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Dr. Detlef Eckert zu TOP 11: Entwurf eines Gesetzes über Wohnformen und Teilhabe

Nun liegt das Wohn- und Teilhabegesetz des Landes Sachsen-Anhalt vor. Wir haben sogar die Chance, es noch in dieser Legislatur zu verabschieden. Als DIE LINKE im Dezember 2006 eine Berichterstattung zum Problem beantragte, wurde auch die Intention formuliert, den Landtag, den Ausschuss in die Erarbeitung des Gesetzentwurfs einzubeziehen und in diesem Zusammenhang eine Debatte zu Fragen der Pflege, der Betreuung und der Teilhabe älterer und behinderter Menschen zu befördern. Eine gesellschaftliche Debatte hatten wir nicht, und die Einbeziehung des Ausschusses in die Erarbeitung war kläglich.

Positiv ist natürlich, dass jetzt ein Gesetzentwurf vorliegt und wir über diesen konkret beraten können. Insbesondere die Zielsetzungen sowie die Bestimmungen, die den Schutz der Menschen und ihrer Würde sichern sollen, finden unsere Zustimmung. Das Gesetz schützt vor allem mit ordnungsrechtlichen Mitteln die Interessen älterer und behinderter Menschen während ihres Lebens in stationären Einrichtungen und in anderen Wohnformen.

Diese Schutzfunktion war auch in den vergangenen Jahrzehnten ein Schwerpunkt. In der Gegenwart geht es aber auch um die Stärkung von Teilhabemöglichkeiten, um die Erschließung von Entbürokratisierungspotenzialen und um die Möglichkeit, neue und innovative Wohnformen zu erproben.  
Mit Blick auf die Interessen älterer und behinderter Menschen reicht eine Reform des bisherigen Heimrechts nicht aus. Es gehören auch Vorschriften, die auf den Lebensalltag in den Einrichtungen Einfluss nehmen, wie beispielsweise das Baurecht, die Hygienevorschriften oder auch die Brandschutzvorschriften, auf den Prüfstand. Wir müssen einfach feststellen, ob und wie diese Vorschriften oder auch ihre Anwendung geändert werden müssen, damit ältere und behinderte Menschen ein selbstbestimmtes und selbständiges Leben führen können. Nach meiner Kenntnis hat eine derartige Prüfung noch nicht stattgefunden.

Das Gesetz soll auch ein Teilhabegesetz sein. Das muss es aber erst noch werden. Dies umso mehr, als wir die in der Uno-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verankerten Rechte auf freie Wahl des Wohnortes, der Wohnform und der Wohnpartner auch für Menschen mit Behinderungen in den Blick nehmen. Insofern gilt es zunächst einmal festzustellen, dass die Bedürfnisse und Perspektiven älterer pflegebedürftiger Menschen und behinderter Menschen in stationären Einrichtungen sowie in den verschiedenen Wohnformen sehr unterschiedlich sind.

Während ältere pflegebedürftige Menschen aufgrund zunehmender pflegerischer Hilfebedarfe und ihrer biografischen Situation ein Leben in einer strukturellen und oft auch fremdbestimmten Abhängigkeit für eine relativ begrenzte Zeit führen, ist der Auftrag der Wohneinrichtungen im Rahmen der Eingliederungshilfe ein anderer, nämlich die gesellschaftliche Eingliederung und, wenn möglich und gewollt, den Weg von der stationären Einrichtung in ein möglichst selbstbestimmtes Leben außerhalb von Einrichtungen zu ebnen.

Diese unterschiedlichen Bedürfnisse und unterschiedlichen Interessen berücksichtigt der vorliegende Gesetzentwurf unzureichend. Deshalb glaube ich noch einmal sagen zu müssen: Das Teilhabegesetz muss erst noch ein Teilhabegesetz werden.
Dafür regelt dieser Gesetzentwurf aber einen Sachverhalt, der unseres Erachtens insbesondere mit Blick auf die Uno-Konvention heute nicht mehr opportun ist. In § 4 Abs. 3 Nr. 3 wird nämlich indirekt bestimmt, wann jemand Zugang zu einer nicht selbst organisierten Wohnform hat und wann nicht.

Wer nachts Hilfe braucht oder seine Interessen und Bedürfnisse nicht mitteilen kann, der wird nach diesem Gesetzentwurf automatisch dem stationären Bereich zugeordnet. Dieses Kriterium ist meines Erachtens nicht nur rechtssystematisch falsch, weil es eventuell Gegenstand von Rahmenvereinbarungen sein sollte. Auch Menschen mit schweren Behinderungen müssen als Bewohnerinnen und Bewohner von nicht selbstorganisierten betreuten Wohngruppen infrage kommen.

Andernfalls wären sie generell auf stationäre Einrichtungen zu verweisen, was ihrem Recht auf freie Wahl der Wohnform und Artikel 19 der UN-Konvention widerspräche. Oder sie müssten ihre Wohnform selbst organisieren, was bei der gegenwärtigen Ausgestaltung des persönlichen Budgets und der Gesamtkonstellation bei der Eingliederungshilfe nicht jedem möglich und eigentlich auch nicht jedem zumutbar ist.

Zwei letzte Anmerkungen. In der Begründung wird die Behauptung aufgestellt, dass Mehrkosten nicht zu erwarten seien. Das ist mutig. Wahrscheinlich wird es wegen des Mutes nicht belegt. Wenn, wie gewollt, die verschiedenen Wohnformen in erheblich größerer Anzahl als bisher entstehen sollen, wenn es, was wir begrüßen, Erprobungsmöglichkeiten geben soll, so in § 27, dann wird das einen erhöhten Aufwand zur Folge haben.

Noch mutiger finde ich die Aussage, dass die Bürokratiekosten zurückgehen werden. Das ist auch nicht belegt. Ich vermute, dass noch nicht einmal eine Übersicht über die Bürokratiekosten existiert. Alle Erfahrungen besagen, dass die Bürokratie zunehmen wird. Berlin zumindest kalkuliert für sich 3,25 zusätzliche Personalstellen und zusätzliche IT-bezogene Sachkosten ein. Insofern sollten wir über die Bürokratiekosten noch einmal reden.