Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Dr. Frank Thiel zu TOP 30: Wirtschaftspolitik endlich nachhaltiger gestalten

Wir wollen versuchen darzustellen, wo wir in der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes eigentlich stehen.  Wenn Sie unseren Antrag gelesen haben, dann werden wahrscheinlich einige meinen: Die LINKE ist wieder einmal der Teufel, der die gute wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen-Anhalt verdammt.  

Wir werden nahezu täglich von sehr unterschiedlichen Meldungen überhäuft. Kammern, Verbände, Institute äußern sich. Es wird von Aufhellung gesprochen. Wir haben das Tal durchschritten. Es gibt krisenbedingte Insolvenzen. Die Auftragsbücher sind voll, die Auftragsbücher sind leer. Wir reden von gefühlten Erwartungen des Geschäftsklimas, von gefühlten Umsätzen, von Arbeitslosigkeit, von Neuinvestitionen.

Die Medien sind voll mit diesen Dingen. Wie gelingt es jetzt dem geneigten Politiker zu bewerten: Wo sind wir in der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes Sachsen-Anhalt eigentlich angekommen?
Ich will eine erste Bewertung vorwegnehmen. Die These, die wir vertreten, lautet: Sachsen-Anhalt bewegt sich durchaus auf den Konjunkturwellen, durch Konjunkturhöhen und -täler, die sozusagen die globale Konjunktur in Deutschland widerspiegeln.
Eigentlich ist es egal, wer mit wem wo regiert. Die Wirtschaft hält sich nicht an Legislaturperioden. Das heißt, es stellt sich die Frage: Sind wir nun das Musterländle? Oder sind wir das Land zwischen roter Laterne und Musterländle?  

Ich nehme einmal die realen und von vielen bestätigten Zahlen aus dem Jahr 2001/2002. Damals hatte das Land Sachsen-Anhalt eine der höchsten Wachstumsraten in Deutschland. Sachsen-Anhalt lag deutlich vor den anderen Bundesländern.

Ich will nur darauf verweisen: Wenn wir von der roten Laterne oder vom Musterländle reden, dann muss man sich anschauen, wo wir tatsächlich stehen.

Als Sie in den Jahren 2003 und 2004 die Regierung übernommen haben, ging es mit dem Wirtschaftswachstum wieder nach unten. Auch das muss man feststellen.
Man sollte also die eigene politische Kraft, die man in die Wirtschaft steckt, niemals anhand von Legislaturperioden bewerten, sondern auf die Auswirkungen schauen.

Jetzt zum Thema Musterländle. Am 8. Juni 2010 gab es auf der Titelseite der „Volksstimme“ die Information: Wir sind dank unseres guten Fachkräfteangebots auf Platz 2 in Deutschland angekommen. Die unabhängigen Wirtschaftsinstitute hätten uns bescheinigt: Platz 1 beim Fachkräfteangebot, Platz 1 beim regionalen Lohnniveau, Platz 1 bei der kommunalen Abgabenlast und Platz 1 bei den Preisen von Gewerbeflächen. Es gab noch ein paar kleine Bereiche, wo wir Platz 13 oder 14 sind. Das betrifft die Attraktivität von Arbeitsplätzen oder Forschung und Entwicklung.  

Was sind denn tatsächlich die Vorteile, die wir haben? Nehmen wir das Beispiel kommunale Abgabenlast. Die Unternehmen können sich doch freuen, wenn sie den Kommunen im Bereich der Steuern weniger zu zahlen haben. Die Unternehmen können sich doch darüber freuen, dass sie ihre Steuern gar nicht bei uns entrichten müssen. Die vielen kleinen mittelständischen Unternehmen zahlen an dieser Stelle überhaupt keine Steuern.

Man kann auch sagen: Vorteil bei Preisen und Verfügbarkeit von Gewerbeflächen. Gewerbeflächen werden in der Regel mit hohem Aufwand bereitgestellt. Hat einmal jemand nachgerechnet, zu welchen Preisen die Gewerbeflächen dann verkauft werden?
Ich sage kein Geheimnis: Der Verkauf wird oftmals mit Verlusten für die öffentliche Hand durchgeführt. Der Flächenverbrauch wird nahezu ungehemmt genehmigt.

Nach der Statistik des Statistischen Landesamts für 2009 liegen wir mit einem Jahresverdienst von 22 500 €  5 000 € unter dem Bruttodurchschnittsverdienst von Deutschland. Das ist das, was von der Investitionskraft, die wir in das Land gesetzt haben, tatsächlich bei den Menschen ankommt.  

Welche Arbeitsplätze haben wir? Wenn man sich die Entwicklung seit 2006 anschaut, dann stellen wir fest: Statistisch ist die Zahl der Arbeitsplätze nahezu konstant geblieben. Sie hat sich nur in einigen wesentlichen Bereichen geändert: Die Zahl der Vollzeit- und unbefristeten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse hat deutlich abgenommen, die Zahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse hat dagegen deutlich zugenommen. So viel zum Thema: Was kommt bei den Menschen an?

Wir haben in diesem Hohen Hause oft genug darüber diskutiert, dass Lohnzurückhaltung die Binnennachfrage drosselt und dass dadurch kaum Anreize geschaffen werden für zusätzliche Investitionen oder Arbeitsplätze für den bedeutsamen Binnenmarkt.  

Sachsen-Anhalt mag durchaus ein gutes Land für Unternehmen sein, die hier mit niedrigen Löhnen oder billigen Grundstückskosten agieren können, oder ein Land, in dem die Gewerbeflächen von den Kommunen zu Niedrigstpreisen oder möglichst noch subventioniert erworben werden können, das heißt zu Preisen, ohne eine entsprechende steuerliche Gegenleistung zu erhalten.  

Für Beschäftigte, die existenzsichernd bezahlt werden möchten, für gut ausgebildete Fachkräfte, die sich in diesem Land langfristige Perspektiven erarbeiten möchten, die auch Karriere machen möchten, ist Sachsen-Anhalt jedoch offenbar viel zu wenig attraktiv. Denn in Bezug auf die Attraktivität der Arbeitsplätze sind wir auf Platz 14. Deswegen ist uns der Jubel um Platz 2 unverständlich.  
Wenn man einmal hinterfragt, wer eigentlich befragt worden ist, dann wird man feststellen: Es waren die Unternehmer, die gefragt worden sind.
Für DIE LINKE ist der Platz 14 in Bezug auf die Attraktivität der Arbeitsplätze im Sinne der fast eine Million Beschäftigen in Sachsen-Anhalt politisch bedeutsamer als der Platz 2 in der Bewertung durch die Unternehmen im Hinblick auf billige Arbeitskräfte und billige kommunale Flächen.  

Das zweite Thema unseres Antrages lautet: Wo sehen wir den Bedarf, in der Wirtschaftsförderung noch einmal nachzujustieren? Denn wir hatten jüngst vernommen, dass es offenbar notwendig sei, die Regeln für die Wirtschaftsförderung im Bereich der GAW neu zu justieren. Minister Haseloff hat das bekannt gegeben, er hat sich vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle offenbar vorrechnen lassen, wie wir bis zum Jahr 2019 eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung erreichen können.  
Uns würde interessieren, dass Sie damit auch einmal an die Öffentlichkeit gehen, weil tatsächlich die Frage steht: Was haben die Investitionen in den letzten Jahren bewirkt?  

Ich habe schon etwas dazu gesagt, was bei den Menschen angekommen ist. Deswegen waren wir vor eineinhalb Jahren in diesem Hohen Hause so scharf und kritisch, als wir die Entkoppelung von Investitionsvorhaben und Arbeitsplätzen kritisiert haben, das ist für uns ein wesentliches Element. Wir fühlen uns auch bestätigt, wenn man sich die Dinge ansieht, die in den letzten zwei Jahren hier passiert sind.

Wir haben sehr oft über Wirtschaftsfragen diskutiert und haben gefragt: Die Krise, die Krise, ja wo ist sie denn eigentlich bei uns?  
Im Bereich der Wirtschaftsförderung, im Bereich des Investitionsgeschehens konnten wir kaum einen Investitionsstau feststellen. Die Bilanzen der Investitionsbank oder der NordLB haben uns darin bestätigt.  
Das Problem, das wir hatten, ist offenbar, dass einige Unternehmen, die vielleicht darauf aus waren, hier billig zu Geld zu kommen, nicht investiert haben. In anderen Bereichen haben jedoch Investitionen stattgefunden.  

Der Minister hat in seiner Pressemitteilung vom März 2010 darauf hingewiesen: In dem Bereich, in dem die Investitionen nicht an Arbeitsplätze gebunden waren, waren es 36 Anträge mit einem Investitionsvolumen von 74 Millionen €. Dadurch wurden rund 2 300 Arbeitsplätze gesichert.
Wir wollen, dass mit vernünftigen Investitionszahlen wieder vernünftige Arbeitsplätze verbunden werden. Die Investitionsförderung muss an neue Jobs gebunden werden. Sie muss an gute Arbeitsbedingungen geknüpft werden. Wir sind gespannt, falls wir in die Verlegenheit kommen, darüber im Wirtschaftsausschuss zu diskutieren, wie Sie die neue Regelung für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ab Januar 2011 ändern wollen.  

Dabei sollten wir immer vor Augen haben, dass im nächsten Jahr die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa voll durchschlagen wird. Sachsen-Anhalt muss ordentlich aufgestellt sein, um den entsprechenden Auswirkungen begegnen zu können. Deshalb darf man eben nicht mit billigen Arbeitsplätzen und mit billigen Arbeitskräften werben. Man muss vielmehr vermitteln, dass in Sachsen-Anhalt ordentlich bezahlt wird.

Ministerpräsident Böhmer hat zum Thema Forschung und Entwicklung deutlich gemacht, wie wir bei der Entwicklung innovativer und wissensbasierter Produktionszweige in Sachsen-Anhalt dastehen. Auch diese Zahlen sind bekannt. Sie wurden vor wenigen Tagen veröffentlicht. Wir mussten feststellen, dass wir hinsichtlich der Investitionen in die Forschung bei einheimischen Unternehmen auf dem vorletzten Platz vor dem Saarland liegen.
Das ist wirklich ein Problem, da ist die Wirtschaftsförderung stark gefordert. Wir haben in den letzten Jahren etwa 4 % unseres Haushaltsvolumens in den Bereich Forschung und Entwicklung gesteckt haben. Das ist eine Menge Geld. Es sind viele Institute entstanden.
Das ist, anteilig gesehen, in etwa vergleichbar mit dem Niveau von Bayern und Baden-Württemberg. Trotzdem stellen wir fest, dass sich der Abstand zwischen Ost und West in den letzten zehn Jahren nicht verringert hat. Deshalb müssen wir noch einmal darüber nachzudenken, wie zum Beispiel die wissensbasierte Wirtschaftsförderung neu aufgestellt werden muss.
Die Forschungslandschaft in Sachsen-Anhalt ist wirklich massiv mit finanziellen Mitteln unterstützt worden. Aber in den Unternehmen passiert zu wenig. Hier ist tatsächlich ein Umschwung erforderlich.