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Kerstin Eisenreich zu TOP 4: Aktuelle Debatte: Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier

Sehr geehrte Damen und Herren,

unbestritten ist, dass der Strukturwandel in den Braunkohleregionen, so auch im Mitteldeutschen Revier und damit auch in Sachsen-Anhalt eine enorme Herausforderung ist. Das Ziel des Ausstiegs aus der Kohleverstromung bis 2038 wurde und wird gesellschaftlich verhandelt. Damit geht aber richtigerweise einher, dass dieser Prozess entsprechend finanziert wird. Und da sind die etwa 5,1 Mrd. Euro von Bund und EU schon eine ordentliche Summe. Und gerade deshalb ist der sorgfältige und sinnvolle Umgang damit entscheidend. Die vom Ausstieg betroffenen Menschen und Regionen erwarten zu Recht nachhaltige Alternativen für Beschäftigung, das soziale Umfeld, für Umwelt und Wirtschaft.

Der vorläufige Antragsstopp schafft aber vor allem eins bei den betroffenen Kommunen und vor allem den Menschen vor Ort - Unsicherheit. Vieles bleibt besonders auch für die Öffentlichkeit unklar. Und das läuft seit Beginn dieses Prozesses so. Der Anlauf war ruckelig: Die Förderrichtlinie wurde erst sehr spät erlassen, das Strukturentwicklungsprogramm kam entsprechend noch später und die Entscheidungsstrukturen sind weiterhin wenig transparent.

Und einmal mehr zeigt die Nachricht über den vorläufigen Antragsstopp vom Ende des vergangenen Jahres, dass wir als Parlament nicht einbezogen werden. Wir haben aus der Presse davon erfahren. Wie kann es eigentlich sein, dass wir als Haushaltsgesetzgeber HIER uns jede Information erkämpfen müssen. Wenn insgesamt 1,6 Mrd. Euro Fördergeld auf Eis liegen und noch nicht klar ist, wie lange das noch so bleibt.

Doch letztendlich müssen wir uns da als Abgeordnete auch an die eigene Nase fassen. Im Juli 2020 hat die damalige Linksfraktion hier den Antrag gestellt, einen zeitweiligen Ausschuss zur Begleitung, Kontrolle und länderübergreifende Koordination des Strukturwandels einzusetzen.

Das hat der Landtag hier abgelehnt, während in Sachsen und Brandenburg derartige Ausschüsse eingerichtet wurden und die Abgeordneten die Strukturwandelprozesse aktiv begleiten. Und da frage ich Sie, wie wichtig ist Ihnen, liebe Abgeordnete der Koalition dieser Transformationsprozess eigentlich, von dem vier Landkreise und die kreisfreie Stadt Halle betroffen sind. Wir wissen, dass die gesamte Wirtschaft in einen Transformationsprozess geht, der im Übrigen nicht so finanziell abgesichert ist. Doch die Abgeordneten lehnen sich zurück und überlassen Tun oder Nichttun lieber allein der Landesregierung.

Nun haben sich letztes Jahr die betroffenen Regionen im Land auf eine Budgetierung der Mittel geeinigt. Eine, wie wir finden, richtige Entscheidung, da wir das zuvor drohende Windhundrennen zwischen den Landkreisen immer kritisiert haben. Die nun allerdings noch fehlende Unterschrift des Saalekreises wurde nunmehr als ein Grund für diesen Antragsstopp angeführt.

Doch das Land hat die Pflicht, die Förderrichtlinien zu überarbeiten, insbesondere zu den EU-Geldern aus dem JTF. Dies ergab auch die Antwort auf meine kleine Anfrage zu den Förderanträgen im Bereich Forschung des MerInnoCampus und des Bioeconomy Hubs in Merseburg. Mal ganz abgesehen von diesen beiden konkreten Förderanträgen wird es aus unserer Sicht höchste Zeit für die Förderrichtlinie. Denn die Förderperiode endet bereits 2027.

Und da sind wir noch bei einem weiteren Dilemma: Sowohl die Regionen als auch die konkreten Akteure, die von den europäischen Fördergeldern profitieren, unterscheiden sich von den Strukturwandelmitteln des Bundes. Ganz Sachsen-Anhalt gehört zur Gebietskulisse und auch Unternehmen und Forschungseinrichtungen u.a. können mit den EU-Mitteln gefördert werden. Nun hat sich aber die Bundesregierung entschieden, 85 Prozent dieser EU-Fördermittel, das sind 2 Milliarden Euro, auf die Strukturwandelmittel anzurechnen und damit bei den eigenen 40 Milliarden einzusparen. Da dies in Sachsen-Anhalt in den sogenannten Landesarm einfließt, kommt letztendlich nicht das gesamte Geld im Land an.

Dieses Hin und Her verunsichert nicht nur, es führt zu Verzögerungen, sodass dann aus unserer Sicht an der falschen Stelle zeitlicher Druck entsteht und da sehe ich vor allem Abwägungsprozesse und Bürger*innenbeteiligung, die auf der Strecke bleiben könnten. Außerdem werden die seit geraumer Zeit gestiegenen Baupreise dafür sorgen, dass weniger Projekte gefördert werden. Insofern ist die Festschreibung von Budgets für die Landkreise und kreisfreie Stadt Halle schon ein wichtiger Schritt, aber der Rotstift droht bei geplanten Projekten.

Und es gibt ja gute Ansätze, die nicht immer nur auf Großansiedlungen aus sind. Ich denke da zum Beispiel an den kürzlich gestarteten Ideenwettberwerb für Zukunft, Land und Leute, den sogenannten Revierpionier. Denn es geht auch um ein lebenswertes Umfeld, um Menschen, vor allem junge Familien in der Region zu halten. Wir müssen auch als Landtag alles dafür tun, dass der Strukturwandel erfolgreich und nachhaltig gestaltet wird. Wir können es uns als Sachsen-Anhalt nicht leisten, die Menschen in einer schon durch die Strukturbrüche der Vergangenheit gebeutelten Region im Regen stehen und vor allem junge Menschen mangels persönlicher und beruflicher Perspektiven gehen zu lassen. Mit den Folgen von Abwanderung in fast dreißig Jahren kämpft das Land bis heute.

Liebe Landesregierung, machen Sie also Ihre Hausaufgaben. Bringen Sie endlich die Förderrichtlinie. Setzen Sie auch personalpolitisch Prioritäten und statten Sie die Stabstelle ausreichend aus, damit diese ihre Arbeit anständig machen kann.

Sowohl wir hier im Parlament als auch die Landesregierung tun gut daran, den weiteren Weg des Strukturwandelprozesses engagiert, ehrlich, transparent und kontinuierlich aufzuzeigen und zu begleiten, weitere Verunsicherungen für die Menschen, Kommunen und Wirtschaft zu vermeiden. Ansonsten geht weiteres Vertrauen in die Politik verloren. Das können wir uns auf keinen Fall leisten!