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Eva von Angern zu TOP 8: Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende aufheben

Alle Jahre wieder wird auch dieses Thema im politischen Raum diskutiert. Es lohnt ein Blick dazu in die Diskussion der Fachöffentlichkeit und auch ein Blick in die tägliche Arbeit der Jugendstrafkammern, der Jugendstaatsanwält*innen und nicht zuletzt auch der Mitarbeiter*innen der Jugendgerichtshilfe. Ihre Aufgabe ist, bei jedem 18, 19 und 20jährigen individuell zu prüfen, ob das Jugendstrafrecht oder das Erwachsenenstrafrecht Anwendung findet.

Eine Einzelfallprüfung muss dabei jeder Entscheidung vorausgehen, um genauestens zu prüfen und abzuwägen, ob der Reifegrad des Heranwachsenden eher dem eines Jugendlichen oder dem eines Erwachsenen entspricht. Zudem muss bezogen auf die Tat erkennbar sein, dass diese aus einer gewissen Unreife erwachsen ist. Wer sich in der Praxis auskennt, weiß, dass es sich hier nicht um standardisierte Prüfungen oder Formulierungen geht. Bei jedem jungen Menschen wird individuell entschieden, ob er bereits die nötige Reife besitzt, so dass er für sein Handeln vollumfänglich zur Verantwortung gezogen werden kann - oder auch nicht. Und ich habe bereits Verfahren erlebt, in denen das abgelehnt wurde.

Auch wenn die jungen Erwachsenen volljährig sind und demnach grundsätzlich als strafrechtlich voll verantwortlich gelten, befinden sich doch viele Menschen dieser Altersgruppe noch in einer altersbedingten Entwicklungsphase. Selbst wenn die biologische Reife schon ausgeprägt sein sollte, in vielen Fällen ist das nicht für die psychisch-soziale Entwicklung zutreffend. Und es ist gut und richtig, dass diese Entscheidung nicht durch Politiker*innen, sondern durch die am Strafverfahren Beteiligten getroffen wird. Politik tut gut daran, sich entsprechend der Gewaltenteilung hier heraus zu halten. Bis zum Beweis des Gegenteils vertraue ich dabei auf die Entscheidung der Justiz.
Und das Schöne am Rechtsstaat ist, dass eine solche Entscheidung, ist sie denn falsch getroffen, durch ein Rechtsmittel geheilt werden kann.

Ich gehöre zu jenen Politiker*innen, die die Auffassung vertreten, dass der rechtspolitische Ansatz des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) – namentlich ein Täterstrafrecht zu sein – im Gegensatz zum StGB, das dem Grunde nach ein Tatstrafrecht ist, der gesellschaftlich und langfristig auch sicherheitspolitisch vernünftigste und prädestinierte Ansatz ist. Ich finde daher die Idee der Ausweitung der Anwendung auch auf die sogenannten „Jungen Erwachsenen“ für sehr überdenkenswert und unbedingt diskussionswürdig. Alternativ stehe ich aber auch einer Reform des StGB sehr offen gegenüber. Das immer mit dem Ziel vor Augen, dass sich die Sanktionsmöglichkeiten bei jungen Menschen vordergründig am Erziehungsgedanken ausrichten sollten. Es gilt, diese zu einem straffreien Leben zu erziehen und einer erneuten Straffälligkeit entgegenzuwirken.

Ein wesentlicher Aspekt des JGG ist also der Ansatz des Täterstrafrechts und die damit einhergehende breite Fülle von Reaktionsmöglichkeiten. Dabei möchte ich ausdrücklich nicht vom Jugendarrest, den meine Fraktion als gescheitertes Sanktionsmittel letztendlich ablehnt, und von der Jugendstrafe reden. Nein, es geht mir um die tatsächlichen Möglichkeiten, um erzieherisch tätig zu werden. Dabei sei auch unbedingt der Umgang mit den Opfern beleuchtet. Das Jugendgericht kann im Rahmen einer Auflage auch das Opfer einbeziehen. Das ist eine sehr wesentliche Komponente, die gleich zwei positive Effekte beinhaltet: der Jugendliche muss sich seinem Opfer stellen und damit sehr wohl auch Verantwortung für seine Tat tragen und das Opfer kann einen gewissen Ausgleich, bspw. durch Zahlung einer Geldsumme erhalten. Letzteres ist für den Rechtsfrieden aber auch für die individuellen Interessen der Opfer von wesentlicher Bedeutung.

Das sind Möglichkeiten, die das Erwachsenenstrafrecht so verwehrt. Nicht ohne Grund gibt es nicht selten den Vorwurf, dass sich im Strafverfahren vor allem mit den Tätern beschäftigt wird. Dies ist im JGG anders und das ist äußerst positiv zu bewerten. Wir sehen überhaupt keinen Grund, warum das in irgendeiner Art und Weise eingeschränkt und verändert werden soll.

Vielleicht an dieser Stelle und abschließend doch noch ein paar Bemerkungen zum Antrag der AfD im Besonderen: Klar, man kann es sich auch mal ganz einfach machen und eine Idee des politischen Konkurrenten – vorliegend der CDU – aufgreifen und ihm damit auch das politische Leben schwermachen. Vielleicht will man ihn so auch  in ein gemeinsames Boot holen und den Antrag mehrheitsfähig machen.... Aber auch dann sollte man wissen, worüber man redet.

Sie haben ganz klar den Sinn und das Leitmotiv des JGG nicht verstanden oder wollen ihn bewusst nicht verstehen. Ja, junge Menschen können mit 18 (im Übrigen in Sachsen-Anhalt auch schon mit 17) die Fahrerlaubnis erwerben. Aber nicht ohne Grund gibt es eine Probezeit. Ja, junge Menschen haben mit 18 das aktive und das passive Wahlrecht inne.
Daran wollen wir auch keinerlei Abstriche machen. Und dennoch sind die Fragen, denen wir uns stellen müssen doch: Was nutzt es dem Einzelnen und ja, auch der Gesellschaft, wenn wir einen jungen Menschen mit 19 Jahren trotz fehlender Reife in eine JVA stecken? Dient es wirklicher seiner Besserung in Richtung eines künftig straffreien Lebens? Und was würde es bringen - für den jungen Menschen wie auch für die Gesellschaft -, wenn wir eine der Erziehungsmöglichkeiten, die das JGG vorsieht, anwenden. Und da sind wir wieder bei der Einzelfallprüfung.