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Gudrun Tiedge zu TOP 7: Analyse der Polizeilichen Kriminalstatistik und der Statistik zur politisch motivierten Kriminalität

Eigentlich sollte man sich nicht auch noch zwischen den Oppositionsfraktionen über den Sinn und Zweck des Inhalts von parlamentarischen Anträgen streiten, denn diese Seitenhiebe werden schon zur Genüge von den Koalitionsfraktionen ausgeteilt bzw. münden in der Regel in der Ablehnung der beantragten Anliegen.
So erhalten zahlreiche Anträge mit dem Absender DIE LINKE oder FDP den verbalen Stempel „überflüssig“, „nicht notwendig“ oder „kein Regelungsbedarf“ und finden nicht einmal den Weg in den Fachausschuss.

Aber betrachtet man einmal die Landtagssitzungen der letzten Monate, so kommt man unweigerlich zu folgendem Ergebnis: Das Plenum könnte wahrscheinlich bereits Donnerstag gegen Mittag seine Arbeit beenden, wenn, ja wenn nicht die Opposition zahlreiche parlamentarische Initiativen auf den Weg bringen würde (es zu mindestens versucht, bevor dann die Koalition ihr Steine in den Weg legt...); Anträge und Gesetzentwürfe, und das möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen, die stets geprägt sind von politischer Gewichtung.

Auch an diesen beiden Sitzungstagen sieht es nicht gerade üppig aus mit Anträgen seitens der Regierungsfraktionen.

Aber bei dem vorliegenden Antrag habe ich mich schon gefragt, warum das Anliegen nicht auf dem Wege eines Selbstbefassungsantrages im Innenausschuss thematisiert werden konnte.

Nun ist es ja mit Statistiken immer so eine Sache, und ich bemühe jetzt nicht Churchill sondern Paul Schnitker: „Statistiken sind Zahlengebäude. Sollen sie gut sein, brauchen sie - wie gute Häuser - ein solides Fundament, klare Konturen und den Beweis, dass sie im Wandel der Zeiten ihren Wert behalten. Es gibt aber auch schlechte Statistiken. Sie fallen zusammen wie Kartenhäuser.“

Und da ist es in Sachsen-Anhalt noch gar nicht so lange her, wir erinnern uns sicher alle, dass die Statistik zu den politisch motivierten Straftaten für das erste Halbjahr 2007 buchstäblich wie ein Kartenhaus zusammenfiel. Da wurde seitens des Innenministeriums vollmundig von einem Rückgang bei den rechtsextremistischen Straftaten um ca. 50 % berichtet. Und die Süddeutsche Zeitung formulierte: „Rechenkünste gegen Rechts“.
Über die sensible Problematik wurde ja dann lang und breit im Innen- und Parlamentarischen Untersuchungsausschuss debattiert. Selbst personelle Konsequenzen standen dann auf der Tagesordnung.

Und daraufhin wird wieder gezählt wie früher, obwohl uns niemand so richtig sagen konnte, wie denn das eigentlich so war, z.B. mit den StoepM-Delikten (Staatsschutzkriminalität ohne explizite politische Motivation).

Nun haben wir die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2008 und die Statistik zur politisch motivierten Kriminalität 2008 vorzuliegen und insbesondere die letztere bietet ein erschreckendes Bild. Doch dazu später.

Zunächst zur Kriminalitätsstatistik.
Bereits in meiner Rede zum Missbilligungsantrag bezüglich des Innenministers verwies ich auf den Bericht der Staatsanwaltschaft, welcher prognostizierte, dass es bei bestimmten Deliktgruppen zu einem Rückgang der Kriminalität kommen wird. Aber nicht, weil die Bürgerinnen und Bürger rechtstreuer geworden sind, sondern, weil vielfach Sachen gar nicht mehr zur Anzeige gebracht werden (z.B. Fahrraddiebstähle).

Oder betrachten wir die Zahlen der Rauschgiftkriminalität. Da wurde ein Rückgang von 920 Straftaten verzeichnet. Begründet wurde das nicht etwa damit, dass man davon ausgeht, dass es einen wirklichen Rückgang der Rauschgiftkriminalität gibt, sondern damit, dass das Agieren der Dealer immer arbeitsteiliger und konspirativer wird, dass sich die Aktivitäten in den privaten Bereich verlagern und das der Konsumhandel in öffentlichen Verkehrsmitteln stattfindet. Das käme einer Bankrotterklärung gleich.

Spät, aber nicht zu spät wurde nun auf die berechtigte Kritik der Staatsanwaltschaft und der Opposition gehört. Die polizeiliche Ermittlungsarbeit hinsichtlich bestimmter schwerer Straftatengruppen wurde wieder zentralisiert und auf die Ebenen der Polizeidirektionen gehoben. Und das, obwohl der Innenminister vor nicht allzu langer Zeit behauptete, die Kritik sei überzogen und es seien nur Einzelfälle.

Ein weiteres Problem - die Aufklärungsquote.
Während der Innenminister noch im Januar 2009 in einem Volksstimme-Interview behauptete, dass wir in Sachsen-Anhalt eine überdurchschnittlich hohe Aufklärungsquote hätten, musste der Generalstaatsanwalt am 14. März 2009 feststellen, dass mit 54,4 % die schlechteste Aufklärungsquote seit 1999 zu verzeichnen ist.

Problematisch ist jedoch die unterschiedliche Aufbereitung der Statistik im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren. Während in den letzten Jahren die Statistiken sehr gut miteinander vergleichbar waren, sieht es in diesem Jahr ganz anders aus. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt.  

Jedoch besonders besorgniserregend ist die Entwicklung der rechtsextremistischen Straftaten und hier insbesondere die Zunahme der Gewaltstraftaten. So stellte die Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt fest, dass sich statistisch gesehen alle zwei bis drei Tage eine rechte oder rassistische Gewaltstraftat ereignet.

So registrierte die Opferberatung 2008 153 rechtsmotivierte Gewaltstraftaten (im Vergleich zur Polizeistatistik, die von 121 Gewaltdelikten ausgeht). Die Opfer waren oftmals alternative und nicht-rechte Jugendliche und junge Erwachsene. 27 % der Gewalttaten, die sich gegen MigrantInnen, Flüchtlinge und ausländische Studierende richteten, waren rassistisch motiviert. Besonders erschreckend die beiden Tötungsdelikte, die aus unserer Sicht berechtigt durch die Opferberatung als rechte Gewaltdelikte eingestuft wurden.

Die Mobile Opferberatung hat eine Chronologie rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt für 2008 erarbeitet. Damit bekommen die Opfer ein Gesicht, eine Identität und sind nicht nur eine Prozentzahl in einer Statistik.

Ein ebenso erschreckendes Bild wurde durch die vorgestern veröffentlichte Studie zu rechtsextremistischen und ausländerfeindlichen Einstellungen von Jugendlichen gezeichnet.

Und da muss man schon mit aller Deutlichkeit sagen: Diese Probleme können nicht allein und erst recht nicht zu aller erst von Polizei und Justiz behoben werden, da ist die gesamte Gesellschaft gefragt.

Dabei helfen Statistiken und statistische Erhebungen, Vergleiche herzustellen sowie bestimmte Entwicklungen und Trends sichtbar zu machen. Für die Lösung der Probleme sind sie jedoch nur notwendige Hilfsmittel. Lösungsansätze und deren Umsetzung können und müssen ausschließlich durch eine couragierte Zivilgesellschaft realisiert werden.