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Eva von Angern zu TOP 15: Gleichstellungsindikatoren im Rahmen strategischer Steuerung

Bei der Lektüre des Haushaltsplanentwurfs 2010/2011, spätestens jedoch bei der Veröffentlichung des Doppelhaushalts wird auch dem Letzten in diesem Hause aufgefallen sein, dass es eine neue Titelgruppe im Einzelplan 13, konkret bei Kapitel 13 02 gibt, die Titelgruppe 62. Sie trägt den Titel „Strategische Steuerinstrumente“ und verfügt für den Zeitraum des Doppelhaushalts über ein Gesamtvolumen von 2,2 Mio. Euro. 

Den Erläuterungen zur Titelgruppe ist zu entnehmen, dass es zum einen um eine externe Unterstützung und wissenschaftliche Begleitung bei der Einführung eines neuen Fördercontrollings bzw. neuer Steuerungsmethoden und zum anderen um Erstattungen an die Investitionsbank für die Erstellung und laufende Aktualisierung eines Strukturkompasses geht. 

Wagen wir einen Blick auf den Strukturkompass des Statistischen Landesamtes,  er wurde auch durch den Finanzminister im Rahmen des finanzpolitischen Dialogs mit großen Worten angekündigt. Es ist kaum zu glauben: Frau findet in diesem Strukturkompass überhaupt nicht statt. Im Umkehrschluss auch Sie nicht, meine Herren, nicht einmal bei der verheißungsvollen Überschrift „Berufstätige Ärztinnen und Ärzte“. Das ist insbesondere bedenklich, wenn man sich daran erinnert, dass bereits im Jahr 2000 ein Kabinettsbeschluss zur Umsetzung des Gender-Mainstreamings im Land gefasst wurde. Der Antrag mit genau diesem politischen Schwerpunkt tut also not.

Was sind Gleichstellungsindikatoren? Was ist Gender-Budgeting? Was ist Gender-Mainstreaming? 

Gender-Mainstreaming ist eine Methode, um Auswirkungen politischen Handelns auf Frauen und Männer vorausschauend zu gestalten. Gender-Budgeting wiederum ist ein durch diese Methode entstandenes konkretes Verfahren für die haushaltsmäßige Umsetzung des Gender-Mainstreaming-Ansatzes. Es ist zu fragen, wie verteilen sich öffentliche Mittel unter dem Aspekt der Geschlechterdifferenzierung sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht,wie viel öffentliches Geld kommt bei Frau und wie viel öffentliches Geld kommt bei Mann mit welcher Wirkung an?

Es geht vor allem um einen Ausgleich von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, es geht um einen Ausgleich von ungleichen Chancen, hier hinsichtlich des Zugangs zu Macht, zu Ressourcen, eben auch zwischen den Geschlechtern. Dies kann aber nur durch eine konkrete Analyse herausgefunden und gegebenenfalls korrigiert werden. Die Datenbasis ist eine ganz entscheidende Grundlage.

Ich möchte zur Veranschaulichung dieser Probleme Beispiele aus dem Bereich Bildung und Soziales nennen: Wie viele Jungen, wie viele Mädchen gehen bei uns in welche Schulform? Wie viele Jungen, wie viele Mädchen gehen in einen Jugendklub oder nehmen an einer Ferienfreizeit teil oder trainieren beispielsweise im Sportverein?
Ich lasse einmal die Schule beiseite. Bei all den anderen Dingen ist das schon jetzt zu beantworten, weil wir sehr engagierte Jugendverbände mit einem hohen Verwaltungsaufwand haben und im Rahmen des Berichtswesens genau diese Fragen bereits beantwortet werden können. Aber das ist eben noch nicht flächendeckend so positiv für Sachsen-Anhalt festzustellen.
Sicherlich ist das nicht von sofort umsetz- bzw. erhebbar, aber wir sprechen über das Thema der geschlechterbezogenen Statistiken auch nicht zum ersten Mal und der Wille in den verschiedenen Ressorts ist eben sehr verschieden. Wir haben diesbezüglich einen Nachholbedarf. Wir brauchen für Sachsen-Anhalt repräsentative Daten, die nach Geschlecht getrennt erhoben und dann auch entsprechend ausgewertet werden können. 

Bei der Auswertung der Daten sollte im Mittelpunkt stehen, ob die Ausgaben den Bedürfnissen von Frauen und von Männern entsprechen und welche Ausgaben die Geschlechterrollen, das Geschlechterbild wie beeinflussen. 
Eine geschlechtergerechte Betrachtung ist keine Nebensächlichkeit und schon gar nicht entbehrlich, weil der Landtag für die Interessen aller in Sachsen-Anhalt lebenden Menschen da ist. In Sachsen-Anhalt leben immerhin 51,1 % Frauen. 
Es ist nicht neu, dass gerade die jungen, gut ausgebildeten Frauen das Land verlassen. Das heißt, wichtige Fachkräfte verlassen dieses Land. Das heißt auch, dass gerade Frauen, die wir für Familiengründungen so bitter nötig haben, das Land verlassen. Das heißt, es besteht Handlungsbedarf. Das haben wir uns hier alle auch schon eingestanden. 

Natürlich ist eine geschlechtergerechte Haushaltsaufstellung auch ein wichtiger Beitrag zur allgemeinen Sensibilisierung für Fragen der Geschlechterperspektive. Ein häufiges Gegenargument ist in diesem Zusammenhang der zu hohe verwaltungstechnische, aber auch politische Aufwand für zu wenig Vorteile. Ich denke jedoch, dass wir das heute tatsächlich so noch nicht einschätzen können, und deshalb sollten wir das auch nicht tun. Ich denke, dass wir grundsätzlich auf offene Ohren und Türen bei der Koalition rechnen können, nicht ohne Grund hat sie ja dem Finanzminister 2,2 Millionen Euro für neue Steuerungsmethoden in die Hand gegeben. 

Erlauben Sie an dieser Stelle einen Blick über den Tellerrand hinaus. Schon im Jahr 1999 verpflichteten sich die EU-Mitgliedstaaten im Vertrag von Amsterdam, Gender-Mainstreaming als Querschnittsaufgabe in allen relevanten Politikbereichen umzusetzen. Die EU überwacht seitdem diesen Prozess in allen Staaten und soll zugleich die Einführung des Gender-Budgeting unterstützend begleiten. In Österreich besteht bereits seit dem Jahr 2007 eine entsprechende Normierung in der Bundesverfassung. Die Gleichstellung von Mann und Frau ist das vierte Prinzip des traditionellen Verwaltungshandelns neben Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit. Diese Regelung gilt sowohl für den Bund als auch für die Länder als auch für die Gemeinden. Das ist also bis ins kleinste Detail heruntergebrochen worden. Noch konkreter gestaltet sich die Umsetzung in der Schweiz. Im Kanton Basel wurde interessanterweise festgestellt, dass jährlich pro Frau umgerechnet 6 392 Euro ausgegeben werden. Pro Mann hingegen werden umgerechnet 7 480 Euro ausgegeben. Das ist ein Unterschied von etwa 1 100 Euro pro Jahr. Für Bildung werden im Zeitraum bis zum 25. Lebensjahr für Frauen 171 Millionen Euro und für Männer 188 Millionen Euro ausgegeben.

Noch zugespitzter zeigt sich die Situation im Bereich der öffentlichen Sicherheit. Hierzu zählen die Bereiche der Politik, der Justiz und der Justizvollzugsanstalten. An die Frauen gehen 28 Millionen Euro, an die Männer 87 Millionen Euro. In diesem Bereich müssen die Frauen aber vielleicht nicht unbedingt nachziehen.
Im Ergebnis wurde in Basel festgestellt, dass Frauen in den für das Fortbestehen einer Gesellschaft entscheidenden Jahren - sprich in der Zeit der Familiengründung - weniger öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, als dies bei Männern der Fall ist. Momentan kann ich noch nicht sagen, wie sich das in Sachsen-Anhalt darstellt. Wenn wir aber zu diesem Ergebnis kämen, hätte dies auch politische Folgen.

Der Ehrlichkeit halber ist hinzuzufügen, dass im Berichtswesen festgestellt worden ist, dass über die gesamte Lebenszeit ein finanzieller Ausgleich zwischen Männern und Frauen festzustellen ist. Das rührt aber vor allen Dingen daher, dass Frauen länger leben als Männer. Außerdem ist das darauf zurückzuführen - und das ist natürlich prekär -, dass Frauen in höherem Alter mehr soziale Transfers benötigen.

In Deutschland ist Berlin das erste Bundesland, das Gender-Budgeting in einem Landeshaushalt eingeführt hat. Bereits im Juni 2002 wurde der Beschluss über finanzpolitische Instrumente des Gender-Mainstreamings bzw. Gender-Budgetings gefasst. Seitdem sind alle Senate gehalten, eine gendersensible Analyse bzw. Berichterstattung zum Haushaltsplan vorzulegen. Seit August 2004 besteht in Berlin die Verpflichtung, dass in ausgewählten Titeln in den Hauptgruppen 6 und 8 des Haushaltsplans bzw. bei bestimmten Projekten in den einzelnen Bezirken von Berlin das Gender-Budgeting eingeführt wird. Ganz konkret bedeutet das in Berlin, dass 56 von 400 Produkten des Produkthaushalts nach Gender-Gesichtspunkten bewertet werden können.

Erlauben Sie nun einen Blick auf Sachsen-Anhalt. Hier gilt eine haushaltstechnische Richtlinie. Darin ist zu lesen, dass in haushaltsbegründenden Unterlagen die unterschiedlichen Auswirkungen auf die unterschiedlichsten Lebenssituationen von Frauen und Männern darzustellen und jeweils zu bewerten sind. 
Genau dazu habe ich bereits im Jahr 2009 eine auch sehr titelgenaue Kleine Anfrage gestellt. Die Antwort stellt sich typisch ausweichend für eine Frage der Opposition dar. Es kann aber auch sein, dass es an der Unkenntnis der Ressorts liegt, dass die Antworten so ausgefallen sind, wie sie ausgefallen sind. Im Ergebnis ist festzustellen, dass sich die haushaltstechnische Richtlinie noch nicht zur Kontrolle eignet. Es besteht also Handlungsbedarf. 

Des Weiteren läuft bereits seit mehreren Jahren ein Projekt des Sozialministeriums zum Gender-Budgeting im Jugendbereich. An dieser Stelle möchte ich das von einer Kollegin meiner Fraktion verwendete Bild benutzen: Auf einem toten Gaul kann man nicht reiten. Frauen können das übrigens auch nicht. Das ist das Problem dieses Projekts. 

Der schon in der vergangenen Legislaturperiode angekündigte Leitfaden für eine gendergerechte Aufstellung und Ausführung des Landeshaushalts liegt bis zum heutigen Zeitpunkt nur im Entwurfsstadium vor. Diese Information lieferte eine Kleine Anfrage, die ich im Jahr 2009 stellte. In welchem Stadium sich der Entwurf befindet, kann ich allerdings auch nicht sagen. 
Des Weiteren gibt es noch einen Antrag meiner Fraktion zur Bildungsgerechtigkeit in Schulen, der sich allerdings bereits seit dem Jahr 2008 im Bildungsausschuss befindet und dort sein Dasein fristet. Ich hoffe, dass er noch in dieser Legislaturperiode das Licht des Plenums erblickt.

Summa summarum ist in Sachsen-Anhalt noch einiges zu tun. Gerade weil der finanzielle Rahmen im Land immer kleiner wird und wir gemeinsam darauf achten müssen, welche Mittel für welchen Zweck ausgegeben werden, bedarf es einer politischen Steuerung, die zum einen nicht allein durch die Landesregierung, sondern vor allem durch das Parlament vorgegeben wird und die zum anderen durch eine wirkungsorientierte Verwaltungsführung begleitet wird, welche Transparenz hinsichtlich der Leistungsziele, aber auch hinsichtlich der Wirkungen bietet. Nur so können wir das als Parlament politisch steuern.

Die im Antrag genannten Indikatoren - Gender-Mainstreaming, Gender-Budgeting und Barrierefreiheit - sind nur einige von mehreren möglichen Indikatoren. Es ist vor allem ein erster Schritt in die Debatte über den Finanzausschuss hinaus. Es gibt weitere mögliche Indikatoren wie zum Beispiel das Alter, die Demografie usw. Vielleicht haben die Wirtschaftspolitiker noch weitere Ideen. 

Zusammenfassend ist zu unserem Antrag festzustellen: Wenn wir das, was wir mit dem Einsatz dieser finanziellen Mittel beabsichtigen, ernst meinen, dann brauchen wir aus der Sicht der Geschlechtergerechtigkeit zunächst eine geschlechteranalysierte Datenbasis. Zweitens brauchen wir eine Analyse der Ausgaben: Welches Geschlecht bekommt wie viel und mit welchen Wirkungen wird das Geld für das jeweilige Geschlecht ausgegeben? Außerdem brauchen wir natürlich eine Diskussion über die zukünftige Verteilung der vorhandenen Ressourcen.