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Kristin Heiß zu TOP 11: Jugendarbeit ernst nehmen. Zuwendungen pünktlich ausreichen

Ich weiß nicht, ob Sie es wissen: In Sachsen-Anhalt gibt es Jugendverbände. In Sachsen-Anhalt arbeiten Menschen mit Enthusiasmus, Leidenschaft, Optimismus und Überzeugung für Kinder und Jugendliche. Sie führen unzählige Projekte, Workshops, Freizeiten, Seminare durch, sie kümmern sich bei Sorgen und vermitteln Kompetenzen. Jugendarbeit, besonders Jugendverbandsarbeit wird in diesem Land vorrangig von freien Trägern durchgeführt.

Die Vereine und Verbände machen die Arbeit im Auftrag des Landes, gesetzlich fixiert und legitimiert. Das Land, das Sozialministerium, die Verwaltung beauftragt Externe damit, für sie die gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen. Dafür gibt es Regeln, Rechte und Pflichten und um diese Aufgabe zu erfüllen, gibt es auch Geld. Dieses Geld beantragen die Verbände bis zum Oktober, um dann im Januar des Folgejahres weiter Geld zu erhalten. Plan ist es, dass das Geld ab Januar fließt. Klingt logisch. Es sollen ja auch im Januar Projekte durchgeführt werden, es muss Material gekauft, es müssen Menschen bezahlt, Miete und Stromkosten beglichen werden. Das alles würden die Verbände gern tun, dafür sind sie da. Das Land muss ihnen das ermöglichen, in dem es ihnen das Geld gibt. Und hier fangen die Probleme an. Das Land möchte gern die volle Leistung und zwar sofort, aber erst viel später zahlen.

Um Ihnen das zu veranschaulichen, lasse ich sie gern an der Antwort auf eine Kleine Anfrage zum Thema teilhaben. Ich hatte im Juni gefragt, wann die Verbände in den vergangenen Jahren ihre Zuwendungsbescheide bekommen haben. Antwort für 2016:
Erste Bescheide ausgestellt am 28. Juli an die Sportjugend und die Jugendfeuerwehr. Am 16.8. Deutsche Jugend in Europa und Paritätischer Wohlfahrtsverband.

Bis Ende September hatten 10 Verbände einen Bescheid. 24 haben einen Antrag gestellt.
Noch mal zur Erinnerung: Die Bescheide sollen im Januar augereicht werden. Und falls Sie sich das jetzt fragen: Im Jahr 2015 wurden die ersten Bescheide am 20.6. erteilt, der letzte am 19. November. Im Jahr 2014 sah es ähnlich aus.

Ich kann mir gut vorstellen, was die Ministerin nachher sagen wird: Es gibt doch Abschlagsbescheide. Abschlagsbescheide können für maximal zwei Monate beantragt werden. Dafür gibt es extra Anträge, ein extra Verfahren. Abschlagsbescheide sind so eine Art Ersatzrad der Jugendverbandsarbeit. Aber die Jugendverbandsarbeit ist doch sowieso schon chronisch unterfinanziert, immer von Kürzungen betroffen, immer zu spät beschieden.

Das Problem ist, dass das Auto „Jugendverbandsarbeit“ bereits mit vier Ersatzrädern fährt, die Bremsen sind verrostet, die Benzinleitung leckt und der Fahrer ist schon seit 14 Stunden auf den Beinen und versucht krampfhaft, die Augen offen zu halten, um die Kinder heile nach Hause zu bringen.

Vor einigen Tagen erreichte mich eine Mail eines Jugendverbandes, die die Dramatik noch mal verdeutlicht. Ich lese einmal vor: Zuwendungen pünktlich auszureichen - das ist wirklich das aktuell brisanteste Thema für uns. Wir strecken zum Beispiel seit Januar ca. 40 Tsd. Euro vor, da es bisher für unseren Förderbereich keine Bewilligung, keine Auszahlung, nicht mal einen Abschlag oder eine definitive Aussage über einen Termin gibt, obwohl "schon" im August angekündigt wurde, dass die Förderung nun bald käme. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie (vor allem) Personal(!)kosten so spät im Jahr bewilligt werden können. Das Vorstrecken machen wir nur, weil wir ein großer Träger sind. Ich weiß nicht, wie ein kleiner Träger solche Zeiträume überlebt. Ich weiß auch nicht, wie ernst man hier das Landesjugendamt noch nehmen kann und was das (politisch) bedeuten soll, dass wir nicht mal für 2017 einen Antrag stellen konnten, weil es keine Antragsformulare gibt. Soll damit die Förderung heimlich verschwinden? Ich formuliere es sehr drastisch, weil kein Mensch vom guten Glauben seine Unkosten bezahlen kann (nicht mal ein konfessioneller Träger).

Was genau steht also auf dem Spiel? Was genau passiert denn in der Jugendverbandsarbeit? Junge Menschen lernen, wie gut es tut, wenn man sich aufeinander verlassen kann, dass man gemeinsam ein Ziel erreichen kann. Sie verstehen, wie das Land funktioniert von Demokratie über Staatsaufbau bis hin zur Gewaltenteilung. Kinder lernen, was der Unterschied ist, zwischen ihrem Lieblingstrickfilm und Webung. Sie lernen mit Mobbing umzugehen, wie man Erste-Hilfe leistet, warum Deutschland christlich geprägt ist, warum wir Weihnachten feiern und woher Jesus kommt. Dass braune Kühe keine Schokomilch geben und dass der Apfelbaum bei Oma und Opa im Garten kein Boskoop ist, sondern ein Kaiser-Wilhelm-Apfel. All das können Jugendverbände und noch viel, viel mehr All das steht auf dem Spiel.

Ich möchte mit diesem Antrag, dass sich die Situation aller in der Jugendarbeit verbessert. Das ist nicht schwer. Machen sie einfach Ihre Arbeit. Stellen Sie Bescheide pünktlich aus. Geben Sie den Verbänden das Geld, das sie für die Arbeit brauchen.

Und im Hinblick auf die Haushaltsverhandlungen möchte ich Ihnen sagen: Es ist Geld da, die Frage ist nur, wofür man es ausgibt. Sie können sich entscheiden: Geben wir das Geld an Berater, stecken wir es in teure Studien und Gutachten, die die wenigsten von uns jemals zu Gesicht bekommen und die mitunter nichts bringen? Blockieren wir Geld für Unterstützungsdarlehen für rückkehrwillige Familien, das dann aber keiner haben will ODER investieren wir es in die jungen Menschen, die hier sind, in ihre Zukunft, in Kinder und Jugendliche, die hier bleiben wollen, wenn man ihnen die Chance dazu gibt?

Wenn schon in den vergangenen Jahren das Geld viel zu spät kam, was passiert denn dann nächstes Jahr? Bekommen die Träger ihre Bescheide, ihr Geld dann erst im Jahr 2018? Dazu kommt noch, dass das Landesjugendamt vergangene Woche Faxe verschickt hat, in denen es die Verbände auffordert, ihre eingereichten Wirtschaftspläne für 2017 und 2018 um mehrere tausend Euro zu kürzen.

Frau Grimm-Benne, ich ahne, dass das nicht Ihre Idee war, sondern dass Sie nur versuchen, mit der globalen Minderausgabe umzugehen, die Ihnen das Finanzministerium auferlegt hat. Gern möchten wir mit Ihnen und mit Herrn Schröder dazu ins Gespräch kommen und schreiben deswegen gerade parallel einen Selbstbefassungsantrag für die Finanzausschusssitzung  am 9. November. So kann es nämlich nicht weiter gehen.

Dieser Antrag enthält keine utopischen Forderungen, keinen Aufruf zur Revolution, sondern einfach nur die Forderung, dass das Ministerium, das Landesverwaltungsamt seine Arbeit machen soll. Ich sehe also gar keinen Grund, warum sie diesen Antrag ablehnen könnten. Daher freue ich mich auf die Debatte, auf ihre Argumente, auf Relativierungen, Erklärungen und Zitate aus dem Koalitionsvertrag. Am meisten freue ich mich aber darauf, nachher zu erwidern.