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Gudrun Tiedge zu TOP 08: Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des Zensusgesetzes 2011 im Land Sachsen-Anhalt

Wenn wir heute über das Ausführungsgesetz zum Zensusgesetz debattieren, kommen wir nicht umhin, auch über das Bundesgesetz vom 8. Juli 2009 zu reden. Ein Gesetz, welches die Durchführung der Teilnahme an der EU-weiten Volkszählung im Jahr 2011 regelt.

Nun hat die EU mittels Verordnung die Länder verpflichtet, Volkszählungen durchzuführen, wohl wissend, dass das Bundesverfassungsgericht mit seiner Grundsatzentscheidung vom 15.12.1983 sehr hohe Hürden für den Staat festgelegt hat, Informationen über seine Bürgerinnen und Bürger zu sammeln. Mit dieser Grundsatzentscheidung wurde das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde etabliert. Dieses Urteil wird noch immer als Meilenstein des Datenschutzes betrachtet.

Nun kann man ja zunächst erleichtert sein, dass nicht alle Vorstellungen von EU-Parlamentariern in die künftige Verordnung aufgenommen wurden. So wurden aufgrund massiver Proteste zahlreiche freiwillige Angaben gestrichen, wie z.B.

  • Informationen über das Sexualleben,
  • über Computerkenntnisse,
  • über Lese -und Schreibkompetenzen
  • oder über Beziehungen zwischen Haushaltsmitgliedern.

Was aber immer noch offen bleibt, ist die Frage, ob der erwartete Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger - und damit meine ich ausdrücklich nicht den Vorteil für den Staat -  größer sein wird als die befürchteten Risiken. Und diese Frage konnte und kann bis heute niemand abschließend beantworten. Damit sind erhebliche Zweifel angebracht.

 Denn mit dem Zensusgesetz 2011 wird in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung erheblich eingegriffen. Die Zweckdarstellung kann diesen massiven Grundrechtseingriff verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Für die Vorbereitung von politischen Entscheidungen auf der Grundlage von Bevölkerungsdaten stehen längst andere, weniger grundrechtseinschränkende Verfahren, z.B. im Rahmen der Sozialforschung, zur Verfügung.

Die erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ergeben sich vor allem aus der Möglichkeit der Abbildung von Persönlichkeitsbildern, sozialer Stigmatisierung durch Meldedaten der Agenturen für Arbeit („für den Arbeitsmarkt nicht zu aktivieren“) sowie der nicht auszuschließenden adressgenauen Zuordnung sämtlicher Daten zu einer Person und der Zweitverwertung erhobener Daten.

Nun geht das bundesdeutsche Zensusgesetz in einem Punkt sogar noch über die Vorgaben aus der EU hinaus. So wird nicht nur nach rechtlicher Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft gefragt, sondern auch das Hinterfragen des bloßen Bekenntnisses zu einer Religion, Glaubensrichtung oder Weltanschauung - wie z.B. sunnitischer Islam, allevitischer Islam, schiitischer Islam, Buddhismus, Hinduismus, sonstige Religionen oder Weltanschauungen gehört zum Fragekatalog. In der Begründung hieß es dazu im Protokoll des Innenausschusses, dass die Erhebung von Daten zu sonstigen christlichen Glaubensgemeinschaften, insbesondere zu islamischen Glaubensrichtungen und anderen Weltreligionen wichtig sei für das Verständnis von Prozessen der Integration von Zuwanderern und ihren Kindern.

Jedoch mit der Abfrage von solchen Zugehörigkeiten erzeugt man kein Verständnis hinsichtlich vorhandener Integrationsprozessen. Hierzu ist ein Umdenken in der gegenwärtigen Migrations- und Integrationspolitik erforderlich. Die Volkszählung selber wird das nicht richten.

Ich möchte an dieser Stelle noch einen weiteren Punkt ansprechen: Der Bund verlangt von den Kommunen eine zusätzliche Leistung, und wie immer streiten Bund, Länder und Kommunen über die Kosten. So bestehen erhebliche Differenzen zwischen den Kostenschätzungen, welche die Landesregierung aufgestellt hat und den Forderungen des Städte- und Gemeindebundes. Da ergibt sich allein bei den zu ersetzenden Personalkosten eine Diskrepanz von 7,1 Mio. Euro. Und deshalb sei die Frage wohl gestattet, wie die Städte und Gemeinden das schultern sollen, die mit einer Finanzsituation zu kämpfen haben, die nicht zuletzt auch durch das Finanzausgleichsgesetz noch dramatisch verschlechtert wurde. Außerdem sollen die Zahlungen bis zum 30. Juni 2011 realisiert werden, ohne das eventuelle nachträgliche Kostenermittlungen dann berücksichtigt werden.

Hinzu kommt, dass die Erhebungsstellen mit eigenem Personal ausgestattet werden müssen, welches dann mit keinen anderen Aufgaben des Verwaltungsvollzugs betraut werden darf. Das zeugt von Unkenntnis über die Personalsituation in den Städten und Gemeinden.

Und noch eine Frage muss aufgeworfen werden: Es gibt in diesem Land für alles statistische Erhebungen. Es gibt eigentlich nichts, was nicht schon in irgend einer Art und Weise statistisch erfasst wurde. Und da fragt man sich natürlich insgeheim: Glaubt man diesen ganzen Statistiken nicht, wenn man jetzt scheinbar der Auffassung ist, dass aus diesen Erhebungen nicht all das erfahren werden kann, was nun mit der Volkszählung erreicht werden soll?

Wahrlich ein Armutszeugnis, denn es bedient alle Klischees über Statistiken.