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Dr. Frank Thiel zu TOP 19: Perspektivische Wirtschaftspolitik - wirksam und nachhaltig

Das Anliegen des Antrags beschränkt sich auf drei wesentliche Punkte:

Erstens gab es in der letzten Zeit im politischen Raum Debatten über die Frage: Müssen wir die Förderkonditionen des Landes anpassen und, wenn ja, wie?

Zweitens. Wir befinden uns in der Halbzeit der EU-Strukturfondsperiode 2007 bis 2013. Die Frage war vor länger Zeit zum Thema Schulbauförderung: Wie ist eigentlich das Land und wie sind die Regionen auf die veränderten Bedingungen der EU-Strukturfondsförderung eingestellt und welche Maßnahmen haben sie konkret abgeleitet?

Drittens. Wenn es denn notwendig wäre, das Förderszenario zu justieren, dann wäre das eigentlich ein geeigneter Gegenstand für die Beratungen über den Doppelhaushalt 2010/2011.

Dabei ist die Frage zu stellen, wo wir momentan im Land bei den Themen „wirtschaftliche Entwicklung“, „Investorensuche“ und anderen Dingen stehen. Dazu hat es in der letzten Zeit eine ganze Reihe Aktivitäten gegeben.

Beim Ringen um Investoren für das Land Sachsen-Anhalt wird in der Außenwerbung von zehn markanten Punkten gesprochen, die Sachsen-Anhalt auszeichnen. Ich will sie ganz kurz nennen:

Erstens. Wir haben Flexibilität, das heißt schnelle Genehmigungen.

Zweitens. Es gibt Investitionssicherheit wegen der politischen und finanziellen Stabilität.

Drittens. Die Infrastruktur ermöglicht moderne Transport- und Logistikwege.

Viertens. Durch die Investitionsförderung ist eine spürbare Reduzierung der Investitions- und Ausbildungskosten zu verzeichnen.

Fünftens. Marktzugang ist vorhanden, wir haben Zugang zu europäischen Märkten.

Sechstens. Es gibt einen kostenfreien Service „professionelle Ansiedlungsunterstützung“.

Siebentens. Wir sind ein dynamischer Wirtschaftsraum, der dynamischste in Deutschland.

Achtens. Qualität und Innovation stimmen, „Made in Germany“ ist ein Markenzeichen Sachsen-Anhalts.

Neuntens. Wir sind kompetent, das heißt, wir haben hoch motivierte und qualifizierte Arbeitskräfte.

Zehntens. Wir haben einen entscheidenden Produktivitätsvorteil, nämlich die geringsten Lohnstückkosten, und das sichert Investoren einen entscheidenden Wettbewerbsvorsprung.

Im Rahmen der Investorenkonferenz, die am 3. Juni 2009 stattfand, wurden einige Punkte sichtbar, wie solche Außenmarketing- und Werbebotschaften ankommen.

Ein Investor, der in Osterweddingen ein großes Glaswerk baut, erklärte, für das gleiche Grundstück hätte er in Holland 150 €/m2 auf den Tisch legen müssen, um den Grund und Boden zu erwerben. Das war ihm viel zu teuer. Der Bördeboden war also offensichtlich billiger.

Im Werbematerial für das Solarvalley ‑ Erscheinungsdatum ist der 18. Mai 2008 ‑ kann man unter dem Stichwort „Sonnige Aussichten für den Arbeitsmarkt“ lesen, dass die Lohnstückkosten 30 % unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Der Bruttostundenlohn ist von 11,33 € im Jahr 2000 auf 12,22 € im Jahr 2005 gestiegen, also immerhin um 1,56 % pro Jahr.

Die Flexibilisierung der Arbeitszeiten ist wirklich von Vorteil. Wir haben hier im Osten eine geringere Tarifbindung als in Westdeutschland. 75 % der Unternehmen sind nicht gewerkschaftlich organisiert. Flexibilität ist vorhanden, Bereitschaft ist vorhanden, Teilzeitarbeit ist vorhanden und eine hohe Mobilität, 12 % sind Pendler. Arbeitszeit rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche ist möglich. Die Genehmigungszeit ist kurz.

Angesicht dieser Zahlen stellt sich die Frage: Sind die Aussichten für die Beschäftigten wirklich so sonnig? So etwas kann nur jemand aufschreiben, der nicht unter solchen Bedingungen arbeiten muss.
Das Problem, welches wir damit haben, ist, dass Beschäftigte offenbar nur als Manövriermasse, bezeichnenswerter Weise höchstens noch als Kunden oder als Konsumenten akzeptabel sind. Aber bei den geringen Lohnkosten, die wir hier haben, ist nur mit einer geringen Konsumerwartung zu rechnen. Das heißt, mit Perspektiven für Menschen in Sachsen-Anhalt haben solche Ansiedlungsbedingungen eigentlich wenig zu tun.

Deshalb brauchen wir uns auch nicht über einen mangelnden zu wundern Fachkräftebedarf, den wir feststellen müssen.
Hier hat die Landesregierung aus der bestehenden Wirtschafts- und Finanzkrise nichts gelernt in Bezug auf die sträfliche Vernachlässigung der Binnenkonjunktur in den letzten Jahren.

Die aktuelle Lage kann man im Finanzstrategiepapier der Landesregierung vom 9. Juni 2009 sehr schön nachlesen: „Die bekannten strukturellen Schwächen der ostdeutschen Wirtschaft, kleinbetriebliche Wirtschaftsstruktur, vergleichsweise geringe Exportbasis und hohe Binnenlastigkeit, geringe Zahl größerer international verflochtener Unternehmen und die Dominanz traditioneller Branchen, bei denen allgemein moderate Wachstumsperspektiven zu verzeichnen sind, verhinderten einen stärkeren Absturz in der gegenwärtigen Krise. Aber beim nächsten Konjunkturaufschwung werden diese Schwächen wieder als solche zutage treten.“

Das IWH hat vor wenigen Tagen festgestellt, dass die Krise in den ersten drei Monaten in Sachsen-Anhalt tiefe Spuren hinterlassen hat. Lange Zeit wollte man das im Land nicht wahrnehmen. Sie wissen, welche Diskussionen wir darüber im Landtag geführt haben, nach der Devise: Wir fahren auf Sicht. Das war lange Zeit die Devise des Wirtschaftsministeriums. Jetzt ist die Debatte eine andere, nach dem Motto: Jetzt verhalten wir uns antizyklisch, jetzt muss investiert werden, deshalb auch diese Investorenkonferenz.

DIE LINKE ist der Auffassung, dass mit dem Doppelhaushalt 2010/2011 die Weichen für die letzten zehn Jahre vor dem Auslaufen des Solidarpaktes gestellt werden. Deshalb sollte es das Anliegen dieses hohen Hauses sein, dass wir über die Fragen, wie wir künftig Wirtschaftsförderung und Wirtschaftspolitik gestalten wollen, in den jeweiligen Ausschüssen.

Für die LINKE hat es nach wie vor oberste wirtschaftspolitische Priorität, alles zu tun, dass die selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung in Sachsen-Anhalt endlich Realität wird.
Damit befinden wir uns, denke ich, in Übereinstimmung mit allen Fraktionen dieses Hauses. Die Frage ist nur, mit welchen Mitteln und Methoden das geschehen soll.

Auch die ostdeutschen Ministerpräsidenten haben auf ihrer jüngsten Konferenz dieses Ziel bekräftigt. Sie haben es allerdings versäumt, die Instrumente dafür aufzuzeigen. Deswegen sind wir der Meinung, man ist offensichtlich immer noch zu sehr mit dem Nachbar West befasst, statt endlich nach neuen Wegen zu suchen, damit wir zu einer selbsttragenden wirtschaftlichen Entwicklung kommen.

Ministerpräsident Herr Böhmer sagte auf der Investorenkonferenz am 3. Juni 2009: Die DDR hatte vor 20 Jahren 60 % des Bruttoinlandsproduktes der Bundesrepublik Deutschland. Herr Scharf hat gestern erklärt, Sachsen-Anhalt habe 71 % des deutschen Durchschnitts erlangt. Immerhin haben wir in 20 Jahren die Lücke mit 11 % geschlossen. Nach dieser Logik müssten wir 30 Jahre lang warten, bis wir annähernd in den Bereich kommen, der sozusagen bundesdeutscher Durchschnitt ist.

Deswegen komme ich nicht umhin zu sagen: Die derzeitige Wirtschaftspolitik kann man eventuell mit dem Drehen eines Hamsterrades vergleichen. Das heißt, es wird viel Energie aufgebracht. Die Hauptsache ist, das Rad dreht sich. Das heißt, egal, welcher Investor kommt, Hauptsache es kommen überhaupt Leute hierher. Auf die Richtung kommt es mehr oder weniger nicht an.

Das soll mindestens bis zum Jahr 2020 so weitergehen, das war gestern in der „Mitteldeutschen Zeitung“ zu lesen. Die CDU will mit der SPD ihre konservative Wirtschaftspolitik fortsetzen, und die SPD soll offenbar das soziale Feigenblatt sein, mit dem der „soziale Kitt dieser transformationsgeplagten Gesellschaft erhalten bleiben muss“.

Ich weiß nicht, wie das die Kollegen der SPD sehen. Aber für mich ist zu erkennen, dass die führende Partei, die CDU, im Transformationsprozess offenbar selbst zu einer Plage geworden ist.

Die entscheidende Frage für uns ist: Sind Förderkonditionen zu verändern, und wo ist anzusetzen? Nach unserer Auffassung ist es nicht erforderlich, die Kriterien für Subventionen aufzuweichen. Nicht Beliebigkeit ist gefragt, sondern Nachhaltigkeit. Es ist sehr zu wünschen, dass die wirtschaftliche Lage im Land stabil bleibt. Allerdings zeigen erste Signale, dass Umstrukturierungen in einigen Branchen notwendig werden.

Genau an dieser Stelle vermisst die LINKE das vorausschauende Handlungskonzept der Landesregierung, wie man auf diese Umstrukturierungsprozesse einwirken kann. Haben wir eine Kreditklemme, um eventuell die Förderbedingungen zu ändern? Darüber habe ich in der Zeitung nichts gelesen. Aussagen der NordLB-Investitionsbank und teilweise auch von Herrn Minister Haseloff lauten: Die Pipeline ist eigentlich voll. Es werden sich vielleicht ein paar Anträge verzögern, aber wir müssen uns keine Sorgen machen.

Ein Problemfall sind zurzeit die Betriebsmittelkredite. Diese sind schwierig zu bekommen. Nach Investitionskrediten wird weniger gefragt. Muss man dann die Förderbedingungen ändern?

Ich bin der Auffassung, wir sollten bei der Fördermittelvergabe mehr auf unternehmerisches Denken achten. Der Unternehmer fällt Entscheidungen über Investitionen nach den Expansionschancen seines Marktes. Wohin entwickelt sich sein Markt? Wo sind seine Produkte gefragt?

Erst dann wird investiert. Das heißt, es steht nicht die Frage, ob ein Kredit bewilligt wird, sondern die Frage ist: Wo sind die Chancen für den Unternehmer, an denen er entsprechend ansetzen kann?

Sollten wir uns am Standortwettbewerb künftig beteiligen? Nein, neue Märkte zu erschließen ist wesentlich nachhaltiger. Wenn man in den Regionen bei den Wirtschaftsfördergesellschaften nachfragt, stellt man fest, dass dort auch kein Investitionsstau zu erkennen ist. In vielen Regionen ist das Investitionsgeschehen nach wie vor vorhanden.
Deshalb muss man davon ausgehen, dass eine große Zahl von Unternehmen versucht, weiterhin in der Krise Stabilität zu erlangen und zu investieren, wobei wir beachten müssen, dass die überwiegende Zahl von Unternehmen am Markt sowieso ohne Subventionen auskommen muss. Wir sind der Auffassung, dass die Förderrichtlinien nicht unbedingt angepasst werden müssen.

Ferner war die Rede davon, man könnte die Arbeitsplatzbindung aufgeben. Das wäre ein fatales Signal. Wenn schon Fördermittel verteilt werden, dann sollten diese auch zur Sicherung der Beschäftigung eingesetzt werden.
Dazu gehört, dass die Vergabe von Steuermitteln an Unternehmen unbedingt an Beschäftigung geknüpft werden muss. Eine Investitionsförderung ohne Bindung an neue Jobs darf es in Sachsen-Anhalt nicht geben.

Es gibt eine Menge Gründe, worüber man reden kann und weshalb es sich lohnt, in Sachsen-Anhalt zu investieren. Es muss nach außen getragen werden, dass es sich lohnt, in Sachsen-Anhalt zu investieren, weil die Menschen ordentlich bezahlt werden und die Infrastruktur sowie die öffentliche Daseinsvorsorge gut aufgestellt sind, dass es sich lohnt zu investieren, weil es hier einen Markt gibt und weil es Konsumenten gibt. Sachsen-Anhalt gehört zu einer dynamischen Wirtschaftsregion, in der die Kaufkraft entsprechend gestiegen ist.

Ein Punkt, der in den letzten Tagen immer wieder Beachtung gefunden hat, ist, dass die Lohnzurückhaltung in den letzten Jahren nicht zu einer besseren Arbeitsplatzbilanz beigetragen hat. Die Gewinne, die die Unternehmen damit erlangt haben, wurden zum Abbau ihrer Schulden verwandt bzw. im Ausland angelegt. Sie wurden weniger in zusätzliche Produktionslinien bzw. in neue Produkte investiert.

Wir sind der Auffassung, dass eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung das ist, was Sachsen-Anhalt braucht, anstatt in einem Subventionswettlauf anderen hinterher zu rennen. Deswegen sind wir gespannt auf die Dinge, die die Fraktionen in der Debatte in den jeweiligen Ausschüssen dazu beitragen wollen. Wir sind bereit, unsere Vorstellung dazu zu unterbreiten und freuen uns auf die Debatte im Landtag bzw. in den Ausschüssen.