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Eva von Angern zu TOP 12: Erzieherischer Kinder- und Jugendschutz in Sachsen-Anhalt

Das Thema Kinder- und Jugendschutz beschäftigt uns hier nicht das erste Mal.

In Folge des Jahresberichts 2006 des Landesrechnungshofes, in dem u.a. die Aktenführung in Jugendämtern sehr kritisch geprüft wurde und im Rahmen der Behandlung des ersten Kinderschutzgesetzes, diskutierten wir daher im Plenum und in den Ausschüssen auch immer wieder die Situation der Jugendämter der Landkreise und kreisfreien Städte.

Nun haben wir nach dem Bericht des Landesrechnungshofes einen zweiten Bericht vorzuliegen, der ein Schlaglicht auf die Lage vor Ort wirft. Der ist vom Landesjugendamt mit Stand vom 01.01.2009 erstellt worden und trägt den schönen Titel „Fortschreibung der Bestandsfeststellung durch den überörtlichen Träger im Rahmen des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes zur Vermeidung von Gefährdungen für Kinder und Jugendliche im Land Sachsen-Anhalt“. Dieser Bericht hat meine Fraktion zur Einbringung des vorliegenden Antrags veranlasst.

Zunächst - worüber reden wir überhaupt, wenn wir von erzieherischem Kinder- und Jugendschutz sprechen?

Der gesetzliche Hintergrund ist in § 14 SGB VIII geregelt. Grob umrissen, haben die Maßnahmen und Angebote des erzieherischen Jugendschutzes den Auftrag, Kinder und Jugendliche stark zu machen und ihnen Kompetenzen zu vermitteln, sich selbst vor gefährdenden Einflüssen zu schützen.

Diesem Auftrag an die Kinder- und Jugendhilfe kommt – im Gegensatz zum gesetzlichen Jugendschutz -  also eine emanzipatorische und damit in erster Linie präventive Funktion zu.

Der erzieherische Kinder- und Jugendschutz bezieht neben den Kindern und Jugendlichen aber auch die Eltern mit ein. Und das ist eine sehr wichtige Komponente in der Kinder- und Jugendhilfe und wird zuweilen gern von den Akteuren vergessen oder verdrängt – mit schwerwiegenden Folgen für die Kinder und die Familie in Gänze.

Die Angebote des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes sind aufgrund des eben beschriebenen Auftrages entsprechend vielfältig:

Vom Training des Umgangs mit Konfliktsituationen, über medienpädagogische Angebote, Informationen über Gefährdungspotentiale von Drogen bis hin zu Seminaren zur „Kostenfalle Handy“ ist die Palette weit aufgestellt.

Die öffentlichen Träger der Jugendhilfe erfüllen die Aufgaben des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes gemäß der bundesgesetzlichen Regelung als Pflichtaufgaben im jeweils eigenen Wirkungskreis.

Wichtig ist mir, an dieser Stelle auf den Unterschied zum § 8a SGB VIII „Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“ hinzuweisen, der hauptsächlich – aber nicht ausschließlich -  Gegenstand des ersten Kinderschutzgesetzes gewesen ist.

Der Schutzauftrag setzt gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen voraus und kann bis hin zur Inobhutnahme durch das Jugendamt führen. Im Gegensatz dazu ist der § 14 eine Vorschrift mit Angebotscharakter und ausdrücklich keine Regelung mit Interventionscharakter.

Nichts desto Trotz, ist und bleibt der Schutz von Kindern und Jugendlichen eine ganzheitliche Aufgabe, die beides benötigt: freiwillig in Anspruch zu nehmende Angebote der Bildung, Aufklärung und Erziehung und – im schlimmsten Fall – die konkrete staatliche Intervention.

Beide Instrumente ergänzen einander und müssen aufeinander abgestimmt sein.
Und genau darin liegt ein Beweggrund unseres Antrages.

Das erste Kinderschutzgesetz sollte die staatliche Gemeinschaft verpflichten, nicht nur im Sinne des § 8a SGB VIII tätig zu werden, sondern darüber hinaus, Risiken für das gesunde Aufwachsen von Kindern rechtzeitig zu begegnen.

Ziel des Gesetzes war u.a. die konsequente Sicherstellung der erforderlichen Hilfen durch eine Vernetzung der Jugendhilfe mit anderen den Kinderschutz und der Familienhilfe dienenden Einrichtungen, Institutionen und Behörden.

Geplant war schließlich, dass der örtliche Träger der Jugendhilfe für die Initiative, die Steuerung und Koordinierung zur Errichtung lokaler Netzwerke für Kinder- und Jugendschutz verantwortlich gemacht wird.

Damit komme ich zurück zur Bestandsfeststellung des Landesjugendamtes.

Unabhängig davon, dass die Kommunen im eigenen Wirkungskreis diese Angelegenheit entscheiden, stellen wir uns doch einmal folgende Fragen:

  • Wer in den Jugendämtern die lokalen Netzwerke initiieren, steuern und koordinieren könnte?
  • Wird es die Leiterin oder der Leiter des Jugendamtes persönlich machen?
  • Wird es ein Streetworker des ASD machen?
  • Wird es ein Sachbearbeiter aus dem Bereich wirtschaftliche Jugendhilfe machen?

Wohl kaum!

Geradezu prädestiniert für diese Aufgabe wären aus meiner Sicht die Fachkräfte für Kinder- und Jugendschutz der Jugendämter. Denn sie leisten schon jetzt u.a. vielfältige Vernetzungsarbeit.

Doch schauen wir hinein in die Jugendämter: Ihre Situation sieht nicht besonders rosig aus. Die Bestandsfeststellung des Landesjugendamtes stellt u.a. fest,

dass im Jahr 2000 landesweit noch 11 Vollzeitstellen für Jugendschutz existierten, im Jahr 2008 von den Jugendämtern dagegen nur noch 5 volle Stellen – bei nunmehr größeren Landkreisen - vorgehalten wurden,

  • dass in 7 weiteren Jugendämtern die Stellenanteile auf teilweise bis zu vier Personen verteilt sind,
  • dass im Durchschnitt von einer Vollzeitstelle im Bereich Jugendschutz ca. 40.000, im Einzellfall sogar über 80.000 Kinder und Jugendliche betreut werden müssen,
  • dass die Kontrolltätigkeiten im erzieherischen Kinder- und Jugendschutz weiter zurückgegangen sind,
  • dass sich das Verhältnis zwischen inhaltlicher Arbeit und Verwaltungsarbeit der Jugendschutzkräfte seit der Kreisgebietsreform in Richtung Verwaltungstätigkeiten verschoben hat,
  • dass nach wie vor nur wenige regelmäßige Veranstaltungen angeboten werden,
  • dass die Anzahl der Einzelveranstaltungen rückläufig ist und,
  • dass der Anteil an Frühprävention im Vorschulalter weiter gesunken ist.

Das Landesjugendamt stellt abschließend fest, dass sich insgesamt die Bedingungen für den Jugendschutz verschlechtert haben und insbesondere durch  die Stellenreduzierungen im Zuge der Kreisgebietsreform eine kontinuierliche und vorausschauende Arbeit im Kinder- und Jugendschutz auf längere Sicht nicht mehr gewährleistet ist.

Ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass die Aussagen der Bestandsfeststellung zumindest Anlass zur Sorge sein sollten, und ich hoffe, dass die FachpolitikerInnen Ihrer Fraktionen diese - auch vom Landesjugendamt vorgetragene - Meinung teilen.

Nun zu unserem Antrag. Im Grunde ist die Botschaft recht simpel: Für DIE LINKE ist es wichtig, die Situation der Verantwortlichen vor Ort, die letztlich die Regelungen umsetzen müssen, zu kennen und zu berücksichtigen, bevor vom Landtag Gesetze verabschiedet werden

Die Anhörung und Diskussion um den Entwurf des 1. Kinderschutzgesetzes haben bereits einige Probleme zu Tage treten lassen. Diese müssen wir dringend ernst nehmen.
Unser Antrag stellt keinen weiteren Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung dar.
Ganz im Gegenteil: DIE LINKE möchte die Landkreise nicht mit den Folgen der Kreisgebietsreform allein lassen, sondern gemeinsam mit ihnen Lösungen für die Probleme in den Jugendämtern suchen.

Erlauben Sie einen kleinen Rückblick: Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine – zugegebenermaßen nicht ganz von Populismus freie – Diskussion im Finanzausschuss. Wir stimmten mehrheitlich dem Kampfhundegesetz zu, mit dem für die Kommunen ein finanzieller Zuschuss in Höhe von 100.000 Euro einherging.

In derselben Sitzung diskutierten wir, dass nach realistischer Einschätzung in jedem Landkreis bzw. in jeder kreisfreien Stadt eine zusätzliche Personalstelle zur Umsetzung des Netzwerkgedankens des Kinderschutzgesetzes erforderlich wäre.

Dies hätte dem Land auf Grund des Konnexitätsprinzips grob gerechnet ca. 1 Millionen Euro gekostet. Nun war es ausgerechnet ein kommunalpolitisch sehr engagierter Kollege der Koalition, der den sich aufdrängenden Vergleich zwischen Kampfhundegesetz und Kinderschutz zog.

Weitere Ausführungen spare ich mir an dieser Stelle, möchte aber die Botschaft in den Raum stellen, dass Kinder- und Jugendschutz garantiert nicht zum Nulltarif zu haben sein wird.

Entschuldigen Sie diesen auf den ersten Blick etwas schrägen Vergleich: Aber ich denke, der Schutz von Kindern und Jugendlichen sollte uns mindestens so wichtig sein, wie deren  Schutz vor als gefährlich eingestuften Hunden.

Nun ist das erste Kinderschutzgesetz - nicht nur wegen der fehlenden Finanzen –gescheitert, und wir warten auf den zweiten Entwurf.

Aus diesem Grund fordern wir mit unserem Antrag die Landesregierung auf, vor der Einbringung des angekündigten zweiten Kinderschutzgesetzes gemeinsam mit den Kreisjugendämtern nach Lösungen für die vom Landesjugendamt festgestellten Probleme zu suchen und darüber in den Ausschüssen für Inneres, für Finanzen und Soziales Bericht zu erstatten.