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Eva von Angern zu TOP 16: Handlungsempfehlungen des Bildungskonvents zur frühkindlichen Bildung und Erziehung

Schauen wir zunächst zurück an den Beginn der fünften Legislaturperiode. Eine schwarz-gelbe Koalition war im Land nicht mehr mehrheitsfähig, so dass eine neue Koalition gefunden werden musste, die sich schon schnell zwischen CDU und SPD bildete. Politische Hürden waren jedoch das Thema Bildungspolitik im Allgemeinen und die Frage des gegliederten Schulsystems im Besonderen.
Die Strategen der SPD fanden jedoch schnell eine Leiter, die über die Hürde helfen sollte: Das Zauberwort hieß Bildungskonvent.
Er sollte helfen, gesellschaftliche Kräfte, inklusive der Fraktionen im Landtag von Sachsen-Anhalt an einen Tisch zu holen und die zukünftige Bildungspolitik des Landes zu beraten. Das war durchaus eine sinnvolle Idee, weil gerade Reformen in der Bildung nicht ohne die Menschen, vor allem die betroffenen Menschen zu vollziehen sind.

Daher war es auch nur konsequent, dass wir als LINKE nicht nur die Einberufung des Konvents politisch unterstützt haben, sondern uns auch fachlich kompetent in die Debatten des Konvents einbrachten.

Die Gretchenfrage lautet nunmehr jedoch: Was passiert mit den Empfehlungen des Bildungskonvents?

Nehmen wir die geleistete Arbeit ernst und versuchen, die vorgeschlagenen Veränderungen umzusetzen oder legen wir das Papier in der Rundablage ab?

Sicher ist nicht alles sofort und in vollem Umfang umsetzbar, doch lassen Sie uns ernsthaft prüfen, was in Sachsen-Anhalt geht. Und dass Sie das alle wollen, konnte ich dem letzten „Zwischenruf“ entnehmen, in dem unser Ministerpräsident u.a. damit zitiert wird, dass „die Handlungsempfehlungen zweifellos eine gute Grundlage für die weitere bildungspolitische Diskussion in unserem Land sind. Sie weisen in die richtige Richtung.“ Recht hat er.

Bereits am 10. März 2008 beschloss der Bildungskonvent mit 20 Pro-Stimmen und lediglich vier Enthaltungen seine Handlungsempfehlungen im Bereich der Frühkindlichen Bildung und Erziehung gegenüber der Landespolitik. Schon in der Vorbemerkung ist nachlesbar, dass es den Akteuren des Bildungskonvents um Teilhabechancen von Kindern an Bildungsangeboten und um eine gute Vorbereitung auf die Schule geht.

Deshalb war es konsequent, dass an erster Stelle des Empfehlungskatalogs die Wiedereinführung des Ganztagsbetreuungsanspruchs in der Kita für alle Kinder unabhängig von sozialer Herkunft und Beschäftigungsstatus der Eltern steht. Die folgenden Punkte beschäftigten sich mit dem Übergang von der Kita zur Grundschule, dem Ausbau von integrativen Angeboten, der Qualitätsentwicklung u.a. durch die Akademisierung der ErzieherInnenausbildung und engen Kooperationsbeziehungen zu anderen gesellschaftlichen Partnern.

Das sind unzweifelhaft alles wichtige Punkte und insbesondere die Hochschulausbildung war in dieser Legislaturperiode bereits ein Schwerpunkt der parlamentarischen Debatte und es ist ein gutes Zeichen, dass sich der Landtag von Sachsen-Anhalt hierfür klar ausgesprochen hat.

Meine Fraktion hat sich jedoch bewusst dafür entschieden, heute einen Punkt aus den Empfehlungen herauszulösen und zu thematisieren, ohne damit sagen zu wollen, dass die übrigen Empfehlungen unwichtig sind. Unser politischer Schwerpunkt in der frühkindlichen Bildung und Betreuung ist ganz klar die Rückgängigmachung der politische Fehlentscheidung aus dem Jahr 2003 hin zum Ganztagsanspruch für alle Kinder. Und ich habe erfreut das Interview mit Sozialminister Norbert Bischoff in der gestrigen Volksstimme wahrgenommen, in dem er sich wiederholt hervorhebt, dass wir in Sachsen-Anhalt ein Ganztagsangebot für alle Kinder, und vor allem für Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern brauchen.

Wie nicht zuletzt den Medien regelmäßig zu entnehmen ist, sind nicht nur die KollegInnen meiner Fraktion regelmäßig in Kindertageseinrichtungen unterwegs. Dann werden Sie genau wie auch ich immer wieder mit den bestehenden Problemen konfrontiert. Das ist ja auch legitim so. Von den ErzieherInnen werden vor allem die zu eng bemessenden Zeiten für Vor- und Nachbereitung und Fortbildung und die Mängel in der Qualität der ErzieherInnenausbildung angesprochen. Sehr enge Personalschlüssel, die kaum Spielräume bei krankheitsbedingten Ausfällen erlauben, und eine extrem hohe Teilzeitquote von insgesamt 85 Prozent (siehe Bertelsmann-Studie) tragen nicht zur notwendigen Qualität frühkindlicher Bildung und Betreuung bei, und da kann man noch so oft proklamieren, dass wir bundesweit das beste Gesetz zur Kinderbetreuung haben. Dieser Satz sagt nämlich nicht wirklich etwas über Qualität aus.

Schwerpunkt der Gespräche sind aber immer wieder die soziale Ausgrenzung von Kindern mit einem Halbtagsanspruch und die bestehenden Probleme in den Familien. ErzieherInnen mit denen ich gesprochen habe, sagen ganz klipp und klar: Ja, Halbtagskinder werden von Bildungsprozessen ausgeschlossen. Ja, viele Halbtagskinder sitzen anschließend zu Hause vor dem Fernseher und wären in der Kita besser aufgehoben. Und viele sagen, ja, es gibt sie, die so genannten bildungsfernen Eltern, denen die notwendige Erziehungs- und Bildungskompetenz fehlt, ihren Kindern ein abwechslungsreiches und anregendes Aufwachsen zu ermöglichen.

Und, liebe Kollegen der CDU, wenn Sie jetzt wieder mit Ihrem Argument kommen, Bildung finde ja nur am Vormittag statt, dann unterstelle ich Ihnen, dass sie dies wider besseren Wissens tun. Frühkindliche Bildung ist ganzheitliche Bildung und die hört mittags nicht einfach auf.

Meine Erfahrung ist, dass die ErzieherInnen in den Kitas sehr viele Probleme wegtragen, sehr flexibel auf Schwierigkeiten eingehen und neben dem Dreiklang Bildung-Betreuung-Erziehung schon jetzt viele weitere Aufgaben übernehmen. Aber das hat eben auch Grenzen, die sie aufgrund der Halbtagsregelung nicht einfach vom Tisch wischen können.

Wenn wir es ernst meinen, dass wir alle Kinder mitnehmen wollen und uns jedes Kind gleich wichtig ist, müssen wir diese Herausforderung annehmen und den bestehenden Problemen offensiv begegnen. Familien haben mehr und mehr Probleme, die sie nicht allein bewältigen können. Genau das muss so ehrlich angesprochen werden. Und Familienbildungsmaßnahmen sind dabei ein wichtiger Baustein, reichen allein aber nicht aus.

Die Bundessozialministerin sprach in der Aktuellen Debatte um die so genannte HARTZ IV-Reform von einer „Wertentscheidung“. Die Frage über die Ganztagsbetreuung wird eine Wertentscheidung für Sachsen-Anhalt werden.

Ich möchte mich heute nicht um die Frage der Kosten herummogeln. Das haben wir auch nicht in der Debatte zum Doppelhaushalt 2008/2009 gemacht, als wir das letzte mal eine KiFöG-Änderung forderten, und die Mitglieder des Finanzausschusses erinnern sich sicher an unsere Refinanzierungsvorschlage, die sie dankend für ihre Wünsche aufgenommen haben.
Nun: in der Antwort der Landesregierung aus dem Jahr 2008 hinsichtlich der Kosten für die Rückkehr zum Ganztagsanspruch betitelte diese die Kosten auf 36,22 Millionen Euro. Auch unsere neusten Rechnungen an Hand der aktuellen Kinderzahlen zeigen Mehrkosten von ca. 37 Millionen.

Hinzu kommen die Kosten, die durch die Kommunen laut KiFöG LSA zu tragen sind.
Das ist selbst in einem Haushalt, der 10 Milliarden Euro umfasst, nicht wenig Geld.
Ich werde heute nicht nur auf die Veränderung der Steuerpolitik verweisen, weil unsere Kompetenzen dabei lediglich auf die Mitwirkung im Bundesrat beschränkt sind. Aber der Hinweis auf die populistische Debatte zum Wassercent sei mir an dieser Stelle sehr wohl erlaubt.

Wir können und wollen auch nicht alles allein über die Erhöhung der Neuverschuldung regulieren, denn ich teile das Argument, dass wir sehr sensibel mit unserer Verantwortung gegenüber kommenden Generationen umgehen müssen, aber gegebenenfalls muss auch diese Frage diskutiert werden, so wie es auch zum bestehenden Doppelhaushalt geschehen ist. Denn ich gebe zu bedenken, dass wir in Zukunft gebildete Menschen brauchen, die durch ihre Arbeit unser Gesundheitssystem, unser Rentensystem und auch viele andere Ausgaben schultern. Deshalb darf die so genannte Generationengerechtigkeit nicht nur von einer Seite betrachtet werden.

Wir müssen natürlich auch in den bestehenden Haushalt blicken. Im Haushalt des Sozialministeriums ist festzustellen, dass der überwiegende Teil der Ausgaben durch Rechtsansprüche gebunden ist. Hier ist also eher wenig zu holen.

Das heißt, es bedarf einer Gesamtschau auf den Haushalt. Wir müssen nicht nur sämtliche Investitionen bei Straßen, Bauten oder Wirtschaftsprojekten auf ihre Sinnhaftigkeit prüfen, sondern mit Hilfe der neuen Steuerungsmethode und einer Schwerpunktsetzung im Haushalt nur noch Projekte fördern, die sich nachhaltig positiv für das Land auswirken. Außerdem sollten wir uns zum Umgang mit Steuermehreinnahmen verständigen. Und dann müssen wir eben auch kritisch diskutieren, was uns ein ständig wachsender Pensionsfond bringt, wenn zugleich der Nachwuchs weggespart wird, der die zukünftigen Renten und Pensionen erarbeiten soll. Mir ist bewusst, dass das alles Minenfelder sind – im Übrigen auch in unserer Fraktion, aber um diese Debatten werden wir uns nicht herummogeln können.

Für den Fall, dass die SPD-Fraktion sich heute dazu entscheiden sollte, diesen Antrag nicht direkt abstimmen zu wollen, kann ich diese Flucht menschlich verstehen, halte sie aber politisch für falsch. Sowohl Ihr Sozialminister als auch Ihr Wahlprogrammentwurf zur Landtagswahl sprechen eine eindeutige Sprache pro Ganztagsanspruch. Dann macht es auch Sinn, sich heute klar dazu zu bekennen.

Lassen Sie es uns in diesem Sinne mit Prof. Dr. Adolf Spotka halten, einem der Moderatoren des Bildungskonvents, der sagte: „Mögen diese Empfehlungen der öffentlichen wie politischen Reformdebatte zur Bildungspolitik in unserem Land einen nachhaltigen Impuls verleihen und den politischen Entscheidungsträgern als eine Beratungs- und Entscheidungshilfe für eine legislaturperiodenübergreifende, vorausschauende und zukunftsorientierte Gestaltung unseres Bildungssystems dienen.“