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Henriette Quade zu TOP 8: Die humanitäre Katastrophe an der polnisch- belarussischen Grenze beenden - Menschenrechte sichern, Schutzsuchende evakuieren - Aufnahmezusage jetzt!

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich will -um vielleicht einige Nachfragen zu erübrigen- 3 Dinge vorab klar stellen:

  1. Ich halte Lukaschenko für einen Diktator und werfe ihm schwere Menschenrechtsverletzungen vor.
  2. Ich habe mit Putin genauso wenig am Hut, wie mit denjenigen, die ihm unkritisch gegenüber stehen.
  3. Polen ist ein souveränes Land, das selbstverständlich das Recht hat über seine Politik zu entscheiden.

Das vorweg zu nehmen macht es vielleicht leichter, dass wir uns tatsächlich über das unserem Antrag zu Grunde liegende Problem unterhalten statt darüber, was wir dem anderen jeweils unterstellen. Ich habe mir in Vorbereitung auf die heutige Debatte noch einmal ein paar Schlaglichter der Debatte im November hier im Hohen Haus dazu angeschaut: Herr Erben – sie sagten in ihrer Rede damals: „Zu den Grundwerten der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten gehört, dass wir Menschen in Not nicht alleine lassen.“

Herr Schulenburg führte aus: „Allein aus diesem Grund ist es umso wichtiger, dass die Grenze bei Polen dicht bleibt, damit bei uns nicht die Kosten explodieren. Lassen Sie uns an der Seite unserer polnischen Partner stehen. Unterstützen wir sie beim Schutz unserer EU-Außengrenze.“ Herr Kosmehl sagte: „ Die Europäische Union ist ein gemeinsamer Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, und den müssen wir auch gemeinsam schützen.

Lassen sie uns also -bevor ich zu den Punkten des Antrages komme- anschauen, wie es um die Grundwerte der Europäischen Union an der polnisch-belarussischen Grenze bestellt ist. Lassen sie uns anschauen, wie der Schutz der Außengrenze, den Herr Schulenburg unterstützen will, konkret aussieht. Lassen sie uns einen Blick in diesen „gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ werfen bevor wir darüber reden, wie wir uns dazu verhalten.

An der polnisch-belarussischen Grenze spielt sich eine humanitäre Katastrophe ab.  Bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt sitzen Schutzsuchende zum Teil seit Wochen in den Wäldern und Sümpfen entlang der 400 Kilometer langen Grenze fest – ohne Zugang zu Nahrung, Wasser oder medizinischer Versorgung. Es ist schwer zu sagen, wie, viele es aktuell sind, nicht nur weil keine Dokumentation stattfindet, sondern auch weil Journalist:innen, Menschenrechtsorganisationen, medizinische Hilfsorganisationen und NGOs von der Grenze verbannt wurden. Ich war vor nicht ganz 2 Wochen dort, wir haben mit verschiedenen Hilfsorganisationen und polnischen Abgeordneten gesprochen, sie gehen im Moment von etwa 1500 Menschen auf belarusischer und polnischer Seite zusammen aus.

Der eigentlich wunderschöne Bialowiza-Nationalpark, der als letzter Tieflandurwald Europas gilt, ist für Schutzsuchende, die von Lukaschenko gelockt wurden und von ihrer Not getrieben sind, zur Falle geworden. Die polnische Regierung hat das Grenzgebiet zur Sperrzone erklärt, behauptet eine Notlage und hat sich so einen rechtsfreien Raum unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschaffen. Diese Notlage ist ein zentraler Punkt: Sie ist die politische Erzählung der Rechten – nicht nur in Polen- und sie dient als Legitimation für die Aussetzung von Menschenrechten, EU-Recht und Pressefreiheit im Grenzgebiet und den Ausnahmezustand, dem die ca. 200 000 Menschen, die in diesem Gebiet wohnen und leben ausgeliefert sind.

Die Schutzsuchenden, die in diesem Grenzgebiet festsitzen, kommen übereinstimmenden Berichten zufolge überwiegend aus Kriegs- und Krisengebieten wie Irak, Syrien, Afghanistan, dem Jemen oder dem Iran und hätten nach europäischem Asylrecht und Flüchtlingskonvention gute Aussichten auf einen Schutzstatuts und selbst wenn das nicht so wäre, haben sie das Recht auf ein faires Verfahren und die Prüfung ihres Falls. Sie werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit sich selbst (und der illegalisierten Hilfe der Engagierten) überlassen. Mindestens 21 Menschen sind bisher in diesem Grenzgebiet gestorben, darunter auch Kinder. Ärzte ohne Grenzen musste sich Anfang Januar aus dem Grenzgebiet zurückziehen, weil sie von den polnischen Behörden wiederholt daran gehindert wurden, Menschen zu helfen. Das muss man sich mal überlegen: Eine Organisation, die professionell in Kriegsgebieten agiert, muss sich aus einem Gebiet in der Europäischen Union zurückziehen, weil sie von einer Regierung eines Mitgliedsstaates an ihrer Arbeit gehindert wird. Ich finde das unfassbar.

Nun könnten sie fragen – warum wenden sich die Schutzsuchenden denn nicht an die Grenzpolizei und das Militär – die würden doch sicher dafür sorgen, dass die Leute einen Asylantrag stellen, irgendwo untergebracht und versorgt werden. Die Antwort ist so einfach wie frappierend: Hunger, Kälte, Nässe sind nicht die einzigen Gefahren die im Grenzgebiet auf sie warten: Grenzpolizei, Armee und eigens rekrutierte bewaffnete Bürgerwehren patrouillieren das Gebiet auf der Suche nach diesen Menschen, die angeblich „Polen angreifen“. Finden sie sie, gibt es im Wesentlichen 2 Optionen: Push-Back zum Diktator Lukaschenko, oder Inhaftierung in einem der 8 Haftlager, in denen ca. 2000 Menschen festgehalten werden – ohne Zugang zu Informationen und Kommunikationsmitteln, ohne Zugang zu rechtlicher Beratung, ohne ausreichende medizinische Betreuung, ohne zu wissen warum, wie lange noch und was dann passiert. Beides widerspricht eindeutig dem Asylrecht der EU, beides ist schlichtweg illegal und zwingt auch die anderen Mitgliedsstaaten, zwingt auch uns, uns dazu zu verhalten. Und wissen sie, dass Push-Backs stattfinden, wurde immer wieder aus Polen berichtet. Das war einer der Gründe, warum wir uns kürzlich mit einer Gruppe Abgeordneter entschieden haben, dorthin zu fahren. Mit welcher Brutalität sie vollzogen werden, hat mich dann doch schockiert und ja, das hätte ich nicht für möglich gehalten.

NGOs wie das Helsinki-Komittee, Medizinerinnen, Anwältinnen beschreiben eine regelrechte Jagd auf Menschen. Mit Maschinengewehren und Knüppeln treiben sie die Menschen durch den Wald und zwingen sie durch die Löcher im Zaun zurück nach Belarus. Dabei werden Menschen geschlagen, in die Sümpfe gestoßen und genötigt, Familien werden getrennt, Kinder gehen verloren, Kommunikationsmittel werden den Schutzsuchenden abgenommen, Medizinisches Personal ferngehalten, findet keinerlei Dokumentation oder Registrierung statt – kurz:

In der EU wird systematisch Recht gebrochen, finden schwere Menschenrechtsverletzungen statt und ist es illegal Menschen vor dem Erfrieren im Wald zu retten. Ist das dieser „gemeinsame Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts“, den Polen in unser aller Interesse gerade verteidigt? Ist das das, wofür wir der polnischen Regierung danken sollen? Sind das die europäischen Werte, die sie meinen, die wir nicht aufgeben dürfen, weil Lukaschenko diese Menschen instrumentalisiert und entmenschlicht, in dem er sie als „Waffen“ einsetzt?

Für meine Fraktion ist klar: Die polnische Regierung verstößt systematisch gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, Völkerrecht und Unionsrecht und wir können hier -als Menschen und als politische Entscheidungsträger:innen- nicht weiter die Augen davor verschließen und so zu tun als ginge uns das nichts an.

Unser Antrag schlägt deshalb konkrete Dinge vor, mit denen wir als Landtag die Landesregierung jetzt beauftragen müssen, wenn die Beschwörung europäischer Werte und Prinzipien auch nur ansatzweise ernstgemeint sein soll und wenn wir die humanitäre Katastrophe, die sich keine 1000 km von uns entfernt abspielt nicht einfach hinnehmen wollen: Die Menschen, die mitten in Winter im Grenzgebiet festsitzen, müssen so schnell wie möglich evakuiert werden, in Sicherheit gebracht werden und in der EU ein rechtsstaatliches Asylverfahren bekommen. Dafür muss die Bundesregierung auf europäischer Ebene kämpfen. Dafür braucht es, weil wir doch wissen, dass es die „europäische Lösung“ die sie immer wieder beschwören nicht schnell geben wird die Aufnahmebereitschaft der Bundesrepublik und dafür wäre ein Aufnahmeprogramm des Landes ein wichtiger Beitrag auch leistbar: Wir haben Kommunen, die schon längst als sichere Häfen agieren wollen – die Landesregierung sollte dieses so wichtige Signal endlich aufnehmen.

Die Bundesregierung muss in der EU dafür kämpfen, dass illegale Push-Backs gestoppt werden, dass die Haftlager für Asylsuchende geschlossen werden, dass Menschenrechte gewahrt werden und dass die systematischen Rechtverletzungen, die in Polen im Umgang mit Schutzsuchenden geschehen, sofort aufhören. Ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen durch die Europäische Kommission wegen schwerwiegenden Verletzungen der in Artikel 2.

des Vertrages über die Europäische Union genannten Werte wäre das auf der Hand liegende Mittel, zu dem die EU jetzt greifen müsste. Und schließlich, ganz konkret und ebenso dringend wie die Evakuierung, Aufnahme und Ahndung der Rechtsverstöße: Polen ist für Schutzsuchende nicht sicher. Es dürfen keine Menschen mehr nach Polen abgeschoben oder rücküberstellt werden, die Landesinnenministerin hat die Kompetenz, einen Abschiebestopp zu verhängen und muss diese Chance nutzen. Wir sagen, das ist aus humanitären Gründen dringend geboten – genauso wie ein Aussetzen der Dublin-Überstellungen nach Polen auf Bundesebene, für das die Landesregierung sich einsetzen soll.

Meine Damen und Herren, wir haben in Polen Menschenrechtsgruppen und Anwältinnen getroffen, die mittlerweile humanitäre Hilfe organisieren. Wir haben Abgeordnete getroffen, die versuchen, die Rechtsverletzungen zu stoppen, aber an der rechten Regierung scheitern. Wir haben Anwohnerinnen des Grenzgebietes getroffen, die mit radikaler Menschlichkeit bereit sind, illegalisiertes zu tun, weil sie nicht bereit sind Menschen vor ihrer Haustür sterben zu lassen. Sie alle tun, was eigentlich die Aufgabe der EU wäre. Sie alle sagten sehr klar: „Dies ist keine Migrationsnotlage, dies ist eine humanitäre Notlage. Lukaschenko behandelt diese Menschen wie Gegenstände und setzt sie als Waffen ein. Es wäre die Aufgabe der EU dafür zu sorgen, dass er das nicht länger kann und diese Menschen in Sicherheit zu bringen.“  Und weil die polnische Regierung ihren Kampf gegen die Schutzsuchenden als Kampf für Sicherheit inszeniert und das ja auch hier in diesem Hause immer wieder ein zentrales politisches Schlagwort ist: sagen sie -und ich stimme ihnen zu: Eine sichere Grenze, ist eine, an der keine Menschen sterben müssen!