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Nicole Anger zu TOP 25

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

die Apotheken in Sachsen-Anhalt sind ein ganz wesentlicher Pfeiler der Gesundheitsversorgung und damit der Daseinsvorsorge für die Menschen im Land. Insbesondere sind hier die Vor-Ort-Apotheken zu nennen, die eine Erreichbarkeit in zumutbarer Entfernung sicherstellen. Das zu den Öffnungszeiten, aber auch an Wochenenden und mit Notdiensten.

Es ist kein Geheimnis, dass es dafür auch entsprechende Strukturen bedarf, die genau diese Erreichbarkeit ermöglichen. Und das ist in den ländlichen Teilen Sachsen-Anhalts eine größere Herausforderung als in der Stadt.

Umso bedenklicher muss es uns stimmen, dass diese Strukturen - ebenso wie viele andere innerhalb der Gesundheitsversorgung - aktuell immer mehr überlastet sind und wegzubrechen drohen. Hier muss gegengesteuert werden. Und zwar schnellstmöglich.

Allein die zunehmenden Herausforderungen, die durch eine immer älter werdende Bevölkerung, steigende bürokratische Anforderungen und zusätzliche Aufgaben und Leistungen auf die Apotheken zukommen, sind immens. Ferner sind die durch die Lieferengpässe hervorgerufenen Mehrbelastungen akut. Deswegen müssen die bestehenden Strukturen nicht nur erhalten, sondern spürbar gestärkt werden.

Gerade gestern berichtete der MDR, dass die Zahl der Apotheken rückläufig ist. Und wir aktuell die niedrigste Anzahl an Apotheken seit 40 Jahren haben. Und das bei wachsender Aufgabendichte und steigenden Anforderungen.

Die Apothekendichte liegt derzeit in Deutschland bei 22 Apotheken je 100.000 Einwohner:innen, in der Börde liegt der Schnitt sogar darunter. Und damit merklich unter dem EU-Durchschnitt von 32 Apotheken je 100.000 Einwohner:innen. Gerade in den ländlichen Räumen werden die Apotheken weniger, und die Anfahrtswege länger.

In den letzten zehn Jahren ist im Land ein Rückgang um 50 Apotheken zu verzeichnen gewesen. Das sind gut 8 Prozent. Ein Aufwärtstrend ist nicht in Sicht.

Etwa ¼ bis ⅓ je nach Jahrgang der zum Studium Pharmazie zugelassenen Studierenden erreichen den Abschluss nicht. Und von denen, die den Abschluss schaffen, wandert ein großer Teil ab.

Auf 66 Stellenausschreibungen kommen 6 Stellengesuche - ergo: 60 Stellen bleiben unbesetzt! Das hat auch damit zu tun, dass es im ländlichen Raum an Attraktivität zunehmend fehlt. Sich in einer strukturschwachen Region anzusiedeln, überlegen sich viele. Und entscheiden sich dagegen.

Die den Apotheken zugewiesenen gesetzlichen Versorgungsaufgaben, wie z.B. Nacht- und Notdienste, müssen folglich auf immer weniger Schultern verteilt werden.

Diese Aufgabenverteilung wird zunehmend weniger leistbar sein, denn auch die Apotheken sind von einem akuten Fachkräftemangel betroffen. Eine sicht- und spürbare Auswirkung ist die Verringerung der Öffnungszeiten. So beantragen zunehmend mehr Apotheken die Schließungen an Sonnabenden. In den vergangenen Jahren ist hier ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. 

So lagen im Jahr 2022 insgesamt 122 Befreiungen vor. Das heißt, mehr als jede fünfte Apotheke in Sachsen-Anhalt hat diese Möglichkeit der Entlastung genutzt. Aber auch an anderen Werktagen ist eine Verringerung der Öffnungszeiten zu verzeichnen.

Die zunehmend schlechter werdende wirtschaftliche Situation der Apotheken und ihre generell unsichere Zukunft wirken nicht unbedingt attraktiv, so dass sich junge Menschen immer weniger für diesen Berufsweg - und noch weniger für eine Selbständigkeit -  entscheiden.

Ich könnte die Liste der Probleme, mit denen die Apotheken derzeit zu kämpfen haben, leider noch fortsetzen. Vieles haben wir dazu im Sozialausschuss u.a. von der Landesapothekerkammer gehört. 

Jetzt stellt sich uns die Frage, wie für diese prekäre Situation Abhilfe geschaffen werden kann.

Nun, da gibt es durchaus konkrete Möglichkeiten.

Die Zeit der infektionsschutzrechtlichen Ausnahmeregelung der letzten Zeit hat doch gezeigt, dass die Apotheken sehr wohl auch unter weniger bürokratischen Bedingungen sehr zuverlässig gearbeitet haben. Das hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass die Gesundheitsversorgung der Menschen während der Pandemie in unseren und auch anderen Bundesländern gesichert war. Mit der Verstetigung dieser Erleichterungen wäre den Apotheken sehr geholfen. Daher ist die Landesregierung gehalten, genau das beim Bund zu bestärken und einzufordern.

Hinzu kommt, dass die Liefer- und Versorgungsengpässe immer mehr Arbeitskraft in den Apotheken binden; selbst konservative Schätzungen gehen von mindestens 6 Stunden die Woche aus. Und Lieferengpässe und damit auch Versorgungsdefizite haben drastisch zugenommen. Ein Ende dessen ist noch nicht in Sicht. Für manche lebenswichtigen Medikamente werden mitunter Lieferzeiten von 6 Monaten aufgerufen. Also sitzen die Apotheker:innen öfter als zuvor vor dem Lieferportal und warten auf den Moment, in dem das jeweilige Medikament lieferbar ist. Das kostet immens viel Zeit. Aber Zeit, die wichtig ist, um die Patient:innen zu versorgen. Dies kommt zu dem übrigen Aufgabenpensum noch on top.

Und ja, das Management der Patient:innen-Versorgung bei Lieferengpässen ist eine pharmazeutische Aufgabe, muss jedoch dann auch entsprechend honoriert werden. Die vorgesehenen 50 Cent, die bei Nichtverfügbarkeit eines ärztlich verschriebenen Arzneimittels an die Apotheken gezahlt werden sollen, entsprechen dabei nicht dem realen Mehraufwand. Der Aufwandes besteht aus der zeitintensiven Recherche auf dem Lieferportal, dem Belegen der Nichtverfügbarkeit bei Großhändlern sowie dem Einholen von Angeboten und ggf. auch Rücksprachen mit den behandelnden Ärzt:innen. Laut der Apotheken wäre dafür eine Kompensation von 21 Euro realistisch. Hinzu kommt aber auch ein Anstieg der Botendienste, denn wenn das Medikament nicht vor Ort ist, wird es häufig von der Apotheke nach Hause geliefert.

Und wo wir schon einmal bei der Finanzierung sind: Das Retaxationsrisiko ist für die Apotheken eine weitere erhebliche Belastung. Formfehler bei Rezepten können schnell dazu führen, dass bereits ausgereichte Medikamente dann seitens der Krankenkassen nicht mehr vergütet werden und die Apotheken auf den Kosten sitzen bleiben. Gleiches gilt, wenn eine Ärztin / ein Arzt vergisst, die Dosierung eines Medikamentes zu vermerken. Da hilft es dann auch nichts, wenn die Patientin/der Patient diese kennt. Auch das ist ein “Formfehler”, der u.U. für die Apotheken teuer werden kann. 

Wie bereits erwähnt, sind auch die unzureichende Nachwuchsgewinnung und der Fachkräftemangel Risikofaktoren für den Fortbestand der Apotheken. 

Das Land ist hier deutlich in der Pflicht, Voraussetzungen für Landeskinder zu schaffen, die das Pharmaziestudium leichter zugänglich machen. Aber auch der Betreuungsschlüssel im Praxisteil muss erhöht werden. Das trägt dafür Sorge, dass die Studierenden tatsächlich auch in die Lage versetzt werden, den Anforderungen der Leistungsbewertungen in den Examina gerecht werden zu können.

Ausbildung und/oder Studium müssen so gestaltet sein, dass das Interesse am späteren Beruf erhalten bleibt, die Auszubildenden und Studierenden tatsächlich auch in diesem Beruf arbeiten wollen - und das gilt übrigens nicht nur für die Pharmazie.

Nicht zuletzt sind Entbürokratisierung und eine den realen Bedingungen angepasste Honorierung der Apotheken Anreize für Berufseinsteiger:innen, diesen Beruf zu erlernen und dann auch in ihm zu arbeiten - bestenfalls in Sachsen-Anhalt.

Ein möglicher Weg, den Lieferungs- und Versorgungsengpässen entgegenzuwirken, wäre eine Rückverlagerung zumindest eines Teils der Wirkstoffproduktion nach Europa. Das ist gewiss nicht ad hoc realisierbar, denn die Probleme sind schließlich auch gewachsen. 

Dennoch ist es unumgänglich, sofort Gegenmaßnahmen einzuleiten und einen Anfang zu machen. Damit wären zumindest die ersten Schritte getan.

Fakt ist: Die Arbeitsbelastung und Aufgabendichte der Apotheken im Land ist hoch und steigt stetig. Dadurch erhöht sich der Druck auf die Mitarbeiter:innen, die Öffnungszeiten reduzieren sich und die Versorgung der Menschen im Land wird sich weiter verschlechtern und auf nicht allzu lange Sicht gefährdet sein. Nicht nur wegen des fehlenden Nachwuchses, sondern auch wegen der defizitären Honorierung.

 

Zu Risiken oder Nebenwirkungen dessen fragen Sie also mal ihre Apotheke!

 

Wenn wir nicht auf die servicefreie Versandapotheken und damit verbundenen hohen Risikofaktoren für die Gesundheit der Menschen im Land setzen wollen, dann stärken wir jetzt unsere Apotheken vor Ort - in der Medikamentenbeschaffung und bei der Personal- und Nachwuchsgewinnung. 

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!