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Eva von Angern zu TOP 7: Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz sowie Einführung einer Kindergrundsichrung dringend geboten

Sehr geehrte Damen und Herren,

in Ostdeutschland ist der November 1989 für den Fall der Mauer in Berlin und die damit einhergehenden Grenzöffnungen in Erinnerung. Die Wenigsten haben damals mitbekommen, dass 11 Tage nach der historischen Berliner Nacht noch ein anderes Ereignis stattfand; diesmal in New York bei den Vereinten Nationen.  Am 20. November 1989 wurde die UN-Kinderrechtskonvention beschlossen, die am 2. September 1990 in Kraft trat. Darin wurden Standards zum Schutz von Kindern festgehalten vor Diskriminierung und Gefährdungen der Gesundheit, Standards für ihre Erziehung und Entwicklung.  Zur Wahrung ihrer Interessen wurden außerdem Beteiligungsrechte definiert. Kinder erhielten das erste Mal – international definiert – eine Stimme bzw. sie sollen durch die Konvention eine Stimme und eigene Rechte erhalten. Die tatsächliche - weltweite Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention lässt noch zu Wünschen übrigen. Auch in Deutschland. Die Bundesrepublik hat die UN-Kinderrechtskonvention mitunterschrieben und 1992 ratifiziert.

Leider - und das ist eben nicht unerheblich - hat die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland auch über 30 Jahre nach der Ratifizierung immer noch keinen Verfassungsrang.

Es wurde ihr zwar mit verschiedenen Gesetzen teilweise Rechnung getragen, aber ins Grundgesetz wurden die besonderen Kinderschutzrechte noch immer nicht aufgenommen. Der letzte Versuch, dies zu ändern, scheiterte leider 2021 erst im Bundestag noch in der letzten GroKo unter Angela Merkel und das trotz der Tatsache, dass das Vorhaben in der Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD festgeschrieben war.

Wirklich spannend wird es bei der Frage, warum sich der Bundestag nicht zu 2/3 auf diese wichtige Änderung des Grundgesetzes einigen konnte.

Zur Erinnerung:

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung stand:

„Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen.“ Angemessen!

In der UN-Kinderrechtskonvention heißt es hingegen in Artikel 3:

„Wohl des Kindes“

Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Vorrangig! Das ist etwas anderes als „angemessen“. Trotz dieser deutlich für die Interessen von Kindern schlechteren Variante fand sich im Bundestag keine 2/3 Mehrheit. Beschämend. Die Regierung aus Union und SPD nahm Kinderrechte also nicht in das Grundgesetz auf, obwohl sie diese nur angemessen statt vorrangig behandeln wollte.

Ich sage ganz deutlich:

Wer Kinderrechte nur angemessen statt vorrangig behandelt, will den Kampf gegen Kinderarmut nur kämpfen, wenn es ihm gerade in den Kram passt.

Wer Kinderrechte nur angemessen statt vorrangig behandelt, will Kinder abschieben, wenn ihre Eltern den falschen Pass haben.

Wer Kinderrechte nur angemessen statt vorrangig behandelt, will wahrscheinlich sogar, dass der Schutz, die Förderung und Beteiligung von Kindern sich irgendwo hinter wirtschaftlichen Interessen einfindet bzw. anstellt.

Wenn man sich das alles vor Augen führt, verwundert es nicht, dass allein bei uns ins Sachsen-Anhalt mehr als jedes vierte Kind von Armut gefährdet ist, damit sind wir Schlusslicht in Ostdeutschland, aber ein Aufschrei ausbleibt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die wohl bekannteste und über Jahrzehnte lauteste Stimme in Deutschland von Kindern und für Kinderrechte, war und ist Heinz Hilgers.

Seine klare Botschaft:

„Kinder sind Personen und keine Sachen. Deshalb müssen ihre ganz eigenen Rechte ins Grundgesetz geschrieben werden.“

Vor wenigen Tagen hat er sein Amt als Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes aufgegeben.

Ich danke ihm ausdrücklich für all sein Engagement, sei es ganz konkret in der Umsetzung als Oberbürgermeister der Stadt Dormagen, wo es ihm durch viel Engagement und auch Mut gelungen ist, dass es teilweise keine oder nur wenige Inobhutnahmen von Kindern mehr geben muss, weil Eltern stark gemacht worden und ein starkes gesellschaftliches Netzwerk sie positiv unterstützt. Ich danke ihm aber auch für seine zielgenaue Beratung sämtlicher Bundesregierungen. Es ist auch sein Verdienst, dass es die Kinderrechte zumindest in die Koalitionsvereinbarung der GroKo geschafft haben und es ist auch sein Verdienst, dass es das Ziel einer Kindergrundsicherung in den Koalitionsvertrag der Ampel geschafft.

 

Ich hätte ihm die Umsetzung noch in seiner Amtszeit sehr gewünscht. Ehrlich gesagt: ich habe mich wahnsinnig gefreut, als ich die Kindergrundsicherung in der Vereinbarung las und sie haben natürlich große Hoffnungen geweckt!

Sehr geehrte Damen und Herren,

in Sachsen-Anhalt und im gesamten Bundesgebiet braucht es endlich eine Kindergrundsicherung, damit Kinder frei von Angst und Armut aufwachsen und sich entwickeln können. Es ist doch gut und richtig, wenn der Ministerpräsident davon spricht, dass eine der größten Herausforderungen der Fachkräftemangel in Sachsen-Anhalt ist.

Doch nicht nur ich, sondern die Menschen in unserem Land erwarten dann auch den nächsten Schritt und das bedeutet ein ganzheitliches Herangehen an das Thema und die erforderlichen Lösungen. Nicht nur Probleme an die Wand malen. Unser nachwachsender Rohstoff sind Kinder und Jugendliche.

Wir können uns weder moralisch noch wirtschaftlich leisten, auch nur ein Kind auf der Strecke zu lassen. 26,2 % der Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sind in Sachsen-Anhalt armutsgefährdet. Mehr als jedes 4. Kind! Deutschlandweit reden wir über ca. 3 Millionen Kinder. Natürlich gehören zu armen Kindern arme Eltern und ein weiterer Blick in die Zahlen zeigt, dass insbesondere Alleinerziehende – überwiegend Frauen – einem besonders hohen Armutsrisiko unterliegen.

Jede zweite Alleinerziehende ist in LSA armutsgefährdet. Armut hat in unserem Land ein weibliches und ein Kindergesicht und ich bin mir sehr sicher, dass niemand das hier im hohen Haus will. Niemand aus den demokratischen Fraktionen will, dass die Kinder in unserem Land in Armut aufwachsen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Kinder in Armut werden nicht weniger von ihren Eltern geliebt als in anderen Familien. Natürlich nicht! Doch sie erfahren in nahezu allen Lebensbereichen Nachteile. Sie ernähren sich ungesünder, weil es aus finanziellen Gründen auch gar nicht anders möglich ist. Daher auch unser gestriger Antrag zur kostenfreien, gesunden Ernährung in Kitas und Schulen. Sie haben niedrigere Bildungschancen. Daher auch unter anderem unser gestriger Antrag zur Verstetigung der Schulsozialarbeit. Sie erleben tagtäglich Ausgrenzung und eine geringere soziale Teilhabe.

Armut schadet Kindern, sie verletzt ihre Rechte, sie beschämt und grenzt aus.

Es gibt bereits jetzt verschiedene staatliche Maßnahmen, die Abhilfe schaffen sollen. Der Kinderzuschlag, die Bildungs- und Teilhabepakete. Das ist nicht nichts. Doch auch diese Maßnahmen schützen nicht vor Armut. Wir alle wissen darüber hinaus: das Geld wird nur zu einem knappen Drittel in Anspruch genommen. Der Blick in den Bundeshaushalt verrät seit vielen Jahren, dass das auch bekannt ist. Die jeweiligen Titel entsprechen nie einer kompletten Inanspruchnahme und wären dafür gar nicht gedeckt. Nun können Sie das der alleinerziehenden Mutter vorwerfen, dass sie neben Sorge um ihre Kinder, ihrem Job oder ihren Jobs, nicht alle Ämter aufsucht, in denen sie Ansprüche geltend machen kann.

Dann möchte ich Sie alle aber mal auffordern, die vielen verschiedenen Anträge mal probeweise selbst auszufüllen, mal probeweise in Ämtern vorstellig zu werden – ohne ihre Abgeordnetenausweis an der Pforte zu zeigen. Die Realität ist, dass die wenigsten Behörden tatsächlich serviceorientiert unterstützend wirken. Wer gestern beim DIAKONIE-Frühstück dabei war, konnte es mal wieder aus erster Hand hören.

Nein, wir brauchen ein grundsätzliches Umdenken und vor allem muss oberstes Ziel sein, dass das Geld in den Familien und damit bei den Kindern ankommt. Und wer mir jetzt lautstark erklärt, dass mehr Geld bei den Eltern nicht bedeutet, dass es bei den Kindern auch ankommt, weil sie es ja sowieso nur für ein neues Auto, ein neues Handy oder Alkohol und Zigaretten ausgeben, dem halte ich entgegen: Diese Aussage spricht für Vorurteile und Unwissenheit vor allem gegenüber Eltern. Die wenigen Ausnahmefälle, dürfen nicht als Maßstab für alle Familien verwendet werden. Es gibt keine empirischen Belege für die These. Es gibt allerdings Untersuchungen der Bertelsmann Stiftung, die genau das Gegenteil belegen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich will aber auch sagen, dass wir neben der Kindergrundsicherung gern über mehr Investitionen in die Infrastruktur reden können. Kostenfreie Kita, mehr Angebote in der Kinder- und Jugendhilfe usw. Gegen Kinderarmut hilft nur ein Miteinander von mehr Geld für Familien und eine bessere Bildung und Infrastruktur für Kinder. Ein Entweder-oder hilft nicht. Natürlich müssen wir auch über die Erwerbssituation der Eltern reden. Wir brauchen dringend einen höheren Mindestlohn, der die Inflation berücksichtigt und wir brauchen dringend flächendeckende Tarifverträge.

Sehr geehrte Damen und Herren,

nun erleben wir derzeit eine katastrophale Performance der Ampel im Bund. Ich erwarte nicht, dass Sie sich untereinander lieben. Doch die Menschen in unserem Land erwarten, dass Sie die von Ihnen angekündigten Vorhaben ordentlich erledigen. Die Einführung der Kindergrundsicherung war im Wahlkampf gerade von SPD und Grünen das Prestigeobjekt. Mir ist bewusst, dass das Vorhaben enorm anspruchsvoll ist. Doch kein Kind hat Zeit, ein Mediationsverfahren zwischen Ihnen abzuwarten. Es geht auch nicht wirklich ums Geld. Das ist doch lächerlich. Es geht um Macht und um deren Durchsetzung. Die Vorschläge der Umsetzung der Kindergrundsicherung liegen auf dem Tisch. Wenn Ihnen die Vorschläge von Frau Paus nicht gefallen, schauen Sie sich die Vorschläge des Bündnisses Kindergrundsicherung oder die der Bertelsmann Stiftung an. Wichtig ist: handeln Sie! Die Kinder in unserem Land brauchen dringend eine Kindergrundsicherung, die ihren Namen auch tatsächlich verdient! Wir brauchen eine finanzielle Absicherung aller Kinder – unabhängig von der sozialen Herkunft oder dem Erwerbsstatus der Eltern.

In keinem europäischen Land sind die Zukunftschancen von Kindern so sehr abhängig vom sozialen Status der Eltern wie in Deutschland. Das können wir uns nicht mehr leisen!  Niemand hat gefragt, woher über Nacht die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr hergekommen sind bzw. finanziert werden. Für die Kindergrundsicherung möchte ich Ihnen aber gern ungefragt Vorschläge machen:

Abschaffung des Ehegattensplittings

Wiedereinführung einer Börsenumsatzsteuer

Wiedereinführung einer echten Vermögenssteuer.

Ja, die Bekämpfung der Pandemie war teuer. Doch die Refinanzierung darf nicht zu Lasten der Sozialpolitik erfolgen. Das fördert neue Ungerechtigkeiten und neu Krisen. Das Geld ist in unserem reichen Land da! Es muss nur dringend umverteilt werden. Ich werbe heute um Zustimmung zu unserem Antrag. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!