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Wulf Gallert zu TOP 21: Keine Toleranz gegenüber rassistischer und rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt

Die Aktuelle Debatte, die meine Fraktion beantragt hat, ist veranlasst durch den massiven Anstieg von Angriffen auf Flüchtlinge, deren Unterkünfte, deren Unterstützer und auch auf verantwortliche Politikerinnen und Politiker. Nur um eine Vorstellung über die Dimension zu bekommen: Bundesweit gab es bisher in diesem Jahr 438 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, im Land waren es 22. Davon waren bundesweit 96 Brandanschläge, im Land gab es davon 7.  Wir sprechen inzwischen von bundesweit 212 Verletzten in Folge von fremdenfeindlichen Angriffen, in Sachsen-Anhalt sind es 6. In den letzten zwei Jahren beobachten wir in diesem Bereich einen ständigen Anstieg, der sich in den letzten Wochen radikal verschärft hat.

Wir wissen aber auch, dass in diesen Zahlen die Masse an Pöbeleien, auch Tätlichkeiten, die inzwischen fast zum Alltag gehören, genauso wenig enthalten sind, wie Meinungsäußerungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit noch vor kurzem strafrechtlich verfolgt worden wären, wie z. B. der PEGIDA-Galgen für Angela Merkel und Sigmar Gabriel.

Natürlich muss man sich auch über die Verfolgung solcher Straftaten und die gemischte Bilanz von Polizei und Justiz in diesem Bereich unterhalten. Und natürlich kennen wir auch den Einwand, der sofort kommen wird, dass politische Gewalt weder von rechts noch von links noch aus der Mitte der Gesellschaft zu akzeptieren ist, wie sie sich jetzt mit sogenannten Bürgerwehren zu formieren droht. Ja, das Gewaltmonopol liegt ausschließlich beim Staat, und in der Demokratie verbietet es sich, Gewalt als Mittel der Durchsetzung politischer Interessen einzusetzen. Nur - diese Erkenntnis ist nicht neu, und um sie hier zu bekräftigen, bräuchte es keine Aktuelle Debatte.

Der Anlass für diese Debatte ist ein anderer: Er besteht darin, dass es aus der Mitte der Gesellschaft eine zunehmende Akzeptanz für Gewaltausübung gegen Flüchtlinge selbst und all diejenigen gibt, die sich deutlich und laut für Humanismus und Weltoffenheit einsetzen. Der Satz „Eine Regierung, die sich nicht an Recht und Gesetz hält, trägt Mitschuld, wenn Bürger sich gegen illegale Einwanderung wehren.“ stammt nicht von einem protestierenden Wutbürger, sondern vom stellv. Leiter der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, also einer politischen Bildungseinrichtung, die u. a. auch die Gedenkstätten aus der nationalsozialistischen Herrschaft in Sachsen betreut. Jemand also, der in seiner Funktion Multiplikator für Grundwerte wie Demokratie und Menschenwürde sein sollte, propagiert das Recht auf Selbstjustiz, weil die Regierung bei der Abwehr von Flüchtlingen versagt hätte. Und natürlich kann es so etwas auch in Sachsen-Anhalt geben, wie der viel diskutierte Beitrag des Chefs des Philologenverbandes hier in Sachsen-Anhalt belegt, der massiv Vorurteile und Stereotype gegenüber Muslimen bedient, über die man deutsche Mädchen aufklären müsse.

Und wir erleben jeden Tag, wie eine solche Argumentation massenhaft als Erklärung und Entschuldigung für Gewalt gegen Flüchtlinge und ihre Unterstützer herangezogen wird.

Die Reaktionen in den Foren auf die Morddrohungen gegen Sören Herbst und Robert Fietzke hier in Magdeburg waren eindeutig. Ein Großteil davon entschuldigte oder legitimierte dieses Mittel der politischen Gewalt ausdrücklich. Immer nach dem Motto: „Vielleicht ein bisschen überzogen, aber in der Sache doch richtig.“ Übrigens genauso wie die Reaktionen auf den Text der Spitze des Philologenverbandes: „Man müsse ja nicht unbedingt alle Begriffe teilen, wie Immigranteninvasion oder den ungebildeten Muslimen mit ihren sexuellen Gelüsten, aber eine wichtige Diskussion würde man dadurch schon anstoßen können. Und schließlich müsse man ja seine Meinung noch sagen dürfen.“

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Recht auf Meinungsfreiheit ist ein sehr grundlegendes, und es garantiert auch, dass man rassistische Vorurteile verbreiten kann und dass man in der Öffentlichkeit Hass predigt und hetzt. Das darf aber nicht davor bewahren, dass sich echte Demokraten mutig damit auseinandersetzen und dafür kämpfen, Rassismus und Gewalt Einhalt zu gebieten. Und das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist unsere gemeinsame Aufgabe. Und deswegen ist die Auseinandersetzung mit der Unterstützung von Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft die erste Voraussetzung dafür, dass Gewalt mit eben dieser Motivation eingedämmt wird. Das können keine Polizei und schon gar kein Verfassungsschutz, das ist unsere Aufgabe. Und natürlich sollte man sich in solchen Situationen mit historischen Vergleichen zurückhalten. Aber die geschichtliche Erfahrung der Weimarer Republik, die letztlich von der bürgerlichen Mitte an Adolf Hitler übergeben wurde, muss uns eine Warnung sein. Auch dann, wenn die Demokratie hier und heute um ein vieles stärker ist, als sie es damals war.

Zu unserer politischen Verantwortung gehört auch, die ideologische Legitimation dieser Gewalt aufzudecken. Um hier nur ein Beispiel zu nennen: Der Spitzenkandidat der AfD hier im Land, André Poggenburg, hat auf der gemeinsamen Kundgebung mit dem rechtspopulistischen AfD-Chef von Thüringen über die, wie er es bezeichnet „links-grüne Sippschaft“ den Satz geprägt: „Diese verlogenen Lumpen wollen nach Lust und Laune jeden herholen, der unser hart erarbeitetes Sozialsystem plündern will.“

Natürlich hat er nicht im engeren Sinne dazu aufgerufen, diese so von ihm bezeichneten verlogenen Lumpen an die Wand zu stellen, wie es dann ein ehemaliger Parteikollege von ihm tat. Aber das musste er ja nicht, denn vor dem Hintergrund der permanent wachsenden Gewalt muss ein Herr Poggenburg diesen Satz auch nicht mehr sagen, denn diejenigen, die Gewalt ausüben wollen, und das werden immer mehr, brauchen lediglich die ideologische Legitimation für ihre Taten. Den Rest können sie allein besorgen. Und deswegen ist es wichtig, dass solche Sätze nicht unwidersprochen bleiben.

Darüber hinaus ist es unsere Verantwortung, in dieser jetzigen aggressiven Grundstimmung, in der Angst und Unsicherheit durch Lügen befeuert werden, für Wahrheit und Aufklärung einzutreten. Ja, natürlich gibt es auch Flüchtlinge, die zu uns kommen und krank sind. Aber undifferenzierte Meldungen, dass sich daraus ein besonderes Sicherheitsrisiko ergeben könnte, sind der Situation durchaus nicht angemessen. Und natürlich können auch Flüchtlinge zu Straftätern werden und niemand bekommt in diesem Land ein Verbot, darüber zu berichten. Was aber nicht geht, ist, dass solche Fälle als stereotype Vorurteile auf die gesamte Gruppe zurückgeworfen werden. Unsere gemeinsame Verantwortung bei der Bekämpfung von rassistischer Gewalt liegt in unserer Argumentation und in der Sprache. Wir müssen um das Tabu dieser Form der politischen Auseinandersetzung in der Mitte der Gesellschaft kämpfen, in der es droht, verloren zu gehen.

Dies kann ich aber nur überzeugend tun, wenn ich offensiv für den Artikel 1 des Grundgesetzes eintrete, nach dem die Würde eines jeden Menschen unantastbar ist. Das bedeutet, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit die Stirn zu bieten, weil diese nichts anderes sind, als die ideologische Basis von rassistischem Terror.