Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Harry Czeke zu TOP 01 a): Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Lissabon-Vertrag

Es ist erfreulich, dass die EU heute wieder auf der Tagesordnung steht. Es ist umso erfreulicher, dass die von der FDP gewählte Aktuelle Debatte zum „Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Lissabonvertrag“ erst aufgrund der Klage unserer Bundestagsfraktion vor dem Bundesverfassungsgericht möglich ist. Nur warum die geschätzten Freien Demokraten dazu debattieren wollen? Die Einigkeit der drei Mitte-Rechts-Parteien dieses Hauses ist doch perfekt. Nun gut, bringen wir als einzige etwas Farbe ins Spiel.
Mit dieser Aktuellen Debatte sind das komplizierte Thema Lissabon-Vertrag und seine Auswirkung auf die Demokratie und die BürgerInnen noch einmal in der Öffentlichkeit, nachdem viele Jahre dazu hinter mehr oder weniger verschlossenen Türen verhandelt wurde. 

Die Bundestagsfraktion der Linken konnte sich mit ihrer Klage gegen den Lissabon-Vertrag nicht durchsetzen. Jedoch - die dazugehörigen Begleitgesetze sind in Karlsruhe durchgefallen. Das heißt, das Gericht hat in Übereinstimmung mit den Klägern ein demokratisches Defizit festgestellt, das nationalstaatlich behoben werden soll. Allerdings intendierte DIE LINKE mit ihrer Klage eine Stärkung der europäischen Demokratie durch Volksentscheide und nicht die Ersetzung durch nationale Parlamente.

Das Bundesverfassungsgericht hat das von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen verabschiedete Begleitgesetz zum Lissabonvertrag in Teilen als grundgesetzwidrig beurteilt. Die Mitbestimmung von Bundestag und Bundesrat in EU-Angelegenheiten ist demnach missachtet worden.

An diesem Urteil gibt es nichts zu debattieren. Fraktionsübergreifend wurde dann auch gleich begrüßt, dass die zuvor von der Bundestagsmehrheit beschlossen Entparlamentarisierung so nicht funktioniere. 

Zu debattieren ist also eher die nun von den vier Bundestagsparteien in trauter Einigkeit vorgelegte Überarbeitung des Begleitgesetzes.

Das Gesetz heißt jetzt Integrationsverantwortungsgesetz und wurde von den Gescholtenen innerhalb von 3 Wochen entworfen. Die Vorgaben des Gerichts sind dabei in mehreren Gesetzen nur teilweise und halbherzig aufgegriffen worden, weshalb wir auch diese neue Version der Begleitgesetze ablehnen. Wir haben einen eigenen Gesetzentwurf zur Grundgesetzänderung im Art. 23 dazu eingebracht.

Diesen Gesetzentwurf hätte man in Ruhe - für die Sache -  es geht um das Grundgesetz und die Grundrechte - beraten können. Aber die furchtlosen Vier haben sich für die schnelle Antwort entschieden, um noch vor dem Irischen Referendum am 2. Oktober ratifizieren zu können. Das könnte ein Schub für das Referendum geben und könnte gleichzeitig ein - höchstwahrscheinlich negatives - Referendum in Großbritannien 2010 verhindern.

Es ist bekannt: Die Linke lehnt wie ATTAC, Mehr Demokratie e.V., der DGB Berlin-Brandenburg, die BI für eine Volksabstimmung über den EU-Vertrag oder der Friedensratschlag den Vertrag von Lissabon ab. Andere Meinungen soll es in Demokratien manchmal geben.

Nach Auffassung der Vertrags-KritikerInnen schreibt der Lissabon-Vertrag eine offene Marktwirtschaft fest und verpflichtet die Mitgliedstaaten, ihre militärischen Fähigkeiten auszubauen. Wir sind für ein soziales, friedensfähiges und demokratisches Europa. Zumindest im letzten Punkt, für eine demokratischere EU, wollte sich auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts einsetzen. Ohne die Stärkung der Parlamentsrechte bestünde laut Gerichtsbegründung „die Gefahr einer Aushöhlung des demokratischen Herrschaftssystems in Deutschland“.

Der zuvor von SPD, CDU/CSU, FDP und Grüne abgenickte Lissabon-Vertrag samt Begleitgesetz entmachtete die Parlamente - das störte zwar nicht die vier Parteien, aber die Karlsruher Richter, und sie erinnerten deshalb die Abgeordneten an Ihre Rolle und Pflichten.

Was die Allparteienkoalition jedoch aus den Vorgaben des Gerichts gemacht hat, zeigt den fehlenden politischen Willen: Der Bundesregierung bleibt ausdrücklich vorbehalten, sich über Stellungnahmen des Bundestags „aus außen- und integrationspolitischen Gründen“ hinwegzusetzen. Angelegenheiten der „gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)“ und der „Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP)“ werden ausdrücklich durch § 3 Absatz 1 des geänderten Zusammenarbeitsgesetzes aus dem Bereich der Vorhaben ausgenommen, über die die Bundesregierung den Bundestag zu unterrichten hat.

Wir fordern, dass die Bundesregierung prinzipiell an die Stellungnahmen des Bundestags gebunden sein muss. Länder wie Österreich oder Dänemark haben diese Regelung - ohne untergegangen zu sein. Speziell beim Parlamentsvorbehalt, also bei Bundeswehreinsätzen im Ausland, muss sich die Bundesregierung vor einer Abstimmung im Ministerrat im Bundestag rückversichern. Die bisher im Lissabon-Vertrag und im alten Begleitgesetz vorgesehene Aushebelung der Beteiligung des Bundestags bei Militäreinsätzen der EU ist verfassungswidrig.

Wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht „kastriert“ werden soll, wie auch die Süddeutsche Zeitung schrieb (Heribert Prantl, 26.8.09), muss es außerdem einen völkerrechtlich verankerten Vorbehalt der Bundesrepublik zum Lissabon-Vertrag geben. Denn der Vertrag ist laut Bundesverfassungsgericht nur „nach Maßgabe der Gründe“ mit dem Grundgesetz vereinbar – also nach Auslegung des Bundesverfassungsgerichts.
Das Argument der Koalitionsfraktionen, dass ein solcher völkerrechtlicher Vorbehalt den Gemeinschaftsvertrag sprengte ist obsolet, weil es solche Vorbehalte bereits für Irland gibt zum Abtreibungsrecht und zu Dumping-Steueren. Großbritannien hat einen Vorbehalt bei der Grundrechtechata.

Und: Die Linke fordert in ihrem Gesetzentwurf Volksentscheide bei Grundgesetzänderungen, die sich aus EU-Vertragsänderungen ergeben. Das Bundesverfassungsgericht hat sich ausdrücklich in seinem Urteil zu Volksentscheiden als einer demokratischen Form  staatlicher Willensbildung bekannt. Im Grunde hat Karlsruhe den Lissabonvertrag völlig neu interpretiert und formuliert, dass er nur in dieser Interpretation mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Diese Interpretation muss den anderen EU-Mitgliedstaaten erläutert werden. Sonst sind zukünftig zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof Konflikte vorprogrammiert.

Im Übrigen ist es befremdlich, dass die Koalitionsparteien und ihnen nahe stehende Professoren aufgrund des Karlsruher Urteils die Abschaffung wichtiger Kompetenzen des Verfassungsgerichts fordern.

Der vorsitzende Richter sagte, eine EU der Eliten dürfe es nicht geben.  Dennoch fehlte in den letzten Wochen der Einigung auf die Begleitgesetze eine öffentliche Diskussion um die Vorgaben des Verfassungsgerichts.

Die FDP jubelt jetzt zwar, dass Bundestag und Bundesrat künftig mehr Mitsprache und Kontrolle bei der EU-Politik der Regierung haben, aber ohne die Klage der Linken hat dieser Mangel zuvor in den alten Begleitgesetzen die anderen Parteien auch nicht gestört. Und dass die Landtage in Sachen EU-Politik weiter das Nachsehen haben, bleibt. Am 20. August haben die LandtagspräsidentInnen in Frankfurt bei einer Sondersitzung dazu Stellung genommen. Darin fordern sie, was eigentlich selbstverständlich sein sollte; dass die „Informationen, welche die Bundesregierung dem Bundestag zur Verfügung stellt, auch den Parlamenten der Länder zugänglich gemacht werden“. Dazu sei im Bundesratsverfahren eine hinreichende Beratungszeit für die Landtage zu berücksichtigen und das Landesverfassungsrecht anzupassen.

Wir bleiben dabei und sehen uns durch das Bundesverfassungsgericht gestärkt, das der Lissabon-Vertrag keine ausreichende Grundlage für ein soziales, demokratisches und friedliches Europa legt. Die EU braucht eine Verfassung, die allen Bürgerinnen zur Anstimmung vorgelegt wird.