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Birke Bull zu TOP 20: Änderung des Beratungshilferechts

Worum geht es in dem vorliegen Antrag? Es geht darum, dass sich fünf Länder, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Thüringen, darauf verständigt haben, mittels eines Gesetzentwurfes das Beratungshilferecht zu verändern. Beratungshilfe erhalten derzeit Menschen, die einen Rechtsanwalt benötigen, entweder für eine Beratung oder für eine Vertretung, und die es nicht aus eigener Tasche bezahlen können.  

Wo liegen die Probleme der antragstellenden Länder?  

Erstens. Die Kosten sind zu hoch. In der Debatte im Bundesrat wurde kritisiert, dass sie insbesondere seit dem Jahr 2004 signifikant gestiegen seien. Die Bewilligungspraxis der Amtsgerichte sei sehr unterschiedlich, die Quote der zurückgewiesenen Anträge sei unterschiedlich hoch.  

Zweitens. Der Missbrauch sei zu hoch. Wobei Missbrauch hier die unnötige Inanspruchnahme von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten in Fällen bedeutet, in denen auch niedrigschwelligere Angebote den gleichen Nutzen bringen können, insbesondere bei Alltagsproblemen und dergleichen.  

Eine Ursache sind aus der Sicht der Länder unklare Rechtsbegriffe. Bereits jetzt ist die Inanspruchnahme von Beratungshilfe daran gebunden, dass sie erforderlich ist und nicht mutwillig in Anspruch genommen wird. Diese beiden Begriffe sind besonders in der Kritik und sollen neu bestimmt werden.

Eine zweite Ursache ist aus der Sicht der Länder darin zu suchen, dass die Hürden für die Inanspruchnahme zu niedrig sind. Insbesondere die Höhe der Eigenbeteiligung wird kritisiert. Derzeit beträgt sie 10 €. Kritisiert wird auch die Nachträglichkeit bei der Inanspruchnahme der Beratungshilfe. Dies führe, so die Länder, zu einem zu großen Anreiz für die Ausweitung der Inanspruchnahme auch durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Man könnte sagen, es handele sich um eine angebotsinduzierte Ausweitung. So begründet sich der Wille der genannten fünf Bundesländer, das Beratungshilfegesetz zu ändern.  

Wenn es so wäre oder so ist, dann muss man über Veränderungen und über Nachsteuerungen nachdenken. Ich finde das legitim. Immerhin wird die Beratungshilfe von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern finanziert und die haben sehr wohl ein Recht darauf, dass ihr Geld angemessen ausgegeben wird. Wo eine Lebensbratungsstelle helfen kann, muss kein Rechtsanwalt oder keine Rechtsanwältin tätig werden. Beratungshilfe ist subsidiär und sie soll es auch bleiben.

Die Frage ist nur, welche Steuerungsmöglichkeiten sind dabei zulässig, vor allem vor dem Hintergrund dessen, dass der Zugang zu rechtsstaatlichen Hilfen nicht vom Geldbeutel der Rechtsuchenden abhängig sein darf? Dazu immerhin haben sich die Länder zumindest verbal bekannt.  

Wo liegt nun unsere Kritik an dem im Bundesrat verhandelten und, wie ich glaube, auch abgestimmten Gesetzentwurf?

Die zentrale Grundannahme lautet: Anwaltliche Hilfe soll in Anspruch nehmen können, wer dies in dem begehrten Umfang auch tun würde, wenn er bei fehlender Bedürftigkeit seinen Anwalt selbst bezahlen müsste, so Ministerin Kolb im Bundesrat im September dieses Jahres.  

Deshalb soll der Begriff „Mutwilligkeit“ aus der Sicht der Länder neu definiert werden. Mutwilligkeit schließt Beratungshilfe aus. Danach geht man also erstens getreu dem Zitat, das ich soeben vorgetragen habe, davon aus, dass Beratungshilfe zu versagen sei, wenn jemand, der in einem vergleichbaren Fall die Kosten aus eigener Tasche zahlen müsste, auf die Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes oder einer Rechtsanwältin verzichten würde.  

Weil das ziemlich relativ ist ‑ der Ermessensspielraum bei einer solchen Definition ist außerordentlich groß ‑, müsse der Eigenanteil bei den Niedriglohnempfängerinnen und -empfängern ‑ nur solche erhalten Beratungshilfe ‑ erhöht werden, und zwar von 10 € auf 20 €. Nach meiner Kenntnis war im ursprünglichen Entwurf im Falle der Vertretung sogar von 30 € die Rede. Das klingt zunächst logisch und einleuchtend.

Das Problem dabei ist aber die Bedürftigkeit selbst. Denn die Bedürftigkeit bestimmt die Rahmenbedingungen, die bei der Abwägung eine entscheidende Rolle spielen. Die gestalten sich eben bei den so genannten Bedürftigen und bei den so genannten Nichtbedürftigen außerordentlich verschieden.  

Ein Beispiel: Wenn es um einen Streitwert von 50 € bis 100 € geht, dann wäge ich vor dem Hintergrund meiner Einkommensverhältnisse ab, und zwar nicht nur nach meinem Gerechtigkeitssinn, sondern auch danach, wie hoch die Erfolgswahrscheinlichkeit ist, und nicht zuletzt nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ich stelle mir also die Frage, ob Aufwand und Nutzen noch in einem halbwegs vernünftigen Verhältnis zueinander stehen.  

Ein Streitwert von 50 € bis 100 € bedeutet bei unseren Einkommensverhältnissen hier etwa 1 % des monatlichen Einkommens. Das kommt natürlich in die Nähe der Schwelle, an der ich entscheide: Ich lasse es sein, weil Aufwand und Nutzen in keinem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen. Im Unterschied zu einer Familie mit niedrigem Einkommen kann ich mir das auch leisten.  

Anders stellt sich die Situation für jemanden dar, dessen Einkommen nur geringfügig über der so genannten Regelsatzhöhe liegt. Da sind es schon fast 10 % des Einkommens. Bei diesen Familien wiegt der Nutzen sehr viel schwerer als bei meinen Einkommensverhältnissen. Wenn diese im Falle der Vertretung dann noch einen Eigenanteil von 20 € bezahlen müssen, stehen gerade Familien mit niedrigem Einkommen vor einer außerordentlich schwierigen Entscheidung. Das Beispiel macht deutlich, der Zugang zu anwaltlicher Hilfe für diese Menschen wird außerordentlich hoch gehängt, hoch gehängt vor dem Hintergrund des Begehrens der genannten fünf Länder.  

Unter dem Strich hieße das: Meine Abwägung erfolgt unter ganz anderen Rahmenbedingungen als die Abwägung einer Familie mit niedrigem Einkommen. Ich kann es mir leisten, ganz rational zwischen Aufwand und Nutzen abzuwägen. Ergo: Ungleiches an dieser Stelle gleich zu behandeln, was eine gängige juristische Argumentation ist, die natürlich ihren rationalen Kern hat, führt zu Ungerechtigkeit.  

Hinzu kommt, dass gerade die Gruppe, über die wir hier reden, die überproportional oft von Beratungshilfe Gebrauch macht, nicht nur von sozialstaatlichen Transferleistungen abhängig, sondern auch sehr viel mehr davon betroffen ist. Allein wenn man bedenkt, dass Bescheide im Bereich des SGB II in manchen Kommunen alle drei Monate, in anderen Kommunen alle sechs Monate neu formuliert werden, wird deutlich, dass es immer einen Anlass gibt zu korrigieren, dass es immer einen Anlass gibt, Widerspruch einzulegen.  

Natürlich muss ein Widerspruch nicht begründet werden. Das wissen wir alle, wie wir hier sitzen. Trotzdem weiß jeder genauso gut, dass ein Widerspruch, der von einem Anwalt begründet wurde, ein ganz anderes Gewicht hat als ein Widerspruch, der keine Begründung enthält. Gerade im Bereich des Sozialgesetzbuches II bzw. von Harz IV ist der Anteil der fehlerhaften oder falschen Bescheide und Auskünfte nun alles andere als die seltene Ausnahme.  

Alles in allem ist die Beratungshilfe ein subsidiäres Element, und sie soll es bleiben. Es bedarf der Steuerung. Wenn man sich die Debatte im Bundesrat durchliest, dann weiß man, dass es tatsächlich einige Fehlsteuerungen gibt, bei denen man nachjustieren muss. Einige der Vorschläge, die dort gemacht wurden, halten wir durchaus für effektiv und für legitim. Ein Beispiel wäre die Liste niedrigschwelliger Angebote, die im Bereich des Amtsgerichts erstellt werden soll. Trotzdem ist das Problem die Definition, weil Ungleiches gleich zu behandeln hier eine riesige Ungerechtigkeit nach sich ziehen würde. Daher halten wir die Steigerung des Eigenanteils bei der Beratungshilfe durch Vertretung für nicht angemessen. In diesem Sinne bitte ich, unserem Antrag zuzustimmen.