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Henriette Quade zu TOP 2: Moderne Fehlerkultur in der Polizei ermöglichen

Sehr geehrte Damen und Herren,

diese Landtagssitzung beginnt in der Antragsberatung, wie die letzte Landtagssitzung geendet hat: Erneut müssen wir uns mit extrem rechten, neonazistischen und in diesem Fall auch frauenfeindlichen und gewaltverherrlichenden Nachrichten in Chats von Polizeikräften – genauer Anwärter*innen – des Landes Sachsen-Anhalt auseinandersetzen. Erneut wurden diese Chats nicht bekannt, weil Polizeikräfte ihre Vorgesetzten informiert haben. Sie haben mitgemacht oder geschwiegen. Es ist ein weiterer Beleg dafür, dass wir es mit einem strukturellen Problem zu tun haben und nicht mit Einzelfällen. Es ist ein weiterer Beleg dafür, dass Korpsgeist auch hier stärker war als die Verpflichtung der Beteiligten auf die Verfassung. Es ist ein weiterer Beleg dafür, dass wir uns als Mitglieder des Landtags damit auseinandersetzen müssen, was in der Polizei des Landes los ist. ––

Ich möchte zunächst festhalten, dass die Reaktion der Ministerin richtig war und richtig bleibt. Wir können als Parlament jedoch nicht dabei stehen bleiben, immer wieder erneut entsetzt zu sein und der Ministerin dafür zu danken, dass sie die unausweichlichen Schritte unternommen hat. Das Parlament hat nicht die Aufgabe der freundlichen Kommentierung des Handelns der Landesregierung, sondern es hat eine eigene Zuständigkeit und Verantwortung. Ich zitiere – mit ihrer Erlaubnis – aus der Pressemitteilung des SPD-Kollegen Rüdiger Erben: „Wenn sich ein ganzer Klassenverband derartig im Netz bewegt, dann muss das auch in der Realität bemerkt worden sein. Bei einem solchen ungesunden Korpsgeist von zukünftigen Polizistinnen und Polizisten hat auch die Obhutspflicht von Vorgesetzten versagt.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Kollege hat recht. Extrem rechte, neonazistische, frauenfeindliche und gewaltverherrlichende Einstellungen zeigen sich nicht nur in einem Chat. Wer solche Inhalte mit Kolleginnen und Kollegen teilt, der äußert sich auch so – schlimmer noch – handelt auch möglicherweise so. Deswegen müssen wir auch das dienstliche Verhalten der betreffenden Anwärterinnen und Anwärter in den Blick nehmen, genauso wie die Frage, warum Vorgesetzte hier versagt haben. Nach allem, was wir bisher aus Sachsen-Anhalt aber auch aus anderen Bundesländern wissen – durch Ermittlungen und Enthüllungen, durch Presseberichte und Lagebilder wie jenes zu Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden – muss uns auch zu der Frage führen, was wir noch nicht wissen. Was wir noch nicht sehen. Was noch nicht bekannt ist. Wir müssen die Frage in den Blick nehmen, was den Staatsdienst attraktiv macht für Personen mit extrem rechten, demokratiefeindlichen, antisemitischen, rassistischen und frauenfeindlichen Einstellungen und wie wir den Zugang dieser Personen zum Staatsdienst und insbesondere zur Polizei verhindern können. Wir müssen die Kontrolle der Polizei effektiver gestalten und dazu braucht es auch einen unabhängigen Beauftragten oder eine unabhängige Beauftragte samt Beschwerdestelle. Die aktuellen Fälle zeigen auch, dass wir Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber ermutigen und schützen müssen. Hätte nur eine Person aus den nun in Rede stehenden Chats ihr Schweigen gebrochen und die richtige Stelle erreicht, hätte das skandalöse Verhalten der Anwärterinnen und Anwärter schon vor Jahren beendet werden können. Nur noch bizarr muten insofern die Ausführungen von Herrn Schulenburg in der vergangenen Sitzung an. Absichtsvoll den Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern auf infantile Art dadurch lächerlich zu machen, dass man diese whistleblower als „Flötenbläser“ übersetzt, zeigt nicht nur einen Mangel an Englischkenntnissen, sondern vor allem einen Mangel an Ernsthaftigkeit in der parlamentarischen Debatte. Herr Schulenburg, es ist ermüdend, das überhaupt fordern zu müssen, aber offensichtlich notwendig: Nehmen Sie den Zustand der Polizei des Landes Sachsen-Anhalt und die zu Tage getretenen strukturellen Probleme endlich ernst!

Zur Verantwortung dieses Parlaments zählt auch, die Kontrolle der Regierung und Verwaltung seriös zu betreiben, diese Aufgabe weist die Verfassung dem Parlament zu, dafür sind wir als Abgeordnete gewählt. Meine Fraktion steht daher dem Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu prüfen offen und gegenüber allen demokratischen Fraktionen gesprächsbereit zur Verfügung. Wir teilen das Anliegen und die meisten Punkte des hier vorliegenden Antrags. Lassen Sie mich aber auch in aller Klarheit sagen: Neonazistische Inhalte über Jahre unter Polizeianwärtern zu teilen ist kein Fehler – ein Fehler ist es, eine Einsatzsituation nicht richtig zu bewerten oder ein Verhör mit den falschen Fragen zu führen. Neonazistische, extrem rechte und verfassungsfeindliche Inhalte in der Polizei sind eine Kampfansage an den demokratisch verfassten Rechtsstaat. Als Parlament müssen wir hier Verantwortung übernehmen, statt sie nur der Landesregierung zuzuweisen. Denn die Menschen in Sachsen-Anhalt müssen sich darauf verlassen können, dass sie bei der Polizei nicht auf Rechtsextreme treffen. Ich danke Ihnen.