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Monika Hohmann zu TOP 4: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundsicherungsgesetzes

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kollegen und Kolleginnen,

zu Beginn meiner Rede möchte ich Ihnen einige aktuelle Zahlen näher bringen, um Sie für unser Anliegen zu sensibilisieren: Die Zahl der Personen in Bedarfsgemeinschaften liegt im März 2017 in Sachsen- Anhalt bei 252.100. 16 Prozent aller Haushalte sind auf Leistungen aus dem SGB II angewiesen. Darunter weisen Haushalte von Alleinerziehenden mit 44,2 Prozent die höchste Hilfequote auf. Von den 142.172 Bedarfsgemeinschaften gibt es derzeit 15.139 Widersprüche (10,6%) - damit sind wir bundesweit Spitzenreiter ( D - 5,7%) - und 18.060 Klagen, das sind 12,7% und somit Platz zwei bundesweit (D- 5,7%). Fast 60% der Klagen und Widersprüche beziehen sich auf die Kosten der Unterkunft. Weiterhin haben wir bei den Empfängern von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung 23.790 Betroffene.

Sehr geehrte Damen und Herren, viele von Ihnen werden sich bestimmt gefragt haben, was wir mit diesem Gesetzentwurf eigentlich bezwecken wollen. Einige Kommunalpolitikerinnen und – politiker werden sich gesagt haben, das, was die LINKE will, wird doch bereits umgesetzt. Leider muss ich denen sagen, dass Sie sich im Kreistag oder auch im Stadtrat nicht gesetzeskonform verhalten haben. Dies gilt beispielsweise für Dessau und den Saalekreis. Was ist deren „Fehler“ gewesen?

In beiden Parlamenten haben die kommunalen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger eine Richtlinie zur Feststellung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft im Rechtskreis des SGB II, kurz KdU, in ihrem Wirkungskreis verabschiedet. Nun könnte man meinen, dies wäre begrüßenswert, denn das entspricht ja auch im Kern unserer Forderung nach Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung. Doch das positive Ansinnen, näher am Bürger zu sein, Entscheidungen transparent und nachvollziehbar zu treffen, ist mit der derzeitigen Rechtslage in Sachsen- Anhalt nicht möglich.

Bitter erfahren mussten es die Kreistagsmitglieder in Wittenberg. In der MZ vom Januar dieses Jahres ist zu lesen, dass ein Antrag zwar in den Ausschüssen diskutiert wurde, aber nicht auf die Tagesordnung der Kreistagssitzung genommen wurde. Vom Landesverwaltungsamt kam die Begründung: „Nach § 22a SGB 2 können die Länder die Kreise und kreisfreien Städte durch Gesetz ermächtigen oder verpflichten, durch Satzung zu bestimmen, in welcher Höhe Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet angemessen sind. Für den Erlass von Satzungen ist der Kreistag zuständig. Der Gesetzgeber hat in dem Gesetz zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und des Bundeskindergeldgesetzes (Grundsicherungsgesetz Sachsen-Anhalt) vom 20. Januar 2012 eine solche Satzungsermächtigung nicht vorgesehen. Daher hat der Gesetzgeber bewusst eine Verlagerung der Zuständigkeit von dem Landrat auf den Kreistag nicht gewollt. Der Landrat kann die Zuständigkeit auch nicht an den Kreistag abgeben. Er kann allenfalls den Kreistag unterrichten und sich eine –unverbindliche- Stellungnahme einholen.“

Auch in der Antwort der Kleinen Anfrage meiner ehemaligen Kollegin Frau Dirlich hieß es in der Drucksache 6/142 vom 23.06.2011 auf die Frage, ob die Landesregierung plant, gesetzgeberisch tätig zu werden?: „Derzeit gibt es noch keine Abstimmungen und Vereinbarungen zwischen der Landesregierung und der kommunalen Ebene im Hinblick auf die durch die Neufassung der §§ 22ff. SGB II geschaffenen Gestaltungsmöglichkeiten. Die Landesregierung wird die Frage, ob in Sachsen-Anhalt von der Satzungskompetenz in § 22a SGB II Gebrauch gemacht werden soll, zunächst unter Beteiligung der kommunalen Ebene, insbesondere der kommunalen Spitzenverbände des Landes, gründlich prüfen.“ Weiter heißt es: „Ob und ggf. wann die Landesregierung gesetzgeberisch tätig wird, kann daher derzeit noch nicht vorausgesagt werden. Damit verbleibt es für die Leistungsberechtigten im Land vorerst bei der bisherigen Rechtslage.“

Sehr geehrte Damen und Herren, was würde sich denn durch unseren Gesetzentwurf verändern? Zum einen könnten die Mitglieder der Kreistage und Stadtparlamente ihre Satzungen regionalen Besonderheiten anpassen und deutlich schneller auf Veränderungen im Bund oder Land reagieren. An zwei Beispielen möchte ich es Ihnen näher erläutern. 1. In der Neufassung des SGB II durch das 9. SGB II-Änderungsgesetz 2016, auch unter Vereinfachungsgesetz bekannt, gibt es im § 22 Bedarfe für Unterkunft und Heizung einen neuen Punkt 10. Darin heißt es: „Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig.“ Die Stadt Dessau hat diese Änderung im SGB II zeitnah genutzt und am 28.09.2016 rückwirkend zum 01.08.2016 mit einem Stadtratsbeschluss ihre Richtlinie geändert.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, für die unter ihnen, die nicht so in der Materie stecken, möchte ich kurz und vereinfacht erläutern, was unter Gesamtangemessenheitsgrenze zu verstehen ist: Kommunen können Mietobergrenzen bestimmen, die sich aus der Netto-Kaltmiete, den kalten Betriebskosten und den Heizkosten zusammensetzen (Brutto-Warmmieten). Die Bedarfsgemeinschaften haben somit größere Entscheidungsspielräume bei der Wahl einer konkreten Wohnung, da z. B. eine höhere Kaltmiete nicht nur durch günstigere Betriebskosten, sondern auch durch günstigere Heizkosten kompensiert werden kann, sodass die Gesamtmiete dennoch innerhalb der Angemessenheitsgrenzen liegt. Es hat auch den Vorteil, dass es in der Regel zu mehr Flexibilität, geringeren Verwaltungskosten und ausgeglichener Bewohnerstruktur führt. Eine Gesamtangemessenheitsgrenze entschärft somit den Zielkonflikt zwischen energetischer Sanierung von Wohnungsbeständen und Kostenbegrenzung der KdU-Ausgaben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun komme ich zu meinem zweiten Beispiel: In der Februar- Sitzung dieses Jahres haben wir im Rahmen der Wohnraumförderung ein Programm zum Aufzugsanbau und der Barriere-Reduzierung beschlossen. Damit sollte auf den steigenden Bedarf altersgerechter Miet- und Genossenschaftswohnungen reagiert werden, was wir auch begrüßten. Für die Magdeburgerinnen und Magdeburger, die im SGB II- Bezug sind oder Grundsicherung erhalten, wäre es kein Problem, wenn sie einen Aufzug erhielten. In der KdU- Richtlinie für Magdeburg sind die Aufzugskosten Bestandteil der kalten Betriebskosten und somit anrechenbar.

Im Harzkreis dagegen sind diese Kosten nicht Bestandteil der Förderrichtlinie. Welche Auswirkung hat dieser kleine Unterschied? Viele von Ihnen haben wahrscheinlich schon von Quarmbeck, einen Ortsteil von Quedlinburg, gehört. Dort sollen in den nächsten Jahren mit Hilfe von Fördermitteln Wohnungen abgerissen werden. Doch es gibt viele Einwohner, die weiterhin in Quarmbeck wohnen bleiben möchten. Nun hat die Stadt Quedlinburg dem Anliegen stattgegeben. Eine Bedingung ist aber daran geknüpft: Die Bewohnerinnen und Bewohner sollen in einem fünfgeschossigen Altbau ( ehemaliger DDR Plattenbau) konzentriert zusammenziehen. Da die Altersstruktur in diesem Ortsteil sehr hoch ist, befürchten viele Ältere, dass sie in eine vierte oder fünfte Etage ziehen müssten. Um ihnen die Angst zu nehmen, wäre unser beschlossenes Aufzugsprogramm ideal.

Doch leider, so hat sich auch das Wohnungsunternehmen geäußert, ist dies nicht umsetzbar. Die anfallenden Wartungs- und Betriebskosten des Aufzuges müssten dann auf die Miete umgelegt werden. Damit würde die Mieterhöhung für Bedarfsgemeinschaften oder auch für Bewohnerinnen und Bewohner, die Grundsicherung im Alter erhalten, für viele zu teuer. Eine Anrechnung dieser Kosten lässt die Förderrichtlinie des Harzkreises nicht zu. Sie sind nicht Bestandteil der Richtlinie. So wie es den Quarmbeckern geht, gibt es mehrere Beispiele im Landkreis. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, müsste nun ein Antrag im Kreistag gestellt werden. Der liegt auch schon vor. Doch es gibt einen Haken! Laut unserem Ausführungsgesetz des Landes, hat der Kreistag kein Antrags- und Entscheidungsrecht.

Die Einbeziehung des Kreistages ist aber von Vorteil, wenn man über solche Dinge diskutiert. Und diesen unhaltbaren Zustand, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wollen wir mit unserem Gesetzentwurf ändern. Ich bitte daher um Überweisung unseres Gesetzentwurfes in den Ausschuss für Arbeit, Soziales und Integration. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!