Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Dr. Frank Thiel zu TOP 16: Auswirkungen der Finanzkrise in Sachsen-Anhalt auf die reale Wirtschaft

Zu diesem Thema werden wir täglich mit neuen Botschaften konfrontiert. Die Botschaft des gestrigen Tages lautete: „Finanzkrise“ ist das Wort des Jahres 2008. Die zweite Botschaft lautete: Das Ifo-Institut sagt ein Minuswachstum von 4 % voraus; Professor Sinn sieht schwarz, hieß es, wobei man sagen muss, Professor Sinn hat immer schon schwarzgesehen ﷓ unter welchem Blickwinkel man das auch immer sehen mag.

Die Frage ist: Wie sieht es unser Wirtschaftsminister?
„Haseloff sieht keine Probleme“, titelt ein Magdeburger Sonntagsblatt. Nun kann man diesen Satz unterschiedlich betonen. Man kommt entweder zu der Erkenntnis, dass er Probleme nicht sieht, oder dass er sieht, dass es keine Probleme gibt. Welche Betrachtungsweise die richtige ist, wird er uns sicherlich darzulegen.

Das Zitat, um das es hier geht, war ein Beispiel dafür, wie sich die Maschinenbaubranche in unserem Land entwickelt. Diesbezüglich kann es tatsächlich sein, dass es derzeit keine Probleme gibt, wobei die Maschinenbaubranche eine Branche ist, in der ein Anteil von etwa 1 % der Beschäftigten in Sachsen-Anhalt arbeitet und die einen Anteil von ungefähr 4,4 % des Bruttoinlandsprodukts ausmacht.

Rechtzeitig zur heutigen Debatte ist in der „Volksstimme“ ein Zitat von Minister Haseloff zu lesen: „Es gibt kaum Signale, die auf eine außergewöhnliche Krisensituation schließen lassen!“

Da stellt sich der geneigt Leser die Frage: Kann man noch auf die Informationen, auf das, was da geschrieben steht, vertrauen? Ist das mit der Realität im Lande noch vergleichbar?

Uns wird gesagt: Wir haben keine Monostrukturen wie andere Länder mit der Chipindustrie, mit den Werften oder den großen Autofirmen. Nein, wir haben die wachstumsstarke Solarbranche. Diese verschiebt nun gerade ihren Börsengang und reduziert ihre Gewinnerwartung.
Wir haben eine stabile Automobilzulieferer-Industrie, die breit aufgestellt ist. Die denkt momentan darüber nach, wie man durch Kurzarbeit und Qualifizierung die Auftragslücken überwinden kann.
Wir haben international agierende Konzerne wie Dow am Standort Schkopau. Der Konzern vermeldet, dass mit einem Auftragsrückgang von 30 % bis 40 % am Standort zu rechnen sei, zudem plane er, weltweit 5 000 Arbeitsplätze abzubauen.
Wir haben die Kali und Salz AG in Sachsen-Anhalt. Das Kaliwerk Zielitz gibt die Prognose aus, 400 000 t weniger bis zu Jahresende und plant Kurzarbeit im Jahr 2009. Wobei man zum Kaliwerk Zielitz sagen muss: Das es ein Konzern, der in diesem Jahr plant, bei einer Umsatzrendite in Höhe von 1,4 Milliarden € anzukommen; das ist Gewinn vor Steuern und ist bereits heruntergerechnet. Bei einem Umsatz von 3,3 Milliarden € beschäftigen sie 12 000 Mitarbeiter. Das Unternehmen hat eine sehr erfolgreiche Entwicklung genommen: Im vorigen Jahr betrug die Umsatzrendite noch 285 Millionen € und in diesem Jahr bereits 1,4 Milliarden. Was haben die Mitarbeiter davon?

Das soll nicht vorenthalten werden: Für das erfolgreiche Agieren des Konzerns bekam jeder Mitarbeiter im September diesen Jahres eine Dose Sonnenblumenkerne mit der Aufschrift „Wachstum erleben“. Man soll das im Garten aussähen, dann sieht man, wie Wachstum erlebbar wird. Die Dose hat vielleicht einen Wert von 5 €.
Dies multipliziert mit der Anzahl der Mitarbeiter ergibt einen Betrag in Höhe von 60 000 €. Hätte man jedem Mitarbeiter 500 € in die Hand gegeben, gerade in dieser Zeit, dann wären das 6 Millionen € gewesen, die bei einem Konzerngewinn von 1,4 Milliarden € eine marginale Größe sind.

Momentan verzeichnen die Arbeitsagenturen eine verstärkte Nachfrage zu folgenden Themen: Wie bekomme ich die Kurzarbeit gebacken? Wie kann man mit Qualifizierungsmaßnahmen Zeit überbrücken?

Die Frage, die sich in diesem Hause stellt, ist doch: Wie geht Politik mit diesem Problem um? Nützt Aktionismus, wie er gelegentlich einigen Politikern hier vorgeworfen wird? Oder genügt es, mit dem Konzept der ruhigen Hand zu fahren? Beides kann Ausdruck dafür sein, dass man keine Konzepte hat.

Daher erschien es uns wichtig, heute diesen Antrag in den Landtag einzubringen, um zu erfahren, welche Konzepte wir im Lande haben, um diesen Dingen zu begegnen. Wir wollen keine wortreichen Erklärungen hören, sondern konkrete Fakten, über die wir in den Ausschüssen beraten sollen und wollen, wie die Krise, die vielleicht auf uns zukommt, bewältigt und gemanagt werden kann. Was bedeutet es zum Beispiel, das Konjunkturprogramm des Bundes oder der EU im Land umzusetzen?

Für Landesbürgschaften stehen im kommenden Jahr Mittel in Höhe von 1,6 Milliarden € im Haushalt zur Verfügung, hieß es in einem Gastbeitrag des Ministers in einem anderen Magdeburger Sonntagsblatt. Das sei viel Geld, sagte er, und an eine Aufstockung brauche man derzeit nicht zu denken. Wenn sich allerdings im Laufe des nächsten Jahres ein anderer Betrag herauskristallisieren sollte, dann könne man jederzeit durch Umschichtung und Konzentration von Haushaltsmitteln aufstocken.
Davon hätten wir gern gewusst; denn wir sind der Haushaltssouverän. Wenn konzentriert und umgeschichtet wird, dann hätten wir gern ein Wörtchen mitgeredet.

Herr Minister, ich muss Sie ein wenig korrigieren: Nach unseren Informationen belaufen sich die Mittel für Landesbürgschaften derzeit auf 2,34 Milliarden €. Davon ist ein Betrag in Höhe von 1,94 Milliarden € bereits in Anspruch genommen worden. Das heißt, dass momentan noch ein Betrag in Höhe von 400 Millionen € übrig ist.
Und wir reden in diesen Tagen auch über eine Landesbürgschaft für die NordLB in Höhe von 3,8 Milliarden €. Dies muss man einfach sehen. Wir haben diesen Antrag gestellt, um über diese Dinge im Landtag zu sprechen.

Wenn man über Krisenmanagement spricht, dann muss man auch über die Ursachen reden. Man kann dies in der heutigen Diskussion nur schlaglichtartig berühren. Die ersten Anzeichen für die Finanzkrise gab es bereits im Jahr 2007, in einigen Bereichen noch viel eher. Die SachsenLB war ein Beispiel dafür, die amerikanischen Immobilienbanken ein anderes. Zu diesem Zeitpunkt herrschte in den Bankzentralen wahrscheinlich bereits höchste Alarmbereitschaft, denn die Eingeweihten wussten, was da auf uns zukam. Es gibt böse Zungen, die behaupten, Lehman Brothers habe man in den USA deshalb pleite gehen lassen, weil diese Bank mit vielen Wirtschaften anderer Länder verknüpft war.
Fakt ist aber, dass sich die Wirtschaftskrise, das heißt die sich anbahnende Rezession, in Deutschland bereits im Frühjahr 2008 abgezeichnet hat. Die Anzeichen dafür waren vorhanden. Die Finanzkrise im September/Oktober hat diesen Prozess im Prinzip nur verstärkt.
Alle, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, wissen, dass der jetzige Konjunkturzyklus vor allem im Jahr 2004 angestoßen wurde und dass wir in den Jahren 2004, 2005 und 2006 in Sachsen-Anhalt und in Deutschland eine sehr erfolgreiche Entwicklung durchlaufen haben. Aber diese Zeit wurde eben nicht genutzt, um eine wichtige Säule, nämlich den privaten Konsum zu stärken. Wenn man sich die Statistiken ansieht, dann ist klar, dass die Konjunktur in dieser Zeit ganz eindeutig von den Wachstumsraten des privaten Konsums abgekoppelt war.

Nicht umsonst haben wir als LINKE in diesem Landtag immer wieder genervt mit dem Thema Anhebung des ALG II, mit dem Thema Einführung des Mindestlohns, mit dem Thema Kinderarmut und mit Initiativen gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Dies geschah, um genau diese Dinge etwas anzukurbeln. Wir hoffen, dass die Entwicklung in der nächsten Zeit dazu beitragen wird, dass man endlich aus dieser Krisensituation lernt und vielleicht einen neuen Weg einschlägt.

Man muss vielleicht auch Folgendes sagen: dass vielleicht dazu auch das Thema Unternehmensteuerreform 2000/2002 dazu beigetragen hat. Über diese Dinge redet momentan fast niemand. Es gibt Berechnungen, die besagen, dass von den zurückbehaltenen Steuern, die der Staat früher abgeschöpft hat, nur ein Viertel in reale Investitionen geflossen ist. Der Rest ist in die Finanzmärkte gegangen, um mit spekulativen Geschäften Geld zu verdienen. Das war und ist nicht das Ziel dieser Unternehmensteuerreform. Die kleinen und mittleren Unternehmen hatten davon sowieso nichts.

Was ist nun das Problem, auf das wir uns in der nächsten Zeit konzentrieren sollten? Wir möchten mit unserem Antrag erreichen, dass wir vor allem über neue Fragestellungen im Landtag diskutieren.

Punkt 1. Herr Ministerpräsident, Sie haben sowohl im Bundesrat dem Konjunkturprogramm des Bundes zugestimmt als auch in einem Appell, den das Saarland und Sachsen verabschiedet hatten, gefordert, dass im europäischen Rahmen entsprechende Maßnahmen in Deutschland eingeleitet werden.
Wir hätten gern gewusst: Was hat die Landesregierung ganz konkret vor, um das Konjunkturprogramm des Bundes mit umzusetzen? Es scheint so zu sein, als würde man einfach sagen: Das geht uns alles nichts an.

Es ist wie in Europa. Man beschließt ein Programm im Umfang von 220 Milliarden € und sagt: 170 Milliarden oder 180 Milliarden € davon sollen die Nationalstaaten beisteuern. Dann beschließt der Bund ein Programm in Milliardenhöhe und sagt: Daran müssen natürlich die Länder beteiligt werden.

Jetzt kommen wir in das Land Sachsen-Anhalt. Und was macht man hier? Man sagt: Wir brauchen kein Konjunkturprogramm, denn dann müssten wir ja unsere Kommunen und Landkreise beteiligten, und die haben ohnehin immer leere Taschen.

Punkt 2. Wir sollten uns ganz konkret anschauen, wie in der jetzigen Situation unsere Banken agieren. Alles in Ordnung, habe ich in der Zeitung gelesen. Aber wenn man einmal fragt, was konkret vor Ort passiert, hört man erstaunliche Nachrichten: Überbrückungskredite werden für bestimmte Branchen verweigert. Wenn es um Kreditbewilligungen geht, zum Beispiel im Bereich des Maschinenbaus, im Bereich der Kraft-Wärme-Kopplung, also um erneuerbare Energien und ähnliche Dinge, dann werden Risikozinsen in Höhe von 8 bis 9 % verlangt. Die KfW will gleichrangig mit der Hausbank in die Grundschuld eingetragen werden. Die Bürgschaftsbank Sachsen-Anhalt will für eine Bürgschaft zu einer möglichen GA-Förderung 13 % einbehalten. Das alles müssen die Unternehmen ausgleichen. Das sind konkrete Dinge, die im Land passieren.

Da muss man sich fragen: Wie ist denn das Investitionspaket der Banken eigentlich geschnürt? Es reicht nicht aus, Herr Minister Haseloff, dass man die alten Konzepte der Investitionsbank vom vorigen Jahr noch einmal aufwäscht und wieder vorlegt.

Punkt 3 ist der Export in Sachsen-Anhalt. Wie ist die Rolle des Exportes zu sehen? Im Außenwirtschaftskonzept des Landes wird betont, dass sachsen-anhaltische Unternehmen anfälliger für konjunkturelle Schwankungen sind, weil sie mehr im Inland produzieren und auf die stabilisierten Märkte des Exports nicht vordringen können.

Angesichts der neuen Entwicklung bitte ich zu überdenken, ob diese Aussage noch stimmt, vor allem wenn man sich die Struktur unseres Exports anschaut. Unser Export ist zu 50 % Bestandteil einer internationalen Wertschöpfungskette mit Vor- und Halberzeugnissen. Lediglich 35 % sind tatsächlich Enderzeugnisse, die wir nach außen verkaufen können.

Punkt 4 ist die energetische Sanierung von Gebäuden. Das war schon bei der letzten Regierungsbefragung ein Thema. Kollegin Hunger hat gestern noch einmal auf dieses Problem aufmerksam gemacht. In der Debatte im Oktober 2008 haben auch wir noch einmal gesagt: Wer Geld in das Haus investiert, will für sich eine langfristige Planungssicherheit. Und genau das ist momentan in vielen Fällen wirklich ein Problem.

Punkt 5. Sie haben gesagt: Wir gehen öffentliche Infrastrukturmaßnahmen an. Dabei stellt sich die Frage: Wo kann man hier einen entsprechenden Investitionsschub erreichen? In gemeinsamer Arbeit mit dem Handwerk, in gemeinsamer Arbeit mit den Banken, um bestimmte Dinge sicherzustellen, aber auch im gemeinsamen Vorgehen mit Kommunen, mit Einrichtungen. Wie kann die öffentliche Hand hierbei vorgehen?

Auf dem Stendaler Parteitag ﷓ das wurde uns jedenfalls über die Presse mitgeteilt ﷓ ist eine Stendaler Erklärung abgegeben worden mit dem Thema „Infrastrukturmaßnahmen angehen“. Ich habe im Internet nachgeschaut, was denn nun konkret geschrieben worden ist. Da erschien die Meldung „Error 404“. Vielleicht können Sie, Herr Minister, uns aufklären, was mit diesem Stendaler Programm eigentlich gemeint ist.

Punkt 6. Sie haben in mehreren Interviews angesprochen, dass Sie sich mit Landesmitteln anteilig auch an größeren Unternehmen beteiligen wollen, die nicht unter die KMU-Regel fallen, anteilig bei Lohn- und Qualifizierungskosten, bei den Kosten für Weiterbildungslehrgänge, bei Kurzarbeitskosten, bei der hälftigen Übernahme von Qualifizierungskosten und des Arbeitnehmeranteils an Sozialkosten. Dazu hätten wir gern gewusst, wie die Mittel dafür im Haushalt umgeschichtet oder konzentriert werden sollen.

Eine weitere groß angelegte Mediendarstellung war: Haseloff legt sich mit den Gasversorgern an. Das ging durch alle Zeitungen. Alle haben sich gefreut, jetzt zeigt der Wirtschaftsminister, wo es langgeht. Hinterher kam die laue Pressemeldung: Wir bleiben im Gespräch. Wenige Tage später erklärten die Stromerzeuger in Sachsen-Anhalt: Wir packen einmal 10 bis 20 % auf den Strompreis drauf.

So ist das reale Leben in Sachsen-Anhalt. Wie gesagt, Herr Minister, wir würden Sie gern an Ihren Aussagen dazu messen, wie Sie diesen Dingen begegnen wollen,.

Punkt 7, das vorletzte Thema: die NordLB. Wir als LINKE haben uns dazu bekannt, dass wir die Bürgschaft dann aussprechen wollen, wenn die Regierung und die NordLB einen spürbar positiven Einfluss auf die Kreditvergabe an die Realwirtschaft nachweisen können. Das wird schon schwer genug sein.

Die zweite Forderung war aufzuzeigen, wie die NordLB in die sich anbahnende Rezession aktiv eingreifen kann.

Letzter Punkt, Punkt 8: die Rolle Europas. Ich finde es bedauerlich, dass in Europa gestern oder in den letzten Tagen gesagt worden ist, dass Klimaschutzmaßnahmen auf die lange Bank geschoben werden. Man muss begreifen, dass Klimaschutzmaßnahmen tatsächlich ein neuer Wachstumsfaktor sein können. Dazu gibt es jede Menge Klärungsbedarf.

Europa hat gesagt: Wir sind offener beim Thema Beihilferecht, wir sind offener beim Thema öffentliche Auftragsvergabe, um die Investitionen in den Ländern voranzubringen. Hierzu hätten wir gern gewusst, was auf dieser Schiene tatsächlich passieren wird.

Das sind die Ziele unseres Antrages. Wir wollen gemeinsam hier im Landtag nach Lösungen für die sich anbahnenden Probleme suchen. Wir haben versucht, mit unserem Antrag genau die Dinge festzuschreiben, die die Landesregierung selbst als wichtig bezeichnet hat. Es ist also nicht so genannte linke Programmatik, die in unserem Antrag steht, obwohl wir viele Dinge unterstützen, die dort aufgeschrieben sind.
Sie müssen weder im Dezember noch im Januar gleich die entsprechenden Pakete vorlegen. Wir sind aber der Meinung: Wir können nicht bis März oder April warten, die Dinge bahnen sich jetzt an, die Zeichen der Zeit sind jetzt erkennbar.