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Gudrun Tiedge zu TOP 19: Bericht des Zehnten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses

„Man haut seine Kollegen nicht in die Pfanne!“ Das ist ein Satz, geäußert von einem Polizeibeamten im letzten Schimanskikrimi vom vergangenen Sonntag. In diesem Film ging es insbesondere um das unsägliche Problem des Korpsgeistes bei der Polizei, es ging aber auch um die Frage, ob man seine KollegInnen in ihrer täglichen Polizeiarbeit kritisieren und dies dann auch noch beim Vorgesetzten melden darf.

Alles nur ein Filmstoff? Weit gefehlt. Denn genau solche oder ähnliche Vorwürfe haben die drei Staatsschützer zu hören bekommen, als  sie es gewagt hatten, ihren Vorgesetzten zu kritisieren.

Einem der ehemaligen Staatschützer, Herrn Ennulat, wurde im letzten Jahr bescheinigt, dass er sich im Dienst so verhalten hat, dass man ihm von der Gesamtwürdigung her eine charakterliche Grundhaltung bescheinigen kann, die für einen Polizeibeamten sehr wünschenswert ist. Er war ungeachtet entsprechender Einwirkungsversuche durch einen ranghohen Vorgesetzten nicht bereit, sich einschüchtern zu lassen und seine Aufgaben mit weniger Elan wahrzunehmen.

Nein, diese Worte stammen nicht von unserem Innenminister, sondern vom Polizeipräsidenten Berlins, der jetzt als Dienstvorgesetzter für Herr Ennulat zuständig ist.

Wir hätten uns wahrlich gewünscht, dass zu dieser Einschätzung auch Herr Hövelmann gekommen wäre und mit einem Machtwort diese unendliche Geschichte, dieses Possenspiel, ein Ende bereitet hätte.

Während einer Zeugenaussage stellte einer der drei Staatsschützer an die Mitglieder des Ausschusses die Frage, was sie denn nun eigentliche falsch gemacht hätten.
Die Frage wurde ihm mit dem Hinweis, dass Zeugen keine Fragen stellen dürfen, nicht beantwortet. Aber spätestens heute muss ihnen diese (immer noch offene) Frage klar beantwortet werden. Und unsere Antwort lautet im Ergebnis der Beweisaufnahme mit aller Deutlichkeit, dass sie nichts, absolut nichts falsch gemacht haben.

Denn wenn es ein Fehler sein soll, sich akribisch in sein zugewiesenes Aufgabengebiet „zu knien“ und mit hoher Arbeitsintensität rechtsextremistischen Straften zu bekämpfen, wenn es ein Fehler ist, seinen Vorgesetzten zu kritisieren, wenn dieser erklärt, nicht mehr so genau hinzuschauen oder Berichte langsamer zu tippen, wenn es ein Fehler sein soll, diese Anweisung dann nicht zu befolgen, sondern die bisherige gute Arbeit fortzusetzen, wenn das alles Fehler sein sollen, dann wünschen wir uns viele solcher fehlerhaft arbeitenden PolizeibeamtInnen in Sachsen-Anhalt.

Und wenn dann der Ausschuss mehrheitlich zu dem Ergebnis kommt, dass die Ursachen der Konflikte u. a. im persönlichen Bereich bzw. der ausgeprägten Persönlichkeitsstruktur der drei Beamten zu suchen sei, halten wir diese Wertung für geradezu unverschämt.
Ich kann mich an keinen einzigen Untersuchungsausschuss, an dem ich beteiligt war - und das waren zwischenzeitlich schon einige - erinnern, in dem Zeugen charakterlich bewertet wurden. Das ist nicht Aufgabe eines PUA und das sollte künftig auch so bleiben. Die Koalitionsfraktionen machen es sich mit dieser fadenscheinigen Begründung sehr einfach, weil sie damit all das ausklammern, was zu den Ereignissen wirklich geführt hat.

Fest steht, die in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Aussagen sind in dem besagten Gespräch so gefallen. Das hat die Beweisaufnahme eindeutig ergeben. Und sie waren auch nicht objektiv missverständlich.

Anders als im vorliegenden Abschlussbericht der Mehrheit des Ausschusses ausgeführt, ist es nicht erwiesen, dass der Zeuge Gratzik dem Zeugen Findeisen erst Ende März 2007 das Gedächtnisprotokoll zur Kenntnis gegeben hat.

Da eine eidesstattliche Erklärung des Zeugen Kappert bereits am 16.3.2007 vorlag und diese Erklärung in dem besagten  Gespräch zwischen Gratzik und Findeisen aber bereits eine Rolle spielte, muss dieses Gespräch vor dem 16.3. 2007 stattgefunden haben.
Somit ist auch die Feststellung, der Zeuge Gratzik hätte das Gesprächsprotokoll unter Verschluss gehalten, um es dann zu rein persönlichen Zwecken einzusetzen, eine haltlose Unterstellung.

Völlig inakzeptabel ist auch die Feststellung, die drei Staatsschützer hätten ja schließlich selber die Ausführungen ihres Vorgesetzten nicht so ernst genommen, da sie ja nicht so gehandelt haben, wie es ihnen der Vorgesetzte nahe gelegt hatte. Sie hätten ja schließlich in ihrem Diensteifer nicht nachgelassen.
Ihnen ihren Arbeitseifer, ihr Engagement jetzt zum Vorwurf zu machen, das ist schon starker Tobak.

Nun kommt der Nitzsche-Bericht zu dem Ergebnis, die drei Zeugen Gratzik, Ennulat und Kappert haben sich keiner Dienstpflichtverletzung schuldig gemacht.
Eigentlich könnte man ja nun davon ausgehen, dass damit die Sache erledigt sei und die drei Staatsschützer ihren Aufgaben wieder ordnungsgemäß nachkommen könnten.

Doch weit gefehlt. Nachdem das Protokoll in die Öffentlichkeit gelangt war, sahen sich die drei Beamten mit einer Reihe von Vorwürfen konfrontiert.

Hier nur exemplarisch einige Beispiele:

Zum einen hatten die Beamten mehrfach um einen Gesprächstermin beim Innenminister gebeten, nicht zuletzt auch wegen des großen öffentlichen Interesses und weil sie ferner bei ihren unmittelbaren Vorgesetzten keinerlei Hilfe und Unterstützung erhalten hatten. Dies wurde ihnen jedoch nicht gewährt.
Begründung: Dies entspräche nicht den normalen hierarchischen Gepflogenheiten.

Trotz der an dieser Stelle angenommenen Tatsache, dass ein Gesprächswunsch mit dem Innenminister nicht den normalen hierarchischen Gepflogenheiten entspricht, wäre es angesichts des öffentlichen Interesses und aufgrund der vielen Fragen und Probleme aus unserer Sicht zwingend notwendig gewesen, diesem Gesprächswunsch zu entsprechen.

Zum anderen sahen sich die drei Beamten zunehmend einem falsch verstandenen Korpsgeist innerhalb der Polizei ausgesetzt, welcher für sie letztendlich immer mehr zu einer dienstlichen Ausgrenzung und zunehmend auch zu physischen und psychischen Belastungen führte.

Mit einem Blick auf die komplizierte Personalsituation in Sachsen-Anhalt muss man sich weiterhin schon fragen, ob es sich das Land wirklich leisten konnte und kann, drei gut ausgebildete, hoch motivierte Beamte so zu behandeln.
Denn aus bislang ausgezeichneten Beurteilungen für die drei Staatsschützer wurden plötzlich kritikbehaftete, weitaus schlechtere persönliche Einschätzungen.

Auch der Studienwunsch eines Staatsschützers wurde erst mittels Klageweg genehmigt, das Ausstellen einer Unbedenklichkeitsbescheinigung zunächst verweigert.

Wochen nach einem privat geführten Gespräch wurden MitstudentInnen aufgefordert, ein Gesprächsprotokoll zu fertigen, ohne dass ein einziges Mal mit dem Betroffenen geredet wurde.

Ein anderer Beamter wurde ausschließlich auf dem Papier als Leiter eingesetzt, ohne aber wirklich Leitungsfunktionen wahrnehmen zu dürfen.
Ein Dienstposten wurde zwar angeboten, aber mit der Maßgabe, seine Klage zurückzuziehen. Als dies dann geschah, erhielt er den Dienstposten trotzdem nicht.
Das ließe sich beliebig fortfahren.

Letztendlich gipfelte es dann darin, dass einer der drei Beamten, der Zeuge Ennulat, seine Versetzung nach Berlin beantragte, weil er in Sachsen-Anhalt für sich keine Zukunft mehr sah. Die Versetzung erfolgte dann auch - mit all den persönlichen Schwierigkeiten, die so ein Wechsel mit sich bringt. Führsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beamten sieht aus unserer Sicht wahrlich anders aus.
Denn die Unterzeichnung eines einzigen Protokolls hat das Leben der drei Zeugen Gratzik, Ennulat und Kappert völlig verändert. Und die Verantwortlichen in diesem Land müssen sich die Frage gefallen lassen, ob sie das alles nicht hätten verhindern können – oder besser: wollen.

Ein weitere trauriger Höhepunkt ist die Datensicherung in der Polizeidirektion Dessau, die wohl  bis heute anhält und das obwohl der Datenschutzbeauftragte des Landes eindeutig festgestellt hat, dass sie rechtswidrig war und ist. Wir erwarten deshalb, dass diese Daten umgehend gelöscht werden.

Ich möchte jetzt noch auf einen weiteren Komplex eingehen und zwar auf den rechtsextremistischen Überfall auf Mitglieder des Harzer Städtebundtheaters in Halberstadt. Dieser Vorfall war ebenfalls Inhalt der Reden zum Gedenken an den 66. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers von Auschwitz, mit den mahnenden Worten, wehret den Anfängen.

Wir finden es schon fast skandalös, wenn im Abschlussbericht der Mehrheit der Mitglieder des 10. PUA vom Empfängerhorizont ausgegangen wird, d.h. ganz klar - von der Perspektive der rechtsextremistischen Gewalttäter.

Doch keine Äußerung und auch kein Äußeres dürfen auch nur ansatzweise als Begründung herhalten, um rechtsextreme Gewalttaten zu relativieren. Und genau das ist mit dieser Einschätzung geschehen.

Nach dem Überfall bot sich nach übereinstimmenden Zeugenaussagen ein Bild des Grauens. Der Platz habe wie ein „Schlachtfeld“ ausgesehen. Und da stellen sich Polizeibeamte hin und erklären, es hätten sich ihnen keine Geschädigten zu erkennen gegeben. Fest steht, dass nach dem Überfall sowie während der Ermittlungsarbeit den am Einsatz beteiligten Polizeibeamten massive Fehler und gravierende Versäumnisse unterliefen, infolge derer letztendlich rechtsextremistische Handlungen - zu mindestens fahrlässig - begünstigt worden sind. Notwendige Ermittlungen, Täterverfolgung, Opferschutz, Zeugenbetreuung und eine sofortige Tatortsicherung wurden nur mangelhaft realisiert. Ursachen für dieses Fehlverhalten liegen aus unserer Sicht auch in der mangelnden Sensibilität für die Thematik der politisch motivierten Kriminalität.

Das Fehlverhalten der Polizei in Halberstadt und die Versäumnisse in der polizeilichen Ermittlungsarbeit behinderten zu guter letzt auch die Arbeit der Justiz. So musste das Amtsgericht von vier Angeklagten drei freisprechen und nur einer wurde verurteilt. Das ist für die Opfer nur schwer zu ertragen.

Unser Fazit nach drei Jahren Untersuchungsausschussarbeit ist letztendlich:
Der Untersuchungsausschuss war notwendig und richtig, nicht zuletzt auch um unmissverständlich klarzumachen, dass es uns zu keinem Zeitpunkt darum ging, die Polizei in Sachsen-Anhalt zu verunglimpfen und unter Generalverdacht zu stellen.
Wenn Sachargumente ausgehen, zieht man sich (ziehen sie sich) gern auf diese plumpe Behauptung zurück. Wir wissen sehr wohl und erkennen das uneingeschränkt an, dass die Mehrzahl der Polizeibeamtinnen und -beamten in unserem Land unter schwierigen Personal-, Besoldungs-, und Beförderungsbedingungen eine ausgezeichnete Arbeit leisten. Desto wichtiger ist es, die strukturellen und persönlichen Defizite zu benennen und auszuwerten.

Das war Anliegen des Untersuchungsauftrages des 10. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses und diesem Anliegen sind wir gerecht geworden.

In den meisten der zu untersuchenden Fälle haben wir festgestellt, dass Vorgänge mit rechtsextremistischem oder fremdenfeindlichem Hintergrund nur unzureichend entgegengetreten wurde. Die Untersuchungsergebnisse haben gezeigt, dass es vor allem in Teilen der Polizeiführung, auf der polizeilichen Führungsebene, aber auch im Geschäftsbereich des Ministeriums des Innern strukturelle Probleme gab. Ein weiteres Umdenken und ein konsequentes Entgegenwirken durch entsprechende Maßnahmen sind notwendig.
Erste Schlussfolgerungen wurden gezogen, weitere Konsequenzen müssen seitens der Landesregierung folgen.