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Eva von Angern zu TOP 11: Aktuelle Debatte: Bilanz der Kenia-Koalition

Sehr geehrte Damen und Herren,

Frau Präsidentin hat vorhin die letzte planmäßige Sitzungsperiode des Landtages vor der Landtagswahl am 6. Juni 2021 eröffnet.

Solche „letzten Sitzungen“ sind zumindest Anlass, wenn nicht willkommene Gelegenheit oder gar demokratische Selbstverständlichkeit, seitens der Koalitionäre oder gar der Landesregierung hier im Landtag und damit vor den Bürgerinnen und Bürgern draußen im Lande aktiv Rechenschaft über fünf Jahre Regierungsverantwortung abzulegen.

Ich habe deshalb damit gerechnet, an einem der Sitzungstage dieser letzten Sitzungsperiode des Landtages eine selbstbewusste Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zu Gehör zu bekommen, in der er ein Feuerwerk der vollbrachten guten Taten abbrennt und unter der Überschrift „Kenia ist eine überzeugende Erfolgsgeschichte“ versichert, er wolle das nach der Wahl fortsetzen, wenn es irgend möglich ist. Oder nötig.

Schaut man aber in die Tagesordnung, ergibt sich: Dieses Feuerwerk will die Landesregierung hier im Plenarsaal vor den Abgeordneten und den Menschen im Land nicht zünden.

Immerhin hatte der Ministerpräsident die Absicht, am gestrigen Tage eine Bilanzpressekonferenz abzuhalten. Dass sie abgesagt werden musste, ist hier nachrangig.

Wichtig ist aber: Ministerpräsident Haseloff wollte sich dem Landtag in dessen letzter Sit-zung nicht aktiv mit seiner Bilanz stellen, obwohl er sich entschieden hatte, Bilanz zu ziehen. Vor Journalisten.

Die Respektlosigkeiten vor dem Landtag, dem einzigen direktdemokratisch legitimierten Verfassungsorgan des Landes, das den MP gewählt hat, reihen sich weiter aneinander!

Zitat: „Zukunftschancen für Sachsen-Anhalt – verlässlich, gerecht und nachhaltig“.

Mit diesem Motto – einige meinten vor fünf Jahren gar – mit dieser Vision betrat die Kenia-Koalition die Bühne der deutschen Politik.

Denn erstmals gingen CDU, SPD und Grüne ein Bündnis ein, um in einem deutschen Parlament eine regierungsfähige Mehrheit zu bilden und einen MP zu wählen. Was dann im zweiten Wahlgang gelang. Immerhin.

Aus der Wirtschaft weiß man, dass das Erreichte erst vor dem Hintergrund des Gefährdeten richtig bewertet werde.

So gesehen, war das Motto Ihres Koalitionsvertrages ein buntes Transparent, dass sich in den vergangenen fünf Jahren als laues Lüftchen, als eine vertane Chance erweisen hat, wenn es denn überhaupt je die Chance gegeben haben sollte, aus diesen ungleichen Partnern in Sachsen-Anhalt eine hart und erfolgreich und einvernehmlich arbeitende Zukunftskoalition zu schmieden.

Die Wahrheit ist konkret, heißt es. Also werden wir konkret. Hier kann ich nur einige Belege bringen. Meine Fraktion wird ihre komplette Bilanz von fünf Jahren Kenia im Mai der Öffent-lichkeit vorstellen.

Sie haben sich im Interesse der Zukunftsgestaltung vorgenommen, verlässlich zu sein. Das Vertrauen, das sicher einige Menschen im Lande in Ihre Koalition gesetzt haben, haben Sie in vielen, zu vielen Feldern enttäuscht.

Leider, setze ich hinzu, weil dieser Vertrauensverlust, diese abhanden gekommene Gewissheit im „gesagt – getan“ uns allen und dem politischen System schadet.

Die populistische Versuchung eines Markus Söder konnte in der CDU noch einmal abgewendet werden, nachdem Ihr Vorsitzender Laschet vor der Vorstandssitzung am Montag ausdrücklich auf die Entwicklungen in den USA unter Trump hinweisen musste. Ich werde am Ende meiner Rede darauf zurückkommen.

Sie sagten Verlässlichkeit zu – in zu vielen Politikbereichen ist dagegen ein „Versprochen – gebrochen“ zu bilanzieren.

Hier schlaglichtartig einige Beispiele zum Beleg dieser These.

Wo ist die versprochene Angleichung der Ost-Renten an die Renten im Westen? Wo ist die versprochene Neugestaltung der Finanzierungssystematik im KiFÖG, wo die Evaluation des Kinderschutzgesetzes? Wo stehen Sie bei der angestrebten Unterrichtsversorgung von 103%? Kenia verantwortet einen Tiefststand an allgemeinbildenden Schulen von 95,6%. Ist das verlässliche Zukunftsgestaltung?

In welcher Ihrer Schubladen ist das versprochene Hochschulmedizingesetz liegen geblieben?

Was wollten Sie gegen die prekäre Beschäftigung an den Hochschulen tun und was ist gelungen? Was haben Sie den Studentenwerken versprochen und was geliefert? Wollten Sie nicht den Hochschulbau ans Wissenschaftsministerium übertragen? Sie werden gute Gründe dafür gehabt haben. Haben Sie geliefert?

Was haben Sie getan, um den bekannten Investitionsstau in den Krankenhäusern von ca. 1 Mrd. EURO in 2017 maßgeblich abzubauen?

Das Agrarstrukturgesetz liegt weiter auf Eis. Auch ein Leitbild für die Landwirtschaft sind Sie schuldig geblieben. Das Klima- und Energiekonzept des Landes ist ein zahnloser Tiger.

Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung eines sozialverträglichen Zukunftsszenarios für den Strukturwandel im Kohlerevier Sachsen-Anhalts? Wenn man sieht, wie es da in anderen Ländern brummt, mache ich mir Sorgen um die Zukunftschancen der Menschen in unserem Teil des Mitteldeutschen Braunkohlereviers.

Wo ist das angekündigte moderne Gleichstellungsgesetz, wo ihre Anstrengungen um eine paritätische Besetzung der der Mandate und Ämter mit Männern und Frauen?

Und: Wo ist Ihre zugesagte auskömmliche Finanzierung des Landesprogramms „Demokratie, Vielfalt und Weltoffenheit“ und für Miteinander e. V.?

Die Ausgaben für den Verfassungsschutz haben Sie in diesen fünf Jahren dagegen auf weit über eine Million Euro im Jahr getrieben. Wir sagen: Die Verfassung wird durch die Gesellschaft geschützt oder sie wird es nicht.

Sie haben sich im Interesse der Zukunftsgestaltung vorgenommen, gerecht zu sein. Was waren Ihre konkreten Taten, um den himmelschreienden Ungerechtigkeiten zu begegnen, denen Kinder, die in Armut leben, ausgesetzt sind?

Was waren Ihren konkreten Taten, um die noch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung bestehende Kluft beim Einkommen und der Rente zwischen Ost und West zu begegnen?

3. Sie haben sich im Interesse der Zukunftsgestaltung vorgenommen, nachhaltig zu agieren

Ich frage Sie: Wo ist die verlässliche Haushaltspolitik, mit der gerade die CDU stets prahlt?  Sie haben in Phasen sprudelnder Staatseinnahmen alle vom Munde abgesparten Rücklagen des Landes verfrühstückt – nicht um Krisen zu meistern, nicht um die Zukunft zu sichern, sondern um Kenia zusammenzuhalten.

 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Wäre das alles nicht ernst genug, muss man in einer Bilanz des Kabinetts Haseloff leider auch auf die Performance der Mannschaft und vor allem des Führungsspielers zu sprechen kommen. Herr Ministerpräsident: Unmittelbar nach Ihrer Wahl haben Sie diesem Landtag zugerufen, wir würden uns noch wundern.

Ich habe das schon damals als unpassend und auch als irgendwie bedrohlich empfunden. Heute weiß ich: An die Spitze unserer Bilanz Ihrer Amtszeit gehört die Feststellung: Sie haben sich am Ansehen unseres Landes vergangen, indem Sie hier für eine politische Kultur gesorgt haben, für die man sich nur schämen kann.

Die Fraktion der CDU hat einen Kandidaten für das Präsidentenamt vorgeschlagen, den Sie vorher fragen mussten, ob denn aus der Wahlfälschungsaffäre aus Stendal noch was nachkomme. Schon die Frage macht deutlich, dass solch eine Kandidatur allein mit diesem Verdacht unterirdisch ist. Sie haben AfD-freundliches Verhalten in Ihrer Fraktion geduldet und gebilligt.

Zwei Vizefraktionsvorsitzende spielten in einer Denkschrift über das Verbinden des Nationalen mit dem Sozialen bewusst mit der Verbindung beider Begriffe – dem Nationalsozialismus – der uns das dunkelste Kapitel unserer Geschichte beschert hat. Noch heute repräsentieren beide die Fraktion und werden auch in der 8. Wahlperiode zum Führungspersonal zählen. Wofür steht das?

Sie haben in Ihrer Koalition einen Umgang mit Ihren Partnern gepflegt, dass ich mir Sorgen mache, wie Sie mit Ihren Gegnern umgehen. Sie haben in der Pandemiebekämpfung das Parlament ins Abseits gestellt und fabuliert, es sei doch beteiligt, weil die Fraktionsvorsitzenden der Koalition am Kabinettstisch sitzen.

Sie haben mit der Zurückziehung des Gesetzentwurfs der Landesregierung zur Zustimmung zum Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag durch den MP ohne Kabinettsbeschluss die Verfassung gebogen, um Kenia und damit Ihre Macht nicht zu gefährden. Dafür scheint Ihnen kein Preis zu hoch zu sein. Der Gipfel des Mangels an Anstand und Prinzipientreue allerdings war Ihr Agieren im Ringen um die Kanzlerkandidatur der Union.

Mir geht es dabei nicht zentral darum, dass Sie sich – immerhin in der konservativen Welt am Sonntag vom 18. April 2021 – durch Ihr Agieren den zweifelhaften Titel des „ersten Umfallers“ verdient hatten. Erst hieß es von Ihnen „Armin mein Freund“ und dann kam ihre Offenbarung gegenüber dem SPIEGEL.

 

Sie sagten dem SPIEGEL:

Zitat: „Es geht nicht um persönliche Sympathie, Vertrauen oder Charaktereigenschaften.“ Und weiter: „Leider geht es nur um die harte Machtfrage: Mit wem haben wir die besten Chancen?“ Und schließlich: „Man kann mit erhobenem Haupt und wehender Fahne für eine gute und richtige Position sein, aber trotzdem in der Opposition landen.“

Was spricht daraus? Das Streben um Macht um der Macht willen und um jeden, offenbar wirklich jeden Preis. Der vollständige Verlust des moralischen Kompasses.

Die Aufgabe aller Prinzipien, die Leitplanken des politischen Handelns sein sollten, ja müssen, gerade dann, wenn Macht versucht ist. Mich hat diese offene Preisgabe all dessen, von dem ich glaubte, dass der MP dafür steht, sehr erschrocken.

Ich habe Sie bisher, Herr Ministerpräsident, für einen Garanten dafür gehalten, dass die CDU der blaubraunen Versuchung widerstehen wird, solange Sie an Bord sind.

Nach diesen Zitaten weiß ich: Sie sind dieser Garant nicht.

Die Erwartung, für den Machterhalt alles zu tun, werden Sie erfüllen. Die Erwartung, die Machtfrage Prinzipen und Überzeugungen unterzuordnen und No-Gos als No-Gos zu akzeptieren, habe ich nicht mehr an Sie. Weil Sie zu groß ist für Sie.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!