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Henriette Quade zu TOP 19: Bleiberecht für Opfer rechter Straftaten

Anrede,

Rechtsmotivierte Gewalttaten haben in Deutschland Kontinuität. Dass Menschen aus rechten Motiven, sei es Homophobie oder Rassismus, sei es Antisemitismus oder Sozialdarwinimus, sei es weil es als politische Feinde identifizierte Menschen oder Menschen sind, denen die Existenzberechtigung abgesprochen wird, dass Menschen aus diesen rechten Motiven andere Menschen bespucken, beleidigen, schlagen, treten, dass Menschen gejagt werden, um ihr Leben fürchten müssen und ihres Lebens beraubt werden, ist nicht neu, sondern bittere und traurige Realität seit Jahrzehnten.

Und genauso lang und nicht minder bitter ist die Tradition der Ignoranz, der Relativierung, des Aufschreis etwa alle 10 Jahre, mit dem dann wortreich und gestenreich ein Aufstand der Anständigen gefordert wird, Empörung über die Taten und Täter geäußert wird und die Staatsraison rhetorisch bemüht wird, praktisch jedoch nahezu nichts passiert. Und in der Tat, es ist auch schwierig.

Ich habe es hier an anderer Stelle schon mal gesagt. Auch ich kann die Frage nicht abschließend beantworten, was einen Menschen, der bereit ist andere nicht nur abzuwerten, sondern zu erniedrigen, der bereit ist, Jagd auf andere Menschen zu machen, der bereit ist, auf am Boden liegende zu treten, sie mit Baseballschlägern zu schlagen und zu töten, welche politische Maßnahme also einen solchen Menschen, bei dem augenscheinlich keine zivilisatorischen Schranken existieren, davon abhalten kann, das zu tun. Und natürlich-darin sind sich auch alle Fachleute einig- ist der Einfluss den man auf gewaltbereite Neonazis, von repressiven Maßnahmen abgesehen, entwickeln kann, überaus gering.

Umso wichtiger ist, dass das was möglich ist, auch gemacht wird. Praktisch erfahrbare Solidarität, einen Anfang für so etwas wie Wiedergutmachung um den juristischen Begriff zu bemühen und ein deutliches politisches Signal- das fordert meine Fraktion mit dem vorliegenden Antrag und das ist dringend überfällig.

Die Zahlen der politisch motivierten Gewalttaten im Jahr 2016 sind noch nicht komplett veröffentlicht. Nach allem was wir bisher schon wissen, müssen wir aber feststellen, dass sie die des Jahres 2015 wahrscheinlich noch übertreffen werden und wir wissen auch, dass 2/3 der im Jahr 2016 begangenen rechten Straftaten rassistisch motiviert sind. Sie richten ich gegen Menschen, die als nichtdeutsch wahrgenommen werden, gegen Geflüchtete und Asylbewerber ebenso wie gegen Menschen, die hier geboren wurden, aber eben nicht weiß sind. Täter unterschieden nicht nach Asylbewerber oder Flüchtling, sichere oder unsichere Bleibeperspektive, Empfänger von Sozialleistungen oder Spitzenverdiener.

Insofern ist im übrigen auch die Behauptung, wenn die ohne gute Bleibeperspektive schnell abgeschoben werden, erhöht sich automatisch die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung für die anderen völlig abwegig. Rassistische Gewalt trifft alle, die rassistisch wahrgenommen werden. Sie soll Schmerz zufügen, sie soll verletzen und nicht selten soll sie auch töten, sie soll Angst machen und wie soll den Betroffenen und den gemeinten klar machen: ihr seid hier nicht willkommen, ihr gehört hier nicht dazu, ihr seid hier auch nicht sicher.

Die Forderung nach einem Bleiberecht für Betroffene rechter Gewalt ist so alt wie die Rechte Gewalt selbst. Denn so willkürlich Täter ihre Opfer aussuchen: eines ist vielen Betroffenen rassistischer Gewalt gemeinsam: sie haben keinen sicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland. Genau hier setzt die Forderung nach einem Bleiberecht für Opfer rechter Gewalt an. Derselbe Staat, der sie vor einem rechten Angriff nicht schützen konnte, dessen Polizei -keineswegs immer aber eben auch nicht selten- (Mücheln 2013) die Taten bagatellisiert und erhebliche Defizite im Umgang mit migrantischen Opferzeugen aufweist, und dessen Sicherheits- und Justizorgane es allzu oft nicht schaffen, Täter zu ermitteln und zu bestrafen geschweige denn rassistische Tatmotive besonders zu würdigen, derselbe Staat schiebt nämlich nicht selten, dort wo die Rechtslage es erlaubt und das ist oft, die Betroffenen rechter Gewalt dann auch noch ab.

Das führt zu einer verheerenden Botschaft und es führt zu erheblichen Nachteilen in den laufenden Strafverfahren. Mit einer Abschiebung oder erzwungenen Ausreise werden ihnen entscheidende Rechte im Strafverfahren genommen. Den Betroffenen wird kein rechtliches Gehör gewährt, eine Aussage vor Gericht ist nicht möglich, wenn die Betroffenen nicht da sind. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Betroffenen. Wer polizeiliche Protokolle zu rechten Angriffen kennt, weiß, das diese häufig das Geschehen nur sehr ungenügend abbilden. Ermittlungsrichterinnen und Ermittlungsrichter, die eine Vernehmung wichtiger Zeuginnen und Zeugen, die abgeschoben werden sollen, noch vor der Gerichtsverhandlung übernehmen könnten, verfügen in der Regel nicht über ausreichende Aktenkenntnis zu den Fällen, um eine angemessene Befragung durchführen zu können. Fragestellungen, die sich möglicherweise erst in der Hauptverhandlung ergeben (Tatanteile, geäußerte Motivationen) lassen sich überhaupt nicht mehr klären, wenn die Hautzeugen nicht mehr da sind.

Doch nicht nur die Möglichkeit, als Zeugin oder Zeuge am Verfahren teilzunehmen, wird den Betroffenen genommen. Eines der wenigen Mittel, das ihnen bleibt ist die Teilnahme der Betroffenen am Prozess als Nebenklägerinnen und Nebenkläger. Die Möglichkeit, zur gerichtlichen Wahrheitsfindung beizutragen, indem Fragen und Anträge gestellt werden können, ist eine Form der Ermächtigung, die es den Betroffenen erlaubt, den Status als Beweismittel und Opfer und Objekt des Verfahrens zu überwinden, eine aktive Rolle zu spielen und wieder Kontrolle über ihr Leben zu gewinnen. Diese Option besteht für abgeschobene und zur Ausreise gedrängte Menschen tatsächlich nicht mehr.

Über Schadensersatz im Falle von Gewaltstraftaten zu sprechen ist ohnehin eine sehr schwierige Sache. Was soll den erlittenen Schaden denn gut machen können. Aber auch diese Möglichkeiten Schadensersatz und Schmerzensgeld einfordern zu können, wird den Betroffenen faktisch genommen. Denn ja, theoretisch besteht die Möglichkeit, vom Ausland aus Anwältinnen und Anwälte damit zu beauftragen, Ansprüche in Deutschland in Abwesenheit der Betroffenen durchsetzen. In der Realität ist das aufgrund der Lebenssituation der Betroffenen aber zumeist nicht möglich. So verlieren sie ihre Stellung als Rechtssubjekt im Gerichtsverfahren, das den Angriff auf sie selbst zum Gegenstand hatte. Dies erhöht die Gefahr einer sekundären Viktimisierung, das ist angesichts der individuellen wie gesellschaftlichen Wirkung verheerend und es ist zutiefst ungerecht.

Doch, und das ist prägend für den Gedanken dieses Antrages: es geht nicht nur um Opfer, eingeht auch um Täter. Denn die Abschiebung oder eine erzwungene Ausreise schadet nicht nur den Betroffenen selbst, sie hat auch Konsequenzen für die Täter. Strafverfolgung wird defacto erschwert die einzigen Zeugen, die Betroffenen selbst, nicht mehr gehört werden können. Viele Strafverfahren werden eingestellt oder enden mit einem Freispruch für die Täter, wenn die Zeuginnen und Zeugen im Gerichtsverfahren fehlen.

Es ist zudem das Signal, dass Täter letztlich erreicht haben, was sie wollten. Ihre Taten sollen Schrecken verbreiten, sie sollen Angst machen und sie sollen die, die mit ihrer Gewalt gemeint sind vertreiben. Ob das Ziel nun mit einem Weggehen aus Angst, oder mit einer Abschiebung erreicht wird, ist dabei letztlich egal, im Fall einer Abschiebung kommt sogar noch das Signal dazu: Der Staat gibt uns Recht, die die wir vertreiben wollten, haben nicht das Recht hier zu sein und wir wissen aus der Forschung zu Neonazismus und rechter Gewalt und den Blick auf die Entwicklung rechter Gewalt seit 1990: Das Gefühl, Vollstrecker eines wenn auch nur heimlichen Mehrheitswillens zu sein, das Gefühl, zwar mit drastischen Methoden zu agieren, aber im Kern im Recht zu sein, ist eines der zentralen Verstärkungsmomente für rechte Gewalttäter, es ermuntert zu weiteren Taten und es ist zugleich erneute Demütigung für die Opfer.

Wieso oft also die schwierige Frage: Was tun? Denn natürlich ist das Aufenthaltsrecht komplex, eine landesrechtliche Sonderregelung einzuführen nicht so einfach und an Bedingungen geknüpft. Ich bin deshalb sehr froh, dass Brandenburg als erstes Bundesland einen Weg aufgezeigt hat, die gesetzlichen Möglichkeiten des Aufenthaltsrechtes zu nutzen, um Opfern rechter Straftaten ein Bleiberecht umzuräumen. Mithilfe eines Erlasses wird den Ausländerbehörden eine Empfehlung gegeben, wie sie ihr Ermessen nutzen sollen. Es handelt sich also um einen ermessenslenkenden Erlass, der die Einzelfallprüfung begleitet und nicht ersetzt.

Es ist ein Instrument zur Erhöhung der Handlungssicherheit der Ausländerbehörden und es ist dringend notwendig das doppelte Signal zu setzen: rechte Täter erreichen ihr Ziel nicht und dieser Staat tut alles, um alle Menschen die hier leben vor Gewalt zu bewahren. Wer hier Opfer einer rechtsmotivierten Straftat wird, der steht unter einem besonderen Schutz des Staates.

Ich freue mich, dass auf einem Podium der Liga der freien Wohlfahrtspflege zumindest 3 Fraktionen erklärten, das von uns geforderte Bleiberecht für Opfer rechter Gewalt sei notwendig und auch ihr Anliegen. Lassen Sie uns also gemeinsam diesen Weg gehen, beauftragen wir die Landesregierung und das Innenministerium einen solchen Erlass herauszugeben und lassen Sie uns ein weiteres Signal senden:

Viele von uns waren in der letzten Woche bei der Gedenkveranstaltung am 27. Januar in Halle: Friedrich Schorlemmer hatte wirklich viele wichtige Botschaften, eine entscheidende war in meinen Augen: Erinnern darf nicht zum bloßen Ritual werden, Gedenkreden und moralische Bekundungen dürfen nicht zu leeren Worthülsen werden, sondern Erinnern und Gedenken muss zu Handlungsansätzen für das hier und heute führen.

Gerade in Anbetracht der Geschichte staatlicher Verfolgung von als nichtdeutsch Begriffenen in Deutschland wäre das Signal des politischen Willens des Landtages, die Möglichkeiten die das Aufenthaltsrecht bietet zu nutzen, um Betroffenen rechter Gewalt ein Bleiberecht zu gewähren, ein richtiges, ein wichtiges und eines, das sowohl mit Blick auf die praktischen Folgen, als auch auf die damit verbundene Symbolwirkung, dringend notwendiges.