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie.

Hinzu kommt, dass die Ampelkoalition die versprochene Erhöhung der Regionalisierungsmittel für 2022 zur nachhaltigen strukturellen Verbesserung des ÖPNV auf 2023 verschoben hat. Das hat auch die Verkehrsministerkonferenz im Mai kritisiert. Nur geändert hat sich bisher nichts.

Und nun ist am 31. August trotz zahlloser Forderungen nach einer Anschlusslösung das preisgünstige Mobilitätsangebot ersatzlos ausgelaufen. DIE LINKE hat im Bundestag gefordert, das 9-Euro-Ticket bis zum Jahresende weiterlaufen zu lassen. Dies würde eine echte Entlastung bedeuten. Ab dem 1. Januar 2023 soll eine bundesweite Anschlussregelung geschaffen werden. Da schlagen wir das 1-Euro-Ticket pro Tag bzw. 365-Euro-Ticket pro Jahr vor. Darüber hinaus soll es entsprechende günstige Tages- und Wochenkarten geben und insbesondere Menschen ohne bzw. mit geringem Einkommen, z.B. Schüler*innen, Azubis, Grundsicherungs- und Hartz-IV-Empfänger*innen, sollen zum Nulltarif fahren.

Doch statt einer schnellen Anschlusslösung windet sich die Ampelkoalition, schiebt die Verantwortung auf die Bundesländer, obwohl diese bereits seit Jahren Mehrbedarfe haben, die nicht vom Bund ausgeglichen werden. Und von Einigkeit über die Gestaltung eines künftigen Tickets keine Spur. Deutlich wird jedoch mit den Vorschlägen zwischen 49 Euro und 69 Euro eine spürbare Verteuerung. Rechnen Sie doch einfach mal nach: eine Familie mit 2 Kindern konnte in den Sommermonaten für 36 Euro im Monat bundesweit den ÖPNV nutzen. Nehmen wir einmal 49 Euro an, dann sind das für die Familie 196 Euro. Das werden sich viele Menschen angesichts der aktuellen Preissteigerungen kaum leisten können.

Dazu kommt, dass in verschiedenen Verkehrsverbünden die aktuellen Preise unterhalb der vagen preislichen Vorstellungen der Ampelkoalition liegen. Sollte also ein Ticket ab 49 Euro kommen, wäre das eine weitere Verschlechterung. Wen soll das denn bitte in den ÖPNV locken?

Da liegt noch sehr viel im Argen. Deshalb hat sich meine Fraktion durchaus verwundert die Augen gerieben, als wir die von Ihnen, liebe Faktion Bündnis90/Grüne, beantragte Aktuelle Debatte gesehen haben. So richtig der Befund in der Überschrift ist, dass ein preisgünstiges bundesweites ÖPNV-Ticket Freiheitsgarant, Klimaschutzmaßnahme und Sicherung sozialer Teilhabe ist, mit dem im 3. Entlastungspaket enthaltenen Stückwerk sehe ich da keinen Grund, sich für irgendetwas zu feiern.