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Eva von Angern zu TOP 18: Personalstrategie in der Justiz – Die dritte Gewalt im Land Sachsen-Anhalt auf tragfähige Füße stellen

Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede vorweg folgende grundsätzliche Fragen stellen:

Was wäre ein Rechtsstaat ohne bzw. ohne ausreichendes Personal im Bereich der Justiz?
Hätte die Justiz in Sachsen-Anhalt dann überhaupt noch eine Zukunft?
Könnte die verfassungsrechtlich verbürgte Unabhängigkeit der Rechtsprechung dann noch garantiert werden?
Was ist uns die Justiz in Sachsen-Anhalt generell wert?
Welchen Anspruch erheben wir an eine personalbedarfsgerechte Personalausstattung in der Justiz für die nächsten Jahre?
Wie kann der Anspruch der Bürger*innen auf einen effektiven Rechtsschutz auch künftig garantiert werden?
Wie kann man einer tendenziell weiter zunehmenden hohen Arbeitsbelastung an den Gerichten und daraus resultierenden langen Gerichtsverfahren entgegenwirken?
Wie kann man den ständig neuen Herausforderungen für einen durch das Bundesverfassungsgericht geforderten resozialisierenden Strafvollzug überhaupt gerecht werden?

Und, und, und... Fragen über Fragen.

Doch ein funktionierender Rechtsstaat braucht eine gut ausgestattete Justiz – in personeller wie auch in sächlicher Sicht. Daran führt kein Weg vorbei. Und an dieser Stelle zu sparen, wäre katastrophal und hätte fatale Folgen für die Dritte Gewalt in Sachsen-Anhalt.

Die Personalfrage in der Justiz entwickelt sich somit zu einer Schlüsselfrage mit dem Ziel, die Dritte Gewalt im Land Sachsen-Anhalt zukunftsorientierend, auf Dauer  auf tragfähige Füße zu stellen. Aber zufriedenstellende, zukunftsweisende  Antworten sind nur möglich, wenn man vor allem und an erster Stelle die Personalsituation im Bereich der Justiz in Sachsen-Anhalt analysiert  und infolge dessen ausreichend Personal für die zu bewältigenden Aufgaben für die Haushaltsjahre 2017 und 2018, aber insbesondere auch mit Blick auf die folgenden, zur Verfügung stellt. Es ist somit eine auf Dauer angelegte Personalstrategie in Form einer strategisch angelegten Personalplanung für einen längeren Zeitraum erforderlich. Hier ist vor allem die Landesregierung gefordert.

Denn nur so kann die Justiz in Sachsen-Anhalt letztendlich auch für die nächsten Jahre langfristig personell und zukunftsorientierend im Interesse der Beschäftigten in der Justiz wie auch im Interesse der Bürger*innen unseres Landes aufgestellt werden.

Ich durfte kürzlich der Amtseinführung der Präsidentin des Amtsgerichtes Magdeburg beiwohnen. Das Besondere dieser Festveranstaltung war, dass Frau Dr. Sabrotzky ihre erste Rede als Präsidentin nutzte, um den anwesenden Landespolitiker*innen in Form von Herrn Gürth sowie meiner Person und der Justizministerin mitzuteilen, dass der Umgang der ersten mit der dritten Gewalt mehr als zu wünschen übrig lässt. Ihre Botschaft war deutlich: Wir gehen stiefmütterlich mit der Judikative um und behandeln sie auf keinen Fall so, wie es ihrer Stellung in unserer Gesellschaft zukommen sollte. Das ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, wenn eine Gewalt einer anderen Gewalt, eine solchen Text ins Stammbuch schreibt.

Wenige Tage zuvor hatten sich Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in der Mitteldeutschen Zeitung zu Wort gemeldet und beklagten, dass sie mit dem vorhandenen Personal das Arbeitspensum nicht mehr erledigen können. Nun handelt es sich nicht um eine Schlechtbehandlung auf persönlicher Ebene. Vielmehr geht es um eine Schlechtbehandlung mit erheblicher gesellschaftlicher Auswirkung, die seit Jahren unter unser aller Augen hier im Parlament vollzogen wurde und wird. Dafür trägt die Landesregierung, aber auch das Parlament Verantwortung.

Das Prozedere beginnt mit der Haushaltsaufstellung durch das Ministerium der Justiz und Gleichstellung und endet letztendlich mit dem Haushaltsbeschluss hier im Landtag.
Und niemand hier kann sagen, dass er oder sie es nicht gewusst hat. Die Fakten lagen und liegen sowohl im Rechtsausschuss als auch im Finanzausschuss auf dem Tisch.

Ich erinnere an die Debatte im Rechtsausschuss der letzten Wahlperiode um die langen, ja teilweise überlangen Verfahrensdauern bei den Sozialgerichten. In der Ausschussbehandlung wurde deutlich, dass es nicht an der Schlechtleistung der Richter*innen oder der Bediensteten des mittleren Dienstes lag. Im Gegenteil: Das Personal in der Justiz  ging oft an seine Belastungsgrenzen. Ein Kernproblem dabei ist, dass die Berücksichtigung von sogenannten „Altfällen“ bei den Pensenschlüsseln, die in den Vorjahren eingegangen sind, mangelhaft ist. Und wir reden an dieser Stelle von der Bewältigung immenser Altbestände, die aber letztendlich von dem Personalbedarfsbemessungssystem gar nicht berücksichtigt werden.

Wir haben eine Rechtsprechung, deren Unabhängigkeit verfassungsrechtlich verbürgt ist. Das ist ein sehr hohes Gut und ein wesentliches Moment unseres Rechtsstaates. Hinzu kommt, dass wir qua Grundgesetz einen Justizgewährleistungsanspruch haben. Man könnte meinen, dass diese beiden Punkte Selbstverständlichkeiten sind, die nicht im Rahmen eines Landtagsbeschlusses festgestellt werden müssen. Doch sie müssen entsprechende Rahmenbedingungen vorfinden, um sie wirklich mit Leben erfüllen zu können. Deshalb haben wir als Fraktion uns bewusst entschlossen, diesen Punkt genauso aufzunehmen.

Das Vertrauen in den Rechtsstaat wird erschüttert durch überlange Verfahrensdauern und auch durch den Eindruck bzw. die Tatsache, dass unsere Justiz nicht mit dem erforderlichen Personal ausgestattet ist. Das ist für den sozialen Frieden eine Gefahr, die nicht zu unterschätzen ist. Und bitte, unterschätzen Sie auch nicht die Signale, die wir in die Justiz hinein selber senden. Die Botschaften, die hier mitschwingen, sind keine günstigen und kaum motivierend. Sie suggerieren keine bzw. nur geringe  Wertschätzung.

Wir verlangen von weniger Personal mehr Leistung. Im Ergebnis dessen leidet unweigerlich die Quantität oder die Qualität. Offensichtliche Antwort auf diesen Umgang mit der Justiz ist die Höhe des Krankenstandes. Daher ist uns neben dem Altersdurchschnitt auch dieser Punkt sehr wichtig.

Wir hoch ist der Krankenstand und wie kann hier Abhilfe geschaffen werden? Gleich vorweg: Die besten gesundheitsfördernden Programme bleiben langfristig wirkungslos, wenn die Arbeitslast zu hoch ist und weiterhin auf diesem Niveau bleibt. Und dabei haben wir natürlich auch Sorge zu tragen, dass ausreichend Nachwuchs – auch spürbar für die jetzt Beschäftigten – eingestellt und eingearbeitet wird. Einen gewissen Zeitraum über den Anschlag hinaus zu arbeiten, ist verkraftbar – vor allem, wenn am Ende des Tunnels tatsächlich ein Licht brennt. Doch schaue ich mir die Personalentwicklung in der Justiz an – und ich bin froh, dass das Personalkonzept des früheren Finanzministers endlich vom Tisch ist, weil es eben so nicht einfach für die Justiz anwendbar war, ohne einen erheblichen Flurschaden zu hinterlassen –,dann ist dieses Licht am Ende des Tunnels eben nicht in Sicht. Oder, es ist das Licht des Gegenzuges und eine Kollision ist vorprogrammiert.

Genau das ist der Grund, warum eine Gruppe von Bediensteten bzw. Beschäftigten, die sonst eher nicht im Licht der Öffentlichkeit steht – außer, es geht um bedeutende Prozesse – dass also diese Gruppe an die Öffentlichkeit tritt und um Hilfe ruft.
Diesen Hilferuf sollten wir ernst nehmen, genau beleuchten und mit Maßnahmen entgegensteuern. Lassen Sie uns also die Haushaltsberatungen nutzen und im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung gemeinsam mit den Mitgliedern des Finanzausschusses und auch mit den betroffenen Interessensgruppen (Hier: Präsidenten der Gerichte, Personalräte, Richterbund, JVAs etc.) über Sichtweisen, Vorschläge, Auffassungen und Lösungsansätze diskutieren. Wir sollten gemeinsam eine Lösung finden und nicht denen Recht geben, die meinen, dass das Abendland vor dem Untergang stehe.

Handeln, Entgegensteuern, Nachjustieren sind demnach angesagt und stehen auf der parlamentarischen Tagesordnung. Es geht uns dabei nicht um Aktionismus, sondern um langfristige Lösungen. Diese Notwendigkeit belegen auch die Zahlen der Landesregierung in ihrer Antwort auf meine Kleine Anfrage in der Drs. 7/352 „Verfahrensdauer gerichtlicher Verfahren in Sachsen-Anhalt“ sowie auf meine Kleine Anfrage in der Drs. 7/351 „Zukunft des mittleren Dienstes in der Justiz Sachsen-Anhalt“.

Wir haben in der letzten Wahlperiode sehr viel und sehr intensiv über die Situation der Justizvollzugsbediensteten hier in diesem Haus beraten. Der Weg aus dem Personalmangel war hierbei das Schließen von Justizvollzugsanstalten. Allerdings ist diese Situation inzwischen einhergehend mit dem Rückgang der Zahl der Gefangenen.
Ich eröffne an dieser Stelle lieber nicht die Debatte um die nicht vollstreckten Haftbefehle in diesem Land. Das werden wir zu einem späteren Moment gesondert thematisieren.

Doch, und das ist mir sehr wichtig: Wir sollten nicht über die Schließung von Gerichtsstandorten als Lösung aus dem Personalproblem nachdenken. Es ist gut, dass ein solcher Weg auch in der Koalitionsvereinbarung nicht beschrieben wird. Unsere Gerichtslandschaft ist derzeit sinnvoll und sollte so erhalten bleiben.

Lassen Sie uns gemeinsam für eine Personalpolitik streiten, die die Justiz in Sachsen-Anhalt für die nächsten Jahre auf sichere Füße stellt. Lassen Sie uns gemeinsam den grundgesetzlich verankerten Anspruch der Bürger*innen diese Landes auf eine funktionstüchtige Justiz sowie auf zeitnahen Rechtsschutz umsetzen und langfristig garantieren. Lassen Sie uns zeitnah Abhilfe schaffen, damit unsere Bediensteten und Beschäftigten in der Justiz auch künftig hochmotiviert ihre Aufgaben erfüllen können.

Ich werbe daher um Zustimmung zu unserem Antrag und Begleitung der Umsetzung in den heute begonnenen Haushaltsberatungen.