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Eva von Angern zu TOP 2: Der Zukunft zugewandt: Ost-West-Ungerechtigkeiten und Wirtschaftskrise überwinden

Sehr geehrte Damen und Herren,

meine Fraktion hat sich bewusst entschieden, in der letzten regulären Sitzungsperiode des 7. Landtages nicht die letzten fünf Jahre dieser unrühmlichen Koalition zu bewerten, sondern zu hinterfragen, wie steht Sachsen-Anhalt im Jahr 2021 – mehr als 30 Jahre nach der friedlichen Revolution da.

Die friedliche Revolution im November 1989 jährt sich in diesem Jahr zum 32. Mal und es wichtig, dass wir eine ehrliche Bilanz ziehen, um die richtigen Konsequenzen für unser politisches Handeln im Land aber eben auch im Bund entsprechend zu ziehen.

Ostdeutschland und damit auch Sachsen-Anhalt spielte und spielt nach wie vor für die Bundesregierung eine untergeordnete Rolle.

Nun können wir spekulieren, woran das liegt…

Zu wenig große Unternehmen, zu wenig Wähler*innen aus Sicht der westdeutschen Parteienlandschaft, ein unberechenbares - merkwürdiges Wahlvolk?

Ossis wählen falsch. Wählen zu links. Wählen überhaupt nicht.

Ostdeutschland wird unter Vorgabe auch dieser Gründe seit der Wiedervereinigung nicht ernst genommen. Ostdeutsche Biografien wurden abgewertet. Ostdeutsche Klischees werden bedient.

Was setzt unsere Landesregierung dagegen?

In unregelmäßigen Abständen erklärt der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, dass es zu wenig Ostdeutsche bundesweit in Führungspositionen gibt, fordert gar eine Ostquote an der Spitze des NDR und des RBB.

ch finde die Forderung persönlich sympathisch. Bloßes wiederholtes Anprangern in den Medien hilft jedoch nicht. Konkrete Taten sind gefragt.

Was bleibt? Aufrufe nach mehr Selbstbewusstsein der Ostdeutschen. Symbolische Appelle helfen aber im Osten niemandem.

Sie schützen keine Familie vor Armut, schützen nicht vor Altersarmut und zeigen einmal mehr, dass es nicht wirklich um einen respektvollen Umgang mit den Menschen in Ostdeutschland geht.

 

Daher wird meine Partei auch im Jahr 2021 nicht Ruhe geben, um bestehende Ungerechtigkeiten deutlich zu benennen und selbstverständlich auch konkrete Vorschläge zu machen, wie diese behoben werden können. Teilweise ist es die x-te Wiederholung. Egal.

Unser Ziel ist es, dass solche Missstände der Vergangenheit angehören und Gerechtigkeit zwischen Ost und West und gern auch zwischen Nord und Süd hergestellt wird

Wir brauchen endlich Lohn- und Rentengerechtigkeit. Wir brauchen: vielfältige Karrierewege und Identifikationsmöglichkeiten für Ostdeutsche. Wir brauchen: eine wirksame Sicherung vor Armut in Familien und im Alter.

Selbstbewusstsein funktioniert nicht ohne eine reale Grundlage. Natürlich nicht! Selbstbewusstsein basiert auf Erfolgserlebnissen. Mangelnder Respekt, mangelnde Erfolgserlebnisse können auch gefährliche Folgen haben.

Darüber haben wir hier schon mehrfach gesprochen: Bleibt der Umgang mit Ostdeutschland so, findet kein Umdenken statt, werden die Menschen weiter abgehängt, wird sich Ostdeutschland weiter von demokratischen Werten entfremden.

…und westdeutsche Faschisten wie Bernd Höcke dominieren den Osten.

Ja, bitte regen Sie sich über diesen Satz auf! Denn er verdient unser aller Aufregung und Augenmerk! Wir erleben derzeit einen erheblichen Vertrauensverlust in politische Entscheidungen.

Im Osten ist dieser Vertrauensverlust gegenüber Staat und Parteien noch erheblich höher. Es geht dabei nicht nur um die Ungleichheit beim Einkommen und den Renten; es geht um den gefühlten und konkreten Abstand an sich, um die Zurücksetzung der Ostdeutschen, die sich in den letzten drei Jahrzehnten verfestigt hat.

Das hat sogar der Ostdeutschlandbeauftragte der Bundesregierung feststellen müssen. Lassen Sie mich einige konkrete Zahlen benennen, damit es anschaulich wird:

Arbeitnehmer*innen in Sachsen-Anhalt arbeiten bundesweit am längsten, zwei Stunden länger pro Woche, kriegen aber 6,16 Euro weniger als Westdeutsche in der Stunde! Das ist ein Skandal!

500,00 Euro monatlich weniger Gehalt bekommen Arbeitnehmer*innen in Sachsen-Anhalt in einem Betrieb ohne Tarifbindung. Das sagt ganz viel: Gut für den Gewinn des Unternehmers. Schlecht für die Beschäftigten.

Immer noch steigt die Zahl derer, die von einem Job nicht leben können und daher mehreren Jobs nachgehen müssen. ...und wir alle wissen, dass sich dies natürlich auch auf die Renten auswirkt!

Auf unser Land rollt eine Lawine viel zu kleiner Renten zu.

Leistung lohnt sich in unserem Land für die vielen Beschäftigten nicht, die trotz Vollzeitjob in Altersarmut leben werden.

Wir brauchen in Sachsen-Anhalt dringend höhere Löhne und eine höhere Tarifbindung. Auf Bundesebene muss der Mindestlohn zügig steigen und regelmäßig angepasst werden. Wir brauchen 13 Euro Mindestlohn, um die Menschen vor Altersarmut zu schützen. Als Land können wir mit einem modernen Vergabe- und Tariftreuegesetz neue Standards setzen. Wir können die 13,00 Euro fest schreiben.

Sie haben die letzten fünf Jahre diesbezüglich ungenutzt verstreichen lassen. Zu Lasten der Arbeitnehmer*innen in unserem Land. Ich hatte kürzlich ein längeres Gespräch mit dem Geschäftsführer der InfraLeuna, Herrn Dr. Günther. Seine These:

Es gibt in unserem Land keinen Fachkräftemangel. Die Menschen müssen gut bezahlt werden, dann bleiben sie auch in unserem Land, bringen ihre Ideen ein und entwickeln sie fort.

Der Blick eines Unternehmers, der sicher für seinen Bereich nicht Unrecht hat und grundsätzlich würde ich mir seinen Gedanken gern für alle Bereiche zu eigen mach.

Allein der Markt regelt eben nicht alles und läuft der These von Dr. Günther entgegen. Zur Wahrheit gehört nämlich, dass es in unserem Land viele Menschen gibt, die eben nicht so frei sind, um das Land für einen besser bezahlten Job zu verlassen. Zur Wahrheit gehört auch, dass die hiesigen Landesregierungen viel zu lange Wirtschaftsunternehmen mit niedrigen Lohnstückkosten und geringen Tarifbindungen gelockt haben.

Der Begriff „Niedriglohnland“ ist nicht zu unserem Image geworden, sondern hat sich in das Gedächtnis der Beschäftigten tief eingeprägt. Wir brauchen dringend ein weiteres Umdenken: Der Fokus auf die Menschen, die Fachkräfte gelenkt werden.

Sie sind es, die über die Entwicklung unseres Landes als Wirtschaftsstandort entscheiden. Ich teile übrigens den Ansatz der Landesregierung, dass eine Lösung unseres Fachkräftemangels in der Zuwanderung liegt.

Wir brauchen gut ausgebildete, engagierte Menschen in unserem Land, die dann auch gut bezahlt werden und sich in sachsen-Anhalt wohlfühlen, hier mit ihren Familien leben wollen. Das ist mein Anspruch. Das gilt im Übrigen für Frauen und Männer gleichermaßen. Alleinerziehende oder Frauen, die sich wegen der Betreuung ihrer Kinder oder wegen der Pflege von Angehörigen nur für einen Teilzeitjob entscheiden können, dürfen nicht in die Altersarmutsfalle geraten.

Die Zahlen belegen, dass Teilzeit immer noch vor allem weiblich ist. Hier haben wir eine gesellschaftliche Verantwortung! Wir brauchen eine grundsätzliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Gerade jetzt in der Pandemie hat auch hier das Brennglas im Besonderen gewirkt und zeigt ganz deutlich, wo die Probleme liegen. Altersarmut bedeutet in Ostdeutschland vor allem Frauenarmut.

Besonders beschämend empfinde ich übrigens, dass es noch immer keine befriedigende Lösung für die DDR-Geschiedenen gibt und das es noch immer eine eklatante Rentenungerechtigkeit zwischen Frauen und Männern gibt.

Wir brauchen mindestens ein Rentenniveau wie zur Zeit Helmut Kohls: in Höhe von 53% und endlich eine anständige Lösung für die DDR-Geschiedenen! Gerade als Sachsen-Anhalt dürfen wir eine Renten-Corona-Nullrunde nicht akzeptieren.

Das verschärft die Situation für die Menschen in unserem Land.

Natürlich müssen auch wir die Frage beantworten: WER BEZAHLT DIE KRISE?

Was wir brauchen, ist eine große Steuerreform, die die Ärmsten entlastet und vor weiterer Armut schützt und die Reichsten und damit meine ich Multimillionäre und Milliardäre und die Gewinner der Pandemie, die es eben sehr wohl gibt, zur Kasse bittet. Unser Land braucht auf keinen Fall eine weitere Mehrwertsteuererhöhung, die vor allem die Ärmsten und den Klein- und Mittelstand belastet.

Ich möchte aber nicht verabsäumen, auch etwas Positives zu den letzten 30 Jahren Sachsen-Anhalt zu sagen:

Die Tatsache, dass wir uns ganz bewusst für einen Kitaganztagsanspruch für alle Kinder entschieden haben und hohe Qualitätsansprüche an die Betreuung und Bildung unserer Kinder stellen, ist ein Qualitätsmerkmal unseres Landes, mit dem wir mehr werben sollten. Dramatisch ist jedoch, dass die Armutsquote sich in unserem Land verfestigt hat.

Ca. 20 % unserer Bevölkerung gilt als arm oder armutsgefährdet und die Zahl der Kinder ist entsprechend hoch. Das muss uns wach rütteln und die Debatte zu diesem Thema in der letzten Landtagssitzung macht mir Hoffnung, dass wir dieses Thema mit viel Schwung in der nächsten Wahlperiode angehen.

Lassen Sie uns gemeinsam für eine Kindergrundsicherung im Bund und für ein flächendeckendes Netz früher Hilfen in den Kommunen einsetzen. Alle Kinder in unserem Land sollen die Chance auf eine glückliche Kindheit und Zukunft haben.

Wir haben in unserer Anfrage noch weitaus mehr Bereiche abgefragt: Bildung, Wohnen, Verkehr, Gedenkorte usw. Gehen Sie davon aus, dass wir all diese Punkte wieder und wieder hier in diesem Haus aufrufen werden.

Wir werden thematisieren, welche Konkreten Folgen es hat, dass knapp 700 Kilometer Schienen im Land still gelegt worden; dass fast 100 Bahnhöfe und Haltepunkte in unserem Land geschlossen wurden; dass jährlich nur 5 – 15 Kilometer straßenbegleitende Radwege neu gebaut wurden; dass die Zahl der Kreisverkehrswachten mehr als halbiert wurde und hingegen dazu die Investitionen in den Motorisierten Individualverkehr stetig stiegen.

Wir werden weiter thematisieren, dass ein sozialer Wohnungsbau in Sachsen-Anhalt quasi nicht existent ist und dass es keine Vorsorge für die ca. 8 Milliarden Euro erforderlichen Mittel für Wohnungssanierungen im Land bei den Wohnungswirtschaften getroffen worden.

Wir werden selbstverständlich auch weiterhin die großen Verwerfungen im Gesundheitssystem thematisieren, die durch den Privatisierungswahn entstanden sind. Doch dazu Morgen mehr.

…und natürlich werden wir in der nächsten Wahlperiode auch über die Personalpolitik des Landes in den Schulen, der Polizei und der allgemeinen Landesverwaltung zu reden haben. (Die Justiz ist Dank unseres Antrages tatsächlich ein positives Beispiel.)

Große Baustellen liegen vor uns. Ich halte nichts davon diese Probleme auszusitzen. Wir brauchen auch keine weiteren Enquetekommissionen. Wir müssen handeln!

Ich werbe in diesem Sinne um Zustimmung zu unserem Antrag.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!