Diese Website verwendet Cookies. Warum wir Cookies einsetzen und wie Sie diese deaktivieren können, erfahren Sie unter Datenschutz.
Zum Hauptinhalt springen

Henriette Quade zu TOP 10: Die gesellschaftliche Bedrohung durch Rechtsextremismus konsequent bekämpfen

Reichsbürger, Selbstverwalter oder wie auch immer sie sich nennen mögen, erfahren derzeit eine vergleichsweise große Aufmerksamkeit, und natürlich gibt es triftige Gründe dafür. Das gesellschaftliche Phänomen der Reichsbürger wurde lange unterschätzt. Die Einschätzung des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt, das lediglich 20 % der Reichsbürger der rechtsextremistischen Szene zuzuordnen wären, teilen wir ausdrücklich nicht. Die zentrale Idee der Reichsbürger entspringt einem rechten Geschichtsrevisionismus. Dass sich hier auch ein paar Spinner sammeln, die sich von der Idee des Steuerboykotts oder der Bußgeldverweigerung angezogen fühlen, tut dem Kern der politisch rechten Zuordnung keinen Abbruch, und wie wir sehen haben wir es nicht nur mit einem rechten Phänomen, sondern auch mit einem Phänomen von Gewaltbereitschaft und zunehmender Militanz zu tun.  

Und das muss ich an dieser Stelle auch sagen: Wir haben im Innen- wie im Rechtsausschuss vergleichsweise intensiv über die Problematik Reichsbürger gesprochen, wir haben die Probleme die für Behörden, für Gerichtsvollzieher, für Gerichte, MitarbeiterInnen von Gerichten, für Polizistinnen und Polizisten erörtert und unser Antrag fokussiert aus gegebenem Anlass u.a. Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen für Behördenmitarbeiter*innen. Was er nicht fokussiert, weil es schlichtweg noch nicht bekannt war und ich ehrlich gesagt auch nicht auf die Idee gekommen bin, ist das sogenannte Reichsbürger nicht nur ein Problem für, sondern auch ein Problem in Polizei sind. Und natürlich, Herr Minister, stellt sich für mich die Frage, wo Sie doch die Transparenz so schätzen, wenn wir über Reichsbürger und Behörden im Innenausschuss reden, nicht zu erwähnen, dass es drei Disziplinarmaßnahmen im Revier Stendal und eines im Revier Magdeburg wegen Reichsbürgeraktivitäten gibt.

Das verweist auf Probleme der individuellen Bindungswirkung demokratischer Werte auch bei Menschen, die unmittelbare Träger des Staates sind, ich ging vorhin darauf ein, und natürlich ist das in keiner Weise akzeptabel. Wer die Existenz und Legitimität dieses Staates leugnet, der kann nicht den Auftrag haben seine Gesetze durchzusetzen, ihn zu schützen und Hoheitsgewalt über andere Menschen auszuüben.

Nun erleben wir wieder das Schauen auf den Verfassungsschutz und die Forderung, der Verfassungsschutz solle die Reichsbürger stärker beobachten - ich halte davon nicht viel. Was soll dabei herauskommen? Welchen Effekt soll das erzielen? Ich bin in der aktuellen Debatte vorhin auf das eklatante Versagen aller Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit dem NSU und der Einschätzung von Gefährdungen durch Rechtsterrorismus eingegangen. Wenn wir uns die bisherigen Erkenntnisse aus der politischen und juristischen Aufarbeitung vor Augen halten, sehen wir: Solange das Prinzip Quellenschutz vor Täterergreifung Vorrang hat - und das muss es mit der Konstruktion dieses Verfassungsschutzes -, wird es keinerlei Verhinderung von Straftaten, von Gewalttaten oder Gefährdungen geben, und deshalb ist der Verfassungsschutz ein untaugliches Instrument, diesen Gefährdungen zu begegnen.

Was nötig wäre und auch reale Effekte hätte, wären Initiativen, um den Waffenbesitz stärker zu regulieren, um besser zu kontrollieren, wer warum welche Waffen hat und wie er sie gebraucht. Nötig wäre, und ich bin wieder auch  beim Thema Reichsbürger in Sachsen-Anhalt,  Empfehlungen der Polizei zum Entzug von Waffenbesitzkarten nicht sechs Wochen beim Ordnungsamt liegen zu lassen, Kommunikation zwischen den Waffenerlaubnis erteilenden Stellen zu verbessern, Abläufe in solch ja augenscheinlich dringenden Fällen um beschleunigen und Mitarbeiter*innen zu qualifizieren.

Und ein ganz konkreter Schritt zu mehr Sicherheit für Menschen, die im Auftrag des Staates arbeiten wäre es, wenn es im Zuständigkeitsbereich der Justiz analog der Verfahrensweise im Innenministerium bzw. der Polizei eine Stelle zu schaffen, die sämtliche Bedienstete der Justiz bei Rechtsstreitigkeiten mit Reichsbürgern, die infolge der Ausübung ihrer Tätigkeit entstanden sind, unterstützt und berät. Die Befassung im Rechtsausschuss, aber auch zahlreiche Presseberichte haben die Probleme, denen Justizbedienstete ausgesetzt sind, sowohl zivilrechtlich wie auch strafrechtlich, sehr genau beschrieben. Jeder, dessen Namen Reichsbürger in Kontakt mit Gerichten namentlich habhaft werden, muss mit Drohungen, Mahnungen a la Maltamasche und absurden Belästigungen durch Phantasiebehörden, aber eben auch mit der Veröffentlichung illegaler Videos auf YouTube rechnen. Staat darf hier seine Bediensteten nicht allein lassen, und deshalb halten wir ein Tätigwerden des Justizministeriums für dringend geboten.
Fortbildungsangebote und Handlungstrainings für Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung, der Justiz und der Polizei zum Umgang mit sogenannten Reichsbürgern und anderen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus müssen ausgebaut werden. Auch das geht nicht ohne Fachleute.

Wir halten es deshalb für geboten und im Übrigen auch genau den richtigen Zeitpunkt, dass sich der Landtag im unmittelbaren Vorfeld der Haushaltsaufstellung dazu bekennt, die Arbeit gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Geschichtsrevisionismus sowie Diskriminierungen und Anfeindungen gegenüber als anders wahrgenommenen Lebensentwürfen noch stärker als bisher zu unterstützen und zu fördern.

Gestern erschien eine Erklärung des Verbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, der konstatiert, was wir auch anhand der Zahlen für Sachsen-Anhalt nachvollziehen können: Das Ausmaß rechter und vor allem rassistischer Gewalt ist  dramatisch. Bereits 2015 verdoppelten sich bundesweit die Zahlen und nach dem was wir für dieses Jahr bereits sagen können, ist davon auszugehen, dass sie 2016 erneut steigen.

Ein Fall erregte in den vergangen Wochen besondere Aufmerksamkeit: In Merseburg wurde eine Familie, deren Normabweichung, wie es eine Fraktion hier nennen würde, es ist, dass der Mann aus Liberia kommt, in ihrer Wohnung brutal überfallen. Auch das fünfjährige Kind wurde dabei verletzt und musste im Krankenhaus behandelt werden. Dieser Fall hat viele Menschen in unserem Land fassungslos gemacht hat. Täter waren hier offenbar nicht organisierte Neonazis, sondern vermeintlich normale Mitbürger. Hier zeigt sich, welche gefährliche Form die Alltäglichkeit rassistischer Denkweisen und Handlungsmuster in unserer Gesellschaft haben. Und ja, auch ich bin ratlos bei der Frage, was ganz konkret wir tun können, um Menschen, die bereit sind, brutal sogar gegen Kinder vorzugehen, davon abzuhalten.

Fest steht für uns aber: Schuld tragen immer die Täter. Verantwortung für Exzesse rechter Gewalt, für Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte, für Attacken gegen Menschen, die als fremd wahrgenommen werden, tragen alle, die sich an Hetze beteiligen, die Lügen verbreiten, die - sei es mit Anträgen im Landtag oder mit Demos gegen Geflüchtete - bestimmen wollen, wer dazu gehören soll und wer nicht. Verantwortung tragen all jene, die rechte Gewalt noch immer verharmlosen, die Nazis als Asylkritiker bezeichnen, die rechte und rassistische Hetze als „berechtigte Sorgen“ legitimieren wollen, die rechten Tätern das Gefühl geben, sie seien mit solchen Aktionen die Vollstrecker eines „Volkswillens“. Und ja: Auch wer glaubt, Rechten das Wasser abgraben zu können, indem man ihre Forderungen übernimmt, macht sich zum Stichwortgeber auch für gewaltbereite Rassisten.

Und Herr Minister - ich glaube Ihnen und gerade Ihnen persönlich, dass Reden zum Thema, wie wir sie gestern zum Thema Abschiebedruck erhöhen erlebt haben, nicht das sind, was Sie wollen. Aber wenn Sie sich einmal von der konkreten politischen Forderung, wo es ja nicht überraschend ist, dass ich auch die kritisiere, aber anders, lösen und auf ihre Wirkung im gesellschaftlichen Diskurs schauen, dann muss doch auch Ihnen spätestens mit den Beiträgen der AfD-Fraktion klar sein, dass das Label Abschiebedruck erhöhen auch und gerade aus dem Mund eines CDU-Innenministers genau solche Rede- und Denkweisen befördert und nicht bekämpft.

In den vergangenen zwei Jahren ist die Nachfrage der Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus und insbesondere für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt stark gestiegen. Diese Nachfrage wurde mit allen Mitteln und Kräften versucht abzudecken. In ihrer Erklärung konstatieren die Beratungsstellen - und das muss uns alle alarmieren: "Nun ist die Grenze der Belastbarkeit erreicht. Die große Anzahl von Betroffenen und Beratungssuchenden ist für viele Beratungsstellen ohne zusätzliche Ressourcen nicht mehr zu bewältigen."

Das allein spräche sehr für unseren Antrag, doch nicht nur das - wir müssen heute in der MZ lesen, dass für viele Träger zivilgesellschaftlicher Demokratiearbeit die Zukunft gefährdet ist: Offenbar stellt die Landesregierung inzwischen ernsthaft in Frage, ob es für Fortsetzungsprojekte, die aus Landesmitteln gefördert werden, die notwendige Genehmigung zum vorzeitigen Maßnahmebeginn zum 1.1.2017 geben wird. Der vorzeitige Maßnahmebeginn, erlaubt den Trägern, auf eigenes Finanzrisiko Projektkosten zu tätigen. Wird dieser Verwaltungsakt nicht genehmigt, müssten sie ihre Arbeit nahezu vollständig einstellen und ihre Mitarbeiter entlassen. Das - und allein das es möglich ist - wäre verheerend.

Wir und vor allem die regierungstragenden  Fraktionen haben heute die Chance, die Unsicherheit, die die Infragestellung des vorzeitigen Maßnahmenbeginns für Träger zivilgesellschaftlicher Arbeit bringt, aufzufangen und ein Stück weit zu überwinden und deutlich zu machen: Zivilgesellschaftliche Initiativen, Bürgerinnenbündnisse für Demokratie, lokale Geschichtsprojekte, Willkommensnetzwerke, lokale Jugendinitiativen für die Erschließung nichtrechter Erlebnisräume, migrantische Selbstorganisationen und die Träger der Bildungs- Präventions- und Beratungsarbeit gegen Rechtsextremismus sind unverzichtbare Partner, deren Arbeit wir stärken wollen.

Und wenn wir unseren Beschluss vom Sommer, der ja ebenfalls auf unsere Initiative hin zu Stande kam, zur Solidarität mit allen Betroffenen rechter Gewalt, Diskriminierung und Hetze ernst meinen, dann müssen wir als Haushaltsgeber auch dafür Sorge tragen, dass Menschen, die Betroffene rechter Gewalt wurden, schnell Hilfe und Unterstützung erfahren, dass es vor allem mehr Prävention gibt und dass die entsprechenden Projekte in Ansätze die es im Land gibt nicht nur weiterverfolgt werden können, sondern verstetigt und ausgebaut werden. Wir sprachen gestern im Zusammenhang mit den Hochschulen von Projektitis - dass die Arbeit gegen Rechtsextremismus und damit für die Demokratie eine gewaltige Herausforderung ist, die nicht in 2 Jahren abzuarbeiten ist, liegt auf der Hand und muss sich auch in der Förderstruktur widerspiegeln. Diese gemeinsame Herausforderung zu begreifen, unserer bekundeten Solidarität auch praktische Taten folgen zu lassen- auf Haushaltsebene und auf inhaltlicher - das ist unsere gemeinsame Verantwortung.

Kurz zum Antrag der AfD. Es hat einen einfachen Grund, warum wir hier nicht allgemein von politisch motivierter Kriminalität sprechen: Er besteht nicht darin, dass wir die eine grundsätzlich  weniger schlimm als die andere finden. Gewalt ist für uns  kein Mittel der politischen Auseinandersetzung. Doch die Zahlen, die Sie selbst erfragten, sprechen eine eindeutige Sprache. 2015 haben wir es mit 1749 Fällen politisch rechtsmotivierter Kriminalität zu tun und mit 230 Fällen linksmotivierter Kriminalität. Es geht nicht darum, Zahlen gegeneinander aufzurechnen, aber sie belegen eindeutig, dass ein strukturelles Problem im Bereich Rechtsextremismus besteht.

Und ich will hier gar nicht auf die Diffamierungen der Ihnen missliebigen Vereine, Ihre Wahrnehmung des Landesprogrammes für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz als links und das aus dem Hut zaubern von Zahlen eingehen. Sie schreiben in ihrer Antragsbegründung: "Wer glaubt, die Wahrheit gepachtet zu haben und sich seiner Sache zu sicher ist, neigt dazu, dem anderen Grundrechte streitig zu machen und greift in letzter Konsequenz auch zu Gewalt". Nun frage ich Sie: Wer stellt sich denn hier hin und propagiert: Wir machen keine ideologiegetriebene Politik sondern versuchen, der Wahrheit zu Geltung zu verhelfen. Sie sind es, und es ist eine unglaubliche Heuchelei, wenn Sie sich hier hin stellen und Anschläge auf Geflüchtetenunterkünfte bedauern: Sie liefern mit Ihrer Hetze die Munition dafür.