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Gudrun Tiedge zu TOP 7: Entwurf eines Gesetzes des Landes Sachsen-Anhalt über Versammlungen und Aufzüge

Der Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 14. Mai 1985 - eine Grundsatzentscheidung zum Versammlungsrecht - hat auch heute nichts von seiner Aktualität und Bedeutung verloren: „So wird die Meinungs- und Versammlungsfreiheit seit langem zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens gezählt. Sie gilt als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit und als eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt, welches für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend ist; denn sie erst ermöglicht die ständige geistige Auseinandersetzung und den Kampf der Meinungen als Lebenselement dieser Staatsform. Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungsbildungs- und Willenbildungsprozess teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens.“

Diese mahnenden Worte - bereits vor 24 Jahren getroffen - können angesichts der beabsichtigten Verschärfung bzw. Einschränkung des Versammlungsrechtes und damit auch der Meinungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger nicht oft genug wiederholt werden. Und schon aus diesem Grund ist es für uns nicht nachvollziehbar, warum mit Inkrafttreten der Föderalismusreform der Bund die Gesetzgebungskompetenz für das Versammlungsrecht auf die Länder übertragen hat. Denn dafür gibt es aus unserer Sicht keine sachlichen Argumente. Sie diente wohl eher dazu, Verluste von Kompetenzen der Länder an anderer Stelle zu kompensieren. Oder, um damit den Ländern die Möglichkeit zu geben, durch eigene Gesetze eine Verschärfung der Versammlungsrechte durchsetzen zu können.

Jede Einschränkung von Freiheitsrechten - auch wenn damit  die menschenverachtende Ideologie der Neonazis abgewehrt werden soll - muss letztlich als Erfolg der Antidemokraten und damit als Niederlage für die Demokraten gewertet werden. Sie stellt eine Niederlage der Zivilgesellschaft in der Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Parolen, Losungen und Meinungen dar.

Natürlich stellt sich jeder von uns die Frage, dürfen „alte“ und „neue“ Nazis ihre Meinung frei äußern und überall, an jedem Ort, demonstrieren?
Und zu gern würden wir diese Frage uneingeschränkt mit Nein beantworten.
Aber so entstehen Sonderrechte. Und wird das Recht auf Meinungsäußerung und Demonstration erst einmal eingeschränkt, ist die Gefahr groß, dass dieses Recht irgendwann niemand mehr wahrnehmen und mit Leben erfüllen kann.

Es hat sich immer wieder bestätigt, dass Verbote stets nur zu mehr Kreativität bei den Rechten geführt haben. So wird getestet, welche Orte wann demonstrationsfrei bleiben müssen und wie nahe und provozierend man dennoch seiner Meinung Ausdruck verleihen  kann. Es wird getestet, mit welchen Slogans man dem Verbotenen nahe kommt, ohne sich strafbar zu machen.

Oft wurde folgendes bereits festgestellt und gesagt, und trotzdem muss es immer wieder wiederholt werden: Rechtsextremismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit reichen bis in die Mitte der Gesellschaft. Aber gerade daher kommt der Ruf nach einem starken Staat, nach Verboten und nach Einschränkung von Freiheitsrechten.

Helmut Wolf, Vizepräsident des Landesverfassungsgerichtes von Mecklenburg-Vorpommern stellte folgende Fragen: „Sollten die so dringend notwendigen Zeichen nicht anders gesetzt werden als durch fragwürdige Verbote? Sollte dies nicht dadurch geschehen, dass die Bevölkerung der betroffenen Regionen aufsteht und ihren Abscheu so eindringlich zeigt, dass nicht Versammlungen der Nazis, sondern - um Beispiele zu nennen - dass das Rostocker Sonnenblumenfest oder der Aufzug der 7000 in Greifswald das Bild des Tages, die Berichterstattung und die Erinnerung bestimmen?“

Warum aber passiert genau das zu selten in dieser Größenordnung? Diese Frage müssen wir uns doch alle gemeinsam stellen. Aber ist das vorliegende Gesetz nicht gerade ein hilfloser Ausdruck des Einschlagens eines vermeintlich einfacheren und bequemeren Weges? Es scheint eben auf den ersten Blick einfacher zu sein, Verbote auszusprechen, als sich gesamtgesellschaftlich mit dem Rechtsextremismus auseinanderzusetzen. Wenn ich vorher davon sprach, dass Rechtsextremismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, wird dieses Gesetz an dieser Zustandbeschreibung überhaupt nichts ändern. Denn dafür wäre es notwendig, über die Ursachen nachzudenken und Gegenstrategien zu entwickeln. Aber hierzu ist man gegenwärtig nicht bereit.

Jeder von uns wäre froh, wenn es keine  menschenverachtenden Aufmärsche rechter Parteien oder Kameradschaften mehr geben würde. Überlebende des Naziterrors mahnen, solche Versammlungen zu verbieten. Ihre Ängste, ihr erneutes Leiden angesichts öffentlicher Provokationen an den Orten, an denen sie gelitten haben, nehmen wir sehr ernst.

Wie ernst aber nehmen es Medienvertreter oder Politiker, wenn in der Zeitung mit den großen Buchstaben zu lesen war, dass der IVVdN/BdA als linksextremistisch eingestuft wird und es sogar Überlegungen in einem Bundesland gab, diese Organisation zu verbieten? Für mich einfach ungeheuerlich und unfassbar. Das ist eine Verunglimpfung der Menschen, die ihr Leben, ihre Gesundheit  geopfert haben im Kampf gegen den Nationalsozialismus.

Nun zu einigen konkreten Punkten des Gesetzentwurfes:

Im § 3 wird das Uniformierungsverbot geregelt. Wer aber entscheidet, was uniformähnliche Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung sind? Und wer entscheidet, ob davon eine einschüchternde Wirkung ausgeht?
Gehören dazu auch schon Streikwesten, ver.di-Blaumänner, oder schwarze Kleidung?
Es werden somit unbestimmte Begriffe verwendet, die beliebig auslegbar sind und damit auch willkürlich genutzt werden können. Es wird nicht auf eine konkrete Gefahr abgestellt, sondern auf subjektive Empfindungen und Ängste.

Nun werden im § 14 ganz konkrete Erinnerungstage und Orte genannt, an denen Versammlungen nur mit Beschränkungen oder gar nicht durchgeführt werden dürfen.
Einmal abgesehen davon, dass wir uns seit 20 Jahren an kein einziges Ereignis erinnern können, an dem es zu Demonstrationen in Marienborn, am Moritzplatz oder in Halle „Roter Ochse“ gekommen ist, was wir und das möchte ich ausdrücklich betonen, sehr begrüßen, die es notwendig gemacht hätten, diese Orte zu benennen. Aber dann fragen wir uns letzt endlich, was ist mit dem Grenzdenkmal in Hötensleben, warum wurde dies nicht mit aufgenommen? Oder was ist mit dem 17. Juni 1953? Seit geraumer Zeit versuchen die Neonazis dieses Datum für sich als historisches Datum anzueignen. Oder warum ist die Stehle, die im Gedenken an ermordete Sinti und Roma in Magdeburg errichtet wurde, nicht im Gesetz verankert? Und so könnte ich noch viele Beispiele nennen.

Wir alle werden sehr schnell feststellen, dass mit diesem Gesetz, dem wohlgemeinten Ziel (und das unterstellen auch wir), den Rechtsextremismus zu verdammen, nicht näher gekommen wird.
Das musste man auch schon in Bayern feststellen, in dem das Gesetz im Oktober 2008 in Kraft trat. So wurde in einem Artikel in der süddeutschen Zeitung resigniert festgestellt:
„Null Fortschritt im Kampf gegen Neonazis.“
Ferner: „Das Gesetz soll vor allem rechte Aufmärsche an historisch belasteten Tagen und Orten unterbinden. Tatsächlich aber sind Hitlers Geburtstag oder die Feldherrenhalle schon lange tabu, was für die These spricht, dass dafür auch das alte Gesetz genügt hätte. Verschwunden sind die Neonazis keineswegs aus dem Stadtbild, im Gegenteil: Verzeichnete das KVR 2007 sieben Nazi-Versammlungen und - Demos in München, 2008 waren es 19, und im ersten Halbjahr dieses Jahres bereits 10.“

Und ich werde es Ihnen auch heute nicht ersparen. Wieder liegt uns ein Gesetz vor, welches den unrühmlichen Versuch unternimmt, zwei geschichtliche Epochen gleichzusetzen. Auch wenn Sie immer wieder erklären, dass es keine Gleichsetzung zwischen der Zeit der DDR und der Zeit des Nationalsozialismus gäbe.
Jede Gleichbehandlung, so wie in diesem Gesetz geschehen, ist eine Gleichsetzung.

Und da zitiere ich aus dem Gesetz. § 13 Abs.2 Ziff.1 regelt, dass Versammlungen verboten werden, die an Orten oder Tagen stattfinden, die an Menschen erinnern, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus rassistischen, religiösen oder politischen Gründen oder wegen einer Behinderung Opfer menschenunwürdiger Behandlungen waren bzw. die Opfer der schweren Menschenrechtsverletzungen während der Zeiten der sowjetischen Besatzung und der SED-Diktatur waren.

Nun leugnen wir nicht, auch wenn es immer wieder wahrheitswidrig erklärt wird, dass es während der DDR-Zeit zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Nicht zuletzt in unseren Gründungspapieren kann das jeder nachlesen. Zu dieser Verantwortung stehen wir, ohne wenn und aber.

Wer aber nur von menschenunwürdigen Behandlungen während der NS-Zeit spricht, verharmlost in einer ungeheuerlichen, nicht hinnehmbaren Weise. Es war millionenfacher Mord an Widerstandskämpfern, an Juden, an Sinti und Roma, an Menschen mit Behinderungen, an der Zivilbevölkerung in den besetzten Ländern. Es waren Verbrechen, die in ihrer Brutalität und ihrem Ausmaß bislang unvorstellbar waren.

Ich möchte an dieser Stelle Daniela Dahn zitieren aus ihrem Buch „Wehe dem Sieger“: „Wer geschichtsvergessen ohne weitere Erläuterungen von den zwei Diktaturen in Deutschland spricht, muss wissen, wie viel Verharmlosung des Nationalsozialismus er auf sich laden will. Eines hellsichtigen Tages könnte dieses Geschichtsbild als Volksverhetzung verklagt werden.“

Solange diese Verharmlosung aber politischer Alltag ist, wird es auch nicht gelingen, dem Rechtsextremismus Einhalt zu gebieten. Und dieses Gesetz ist leider auch nicht dazu geeignet. Wir lehnen das Gesetz ab.