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Harry Czeke zu TOP 01: Regierungserklärung des Staatsministers Herrn Rainer Robra zum Thema: „Europas Regionen stärken - Landesinteressen vertreten - Europawahl aktiv vorbereiten“

Es ist Zeit, Europa ein Stück nach links zu rücken. Der Satz stammt nicht von mir, obwohl es wahrscheinlich erwartet worden ist, sondern es stammt von Martin Schulz, einem Kenner der Szene. Martin Schulz ist Chef der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament.
Er sagte dies am 13. Februar 2009 nicht im „Neuen Deutschland“, sondern in der „Welt“. Beachtlich ist auch seine Einschätzung zu Frankreichs Staatspräsident Sarkozy. Er sagte in diesem Beitrag auch, für die Generation unserer Eltern und Großeltern bedeutet Europa Frieden, Stabilität und soziale Sicherheit. Heute hingegen schauen viele Menschen, wenn sie an Europa denken, nur noch auf die Nutzwerte.

Damit sind wir eigentlich schon beim Thema. Es muss doch legitim sein, wenn gerade jüngere Menschen nicht nur auf den Nutzeffekt, sondern auch auf den Nutzwert schauen. Wenn sich die EU den Menschen nämlich immer marktgeprägter darstellt, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Menschen sich eben an diesen Nutzwerten orientieren und danach suchen. Gerade junge Menschen empfinden zum Beispiel in der Möglichkeit, das Land, in dem sie studieren und hoffentlich auch eine Familie gründen wollen, auswählen zu können, einen deutlichen Vorteil.

In der Wahrnahme Europas durch die Menschen stellen wir sehr viele Unterschiede fest. Es hängt von der Sozialisierung, vom Lebensalter oder auch den Lebensumständen jedes Einzelnen ab. Bei der Sicht auf die Dinge wird es sehr wahrscheinlich auch Differenzen zwischen den Reden von Herrn Robra, den Kollegen der Fraktionen und mir geben. Das mag nicht verwundern. Auf Martin Schulz komme ich eventuell nachher noch einmal zurück.

Minister Robra ist von A wie Alltag bis Z wie Zertifikate wirklich auf ein breites Spektrum eingegangen. Er erwähnte sogar die Glühbirne. Das ist das, was die Menschen umtreibt, es tatsächlich zu verstehen, was in Europa passiert.

Wo stehen wir aber heute in Europa und welchen Beitrag hat die Landesregierung dazu geleistet? Was ist in den letzten Jahren von der Landesregierung europapolitisch gemacht worden Ihrer letzten Erklärung zur EU-Politik der Landesregierung im Mai 2004? Es ist fast fünf Jahre her, dass Europa in dieser Dimension eine Rolle spielte.

Das Ziel der Landesregierung war und ist es sicherlich auch, den Menschen mit dem Konzept für europapolitische Kommunikation die EU näher zu bringen, über Ziele und Inhalte des europäischen Integrationsprozesses zu informieren und europäische Abläufe und Entscheidungen anschaulich zu vermitteln. Gestern ereilte uns der erste Flyer zur Europawahl am 7. Juni 2009. Das Ziel ist aller Ehren wert und wird von der LINKEN ausdrücklich unterstützt. Es hapert aber unserer Meinung nach oft noch an der Umsetzung.

Was hat die Landesregierung nun tatsächlich unternommen, um Europa den Menschen näher zu bringen und positive Aspekte der EU hervorzuheben? Wir können feststellen ﷓ das ist in wissenschaftlichen Erhebungen auch schon getan worden ﷓, dass eher das Gegenteil bei den Menschen der Fall, wenn es auch nicht so gewollt ist, dass mit der Europapolitik auch in Sachsen-Anhalt dazu beigetragen wird, Europa den Menschen eigentlich zu entfremden und ihre Zweifel ﷓ ich will nicht von Misstrauen sprechen ﷓ gegenüber der EU zu verstärken.

Die EU ﷓ das ist positiv ﷓ hat in der neuen Förderperiode, beginnend im Jahr 2007, einen breiten Rahmen für die Förderung vorgegeben. Ich betone „ganz positiv“, auch wenn es bei den Vertretern des ländlichen Raumes kritisiert wird, gerade hinsichtlich des Baus von Schulen und Kitas im ländlichen Raum. Wir haben gestern darüber gesprochen, dass sich das mit den Anträgen und den Bewilligungen immer noch ein Stück hinzieht.

Durch den nationalen Rahmenplan und die Ausrichtung der operationellen Programme ist dies auch in Sachsen-Anhalt nach unsere Wahrnahme eingeengt.

Natürlich ist es richtig, dass Sachsen-Anhalt für sich eine eigene Strategie, die seinen Stärken und Schwächen gerecht wird, finden muss. Aber es kann keinem Menschen verständlich gemacht werden, warum gerade jetzt massiv Geld fast ausschließlich in große Unternehmen investiert wird, deren Erfolgsaussichten mehr oder weniger fraglich sind, es aber bei uns mit Schulbauprogramm noch nicht so funktioniert, wie gedacht.

Die Förderperiode hat 2007 begonnen, aber erst jetzt werden die ersten Schulbauinvestitionen genehmigt.

Ein anderes Beispiel, das wiederum Schulen betrifft: Die Landesregierung hat es sich groß auf die Fahnen geschrieben, die Schulabbrecherquote zu verringern, aber das dazugehörige Programm zur Förderung von Projekten zur Vermeidung von Schulversagen und zur Senkung des vorzeitigen Schulabbruchs lief erst Ende des letzten Monats an. Es sollte schon zu Beginn des letzten Schuljahres, also im Herbst letzten Jahres, losgehen.

Bedenkt man, welche Bedeutung die EU der Bildung zur Erreichung des Ziels, weltweit wettbewerbsfähigster wissensbasierter Wirtschaftsraum zu werden, beimisst, muss man sich schon fragen, ob die Landesregierung hierbei den Startschuss verpasst hat. So bringt man Europa den Menschen nicht näher.

Auch die Verwendung technischen Hilfe im Land für Werbekampagnen, beispielsweise die allseits beliebte Frühaufsteher-Kampagne oder die neue, von Ministerin Wernicke vorgestellte Ökomenta-Kampagne, bei der ganz salopp gesagt, die landwirtschaftlich genutzten Felder im Schachbrettmuster gemäht werden sollen, es um bunte Kühe geht oder wo ein selbstverliebter Professor mit freiem Oberkörper im Kuhstall posiert. Die zahlreichen Leserbriefe sprechen eine deutliche Sprache dahin gehend, dass die Bevölkerung das nicht so positiv wahrnimmt.

Mit solchen Aktionen versucht die Landesregierung, Europa den Menschen näher zu bringen, nur wenig sinnvoll. Da nutzt es auch nichts, wenn Frau Wernicke bei der Rechtfertigung der Kampagne ﷓ wahrscheinlich durch Zufall nur ﷓ herausrutscht, dass es sich ja „nur“ um EU-Mittel handelt. Vielleicht ist es nicht bewusst, aber EU-Mittel sind auch Steuergelder unserer Bürgerinnen und Bürger. Die Bürgerinnen und Bürger freut das bestimmt nicht, da es sich ja „bloß“ um ihre Steuergelder handelt.

Wir kritisieren nach wie vor die fehlende Legitimation der EU, was auch die Wahlbeteiligung angeht, Wahlmüdigkeit oder wie man auch immer will. Es fehlt aus unserer Sicht an Referenden über die Verträge der EU. Der Lissabon-Vertrag spricht eine wirklich beredte Sprache dazu. Jetzt muss ausgerechnet die tschechische Ratspräsidentschaft nach Irland fahren und die Iren zu überzeugen versuchen, dass sie nun doch endlich so abstimmen, wie Europa sich das wünscht.
Es ist legitim, wenn ein Land für sich ein Referendum festgeschrieben hat, es durchführt und es dann nicht so ausfällt, wie die Allgemeinheit es sich gewünscht hat. Wenn es dann nur einen positiven Diskussionsprozess in Gang setzt, ist das aus unserer Sicht sehr, sehr positiv, denn das bringt Europa den Menschen tatsächlich näher.

Der tschechische Präsident wartet voller Ungeduld auf den Urteilsspruch aus Karlsruhe. Erst dann will er sich entscheiden. Da beißt sich aus meiner Sicht die Katze in den Schwanz.

Zurück zur europapolitischen Kommunikationsstrategie der Landesregierung. Es ist aller Ehren wert, wenn sich die Landesregierung vor allem für Jugendliche engagiert, versucht, ihnen Europa näher zu bringen. „Europa-Woche“ ist da solch ein Thema. Es muss aber aus unserer Sicht kontinuierlich passieren, nicht nur einmal im Jahr in der „Europa-Woche“ oder kurz vor den Wahlen, wie wir es jetzt gerade wieder feststellen. Gestern ist uns erst seitens der Staatskanzlei in der Vorbesprechung zur nächsten Sitzung des Europaausschusses gesagt worden, dass die Anzahl der Schulen, die sich beteiligen wollen, doch wohl deutlich rückläufig ist. Das zeigt, dass es nicht so verstanden wird, wie es angelegt ist.
Problematisch ist bei der Konzentration auf Jugendliche aber auch, dass andere Bevölkerungsgruppen nicht mitgenommen werden, nämlich ab 30 plus.

Denn auch diese Menschen geht Europa etwas an. Es geht aber, wenn sie keine Informationen erhalten, an ihnen vorbei. Wir müssen auch diese Altergruppe erreichen und mitnehmen, auch wenn das schwieriger ist als bei Jugendlichen, da diese sich in großer Anzahl meist in Schulen befinden und wir dort sehr zentral an ihre Meinungsbildung in Veranstaltungen herankommen. Meines Erachtens reicht als Information eben eine Plakataktion über den Einsatz der europäischen Strukturfonds in Sachsen-Anhalt nicht aus. Die reine Bereitstellung von Informationen in Form von Flyern, Broschüren und Plakaten ist unzureichend.

Was hat die Landesregierung tatsächlich getan und erreicht seit der letzten Grundsatzrede aus dem Monat Mai 2004 für und in Europa? Welche Initiativen hat sie beispielsweise im Bundesrat gestartet? Gestern hatten wir schon einmal solch eine Auswertung per Statistik.

Staatssekretär Dr. Schneider hat am letzten Freitag im Rahmen der auswärtigen Sitzung des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien über seine Tätigkeit im Ausschuss der Regionen und im Bundesrat berichten können. Jedoch schien die Arbeitstätigkeit der Landesregierung auf Bundesratsebene zu Vorhaben der Europäischen Union etwas lau.

Es gab seit dem 4. November 2005 bis zum 19. Dezember 2008 im Bundesrat 446 Vorlagen durch die Europäische Union, davon 135 Verordnungsvorschläge und 331 sonstige Vorlagen. Nur zu zwei Verordnungsvorschlägen hat der Bundesrat einmal eine Stellungnahme und eine Kenntnisnahme vorgenommen bzw. abgegeben und zu sonstigen EU-Vorlagen lediglich neun. Bei allem Respekt, das ist zu mager. Es spiegelt aber auch die Behandlung Europas in der dünn gesäten Behandlung von Vorlagen der Europäischen Union in unserem Hohen Haus wider. Auch im Landtag hält sich bekanntermaßen die Begeisterung für Vorlagen der Europäischen Union arg in Grenzen.
Wenn der Fachausschuss dann mal in andere mitberatende Ausschüsse überweist, ist die Begeisterung noch weniger groß.

Nicht ohne Grund haben die Landtagspräsidenten auf ihrer Konferenz im Juni letzten Jahres gefordert, dass Landtage in Angelegenheiten der EU mehr einbezogen werden ﷓ sehr löblich ﷓ und sich auch selbst in die Pflicht nehmen müssen, sich bei Konsultationsverfahren der EU, beispielsweise bei Grünbüchern, stärker einzubringen. Gerade das von Minister Robra genannte Grünbuch zur territorialen Zusammenarbeit ist ein Beispiel, wie es nicht laufen soll. Dort ist diese Möglichkeit den Landtagen genommen, indem der Bund festgestellt hat: die Stellungnahme wird von den Europaministern abgegeben. Damit haben die Landtage keinerlei Möglichkeiten.

Was muss sich in der Zukunft ändern? Was müssen wir, was muss die Landesregierung aus unserer Sicht besser machen?

Fest steht, die Landesregierung unternimmt Schritte und Herr Minister Robra hat eben zum Thema Wirtschaftskrise einiges angesprochen. Europa befindet sich in einer sehr schwierigen Situation, sowohl wirtschaftlich als auch institutionell. Zum Vertrag von Lissabon habe ich schon etwas ausgeführt.

In der jetzigen Situation wird sich zeigen, inwieweit tatsächlich ein Gemeinschaftssinn, das heißt im Sinne von „gemeinsam sind wir stärker“, oder nationalstaatliche, egoistische oder auch protektionistische Interesse im Vorgrund stehen. Frankreich musste jetzt schon vorstellig werden, weil die EU meinte, in Bezug auf die französische Automobilindustrie Protektionismus feststellen zu können.

Im Moment scheint das Pendel immer mehr in Richtung nationalstaatlicher Egoismen auszuschlagen. Betrachtet man, wie gesagt, Frankreich - selbst unter tschechischer Ratspräsidentschaft -: dort werden arbeitslos gewordene Arbeitnehmer, wenn sie andere Herkunftsländer haben, mit 500 € auf die Hand nach Hause geschickt. Das ist nationalstaatlicher Egoismus.

Fakt ist auch, dass Sachsen-Anhalt von der EU deutlich profitiert. Es muss darauf hingewiesen werden, dass es nicht ausreicht, Geld zu bekommen. Auch die strategische Ausrichtung ist wichtig. Minister Robra hat es ausgeführt: Die EU stellt Sachsen-Anhalt mehr Geld zur Verfügung als der Bund.

Die Menschen haben durch die Krise Ängste und Sorgen, auch finanzieller Art, und Angst vor der Zukunft. Das ist dann, wenn es durch die EU auf sie einwirkt, eventuell auch ein Grund dafür, dass sie die Europäische Union als Institution vielleicht ein wenig misstrauisch beäugen. Europa muss aus unserer Sicht die Sozialstaatlichkeit in seinen Verträgen verankern und auch eine - wie vom DGB geforderte - soziale Fortschrittsklausel einführen, um das Vertrauen der Bürger in eine gesicherte und bessere Zukunft wieder herzustellen.

Ich würde mir wünschen, bei den Ausführungen mehr über die weitere Ausgestaltung des Sozialraums Europa und über eine wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft ﷓ wobei wir eine soziale Marktwirtschaft derzeit überhaupt nicht konstatieren können ﷓, über die Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und über die Förderung sozialer Gerechtigkeit ﷓ wir als LINKE begrüßen das ausdrücklich, was Sie vielleicht wundern wird ﷓ zu finden. Ich bitte darum, dass die großen Fraktionen hier im Haus das ihren Abgeordneten im Europäischen Parlament auch näher bringen, damit wir endlich Mindeststandards einführen.

Wir stellen immer nur fest, dass sich die Abgeordneten der CDU und der SPD letztlich anders verhalten, als es hier deklariert wird. Unsere Bitte lautet also: Unterstützen Sie die Forderung des DGB, eine soziale Fortschrittsklausel im Primärrecht der EU zu verankern.

Auf das Thema Demografie ist der Staatsminister schon eingegangen. Es sei mir gestattet zu sagen: Ein Demografiecheck ist zu wenig und ein Heimkehrerpäckchen meines Erachtens auch.
Fakt ist, dass Sachsen-Anhalt von der EU als die schwierigste Region ganz Europas gewertet wird, was die demografischen Probleme betrifft.

Selbst das Thema Klima wurde nicht ausgespart. Ich erinnere nur daran, dass die Kanzlerin in ihrer Ratspräsidentschaft im Jahr 2007 zur Klimakanzlerin erhoben wurde. Was hat es genützt? Die USA überlegen, Eisbären eventuell auf die Rote Liste der bedrohten Arten zu setzen. Dabei wird mir dann auch um den wichtigsten Eisbären der Bundesrepublik angst.

Dass Maßnahmen, die zu der Krise geführt haben, jetzt wieder herangezogen werden sollen, um aus dieser Krise herauszuführen, ist aus meiner Sicht kein innovativer Weg. Es reicht nicht festzustellen, dass die Krise ihren Ausgang in den USA genommen hat. Mir stellt sich nämlich die Frage: Haben denn deutsche Kreditinstitute keine Leergeschäfte getätigt und keine Hedgefonds eingesetzt?

Wie gesagt, ich kann wirklich nur Martin Schulz beipflichten: Es ist Zeit, Europa ein Stück nach links zu rücken.