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Eva von Angern zu TOP 20: Zukunft der Sicherungsverwahrung in Sachsen-Anhalt

„Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit.“ So manifestiert es Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Und bei genauer Betrachtung wird das vermeintliche Dilemma, das in dieser Überschrift steckt, schnell deutlich. Es geht um die Menschenrechte auf Freiheit und Sicherheit. Das sind zwei Rechtsgüter, die nebeneinander Geltung haben. Eine Rangfolge ergibt sich nicht. Das bedeutet eben, dass diese Rechtsgüter gleichwertig sind und nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen.

Und das ist ein entscheidender Kernpunkt der Debatte um die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Und es ist gut, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine richtungsweisende Entscheidung getroffen hat.

In allen Bundesländern unterscheidet sich die Sicherungsverwahrung kaum von der Strafhaft und läuft damit dem Grundgesetz (§ 103 III GG, Doppelbestrafungsverbot) und der Menschenrechtskonvention zuwider, und es ist gut, dass die Politik dies anerkennt und Veränderungen anstrebt.
 
Lassen Sie mich vorab klar stellen: DIE LINKE nimmt das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit sehr ernst. Aber nicht jede Grundrechtseinschränkung, die unter dem Deckmantel der vermeintlichen „öffentlichen Sicherheit“ geschieht, führt auch tatsächlich zu mehr Sicherheit - sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht.

Deshalb ist es einerseits auch sehr wichtig, dass Gerichte, wie das Bundesverfassungsgericht oder der Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ganz genau hinschauen. Und andererseits ist es unsere Aufgabe als Politiker und Politikerinnen ehrlich zu sagen, dass wir nicht in der Lage sind, jegliche Kriminalität mit  den Mitteln, die einem Rechtsstaat zur Verfügung stehen, zu verhindern. So schlimm das in jedem einzelnen Fall auch ist, aber Kriminalität gehört zu jeder Gesellschaft.

Natürlich punktet man in der Bevölkerung mit der Überschrift „Wegschließen, und zwar für immer“, worunter am 26.08.2010 in der Volksstimme ein Plädoyer des Staatsministers, Herrn Robra pro Sicherungsverwahrung zu lesen war. Aber ist das tatsächlich seriöse Politik, Herr Staatsminister?

Nein, das ist es nicht. Gut, dass Sie wenigstens nicht auch noch den Internetpranger für Sexualstraftäter forderten. Diese Art und Weise der öffentlichen Kommunikation spielt nach Auffassung der LINKEN mit den Ängsten von Menschen, ist populistisch und daher wenig hilfreich in der Debatte. Ich werbe heute für eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema, die auf nachhaltige Lösungen zielt.

Sehr geehrte Kollegen der FDP, mir ist schon klar, dass Sie aufgrund Ihrer Verantwortung in Berlin einen Satz in den Antrag eingefügt haben, der da lautet: „Sie begrüßen die geplante Neuregelung“. Dennoch bedaure ich Ihren Wandel in der Debatte und erwarte gerade von Ihnen, dass Sie nichts kritiklos übernehmen, sondern differenziert hinschauen und den Rechtsstaat vor weiteren Angriffen schützen
Und da stimme ich meinem Kollegen im Bundestag Wolfgang Neskovic zu, wenn er sagt, dass an der zu erwartenden Gesetzgebung nichts liberal ist, dass die Zahl der Sicherungsverwahrten dank der „vorbehaltenen Sicherungsverwahrung“ zu explodieren droht und dass das Problem der Altfälle weiterhin ungelöst bleibt. Das möchte ich nun wirklich nicht begrüßen. Schade, dass Ihre Ministerin eingeknickt ist.

Der Bundestag seinerseits beriet die Neureglung zur Sicherungsverwahrung am 29.10.2010 und hatte am gestrigen Tag eine entsprechende Anhörung zum Gesetzentwurf. In der Debatte wurde noch einmal deutlich, dass es vor allem um den Ausbau der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung geht. Neu ist, dass der Hang zu schweren Straftaten nicht mehr sicher, sondern nur noch wahrscheinlich sein muss.
Da stellt sich sehr wohl die Frage, ob die vom EGMR geforderte Verknüpfung von Verurteilung und Freiheitsentzug umgesetzt wurde. Ich denke: NEIN.

Prof. Renzikowski von der Martin-Luther-Universität sagte gestern, dass die Gefährlichkeit des Täters nicht zugleich den Schluss zulasse, dass er auch geisteskrank sei. Und da möchte ich zugleich auf den Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Uni Duisburg hinweisen, der in der gestrigen Anhörung sagte: dass die neu vorgeschlagene Unterbringungsform der „Versuch sei, die Psychiatrie als Ersatzreserve für das Strafrecht“ zu nutzen. Das halte ich für rechtlich bedenklich.

Was wir tatsächlich dringend brauchen, ist ein besserer, früherer und stetiger Zugang von allen Strafgefangenen zu Therapieangeboten. Es geht um einen sinnvollen Behandlungsvollzug, so wie ihn das Gesetz auch vorschreibt. Wir brauchen mehr qualifiziertes Personal - keine fortgebildeten Vollzugsbeamten, sondern Psychologen und Sozialarbeiter. Wir brauchen mehr Bewährungshelfer für die „Altfälle“. Wir müssen (Forderung des Deutschen Anwaltvereins) auch die Möglichkeiten von mehr ambulanten Maßnahmen prüfen.

Der Mensch darf nicht ausschließlich als Täter gesehen werden, sondern als Mensch, der im Sinne eines nachhaltigen Schutzes wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden muss. Denn Resozialisierung ist die beste Prävention vor neuer Kriminalität bzw. vor Rückfälligkeit. Das sollte Maxime unseres Handelns sein.