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Gerald Grünert zu TOP 03: Entwurf eines Zweiten Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform

Nunmehr nach fast genau 10 Jahren seit dem ersten Leitbild zur Gemeindeneugliederung vom Dezember 1999 und rd. ein halbes Jahr vor Umsetzung der Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt zum 30.06.2010 ist es an der Zeit eine Bilanz zu ziehen und diesen Prozess politisch zu bewerten.

Auch wenn die Landesregierung vor wenigen Tagen versuchte, diese Bilanz positiv darzustellen, in dem sie behauptete, die Gebietsreform sei nahezu geräuschfrei über die Bühne gegangen, muss sie sich fragen lassen, ob sie diese Geräusche schon verdrängt hat oder auf Grund eines Realitätsverlustes gar nicht mehr wahrnehmen kann.

Gestatten Sie daher, diesen geräuschvollen Erkenntnisprozess der letzten 10 Jahre näher zu beleuchten.

Mit Beginn der vierten Legislatur beantragte die Regierungskoalition von CDU und FDP die Aufhebung der drei Vorschaltgesetze aus der dritten Legislatur mit der Drs. 4/33 am 21. Juni 2002 die „Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung“ und die Aufhebung des Vorschaltgesetzes zur Kommunalreform vom 05.12.2000, des Vorschaltgesetzes zur Kommunalreform und Verwaltungsmodernisierung vom 15.05.2001 und des Vorschaltgesetzes zur Kommunalreform vom 26.10.2001. Unter dem Deckmantel der Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung wurde auf Grund von Wahlversprechen der von SPD und PDS getragene und vielfach bereits im Vollzug befindliche Reformprozess beendet. Kernaussagen der Koalition neben einer überschwänglichen Freude des damaligen Innenministers waren Freiwilligkeit, das hohe Gut der kommunalen Selbstverwaltung, keinerlei Vorgaben von Mindestgrößen und staatlichen Zwangsphasen sowie einengender zeitlicher Abfolgen. Die Verbandsgemeinde solle abgeschafft werden, da sie nicht in die kommunale Landschaft passt, die Entscheidungen sollen wieder vor Ort getroffen werden können. Verantwortung heißt nicht, frei von Vernunft zu entscheiden! Diesen Satz prägen Sie sich bitte ein.

Für die CDU hieß das, keine zwangsweise Auflösung von Kommunen, Herr Kolze hatte arge Probleme, die Verbandsgemeinde zu erklären und war auf Hilfe von Frau Theil angewiesen, er wollte dieses Auslaufmodell in keiner Weise haben. Sein Kredo bestand in Freiwilligkeit, größere Gestaltungsspielräume für die Kommunen und Verlässlichkeit und Vertrauen! Nur eine umfangreiche und grundlegende Funktionalreform kann Grundlage einer Kommunalreform sein, O-Ton CDU usw. usf.

Trotz all dieser Beteuerungen entbrannte ein Streit darüber, wie und ob die vorhandene Struktur geeignet ist, den zukünftigen Anforderungen an eine moderne und bürgernahe Verwaltung zu erfüllen. Bereits mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften und Stärkung der gemeindlichen Verwaltungskraft 5.03.2004 waren sie wieder da, die Mindestgrößen, die zeitlichen Einengungen, die Einschränkungen der Gestaltungsspielräume. Trägergemeinden, die sich vom Ballast der Verwaltung der Umlandgemeinden erholt hatten, wurden gegen ihren Willen wieder belebt. Wurde von Ihnen noch 2002 verkündet, dass die kommunalen Strukturen handlungsfähig sind, wurden diese markigen Reden mit dem Gesetz über die Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften und Stärkung der kommunalen Verwaltungstätigkeit sowie dem Kommunalneugliederungs-Grundsätzegesetz und dem Gesetz über die Neustrukturierung der Landkreise bis zum Jahr 2006 der Lüge überführt. Ich möchte aus Zeitgründen die Kreisgebietsreform heute nicht bewerten.

Bereits mit dem Gesetz über die Fortentwicklung des Kommunalverfassungsrechts wurden erhebliche, vorher auch von CDU und FDP stark gepriesene demokratische Rechte und Gestaltungsspielräume abgeschafft, seien es die Wirkungsbedingungen von Bürgerinitiativen, von Beauftragten, die Ausgestaltung der Aufgaben von Beiräten oder die Durchgriffsrechte der Fachbehörden.

Damit wurde dem eigentlichen Leitbild Städte und Gemeinden 2020 - für eine nachhaltige Kommunalpolitik, wie sie der Städte- und Gemeindebund in seiner Sitzung am 18. 04. 2005 in Tangermünde vorgestellt hatte, der Boden entzogen. Die Bilanz von 2006 fiel daher im kommunalen Bereich sehr verhalten aus.

Mit der neuen Legislatur und unter CDU/SPD wurde der Prozess der kommunalen Neugliederung nicht geräuschärmer. Im Gegenteil. Nahezu wöchentlich tagte der Koalitionsausschuss, da wurde das Ende der Koalition permanent bemüht, um eigene Positionen durchzudrücken. Da wurden Gutachten zur Bewertung der Wirtschaftlichkeit der Gemeindemodelle in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse jedoch politisch motiviert umgedeutet wurden, eine Evaluierung der gerade erst getroffenen Änderungen bei den Verwaltungsgemeinschaften wurde verworfen, das Auslaufmodell Verbandsgemeinde wurde neu kreiert. Das Leitbild der Landesregierung wurde dann folgerichtig unter Abwesenheit von Kriterien der Raumordnung und Landesplanung erarbeitet, das Ergebnis sehen wir heute nur zu deutlich.

Auch der Beschluss des Zweiten Leitbildes Gemeindereform vom 07.08.2007 sowie das Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform waren weitere Sahnehäubchen. Da wurden Anhörungen durchgeführt und deren Beratungsgrundlagen kurz zuvor geändert, oder eine inhaltliche Bewertung des Anliegens der Volksinitiative schlicht weg im Ausschuss verweigert, Änderungsanträge der LINKEN zum Ortschaftsverfassungsrecht, Zweitbeschlussverlangensrecht usw. wurden vom Tisch gefegt und nunmehr mit dem Siegel von CDU/SPD in den vorliegenden Gesetzen wieder eingeführt. Während man sich 2004 noch gegen die Gleichzeitigkeit von tiefgreifenden Veränderungen im kommunalen Bereich aussprach, wurde zeitgleich die Einführung der Doppik, die Änderung des FAG und der Vollzug der Haushaltskonsolidierungen beschlossen.

Auch das Gesetz zur Fortentwicklung der Kommunalverfassung vom 14.11.2008 reiht sich in dieses Durcheinander der letzten Jahre ein. Allein der Name verspricht, was das Gesetz nicht hält.

Nunmehr, nach über 10 Jahren hat sich die Mehrzahl der Gemeinden „freiwillig“ neu gebildet, soll der restliche Bestand durch Zuordnung einer erfolgreichen zukünftigen Entwicklung zugeführt werden. Wer jedoch dachte, dass die Grundsätze des Begleitgesetzes den Prozess der Neubildung zu Grunde gelegt werden, wurde herb enttäuscht. Politische Willkür, provinzielle Partikularinteressen und das komplette Fehlen eines raumordnerisch durchdachten und sinnvoll vernetzen Konzeptes zur Gemeindegebietsreform kennzeichnen die bisherigen Ergebnisse.

So wurde der Grundsatz der 1-zu-1 Umwandlung von Verwaltungsgemeinschaften mit prägendem Ort in Einheitsgemeinden wie im  Falle von Gernrode mal wegen ganzer 545 Einwohner nicht genehmigt. Im Gegenteil, man ermunterte die Gemeinden Friedrichsbrunn und Stecklenberg aus der Verwaltungsgemeinschaft auszuscheren. Aber auch der bestehende Teil von Gernrode, Bad Suderode und Rieder ist mit 7.743 Einwohnern zwar unter der magischen 8.000 jedoch erheblich über der bestandsgeschützten Stadt Falkenstein, die per 31.12.2008 noch 5.942 Einwohner ausweist. Im Übrigen wurden auch in der Stadt Nienburg Ausnahmen von der Regel zugelassen. Unsere Fraktion stellt daher den Änderungsantrag auf Zulassung der Bildung dieser Einheitsgemeinde.

Ein offenes Problem stellt sich im Landkreis Mansfeld-Südharz bei der Stadt Arnstein dar. Hier versucht die Landesregierung, mittels Taschenspielertricks eine gemeinsame Gemarkungsgrenze zu definieren, um Sandersleben über Arnstedt und Wiederstedt anbinden zu können. Berücksichtigt man jedoch die Bürgeranhörungen, dann ergibt sich, dass die Gemeinden Walbeck und Ritterrode nicht mehr nach Hettstedt wollen, dafür jedoch die Gemeinden Arnstedt und Wiederstedt. Hier bleibt in der Anhörung die Aufgabe die unterschiedlichen Interessen abzuwägen.

Völlig konfus sind die Entscheidungen im Bereich Genthin und Jerichow. Folgt man dem Gleichheitsgrundsatz, dann wäre Genthin, bezogen auf die inhaltliche Begründung der Entscheidungen wie für die Stadt Zerbst gleichzustellen. Die jetzt getroffene Entscheidung zur Stadt Jerichow lässt politisches Kalkül erahnen. Wir werden im Verlaufe der Anhörungen auf weitere nicht nachvollziehbare Entscheidungen eingehen und diese hinterfragen.

Eins steht bereits jetzt fest, mit den vorgelegten Gesetzentwürfen wird in vielen Fällen die Ausnahme zur Regel gemacht und das Begleitgesetz faktisch ausgehebelt.

Noch ein Wort zum Begleitgesetz selbst. Ich finde es ausgesprochen gut, dass nach vierjähriger Ignoranz seitens der Koalition nunmehr der Vorschlag meiner Fraktion zum erweiterten Ortschaftsverfassungsrecht und zum Zweitbeschlussverlangensrecht umgesetzt werden soll. Trotz dieser positiven Seite wird jedoch auch mit den vorliegenden Gesetzentwürfen gegen das erste Begleitgesetz verstoßen, das die Einführung des Ortschaftsverfassungsrechts in der staatlichen Phase ausschloss. Offensichtlich wurde diese Festlegung nur als Drohpotential für die freiwillige Phase benutzt und soll nunmehr, da sie diese Aufgabe erfüllt hat, abgeschafft werden.

Mit den vorliegenden Gesetzentwürfen sollen in Gemeinden Neuwahlen angeordnet werden, wenn der einzugemeindende Teil mehr als 33,3 % der Einwohnerzahl ausmacht. Hier bedient sich die Landesregierung, wie so oft, eines Taschenspielertricks. Sie addiert erst die Einwohnerzahl aller Ortsteile zusammen und bestimmt dann, ob der Neuzugang über 33,3 % liegt. Nach unserer Berechnung, Altbestand zu Neuzugang, wären Neuwahlen neben den vorgeschlagenen 3 auch in weiteren 4 Landkreisen anzuordnen. Um die Aufwendungen, die sich für die Gemeinden aus den Anordnungen ergeben auszugleichen, haben wir einen entsprechenden Änderungsantrag gestellt.

Geräuscharm war und ist dieser Prozess nicht. Nach wie vor klagt die Volksinitiative Sachsen-Anhalt 2010 vor dem Verfassungsgericht, besteht erheblicher Frust unter der Einwohnerschaft hinsichtlich der Sinnhaftigkeit durchgeführter Bürgeranhörungen und deren „Eingang“ in die Entscheidungsvorschläge. Ungeklärte Probleme greift das zweite Begleitgesetz nicht auf. So zum Beispiel gibt es erhebliche Mehraufwendungen im Bereich der postalischen Zuordnung von Ortsteilen. Die Gemeindeverwaltungen spielen „Briefverteilzentrum“, da die Post offensichtlich überfordert ist, oder es werden Bonitätsprüfungen negativ attestiert, da eine genaue Zuordnung des Hauptwohnsitzes der Personen nicht gegeben ist usw. usf.

Auch die „Freude“ der Bürger über die durch die Gebietsänderungen notwendigen Änderungen in ihren persönlichen Daten und deren finanzielle Auswirkungen ist sehr gedämpft.

Die fehlende gesetzliche Verankerung einer interkommunalen Funktionalreform, als inhaltliche Rechtfertigung für den erheblichen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung, stellt die Sinnhaftigkeit der Reform nachhaltig in Frage.

Was hatte die CDU noch 2002 verkündet? Dieser Prozess braucht Ruhe, Verlässlichkeit und Sachlichkeit. Richtig, nur diese Aussagen galten offensichtlich nicht für sie.

Da verkündeten CDU-Kollegen vor Ort andere Wahrheiten als im Parlament, sind Sprachlosigkeit und Parteidisziplin statt Sachkompetenz im Parlament Gang und Gäbe.                               

Die Fraktion DIE LINKE wird trotz der vielen offenen Fragen und der grundsätzlichen Kritik einer Überweisung federführend im Innenausschuss und mitberatend in den Ausschuss für Landesentwicklung, Städtebau und Verkehr zustimmen.