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Edeltraud Rogée zu TOP 02: Folgen der Arcandor-Insolvenz für die Beschäftigten und die Entwicklung der Innenstädte

Ob die heutige Aktuelle Debatte sinnvoll ist oder nicht, darüber sollten wir heute nicht streiten. Die Beschäftigten sind auch Bürger dieses Landes und Wähler. Sie wollen von uns lediglich wissen, wie wir diesen Vorgang sehen. Darauf wollen sie eine Antwort haben. Deswegen sind auch die Betriebsräte anwesend. Die Anwesenheit der Beschäftigten der Karstadthäuser aus Magdeburg und Dessau sowie des Quelle Communication Centers Magdeburg GmbH zeigen das große Interesse und die Hoffnung auf Unterstützung mit dem Ziel der weiteren Existenz der Häuser, vor allem der Arbeitsplätze. Was in den vergangenen Wochen passiert ist, sorgt für Unsicherheit und Existenzangst.

Es ist richtig, dass sich die Beschäftigten öffentlich dagegen zur Wehr gesetzt haben. Jetzt ist wirklich nicht die Zeit für Arbeitnehmerinnen, Verzicht zu üben und die Hände in den Schoß zu legen. Die Krise wird auch in Sachsen-Anhalt sichtbar, da hilft kein Gesundbeten. Wir sollten uns offensiv mit den jetzigen Entwicklungen beschäftigen und versuchen, auch für andere Bereiche Lösungen zu finden.

Die Anzahl der Insolvenzen in Deutschland hat sich in dem Zeitraum von 1993 bis 2006 von 15.148 auf 31.300 verdoppelt. Für Mai 2009 war Folgendes in der Presse nachzulesen: „Im Verhältnis zur Gesamtzahl der Firmen je Bundesland gingen Unternehmen aus Bremen am häufigsten pleite, nämlich 32 je 10 000 Firmen, gefolgt von Sachsen-Anhalt (29) und Schleswig-Holstein (28). Die wenigsten Firmeninsolvenzen wurden aus Hamburg und Bayern mit jeweils 13 Fällen je 10 000 Unternehmen gemeldet.“

Wir stehen somit an vorletzter Stelle, und das, obwohl Sie als Wettbewerbsvorteil immer wieder die Arbeitnehmer als billige Arbeitskräfte verkaufen - in Bayern und Hamburg werden die Arbeitnehmer nicht so verhökert.

Nun haben wir in unserem Land mehr als 1.500 Beschäftigte, die sich mit ihrem Konzern in der schwersten Pleite seit fast 30 Jahren befinden. Es geht um ein Unternehmenskonstrukt aus 520 Gesellschaften. Für 22 davon ist bisher das Insolvenzverfahren beantragt worden.

Wer in die Zukunft sehen will, muss die Vergangenheit analysieren, um Zukunftsentscheidungen treffen zu können. Dazu ein paar Daten:

Bereits im September 2004 präsentierte Konzernchef Achenbach ein radikales Sanierungsprogramm für den in den roten Zahlen stehenden Karstadt-Konzern. Am 14. Oktober 2004 einigten sich die Arbeitnehmervertreter darauf, ein Sanierungskonzept abzuschließen, das die Streichung von 5.700 Arbeitsplätzen vorsah. Anfang 2006 kündigte Herr Middelhoff den Verkauf der Karstadt-Immobilien zur Entschuldung des Konzerns an. Sie wurden in der Regel veräußert und zurückgemietet. Ab September 2008 hält die Sal.-Oppenheim-Bank Anteile von insgesamt 29,5 % am Arcandor-Konzern und wird somit zum größten Aktionär.

Im Jahr 2008 wird den Beschäftigten durch den Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld erneut in die Tasche gegriffen. Im Dezember 2008 gibt der Arcandorchef den Chefwechsel von Herrn Middelhoff zu Herrn Eick zum 1. März 2009 bekannt. Die Bilanz des letzten Geschäftsjahres unter Middelhoff fällt tiefrot aus. Arcandor weist für 2007/2008 einen Nettoverlust in Höhe von mehr als 700 Millionen Euro und Schulden in Höhe von fast 1 Milliarde Euro aus. Im März 2009 kündigt Herr Eick einen harten Sparkurs an.

Dann gab es die Anträge auf Staatsbürgschaften in Höhe von 650 Millionen Euro und auf eine Rettungsbeihilfe in Höhe von 437 Millionen Euro. Beides lehnte der Lenkungsausschuss des Wirtschaftsfonds am 8. Juni 2009 ab. Am 9. Juni 2009 stellte Arcandor den Antrag, das Insolvenzverfahren für die Töchter Karstadt Warenhaus GmbH, Primondo GmbH und Quelle GmbH einzuleiten. Dem Konzern droht 128 Jahre nach der Gründung des ersten Karstadt-Hauses die Zerschlagung, 43.000 Beschäftigte bangen um ihre Arbeitsplätze.

Fragen, die DIE LINKE beschäftigen, sind: War die Gefahr nicht früher zu erkennen? Konnte nicht rechtzeitig gegengesteuert werden?

Der Verkauf der Karstadt-Häuser, die dann für zu hohe Mieten zurückgemietet wurden, und der zweimalige Einkommensverzicht der Arbeitnehmerinnen im dreistelligen Millionenbereich hätten unbedingt zum Umdenken in der Unternehmensstrategie führen müssen.
In diesem Zusammenhang müssen sich auch die Arbeitnehmervertreter der Aufsichtsratsgremien unbequeme Fragen gefallen lassen. Hätten ver.di und der KBR nicht wissen müssen, dass der geforderte Verzicht kein Zeichen für ein florierendes Unternehmen ist? Diese Pleite hat sich über einen längeren Zeitraum angekündigt.

Die Situation ist für die Beschäftigten eine Katastrophe, weil Manager für Spekulanten aus Unternehmen herausholen, was herauszuholen ist, ohne Verantwortungsgefühl für die Beschäftigten und für die Bürger.

Die nun schnell aufgeworfene Frage, ob Warenhäuser noch zeitgemäß sind, hilft den Beschäftigten in diesem Zusammenhang gar nicht. Sicher ist, dass beide Warenhäuser dort, wo sie angesiedelt sind, von den Kunden angenommen werden und wirtschaftlich arbeiten, also schwarze Zahlen schreiben. 23.000Kunden haben allein in Magdeburg dafür unterschrieben, dass das Karstadt-Haus in der Stadt bleibt und die Arbeitsplätze für die Beschäftigten erhalten bleiben, ähnlich auch in Dessau.

Die Beschäftigten, die bereits seit Monaten unter Druck stehen und sich die Frage stellen: „Wie lange habe ich meine Arbeit noch?“, sind sehr engagiert und wollen ihre Häuser mit guten Umsätzen über Wasser halten. Die größte Sorge der Beschäftigten ist der Verlust des Arbeitsplatzes, weil die Beschäftigten oftmals die einzigen Ernährer in ihren Familien sind. Und viele kommen aus weiten Teilen unseres Landes: Sie leben auch von den Quelle-Stützpunkten, die mit kleinen Nebeneinkommen wie Post und Kleinhandel gekoppelt sind. Auch sie wissen nicht, wie sie überleben sollen.

Wie stellt sich unsere Fraktion die weitere Unterstützung vor? Für uns hat die Erhaltung der Warenhausstandorte, des Callcenter-Standorts und der Arbeitsplätze Priorität. Die Betriebsräte haben darum gebeten, dass der Landtag und die Landesregierung die Unternehmensteile, wenn notwendig, finanziell unterstützen.

Dazu fordern wir, dass zuerst die Eigentümer sowie die Nutznießer der Gewinne aus den Immobilienverkäufen und aus den überhöhten Mieteinnahmen ihrer Verantwortung nachkommen und sich mit ihrem Vermögen an dem Erhalt der Karstadt-Häuser und der Quelle GmbH beteiligen.

Die Beschäftigten sehen die Unterstützung des Opel-Konzerns als Messlatte und sagen: Was dort geht, müsste doch eigentlich auch bei uns gehen.

Ein gesunder Wettbewerb hat Karstadt und Quelle bisher nicht geschadet. Deshalb ist ein guter Mix des Angebots in den Innenstädten ein guter Wettbewerbsvorteil. Aber die Entwicklung von Einkaufszentren und Factory Outlets auf der grünen Wiese vor den Städten muss aufhören. Verkaufsfläche haben wir wirklich ausreichend. Im Comfort-Marktbericht ist nachzulesen, dass der Bundesdurchschnitt bei 1,3 bis 1,4 m² je Einwohner liegt. Magdeburg hat aber 2,7 m² und Dessau 2,2 m² Verkaufsfläche je Einwohner. Beide Städte liegen damit über den Referenzwerten von Berlin, Leipzig oder Düsseldorf.

Bei der Kaufkraft hingegen bewegen wir uns leider auf den hinteren Rängen. Deshalb erwarten wir, dass von weiteren Erschließungen wie in Wiedemar an der A 9 Abstand genommen wird. Auch das ist Verantwortung für einen florierenden Handel in der Innenstadt. Unternehmen wie Karstadt haben einen festen Platz im Einzelhandel, können aber nur überleben, wenn die Preistreiberei im Einzelhandel gestoppt und die Kaufkraft gestärkt wird. Auch deshalb muss Deutschland endlich einen gesetzlichen Mindestlohn einführen.

Im Interesse aller betroffenen Arbeitnehmer erwarten wir, dass der geleistete Einkommensverzicht, den die Beschäftigten bereits zum Überleben des Konzerns geleistet haben, an die Beschäftigten zurückgezahlt wird.

Wir würden gern den Vorschlag von ver.di aufgreifen und unterstützen, einen Runden Tisch zur Lösung der Probleme zu bilden, an dem sich Landes- und Kommunalpolitik, Beschäftigte, Gewerkschaften sowie Innenstadtinitiativen und Unternehmensvertreter beteiligen. Kostenlose Parkplätze und eine Gestaltung des Umfelds des Karstadt-Hauses in Magdeburg sind unbedingt notwendig, um von außen noch attraktiver zu wirken. Die Beseitigung des „Blauen Bocks“ ‑ das verspreche ich dem Karstadt-Geschäftsführer ‑ werde ich unterstützen.