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Henriette Quade zu TOP 05: Sachsen-Anhalts Beitrag zum Schutz von Flüchtlingen aus Nordafrika und dem Nahen Osten

Als Parlamentsneuling habe ich mir in der Vorbereitung einige Debatten des Landtages der vergangenen Legislaturperiode angeschaut, so auch die in vielerlei Hinsicht interessante Debatte der Sitzung des Landtages im Februar 2011 zum gemeinsamen Antrag aller Fraktionen mit dem Titel „Sachsen-Anhalt weltoffen und tolerant“, in der der damalige Ministerpräsident Professor Dr. Böhmer den, wie ich finde, in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Satz prägte, dass „wir die Weltoffenheit wahrscheinlich mehr brauchen als die Welt uns“.

Angesichts eines möglichen Einzugs der neonazistischen NPD in den wurde an dieser Stelle viel über die demokratische Verfasstheit Sachsen-Anhalts geredet und es gab in dieser Debatte nicht einen Redner und nicht eine Rednerin, der oder die nicht auf den gesellschaftlichen Wert und auf die demokratische Verpflichtung zur Weltoffenheit verwiesen hätte.  Daran möchte ich erinnern, wenn wir über den Antrag meiner Fraktion zum Beitrag des Landes Sachsen-Anhalt zum Schutz von Flüchtlingen aus Nordafrika und dem Nahen Osten reden. Denn das Bekenntnis zur Weltoffenheit verkommt zur hohlen Phrase, wenn es nicht auch Ausgangspunkt für Engagement und Verantwortungsübernahme des Landes in Sachen Flüchtlingspolitik ist.

Wenn ich mir, mit der Aussage von Professor Dr. Böhmer im Kopf, die Situation in Nordafrika und an den Grenzen Europas anschaue, dann stelle ich fest, dass es zumindest in diesem Fall anders sein dürfte. Auch das Land Sachsen-Anhalt ist in der Pflicht, einen Beitrag zum Schutz von Flüchtlingen zu leisten, und dieser Beitrag wird sehr wohl sehr dringend gebraucht.

Wir alle kennen die schrecklichen Bilder, die uns seit Wochen erreichen. Bei dem Versuch, das Mittelmeer von Libyen aus zu überqueren, geraten immer wieder Boote in Seenot und zahlreiche Menschen sterben bei dem Versuch, die Grenzen der Festung Europa zu überwinden. In der letzten Woche kam es zu einer der größten bekannten Tragödien im Mittelmeer. Ein Boot mit mehr als 600 Flüchtlingen an Bord sank kurz nach dem Ablegen von libyschem Staatsgebiet. Es ist davon auszugehen, dass die meisten dieser Menschen ertrunken sind. 16 Leichen wurden bisher geborgen, unter ihnen Frauen und Kinder.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl kritisiert, wie ich finde, sehr zu: „Eine hochgerüstete Armada aus Nato, Verbänden der europäischen Grenzschutzagentur Frontex sowie der EU-Mitgliedstaaten betreibt eine weitgehend lückenlose Überwachung der libyschen Seegrenzen und Häfen, registriert jede Schiffsbewegung und schaut dennoch zu, wie fliehende Menschen auf seeuntüchtigen Booten verdursten, verhungern und ertrinken.“

Wir alle kennen auch die Bilder von der italienischen Insel Lampedusa und an niemanden von uns dürften die wiederholten Appelle, Bitten und Forderungen der EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström an alle Mitgliedstaaten der EU nach Solidarität und Aufnahme der Flüchtlinge aus Nordafrika vorbeigegangen sein. Dennoch ist bislang kaum etwas geschehen. Im Gegenteil, angesichts der zu erwartenden und mittlerweile tatsächlich bereits eingetretenen Flüchtlingsströme erlebten und erleben wir eine Debatte darüber, wie sich Europa noch besser abschotten könne.

Da werden Menschen dafür verurteilt, dass sie flüchten, statt die Übergangsprozesse mitzugestalten, am demokratischen Aufbruch und am Aufbau ihrer Länder mitzuwirken. Das ist nicht nur eine Anmaßung aus der wohlfeilen, sicheren Perspektive der ersten Welt, es ignoriert auch die Spezifik der Flüchtlinge in den Grenzregionen zwischen Libyen, Tunesien und Ägypten. Denn es sind eben nicht nur Libyer, Tunesier und Ägypter, die auf der Flucht aus diesem Gebiet sind. Im Gegenteil, es sind Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Bürgerkriegsgebieten wie Somalia und Eritrea, aber auch Staaten im Nahen und Mittleren Osten, die auf ihrer Flucht notwendigerweise diese Regionen passieren.
Statt die durch das Zurückdrängen von Booten aus internationalen Gewässern in libysches Hoheitsgebiet stattgefundenen Verstöße der Regierung Berlusconi gegen die Europäische Menschenrechtskonvention zu verurteilen, wurde und wird über die Möglichkeiten, die Grenzen Europas dichtzumachen, räsoniert und erwogen, das Schengen-Abkommen außer Kraft zu setzen und Grenzkontrollen innerhalb Europas wieder einzuführen.  

Die bayerische Landesregierung zeigte sich empört, als angesichts der zunehmenden Flüchtlingsströme an die europäische Verantwortung appelliert wurde, und kündigte Grenzkontrollen an. Ja, auch die nur kurze Zeit zuvor erfolgte Ankündigung des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer, Deutschland bis zur letzten Patrone vor Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme schützen zu wollen, lässt sich von dieser Debatte um die Flüchtlinge in Nordafrika nicht trennen.  

Die allgemeine Untätigkeit in weiten Teilen der EU und in der BRD in Sachen Flüchtlingsaufnahme ist für DIE LINKE nicht hinnehmbar. Denn die allseits geäußerte Freude über die und das Lob der demokratischen Bestrebungen in den nordafrikanischen Staaten bleiben Lippenbekenntnisse, wenn denjenigen, die angesichts der humanitären Notlage in den Grenzregionen zwischen Libyen, Tunesien und Ägypten zur Flucht gezwungen sind, die Zuflucht und der vorübergehende Schutz in Europa verwehrt werden.

Die BRD und mit ihr das Land Sachsen-Anhalt sind diesbezüglich nicht nur in einer humanitären Pflicht, sie sind auch in einer demokratischen, denn das Recht auf Asyl und Schutz sind grundlegende Werte der Demokratie. Wir sehen ganz klar die Bundesregierung in der Pflicht, dem Schicksal dieser Menschen nicht länger gleichgültig gegenüberzustehen und ihren sicheren Transit in die EU zu unterstützen. Das Land Sachsen-Anhalt sollte genau dies einfordern und kann zudem selbst einen Beitrag zum Schutz dieser Flüchtlinge leisten, indem es sich an der Aufnahme der vom UN-Flüchtlingshochkommissariat registrierten Flüchtlinge in Libyen beteiligt und in Abstimmung mit der Europäischen Union und selbstverständlich der Bundesregierung selbst Kapazitäten für die Aufnahme Schutzsuchender zur Verfügung stellt.

Ein solcher Beschluss dieses Hohen Hauses am heutigen Tage wäre angesichts der heute in Brüssel stattfindenden Aussprache der EU-Innenminister ein wichtiges Signal und entspräche bei Weitem nicht nur dem Willen meiner Fraktion. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat appellierte erst gestern wieder an die europäische Gemeinschaft, Aufnahmeplätze für schutzbedürftige SubSahara-Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen und für sie die Option der Neuansiedlung aus einem Erstzufluchtsland in einem Drittland, als derzeit einzige verbleibende Schutzalternative zu eröffnen. Vor allem aber wäre es ein Akt der Humanität.

In diesem Sinne geht es mit unserem Antrag in erster Linie um einen konkreten Beitrag Sachsen-Anhalts zum Schutz von Flüchtlingen aus Nordafrika. Zugleich geht es aber auch um Europas und damit auch Deutschlands Rückerlangung von Glaubwürdigkeit in Menschenrechtsfragen. Sachsen-Anhalt kann dazu heute einen Beitrag leisten. Und - dies will ich zuletzt auch bemerken - ein Sachsen-Anhalt, das sich seiner Verantwortung in Europa und in der Welt bewusst ist, würde der derzeit in Sachsen-Anhalt wie in allen Bundesländern stattfindenden Europawoche einen wahrhaft europäischen Charakter verleihen.