Eva von Angern zu TOP 5: Kinder- und Familiengipfel für Sachsen-Anhalt - Kindern und Jugendlichen unter Pandemiebedingungen gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen
Die Corona-Krise hat unseren Alltag, unser Familienleben, die Arbeit und das öffentliche Miteinander verändert. Das Coronavirus zu entschlüsseln, seine Wirkweise zu verstehen und ein wirksames Gegenmittel zu entwickeln, das ist Aufgabe der Wissenschaft und der Virologen. Den gesellschaftlichen, sozialen sowie wirtschaftlichen Auswirkungen des Coronavirus politisch zu begegnen, ist jedoch Aufgabe der Parlamente und Regierungen, begleitet von einem öffentlichen, kritischen, gesellschaftlichen Diskurs. Insbesondere Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen müssen bei den notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise berücksichtigt werden. Denn insbesondere in Abhängigkeit von der sozialen Lage hat die Corona-Krise Kinder, Jugendliche und ihre Familien unterschiedlich hart getroffen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich habe das große Glück, dass ich seit vielen Jahren Mitglied dieses hohen Hauses bin und daher schon sehr viele Debatten über Kinder, Jugendliche und ihre Familien miterleben durfte. Die Positionen der Fraktionen wechselten zuweilen, je nachdem in welcher Rolle man sich befand… Ob als Mitglied einer regierungstragenden Fraktion oder der Opposition. Wir haben hier schon mehrfach hart und intensiv über das Thema Ganztagsbetreuung für alle Kinder in der Kita diskutiert, über die Rolle von außerschulischer Jugendarbeit, über Finanznöte der Kommunen bzgl. sogenannter freiwilliger Aufgaben, über die Verteilung der Ausgaben des Bildungs- und Teilhabepakets, über Kinderrechte in unserer Verfassung und im Grundgesetz oder auch über die dringenden Betreuungsbedürfnisse von Kinder und Jugendlichen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind… (um nur einige Beispiele zu nennen…)
Ich bemühe den Vergleich nur ungern, dennoch: wenn man davon ausgeht, dass Kinder die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft sind, dann sagt es über unser Land sehr viel darüber aus, welche Prioritäten wir in den letzten Jahren gesetzt haben. Beispielhaft sei hier nur die Ganztagsbetreuung für alle Kinder in der Kita und die 15-jährigen Auseinandersetzungen und Anstrengungen um Betreuungsangebote für Kinder in unseren Frauenhäusern genannt. Und natürlich auch, wie wir gerade in den letzten Wochen und Monaten sowie aktuell mit ihnen umgehen.
Wir diskutieren leidenschaftlich über den Profifußball. Es gibt - in der Sache sicher begründete - Brandbriefe unseres Ministerpräsidenten, in denen er sich persönlich für die Interessen des HFC und des 1. FCM stark macht. Gut und richtig!
Doch, Herr Ministerpräsident, wo bleibt ihre Brandrede für die Kinder, Jugendlichen und Familien in unserem Land? Wo bleibt Ihr persönlicher Einsatz zur Gewährleistung der Rechte und gesellschaftlichen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie?
Als LINKE erwarten wird, dass sie die Sozialministerin und den Bildungsminister vehement darin unterstützen, dass wir in Kitas und Schulen in den Regelbetrieb zurückkehren können und das bedeutet ganz konkret, dass ihnen zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden, um dies unter den Pandemiebedingungen auch tatsächlich realisieren zu können.
Setzen Sie sich, Herr Ministerpräsident, auf Bundesebene dafür ein, dass dem Land zusätzliche Mittel für Kitas und Schulen für einen Regelbetrieb unter Pandemiebedingungen zur Verfügung gestellt werden.
Wir haben in den letzten Monaten Kinder weggeschlossen. Wir haben ihre Rechte zu Gunsten unserer aller Gesundheit erheblich eingeschränkt.
Ihr Recht auf Bildung. Ihr Recht auf das Spielen mit ihren Freunden musste auf ein Mindestmaß begrenzt werden. Ihnen wurde ein Stück alltäglicher Kindheit genommen.
Verstehen Sie mich nicht falsch: diese Entscheidungen waren richtig und mussten so getroffen werden.
Doch nun müssen wir verantwortungsvoll die Folgen dieser Entscheidungen betrachten und auswerten und vor allem so schnell als möglich uns dafür einsetzen, dass sie ihre Rechte wieder voll umfänglich wahrnehmen können. Das Recht auf Schule, Bildung und Betreuung darf nicht länger ausgesetzt werden. Die bildungspolitischen Lockerungen müssen mit denen der Wirtschaft Schritt halten.
…und das, meine Damen und Herren, können Kinder wahrlich nicht allein. Dafür brauchen sie uns und unsere Unterstützung.
Das ist die besondere Situation von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, ein besonderes Alleinstellungsmerkmal und genau deshalb hat meine Fraktion sie ganz oben auf die Agenda gesetzt.
Wir haben Kindern und ihren Familien eine große Verantwortung in den letzten Monaten übertragen und nun ist es unsere Verantwortung, dass Kinder ihre Rechte tatsächlich wieder wahrnehmen können.
Ich gehe davon aus, dass wir am heutigen Tag alle unterschreiben können, dass wir auch heute noch nicht in unserer alten Normalität zurück sind.
Ein „normales Weiter-So“ ist so schnell nicht zu erwarten. Und wird es mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht geben. Wir müssen daher schnell umdenken, um Kinder und Jugendliche auf diesem Weg zu begleiten und zu unterstützen. Sogar die „Heute-Show“ hat in ihrer letzten Sendung treffend festgestellt, dass es den Anschein hat, dass den Deutschen das Auto wichtiger ist als Kinder. Sebastian Puff-Paff stellte - ACHTUNG SATIRE! - fest, dass Autos natürlich systemrelevant seien, denn sie schaffen einen wirtschaftlichen Mehrwert, Kinder nicht. Deshalb, wir brauchen keinen Autogipfel, wir brauchen dringend stattdessen einen Kindergipfel!!!
Meine Damen und Herren, es gibt in unserem Land sogar Studien, die den Nachweis erbringen, dass der CO2 Ausstoß eines Kindes höher ist, als der eines Autos. Ich frage mich allen Ernstes, wer eine solche Studie überhaupt mit dieser Fragestellung in Auftrag gibt.
Als im KIKA kürzlich der Bundespräsident gefragt wurde, ob den Deutschen Autos mehr wert sind als Kinder, antwortete er: „Das hoffe ich nicht. Kinder sind viel wichtiger als Autos, aber Kinder sind natürlich auch was ganz anderes.“ Klar, der Nachsatz war wichtig, damit die Autolobby nicht aufgebracht ist. Ich hätte mir allerdings von unserem Bundespräsidenten ein klares und eineindeutiges „NEIN.“ an dieser Stelle gewünscht.
Fakt ist, meine Damen und Herren: Auch Deutschland hat im Jahr 1989 die UN-Kinderrechtskonvention unterzeichnet und damit ihre Umsetzung für Deutschland anerkannt. In dieser Konvention heißt es unter anderem in Artikel 3 Absatz 1:
Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.
Diesem Wortlaut und klarem Ziel der Konvention steht die Zahl 4,4 Millionen gegenüber. 4,4 Millionen Kinder und Jugendliche, die in unserem reichen Land nach Berechnungen des Deutschen Kinderschutzbundes von Armut bedroht sind.
…und niemand wird die Aussage überraschen, dass es gerade diese Kinder und Jugendlichen und ihre Familien sind, die sämtliche Beschränkungen, die in Folge der Corona-Pandemie bestanden und bestehen, am heftigsten getroffen haben und weiterhin treffen.
Sie sind es, die überwiegend auf beengten Wohnverhältnissen die Ausgangsbeschränkungen ertragen mussten. Sie sind es, die sich im besten Fall mit ihren Geschwistern einen Laptop teilen konnten, um im Homeschooling überhaupt lernen zu können.
Sie sind es, die ihre Hausaufgaben auf einem Teppich erledigen, weil ein Schreibtisch nicht vorhanden oder von einem Geschwisterkind benutzt wird. Sie sind es, die am intensivsten die existentielle Angst ihrer Eltern spüren.
…und leider sind es auch sie, die nicht selten häuslicher Gewalt mittelbar oder unmittelbar ausgesetzt sind. Und erschwerend kommt hinzu, dass die Bildungschancen dieser Kinder und Jugendlichen schon vor Corona ungleich verteilt gewesen waren.
Führen wir uns diese Fakten vor Augen, erschließt sich schnell, dass diese Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen langfristig negative Folgen für ihr unmittelbares und späteres Leben haben. Ihre Benachteiligung wächst bzw. verstetigt sind.
Das ist eine Tatsache, die meine Fraktion, meine Partei nicht tatenlos hinnehmen will und wird! Daran können und dürfen wir ALLE kein Interesse haben! Wir müssen handeln, um kein Kind zurückzulassen!
Meine Damen und Herren, wir haben in Sachsen-Anhalt nur diese eine nachwachsende Ressource, diesen einen „Bodenschatz“: unsere Kinder! Sie sind die Grundlage für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
Sozialer Zusammenhalt. Darüber werden wir in den nächsten Monaten und Jahren viel reden müssen.
Sozialer Zusammenhalt ist die Grundlage unserer Demokratie. Ohne diesen „Kitt“ ist unsere Demokratie in Gefahr!
Unsere Kinder lernen jetzt, ob und wie sozialer Zusammenhalt funktioniert.
Stellen wir sie und alle, die sich um ihr Wohl bemühen, in den Mittelpunkt unseres politischen Handelns.Nicht in Sonntagsreden, sondern im alltäglichen Politikgeschäft.
Wir werden schon bald - auch hier - darüber reden müssen, wie wir die Milliardenlöcher der Haushalte infolge der Pandemie schließen werden.
Bei diesen Debatten wird es unsere Verantwortung sein, die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft nicht weiter voranzutreiben, sondern den sozialen Zusammenhalt als das Ziel zu verfolgen.
Im aktuellen Konjunkturpaket der Bundesregierung wurde beschlossen, dass 300,00 Euro pro Kind für jedes kindergeldberechtigtes Kind für die besonders von den Einschränkungen betroffenen Familien gezahlt wird. Es ist gut und ein wichtiges Signal, dass aus der Debatte um die Anrechnung des Kindergeldes auf HARTZ IV gelernt wurde und diese Zahlung nicht angerechnet wird. Ich verweise da auf unseren gemeinsamen Beschluss zur Forderung der Nichtanrechnung des Kindergeldes auf Transferleistungen.
Es ist so absurd, dass das Kindergeld gerade nicht bei den Kindern ankommt, die es dringend brauchen. Doch statt Einmalzahlungen, die ja ganz nebenbei auch die Wirtschaft ankurbeln sollen, brauchen Familien zurzeit vor allem Verlässlichkeit in der Kita und in den Schulen.
Schlussendlich ist es Ziel unseres Antrages, Kindern, Jugendlichen und ihren Familien eine Stimme zu geben. Das können sie selbst am besten und das können all jene, die tagtäglich mit ihnen arbeiten, lachen und auch ihren Kummer teilen. Ehrlicherweise müssen wir uns alle eingestehen, dass viel in den letzten Wochen und Monaten über Menschen berichtet aber auch über sie und ihren Köpfen hinweg entschieden wurde. Doch selten kamen sie selbst und ihre eigene Perspektive in die Öffentlichkeit. Das gilt vor allem für Kinder, Jugendliche, aber auch Alleinerziehende. Sie finden eh selten in unserer Gesellschaft statt und gerade in dieser Zeit fehlt ihnen die Kraft, sich zu Wort zu melden. Das wollen wir ändern! Wissen Sie, Sachsen-Anhalt stünde es hervorragend zu Gesicht nicht nur in diesem Jahr, sondern in regelmäßigen Abständen einen solchen Gipfel durchzuführen!
…und: wir haben dabei nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen. Vor allem das Vertrauen von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien, dass auch sie in und von der Politik gehört werden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!